Wenn man jemandem diese Anerkennung ausspricht, ist das Land gefordert. Ich würde mich freuen, wenn wir im Rahmen der Anhörung und der Ausschussberatungen noch ein Stückchen weiterkämen und prüfen würden, ob nicht ein bisschen mehr Regelung der Sache dienlich wäre.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Liebe Frau Ministerin, ich begrüße es außerordentlich, dass Sie gelassen in die weiteren Beratungen zu diesem Gesetzentwurf im Ausschuss gehen, und zwar aus zwei Gründen. Der eine ist,dass ich glaube,dass die Chancen größer sind,dass Sie den Anzuhörenden ausnahmsweise zuhören und ihre Argumente aufnehmen, wenn wir alle gelassen in die Anhörung gehen. Das würde ich bei diesem Gesetzentwurf nämlich wirklich begrüßen.
Aus der Praxis gibt es ziemlich breite Kritik an diesem Gesetzentwurf. Die bezieht sich aber, soweit ich es überblickt habe, ausschließlich auf die Frage: Reichen 100 Tage, oder muss es weiterhin ein Jahr sein? Ich glaube, dass wir hier sehr genau hinhören sollten, welche Ängste vorherrschen, weil wir es uns gerade bei den sozialen Berufen – woanders sicher auch, aber insbesondere bei den sozialen Berufen – nicht erlauben können, mithilfe des Gesetzentwurfs auf ein Schmalspurstudium bzw. eine Schmalspurausbildung zu switchen, weil wir an die Menschen denken müssen, mit denen es die künftigen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter – ich will jetzt nicht alle Berufsbezeichnungen wiederholen – zu tun haben. Insofern ist es bestimmt sinnvoll, hier sehr genau zuzuhören.
Einer der Gründe, sich für eine längere Zeit in der Praxis auszusprechen, ist, dass innerhalb eines Jahres gerade bei der Klientel, mit der es die sozialen Berufe zu tun haben, längerfristige Bindungen von Bedeutung sind und man das eine oder andere Problem gerade in seiner Längerfristigkeit eher begreifen, bearbeiten und die möglichen Lösungen erlernen kann.Das ist ein Argument,das ich für sehr wichtig halte.
Ein weiteres Argument ist, dass es sich für die Stellen, die Praktikaplätze anbieten,natürlich lohnen muss.Es ist also die Frage, ob jemand, der ein dreimonatiges Praktikum machen will, in den Einrichtungen genauso willkommen ist, weil Praktikanten, die nur kurze Zeit da sind, erfahrungsgemäß – wir alle kennen das – eher Arbeit bedeuten und nur relativ wenig Arbeit abnehmen können. Ich glaube, dass es mit dem Anerkennungsjahr schon deswegen so gut läuft, weil das einfach eine gewinnbringende Situation für die betroffenen Institutionen ist. Ich denke also, diese kritischen Töne sollten wir durchaus anhören.
Ich bin aber auch aus einem weiteren Grund froh,dass Sie gelassen in die Anhörung gehen. Auch ich gehe nämlich diesmal gelassen in die Anhörung; denn ich habe wirklich
Ich glaube tatsächlich,dass es Gründe dafür gibt,nicht auf diesem einen Jahr zu bestehen. Ein Argument ist beispielsweise, dass aufgrund der Umstellung auf Bachelorund Masterstudiengänge ohnehin schon sehr viel mehr Praxisbezüge im Studium enthalten sind. Das Anerkennungsjahr hat – man weiß das, wenn man die Leute und die Situationen kennt – bisher auch ein bisschen etwas mit Ausbeutung zu tun, weil das natürlich auch billige Arbeitskräfte sind. Gerade bei der Kinderbetreuung ist das so.
Ich glaube also, dass es durchaus Gründe dafür gibt, dieser Veränderung zuzustimmen, zumal es sich um eine Mindestanforderung handelt. Es heißt „mindestens 100 Tage“, und es bleibt weitgehend den Hochschulen selbst überlassen, zu entscheiden, ob eine Dauer von 100 Tagen geeignet ist.Die Hochschulen können sich selbstverständlich auch anders entscheiden und einen längeren Zeitraum wählen.
Insofern freue ich mich wirklich auf die Ausschussberatungen; denn ich glaube, dass es wichtig ist, diejenigen, die mit der Ausbildung zu tun haben – sozusagen die Abnehmerinnen und Abnehmer der Ausgebildeten –, zu hören. Ich hoffe, dass wir uns, wie es in einem ganz normalen Gesetzgebungsverfahren vorgesehen ist, nach diesen Stellungnahmen eine Meinung bilden können. Daher freue ich mich, dass wir beide einmal gelassen in eine Anhörung gehen.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die wesentlichen gesetzlichen Bestimmungen zur Regelung der Berufe im Sozialwesen in Hessen sind zuletzt Anfang der Neunzigerjahre einer umfassenden Novellierung unterzogen worden. Es gab hier Anpassungsbedarf, weil sich in der Ausbildung, insbesondere in der Hochschulausbildung, einiges getan hat und die Hochschulen seitdem völlig neuen Rahmenbedingungen unterliegen. Insofern setzt dieser Gesetzentwurf die Veränderungen, die es im Hochschulwesen gab, jetzt auch bei den sozialen Berufen um.
Konkret sind vor allem zwei Punkte damit gemeint. Zum einen haben die Schulen seitdem weitaus mehr Autonomie in der Ausgestaltung von Forschung und Lehre. Das ist ein Prozess, der Ende der Neunzigerjahre in Gang gesetzt wurde.
Der Gesetzentwurf führt das in der Form weiter, dass den Hochschulen auch bei der sozialen Arbeit mehr Freiräume gegeben werden. Es wird nicht mehr exakt vorgeschrieben, welche Gremien und Prüfungen beim Anerkennungsverfahren eingerichtet werden.Vielmehr wird es in einem stärkeren Maße den Hochschulen überlassen; denn wir sind der Auffassung, dass die Hochschulen das selbst können und es besser wissen als die ministerielle Bürokratie. Außerdem muss – Herr Dr. Spies hat darauf
Wir glauben auch nicht, dass das sozusagen zu einem Flickenteppich, der aus lauter verschiedenen Regelungen besteht, führen wird, sondern wir denken, dass die Expertinnen und Experten an den Universitäten Verfahren entwickeln werden, die Mindeststandards in der Ausbildung gewährleisten. Insofern sind wir guten Mutes, dass die Fachleute vor Ort bessere Regelungen erarbeiten werden.
Zum anderen geht es um die Umstellung auf Bachelorund Masterstudiengänge. In den Vorreden ist schon angeklungen, dass die Bachelor- und Masterstudiengänge weitaus mehr Praxisbezug beinhalten als die vorherigen Studiengänge.Insofern ist es nur folgerichtig,dass das Anerkennungsjahr, das sich an das Studium anschließt, verkürzt wird.
Frau Kollegin Sorge hat darauf hingewiesen: Bei den 100 Tagen, die jetzt vorgeschrieben sind, handelt es sich nur um eine Mindestdauer. In den Beratungen ist fälschlicherweise des Öfteren davon ausgegangen worden, es sei jetzt vorgeschrieben, dass dieses Praktikum nur 100 Tage dauert. Es ist nur vorgeschrieben, dass es mindestens 100 Tage dauert.
Das heißt, auch hier sind Möglichkeiten für abweichende Lösungen der Universitäten durchaus vorhanden. Der Fachbereichstag und die zuständige Sozialministerkonferenz haben eine Mindestdauer von 100 Tagen befürwortet. Insofern sind wir nicht bange, dass sich auch diese Regelung in der Praxis bewähren wird.
Sie ermöglicht den Hochschulen eine flexiblere Ausgestaltung dieses Anerkennungsjahres. Sie gibt den Menschen, die nach dem Studium nicht in die Praxis gehen wollen,die Möglichkeit,nur eine kurze Praxisphase zu absolvieren, wenn sie stattdessen den Master machen, promovieren oder an der Universität bleiben wollen – was auch immer – und diesen starken Praxisbezug nicht brauchen. Insofern ist das eine gute Regelung.
Abgesehen davon muss man sagen, dass die Bachelorund Masterstudiengänge ohnehin schon einen stärken Praxisbezug aufweisen. Insofern ist uns nicht bange, dass der Praxisbezug insgesamt, der bisher durch das Anerkennungsjahr gewährleistet war, weniger wird und dass die Qualität unter der Verkürzung des Anerkennungsjahres leidet. Im Gegenteil, durch dieses Gesetz werden Regelungen geschaffen, die einen Raum für praxisnähere Lösungen bieten.
Daher teilen wir die Gelassenheit von Frau Staatsministerin Kühne-Hörmann, was die Anhörung betrifft.Wir danken der Landesregierung dafür, dass sie uns diesen Gesetzentwurf vorgelegt hat, und ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, Frau Ministerin! Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Heilpädagogen und Sozialpädagogen werden in ihrem Studium auf die Arbeit mit Menschen vorbereitet, genau genommen: auf die Arbeit mit Menschen, die in einer schwierigen Lebenssituation stecken, d. h. mit Menschen, die unter Druck stehen. Sie haben ein Erziehungsproblem oder ein Suchtproblem, sind obdachlos oder haben Schulden. Sie haben Gewalterfahrungen oder sind selbst gewalttätig. Sie befinden sich in einer Trennungssituation, streiten sich um das Sorgerecht oder um den Unterhalt,oder sie sind in Trauer. Häufig begegnet man Menschen mit einer vielschichtigen Problemlage, die also nicht nur eines dieser Probleme haben, sondern mehrere, sich überschneidende und gegenseitig bedingende.
Allein diese Aufzählung, die unvollständig ist, zeigt, dass wir es in diesem Berufsfeld mit Menschen zu tun haben, die unter besonderem Stress stehen und daher meist nicht adäquat reagieren. Menschen in schwierigen Lebenslagen brauchen Hilfe von Fachleuten.Diese Fachleute brauchen ihrerseits eine Ausbildung, die sie befähigt, mit den vielfältigen Problemlagen umzugehen, die ihnen in ihrem Berufsfeld begegnen können. Wenn dies nicht gewährleistet ist, bekommen wir es mit hilflosen Helfern zu tun, die selbst zum Problem werden.
Der Klient, der sich Hilfe suchend an eine Einrichtung wendet, erwartet zu Recht, dass ihm eine kompetente Fachkraft gegenübersitzt. Diese Fachkraft muss in der Lage sein, auf die oft vielschichtigen Probleme des Klienten einzugehen. Sonst ist sie als Helfer und Unterstützer ungeeignet. Die Menschen, die Hilfe suchen, reagieren aber nicht immer angemessen und schon gar nicht stereotyp. Es gibt kein Lehrbuch und keine Lehrveranstaltung, die eine Studentin oder einen Studenten umfänglich darauf vorbereiten können, was ihnen alles in ihrem Berufsalltag begegnet.
In der Arbeit mit Menschen ist nicht alles in der Theorie erlernbar. Es ist etwas anderes, ob man liest oder davon hört, wie sich ein Jugendlicher mit einem Aggressionsproblem verhält, oder ob man als verantwortlicher Gruppenleiter mit dieser Aggression konfrontiert wird oder vielleicht sogar Opfer wird. Es ist etwas anderes, über das Sterben zu lesen, als in der Arbeit damit konfrontiert zu werden.
Deshalb ist der Praxisanteil in jedem Studium, aber insbesondere im Studium der sozialen Arbeit, von großer Bedeutung. Die Studentinnen und Studenten müssen im Rahmen ihrer Ausbildung die Möglichkeit haben, sich selbst in der Praxis zu erfahren und mit diesen Erfahrungen noch einmal eine Theoriephase zu absolvieren.
Im Zuge von Sparmaßnahmen haben Sie Studiengänge verkürzt, Lerninhalte verdichtet, und jetzt beschneiden Sie den Praxisanteil. Sicher, da steht „mindestens 100 Tage“.Auch ich habe das gelesen.Aber was bedeutet das? Unter dem enormen wirtschaftlichen Druck, unter dem unsere Hochschulen stehen,wird es an keiner Hochschule einen 101.Tag in der Praxis geben.
In der Vergangenheit hatten wir Praxisanteile im Studium, Praxissemester und Anerkennungsjahre in den verschiedensten Kombinationen. Jetzt reduzieren wir das Ganze auf 100 Tage und tun so, als würden wir junge Men
schen in dem sensiblen Arbeitsfeld mit Menschen in besonderen Belastungssituationen umfassend auf ihre Arbeit vorbereiten. Der Schaden, den wir damit anrichten, ist gar nicht absehbar.
Der Dekan des entsprechenden Fachbereichs einer hessischen Universität hat mir dazu gesagt: Die zukünftigen Arbeitgeber müssen sich darüber im Klaren sein,dass hier Berufsanfänger kommen, die nicht selbstständig einsetzbar sind. – Was heißt das in der Praxis? Die Träger der sozialen Arbeit stellen junge, fertig ausgebildete Menschen ein, die über einen längeren Zeitraum nur unter Anleitung arbeiten können.
Wenn wir uns die Arbeitsdichte infolge der steigenden Zahl der Probleme und des Stellenabbaus in diesem Sektor anschauen, können wir feststellen, dass das völlig unrealistisch ist. In der Praxis würde das bedeuten, dass wir Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter und Heilpädagoginnen und Heilpädagogen bekommen würden, die nicht adäquat auf das Berufsleben vorbereitet wären. Leider bedeutet das auch, dass sie unter Umständen erheblichen Schaden anrichten würden. Das wären keine Blechschäden. Sie würden Menschen beschädigen. Sie würden Kinder und Erwachsene beschädigen, die ohnehin schon in Schwierigkeiten sind.
Das Vertrauen dieser Menschen in die Institutionen dieses Landes würde dadurch erschüttert. Aus Hilfe würde Beschädigung.
Perspektivisch sind Einsparungen bei den Hochschulen durch die Verkürzung der Praxisphase zu erwarten.
Bundesweit sind im letzten Jahr 270.000 Menschen wegen der unzumutbaren Zustände im Bildungssystem auf die Straße gegangen.