Protocol of the Session on December 9, 2009

Es liegen keine Wortmeldungen vor. Wir sollten uns zum einen daran gewöhnen, dass, wenn hier vorne ein Redner spricht, etwas mehr Ruhe im Plenarsaal ist, weil der Geräuschpegel sehr hoch ist. Zweitens sollten wir wieder dazu zurückkehren, dass die Wortmeldungen frühzeitig abgegeben werden. Frau Öztürk hatte mir vorhin schon gesagt, dass sie dazu sprechen wolle. Frau Öztürk, deswegen würde ich sagen, dass Sie als Erste das Wort haben.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! So kommt man zum vorgezogenen Rederecht. – Wir beraten heute den Entwurf des Härtefallkommissionsgesetzes, den die CDU-FDP-Mehrheit vorgelegt hat, in zweiter Lesung. Leider beraten wir nicht mehr das gute Gesetz, das wir in der letzten Legislaturperiode zusammengebracht haben, sondern ein ganz neues, das meiner Meinung nach nicht mehr den Namen Härtefallkommissionsgesetz verdient.

Meine Damen und Herren, es gibt seit fast einem Jahr eine Härtefallkommission in Hessen,die sehr gut arbeitet. Das haben wir in den Anhörungen und in verschiedenen Gesprächsrunden mitbekommen. Es ist eine Härtefallkommission, die politikfern, sachlich und fundiert an Einzelfällen arbeitet. Es gibt überhaupt keinen Grund dafür, dass genau dieses Gesetz nach so kurzer Zeit geändert werden soll, und zwar auch noch in eine solche Richtung, in der das Gesetz seinen Sinn total verliert. Die Härtefallkommission wird durch dieses Gesetz zum Feigenblatt des Innenministers gemacht. Und das machen wir nicht mit,und deswegen lehnen wir dieses Gesetz ab,meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN)

Aktuell ist es so, dass in der Härtefallkommission 17 ehrenamtliche Mitglieder arbeiten. Unter diesen Mitglie

dern befinden sich sowohl Vertreter von Nichtregierungsorganisationen und der Kommunalen Spitzenverbände als auch staatliche Vertreter. Wir haben in der einen Plenardebatte und in den Ausschussdiskussionen von der CDU und der FDP keine handfesten Argumente dafür geliefert bekommen, warum dieses Härtefallkommissionsgesetz geändert werden soll. Ich warte da noch immer auf eine Antwort.

Sie haben mit Ihrem Gesetzentwurf – das muss ich ganz ehrlich sagen – die Härtefallkommission eigentlich ein wenig entseelt.

(Zurufe von der FDP: Oh!)

Sie nehmen der Härtefallkommission die Seele weg, denn die eigentliche Funktion wäre, humanitäre Einzelfälle zu prüfen und zu schauen, ob eventuell doch eine positive Entscheidung im Sinne des Betroffenen gefällt werden kann, und diese dann dem Innenminister zur Entscheidung vorzulegen. Indem Sie aber beispielsweise Punkte wie eine Zweidrittelmehrheit in das Gesetz hineinbringen und auch die Sicherung des Lebensunterhalts voraussetzen, dabei nicht so ganz klar definieren, was genau damit gemeint ist, machen Sie eine positive Entscheidung vieler humanitärer Fälle fast unmöglich. Auf den Punkt der Zweidrittelmehrheit werde ich später noch eingehen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist ganz klar, dass wir uns bei der Härtefallkommission nicht mehr auf der gesetzlichen Grundlage befinden können. In der Härtefallkommission werden Einzelfälle behandelt, die nach dem Gesetz keinen Aufenthalt bekommen konnten. Der Petitionsausschuss, der dem Hessischen Landtag angeschlossen ist, berät und entscheidet in jeder Sitzung über Einzelfälle und muss feststellen, dass aufgrund der rechtlichen Grundlage ein Aufenthalt nicht möglich ist. Danach kommt die Härtefallkommission ins Spiel. Aber so, wie Sie sie hier aufgebaut haben, wird sie nach meiner Befürchtung leider nicht so effektiv arbeiten können wie bisher.

Sie möchten die Härtefallkommission auf 23 Mitglieder aufblähen. Das wird dann eine sehr große Kommission. Sie wäre die größte Härtefallkommission in der Bundesrepublik.

Außerdem möchten Sie – das habe ich eben kurz erwähnt –, dass diese 23 Mitglieder eine Zweidrittel-Mehrheitsentscheidung herbeiführen. Meine Damen und Herren von der CDU, ich weiß nicht, ob Sie durchgerechnet haben, was das bedeutet. Das bedeutet: 16 Mitglieder der Härtefallkommission müssen bei einem Einzelfall die identische, gleiche Entscheidung treffen und Ja sagen.

Wenn wir uns überlegen, was eine Einzelfallentscheidung bedeutet: Das ist in der Regel eine sehr subjektive Entscheidung, eine sehr sensible Entscheidung, die jedes Mitglied ganz individuell mit sich ausmachen muss.Sie wollen jetzt eine Regelung treffen, dass 16 Mitglieder in einer so sensiblen Frage gleich entscheiden sollen bzw. müssen. Das ist etwas schwierig. Ob das zustande kommt oder ob das nicht zu einer Art Blockadehaltung mancher Organisationen führen wird, ist die Frage. Ich wünsche mir nicht, dass in der Härtefallkommission nicht konstruktiv gearbeitet wird.Aber, ehrlich gesagt:Wenn der Innenminister ohnehin entscheiden soll, wozu dann diese Zweidrittelmehrheit? Warum dieses Misstrauen gegenüber den Mitgliedern?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren von der CDU, auch Ihr Argument, dass damit die gesellschaftliche Akzeptanz erhöht würde: Das glauben Sie doch selbst nicht. Denn in der Härtefallkommission wird geheim beraten. Die Ergebnisse werden nicht an die Öffentlichkeit weitergegeben; wer wie abgestimmt hat, ebenfalls nicht. Von daher: Wie soll die Öffentlichkeit bitte eine Akzeptanz für etwas haben, von dessen Arbeit und von dessen Ergebnissen sie nichts weiß? Das Argument greift in keinster Weise. Da haben Sie mich auch nicht überzeugen können, wahrscheinlich weil Sie wirklich kein Argument haben, sondern nach alter Manier „Mehrheit ist Wahrheit“ handeln. Wir haben lange an die CDU und auch an die FDP appelliert, einsichtig zu sein. Aber leider sind Sie stur und handeln gegen die Menschenrechte, gegen die Menschlichkeit, gegen die humanitären Fälle.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Auf Einsicht zu hoffen, …)

Das ist ein Armutszeugnis.Meine Damen und Herren von der CDU und der FDP, Sie sind in der Klasse sitzen geblieben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN)

Ein weiterer Punkt ist die Sicherung des Lebensunterhalts. Immer und immer wieder wird erzählt: Die Konnexität ist wichtig, die Kommunen dürfen nicht belastet werden, und, und, und. – Wir haben in der Anhörung gemeinsam feststellen dürfen,dass auf die Frage,wie hoch die Belastungen der Kommunen sind und wie viele Einzelfälle sie aus Transferleistungen unterstützen müssen, keine Antwort kam. Die Kommunalen Spitzenverbände konnten uns keine Zahlen liefern. Sie wissen gar nicht, ob die Belastungen wirklich so hoch sind, wie immer befürchtet wird.

Wenn man in dieser Situation ernsthaft eine Lösung schaffen will, dann hätten Sie unserem Antrag, einen Härtefallfonds einzurichten, durchaus zustimmen können. Denn der Härtefallfonds hätte für all jene Personen, die krank sind, die traumatisiert sind, die alt sind und aufgrund dessen, obwohl ein Härtefall vorliegt, ihren Lebensunterhalt nicht selbst sichern können, eine mögliche Unterstützung oder Lösung geboten. Aber nein, stattdessen haben Sie unseren Antrag abgelehnt. Das zeigt, dass Sie überhaupt kein Interesse an ernsthaften Lösungen haben. Das bedauere ich sehr und möchte es hier noch einmal festhalten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Einen letzten Punkt noch. Wir als GRÜNE hatten eine Härtefallkommission beschlossen, in der keine Abgeordneten mitarbeiten. Diesen Beschluss finden wir immer noch richtig und wichtig.Die Härtefallkommission ist eine Kommission, die dem Innenminister unterstellt ist, also der Exekutive.Da haben Abgeordnete aus der Legislative nichts verloren. Wenn also der Innenminister die Entscheidung trifft – das sage ich noch einmal –: Warum dieses Feigenblatt, das Sie jetzt der Härtefallkommission zumuten? Das ist nicht in Ordnung.Viele,viele verschiedene Einrichtungen, Kirchenverbände und Nichtregierungsorganisationen haben an Sie appelliert und gesagt: Sehen

Sie bitte davon ab, lassen Sie uns weiterhin in einer vertrauensvollen Umgebung arbeiten.

Leider möchten Sie heute ein anderes Härtefallkommissionsgesetz beschließen. Das findet nicht unsere Unterstützung. Sie haben sich leider allen sachlichen Argumenten widersetzt und die ehrenamtliche Arbeit nicht anerkannt. Mit keiner Silbe haben Sie gesagt, dass die ehrenamtliche Arbeit der Härtefallkommission sehr gut ist.

(Holger Bellino (CDU): Natürlich, das haben wir mehrfach gesagt!)

Das finden wir bedauerlich.Wir GRÜNE werden diesem Gesetzentwurf selbstverständlich nicht zustimmen. Wir hoffen, dass in Hessen nach wie vor humanitäre Fälle und Menschlichkeit eine Chance haben. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN)

Schönen Dank, Frau Öztürk. – Für die FDP-Fraktion spricht jetzt Herr Reuscher. Für alle noch einmal: Die Redezeit beträgt siebeneinhalb Minuten. Sie muss aber nicht ausgeschöpft werden.

Herr Präsident,meine Damen und Herren! Kaum ein Gesetzentwurf hat in diesem Haus im letzten halben Jahr mehr Gemüter erregt als der Gesetzentwurf zum Härtefallkommissionsgesetz. Wie wir es gerade wieder gehört haben, ist diese Erregung auch weiterhin vorhanden.

(Zuruf des Abg. Frank-Peter Kaufmann (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich denke, das ist völlig unbegründet. Die Härtefallkommission leistet sehr gute Arbeit. Daran haben wir nie gezweifelt.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann können Sie sie auch so lassen! – Willi van Ooyen (DIE LINKE):Wenn sie so gut ist, können Sie sie so lassen!)

Die Härtefallkommission hat auch in der Koalition einen hohen Stellenwert, weil es Tatsache ist, dass es die letzte Instanz darstellt.

(Zuruf des Abg. Frank-Peter Kaufmann (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Wenn alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind und negativ beschieden wurden, wenn das Petitionsverfahren abgeschlossen ist und am Ende dennoch die Entscheidung bestehen bleibt, dass ein Aufenthaltsstatus nicht gewährt werden kann,dann ist die Ausländerin oder der Ausländer ausreisepflichtig, und es verbleibt nach wie vor die Möglichkeit, aus humanitären Gründen einen Härtefall anzuerkennen.Das wird auch in Zukunft so bleiben.Daran ändert auch die neue Gesetzesvorlage nichts.

(Zuruf der Abg. Mürvet Öztürk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die Härtefallkommission verliert dadurch auch ihren Sinn nicht.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Geben Sie zu, Sie wollen mehr abschieben! Dann können Sie es doch auch sagen!)

Bei einer Härtefallentscheidung – das erkennen wir eindeutig an – geht es um individuelle Schicksale, die sorgfältige und nachvollziehbare Abwägungen und Prüfungen erfordern.

Die Anhörung zu dem Gesetzentwurf fand in einer konstruktiven Atmosphäre statt. Die große Zahl der Stellungnahmen zeigt die besondere Bedeutung der Härtefallkommission. Wir nehmen die kritische Haltung der Kirchen und Sozialverbände ernst. Wir meinen, dass dieser kritischen Einschätzung der Verbände im Rahmen der Anhörung Rechnung getragen werden konnte. Wir bedanken uns auch ausdrücklich dafür, dass alle Beteiligten hier sehr gut zusammengearbeitet haben.

(Beifall bei der FDP – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Jetzt muss Schluss sein!)

Die Anhörung hat aber auch deutlich gezeigt, dass in den Bundesländern Härtefallverfahren sehr unterschiedlich gehandhabt werden. Dabei sind die Länder frei in ihrer Entscheidung. Der vorgelegte Gesetzentwurf stellt eine tragfähige Basis für zukünftige Härtefallverfahren dar.

In der 17. Legislaturperiode hat dieses Haus weitgehende Änderungen der Härtefallkommission beschlossen. Davon haben wir einiges mitgetragen. Einige Punkte haben wir anders gesehen. Ein für die FDP schon immer wichtiger Punkt war,dass dieser Härtefallkommission Abgeordnete angehören müssen. Abgeordnete sind gewählte Volksvertreter. Wenn der Hessische Landtag ein Expertengremium einsetzt, müssen auch die Mitglieder des Hessischen Landtags in diesem Gremium vertreten sein.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Willi van Ooyen (DIE LINKE):Wenn man abschieben will, muss man das so machen!)

Das haben Sie im letzten Jahr für nicht erforderlich gehalten. Wir halten es für erforderlich. Deswegen werden wir es ändern. Natürlich wird diese Kommission mit 23 Mitgliedern vergleichsweise groß sein.Dieses Problem sehen auch wir. Die Vertreter der Sozialverbände, der Kirchen und der Beratungseinrichtungen sind auch weiterhin in der Kommission vertreten. Das wollten wir eben nicht ändern. Deswegen ist die Kommission auch so groß geworden. Sie vertreten ein breites Spektrum der Zivilgesellschaft. Hier wollen wir nichts ändern. Wir halten eine ausgewogene Zusammensetzung der Härtefallkommission nach wie vor für sehr wichtig. Niemand soll aus der Härtefallkommission herausgedrängt werden.

Was uns aus der bisherigen Härtefallkommission berichtet wurde, auch wenn sie geheim tagt, ist, dass die Debatten sehr sachlich, ruhig und vor allem in sehr kollegialer Zusammenarbeit ablaufen. Meine Damen und Herren, ich weiß überhaupt nicht, woher Sie diese große Befürchtung nehmen, dass sich daran irgendetwas ändern sollte,

(Willi van Ooyen (DIE LINKE):Aus Erfahrung!)

nur weil dieser Kommission zusätzlich ein paar Abgeordnete angehören, wie es auch früher schon einmal war.

(Beifall bei der FDP – Zuruf der Abg. Mürvet Öz- türk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))