Protocol of the Session on May 17, 2011

Wer aus Hadamar zum Arbeitsgericht Limburg muss, hat heute 12 km zurückzulegen. Künftig hat er, da er nach Wiesbaden fahren muss, 58 km zurückzulegen. Beide Gemeinden sind übrigens Standorte großer Einrichtungen mit vielen Arbeitnehmern. Es gibt da natürlich auch Streitigkeiten. Bei Arbeitsgerichtsprozessen müssen die Leute in der Regel erscheinen, weil die Güteverhandlung obligatorisch ist. Sie haben keine Kostenerstattung, weil die Kosten immer selbst zu tragen sind, selbst wenn sie am Ende obsiegen. Das heißt, hier werden in der Tat Kostenverlagerungen vorgenommen.

Wir haben z. B. in Schlüchtern die Situation, dass es dort viele psychiatrische Einrichtungen gibt, in denen die Betreuungsrichter fast täglich unterwegs sind; denn nach dem Betreuungsrecht müssen – im Übrigen völlig zu Recht – die Personen, um die es geht, in ihrer gewohnten Umgebung angehört werden, nicht vor Gericht. Künftig werden die Kolleginnen und Kollegen 33 km von Gelnhausen nach Schlüchtern fahren müssen. Das kostet Zeit und Geld und führt zu weiteren Belastungen.

Darum sollte man sich das Gewicht anschauen, das Sie – bei der Abwägung – auf der anderen Seite in die Waagschale werfen. Ich muss sagen, das Gewicht ist in den letz

ten Monaten immer geringer geworden. Sie haben in der Regierungserklärung angekündigt – ich habe sie mir noch einmal angeschaut –, über die Einsparungen im Jahr 2011 hinaus, über die wir damals auch gesprochen haben, müss ten im Jahr 2012 im Justizhaushalt weitere 15 Millionen € eingespart werden.

Jetzt legen Sie uns einen Gesetzentwurf vor, wonach – das kann man lesen – im Ergebnis pro Jahr 1,5 Millionen € durch Gerichtsschließungen eingespart werden sollen. Das sind gerade einmal 2 % der Gesamtausgaben für die ordentlichen Gerichte und die Arbeitsgerichte. Gleichzeitig sind es nur 10 % dessen, was Sie selbst als Einsparziel vorgegeben haben.

Nun gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder kann man andere Maßnahmen durchführen, durch die die übrigen 90 % an Einsparungen erreicht werden – die dann aber auch neunmal effektiver sind als die Gerichtsschließungen –, oder Sie bleiben weit hinter den Einsparzielen zurück. Es würde uns interessieren, wie es da eigentlich aussieht.

(Zuruf von der FDP)

Meine Fraktion hat in ihrem Konzept „Hessen tritt auf die Schuldenbremse“ eigene Vorschläge unterbreitet, die durchaus auch die Justiz betreffen. Ich möchte das Beispiel von Frau Hofmann aufgreifen: Allein die Reduzierung der unsinnigen Tätigkeitserfassungen und der Datensammelwut in Sachen SAP auf ein sinnvolles Maß könnte nach unserer Schätzung mindestens 2,8 Millio nen € einsparen. Wir sind hinsichtlich der Schätzung vorsichtiger als die SPD-Fraktion. Aber auch nach dieser vorsichtigen Schätzung kommt fast das Doppelte von dem heraus, was Sie angeblich durch die Gerichtsschließungen einsparen wollen.

Wir haben übrigens auch vorgeschlagen, einmal darüber nachzudenken, die Gerichtsgebühren, die seit Jahren unverändert sind, im Schnitt um moderate 5 % anzuheben. Das würde nach unseren Berechnungen rund 15 Millionen € bringen, also zehnmal so viel wie das, was Sie einsparen wollen.

Herr Minister, Ihre Begründung hat auch logische Brüche, auf die die Kolleginnen und Kollegen schon hingewiesen haben. Sie stützen, wie Sie es auch bei der Einbringung des Gesetzentwurfs wieder gemacht haben, das ganze Programm vor allem auf Vorschläge des Rechnungshofs. Die damalige Landesregierung ist den Vorschlägen des Rechnungshofs zur Schließung von Arbeitsgerichten entgegengetreten und hat unter anderem gesagt, sie müssten zwecks Standortsicherung erhalten bleiben.

Vor allem aber wurde damals angekündigt, es müssten weitere Untersuchungen zur Erreichbarkeit anderer Standorte insbesondere mit dem öffentlichen Personennahverkehr durchgeführt werden, und es müssten auch Gespräche mit den Tarifparteien stattfinden. Weder das eine noch das andere ist in der Zwischenzeit geschehen. Gleichwohl wollen Sie das hier umsetzen.

Was die Amtsgerichte betrifft, hatte der Rechnungshof übrigens vorgeschlagen, Gerichte mit drei oder weniger Richterstellen mit anderen zusammenzulegen. Sie haben in der Einbringung auch wieder die Kriterien geschildert, die der Rechnungshof für eine Schließung genannt hat, und teilen dann plötzlich mit, dass auch Gerichte mit vier Richterstellen geschlossen werden sollen. Aus drei mach vier – Begründung: keine. Wenn man sich den Gesetzent

wurf anschaut, stellt man fest, es steht dort kein einziger Satz, mit dem das begründet wird. Auf den Rechnungshof können Sie sich bei der Schließung des Amtsgerichts Usingen – das ist das einzige der zu schließenden Amtsgerichte mit vier Richterstellen – jedenfalls nicht stützen.

(Heike Hofmann (SPD): Richtig!)

Eine eigene Begründung jenseits der Kriterien des Rechnungshofs haben Sie bis heute auch noch nicht angeführt. Das wäre aber angesichts der heftigen Proteste, die gerade die beabsichtigte Schließung des Amtsgerichts Usingen hervorgerufen hat, dringend notwendig gewesen. Das ist eine erhebliche Missachtung der Bürgerinnen und Bürger, die sich – das sollten wir loben und wertschätzen – für ihr Amtsgericht vor Ort einsetzen. Das zeugt von einer Verbundenheit der Bürgerinnen und Bürgern mit der Justiz. Wir sollten das hoch achten, und wir sollten den Bürgerinnen und Bürger zumindest nachvollziehbare Argumente für die Schließung liefern. Diese sind Sie bis heute schuldig geblieben, und das halten wir für eine Missachtung der Bürgerinnen und Bürger.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir werden im Ausschuss einigen Diskussionsbedarf haben. Bisher sind die Ausführungen des Herrn Ministers jedenfalls kaum geeignet, seinen Schließungsplänen eine tragfähige Begründung zu geben. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Jürgens. – Nächste Wortmeldung, Herr Kollege Müller, FDP-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Sparen in der Justiz ist eine besondere Herausforderung. Wir können keine Entscheidung darüber treffen, wie viele Prozesse geführt werden und wie viele Klagen erhoben werden. All dies können wir nicht beeinflussen. Folglich können wir nur sparen, indem wir beim Personal kürzen, also die gleiche Arbeit auf weniger Schultern verteilen, oder indem wir die Sachkosten reduzieren. Das bedeutet in den meisten Fällen, dass Standorte aufgelöst werden müssen.

Dafür, wie Regierungen an diese Aufgabe herangehen können – es lebe der Föderalismus –, gibt es im Moment zwei praktische Beispiele. In dem einen Fall beschließt eine Regierungskoalition in ihrem Koalitionsvertrag, ein Oberlandesgericht, eine Generalstaatsanwaltschaft und eines von vier Verwaltungsgerichten zu schließen. Dabei wird vorher nicht mit den Betroffenen gesprochen. Es werden also jeder Ansatz von Transparenz und jeder Ansatz einer Beteiligung der Betroffenen verweigert. Auf Nachfrage erklärt Ministerpräsident Kurt Beck, das sei Regierungshandeln; dabei müssten nachgeordnete Behörden nicht gefragt werden.

(Günter Rudolph (SPD): Was wollt ihr eigentlich mit Rheinland-Pfalz?)

Das führt zu unglaublichen Zerwürfnissen zwischen Justiz und Landesregierung sowie zu einer unglaublichen Verunsicherung bei den Mitarbeitern aller vier Verwaltungsgerichte im Land.

(Zurufe von der SPD)

Zu Hessen komme ich gleich, keine Sorge. – Der Richterbund schreibt dazu, es gebe „Angriffe auf die rheinland-pfälzische Justiz“.

(Fortgesetzte Zurufe von der SPD)

Dass Ihnen das nicht gefällt, ist mir klar. Aber ich finde es gut. Die Rechtsanwaltskammer spricht von „Racheakten“ und der „Arroganz der Macht“. So arbeitet RotGrün in Rheinland-Pfalz.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Da fehlen die LINKEN!)

Es gibt übrigens auch schöne Plakate, von denen ich Ihnen eines zeigen möchte.

(Der Redner hält ein Plakat hoch.)

Darauf steht: „Game over für die bürgernahe Justiz“. Der grüne Pacman frisst sich durch das OLG. Genau so läuft es.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im anderen Fall – jetzt komme ich nach Hessen – werden über Monate intensive Gespräche und Beratungen mit den verschiedenen Gerichtsbarkeiten geführt. Es werden alle Verantwortlichen vor Ort eingebunden. Die Gerichtspräsidenten werden beteiligt, die Bezirksrichterräte und die Bezirkspersonalräte. Alle haben gemeinsam untersucht, wie man eine Strukturveränderung sinnvoll erreichen kann. Am Ende steht ein Ergebnis, das vor allem eine vernünftige Lösung widerspiegelt. Dieses Ergebnis wird dann transparent und öffentlich dargestellt, bereits vor einem Jahr in der Regierungserklärung, und auch jeweils vor Ort diskutiert. – So, meine Damen und Herren, arbeiten CDU und FDP in Hessen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Dazu habe ich dann zwei Fragen an Rot-Grün. Erstens. Warum reden Sie immer und überall von Transparenz und Bürgerbeteiligung, wenn Sie, kaum in Verantwortung, dann genau das Gegenteil davon tun? Das klingt schon geradezu höhnisch, wenn Sie acht Seiten vor der Verkündung der Gerichtsschließung im Koalitionsvertrag schreiben: „Nur im Dialog und im Austausch kann Politik erfolgreich... gestaltet werden“, und dann so handeln, wie Sie es in Rheinland-Pfalz tun.

(Zurufe von der SPD: Hessen!)

Es bleibt auch nicht nur bei der Schließung des OLG in Koblenz. Auch die Äußerungen des neuen Verkehrsministers in Baden-Württemberg zeigen, dass er das Ergebnis eines Bürgerentscheids zu Stuttgart 21, wenn er positiv ausfällt, nicht umsetzen möchte. Das ist nur eines von vielen weiteren Beispielen, wie Sie es mit den Themen Bürgerbeteiligung und Transparenz in den Verfahren – –

(Zurufe von der SPD: Zur Sache! – Oh! – Beifall bei der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren!

Ich sehe, dass diese Anmerkungen Sie treffen. Denn Anspruch und Wirklichkeit, dazu kann man nur sagen, rotgrüne Welten – –

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich weiß, dass Sie dort nicht mehr Landtag sind! – Weitere Zurufe)

Herr Abgeordneter! – Sehen Sie, jetzt können Sie weiterreden. Danke schön.

Vielen Dank, Herr Präsident.

(Manfred Görig (SPD): Er will über Mainz reden!)

Ich will es wiederholen: Anspruch und Wirklichkeit – rotgrüne Welten prallen aufeinander.

Die zweite Frage, wenn Sie so über die Vorgehensweise hier schimpfen: Sollen wir uns ein Beispiel an Ihren Kollegen 10 km über den Rhein nehmen? Sollen wir hier so verfahren, wie es Ihre Kollegen in Rheinland-Pfalz getan haben? Ich glaube, nicht. Ich glaube, dass das liberal geführte Justizministerium hier genau den richtigen Weg gewählt hat, dass es über die Beteiligung und Einbindung der Betroffenen genau die richtige Entscheidung getroffen hat. Damit zeigen wir, dass die FDP diese offenen Ansätze in Regierungshandeln umsetzen kann.

Natürlich haben wir auch in Hessen starken Protest. Sparen tut immer weh. Es sind immer irgendwelche auch mit irgendwelchen Nachteilen betroffen. Dennoch glaube ich, dass wir durch die Offenheit und die Transparenz der Diskussion, die wir seit eineinviertel Jahren, vielleicht zum Teil noch länger, die Vorgespräche innerhalb der Justiz seit eineinhalb Jahren, führen, die Entscheidungen inhaltlich besser vorbereitet haben und dass sie außerdem mit deutlich mehr Akzeptanz verbunden sind.

Meine Damen und Herren, dass wir sparen müssen, steht außer Frage. Das haben uns auch die Bürger per Volksentscheid gerade in die Landesverfassung geschrieben. Da kommen wir nicht nur nicht darum herum. Ich glaube auch, dass es sehr richtig und sehr wichtig ist, dass wir das tun. Dann haben wir eben die Entscheidung: Wollen wir weniger Personal, oder wollen wir die Sachkosten reduzieren? Wir haben uns für die Sachkosten entschieden, und da können Sie hier herumkritisieren, so viel Sie wollen. Ich glaube, dass diese Entscheidung die richtige ist.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Herr Dr. Jürgens, Sie erklären auf der einen Seite, Sie wollen nicht hinnehmen, dass die Belastungen jetzt auf die Rechtsuchenden verteilt werden, weil sie längere Anfahrten in Kauf nehmen. Sie sagen, wir sollten lieber die Gerichtsgebühren erhöhen, das bringe gleich 15 Millionen €, und das sei viel effektiver. Aber Sie vergessen oder verschweigen auf der anderen Seite, dass diese 15 Millio nen € genau von jenen Rechtsuchenden, die Sie gerade versucht haben zu verteidigen, bezahlt werden müssen. Also spielen Sie sich hier nicht als Verteidiger der Rechtsuchenden auf; das ist nicht richtig. Ihre einzige Lösung, die Sie zu fast allen Themen präsentieren, sind Steuererhö

hungen und Gebührenerhöhungen. Damit kommen wir in diesem Land nicht weiter.