Protocol of the Session on September 17, 2009

(Aloys Lenz (CDU): Das ist doch Unsinn!)

Die Niederlande und Frankreich haben damals den Verfassungsentwurf abgelehnt. Die politische Schlussfolgerung hätte doch sein müssen: Sie schreiben eine neue Verfassung, die von allen Völkern mehrheitlich akzeptiert wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Ihre Schlussfolgerung war: Dann schreiben wir doch etwas auf, was so ähnlich ist wie eine Verfassung, und fragen die Völker nicht mehr. – Die Ausnahme ist Irland, wo das nicht ging.

Am vergangenen Wochenende habe ich mich in Paris – nicht auf der Champs-Elysées und nicht in der Rue de Rivoli, sondern in den Banlieues – mit Parlamentskollegen, mit Vertretern der sozialen Bewegung der Parteien aus Frankreich, aus Griechenland und Spanien, aber natürlich auch aus Irland getroffen.Wir haben über neue Initiativen für ein Nein der irischen LINKEN zum Vertrag von Lissabon diskutiert und auch einiges auf den Weg gebracht. Wir gehen davon aus, dass das Votum der Irländer Anfang Oktober beim Nein bleibt und wir auf diesem Wege zu einer sozialen, demokratischen und friedlichen Verfassung für ein solidarisches Europa kommen,

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

ein Europa, das an den Forderungen der französischen Revolution – Egalité, Liberté und Fraternité – anknüpft.

Glauben Sie mir – ich mache es noch einmal deutlich –: Ich will die europäische Integration wirklich, nicht weniger als Sie, aber ein Europa, das diesen Bedingungen verpflichtet ist.

(Beifall bei der LINKEN)

In dem neuen Begleitgesetz haben Sie nach unserer Auffassung drei Dinge nicht beachtet. Sie haben ausdrücklich festgelegt, dass die Bundesregierung an Stellungnahmen des Bundestages nicht gebunden ist, wenn sie aus außenoder integrationspolitischen Gründen meint, sich darüber hinwegsetzen zu müssen. Meines Erachtens ist das ein falscher Weg.

Zweitens.Das betrifft Art.23 des Grundgesetzes.Ich halte das auch bei einer Art von EU-Rechtsetzung für ganz wichtig,um die Integration zu befördern,ihr nicht zu schaden und die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen. Zu Recht hat das Bundesverfassungsgericht den Kerngehalt des Art. 23 als Norm herangezogen, wonach die Bundesrepublik Souveränitätsrechte auf einen übergeordneten Staatenverbund übertragen kann, ohne selbst auf ihre staatliche Souveränität verzichten zu müssen.

Der dritte Punkt ist das verfassungsrechtliche Verfahren zur Prüfung der Übereinstimmung von EU-Recht mit dem Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht hat sogar empfohlen, eventuell das Grundgesetz dazu zu ändern. Den einzigen Vorschlag dazu hat DIE LINKE gemacht. Sie haben das bisher abgelehnt.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben in all den Prozessen immer wieder deutlich gemacht, dass wir für Volksentscheide eintreten. Dies soll bei allen wichtigen Vertragsänderungen geschehen. Wir

wollen endlich lernen, bei wichtigen Vertragsänderungen und Entscheidungen unsere Bevölkerung zu befragen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Friedensbewegung und DIE LINKE haben sich in ihrer Kritik am EU-Verfassungsvertrag bzw. Vertrag von Lissabon aber nie von juristischen Gesichtspunkten leiten lassen.Vielmehr lehnen wir den sogenannten Reformvertrag aus politischen Gründen ab. Dabei bleibt es auch.

(Aloys Lenz (CDU): Das haben Sie mit der NPD gemeinsam!)

Herr Lenz,ich glaube,dass Sie diesen Vergleich nicht anstellen können. Denn nationalistische Kriterien können Sie mir nicht unterstellen.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Wir lehnen den Reformvertrag aus politischen Gründen ab.Dabei bleibt es auch.Wenn Unions- und SPD-Politiker das Urteil bejubeln und meinen, damit sei jede weitere Kritik am Vertrag von Lissabon hinfällig, lügen sie sich selbst in die Tasche. Man kann sehr wohl den Vertrag ablehnen, und zwar aus friedens- und demokratiepolitischen Gründen.

Ich hatte schon in den letzten Diskussionen,die wir in diesem Hause hatten, darauf hingewiesen, aus welchen Gründen wir im Einzelnen den Vertrag von Lissabon ablehnen.

Es geht jetzt darum, dass wir natürlich auch eine ganz klare Vorstellung davon haben, welches friedliche Europa, zu dem die Friedensbewegung und auch DIE LINKE eindeutig ja sagen, wir wollen. Das heißt für uns: Wir fordern eine Europäische Union,in der gut entlohnte und sozial abgesicherte Arbeit und ein Leben in Würde für alle gesichert sind. Wir wollen eine friedliche Europäische Union, die Krieg ächtet und sich für Abrüstung, zivile Kooperation und Entwicklung einsetzt. Wir wollen eine Europäische Union, die den sozialen Fortschritt und den ökologischen Strukturwandel befördert. Wir wollen eine Europäische Union, die die Finanzmärkte einer strikten Kontrolle unterwirft.Wir wollen eine Europäische Union mit einem starken Europäischen Parlament, transparenten Entscheidungsprozessen und mehr unmittelbarer Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger.Wir wollen eine Europäische Union, in der die Diskriminierung von Menschen wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihres Geschlechts, ihrer Religion, ihres Alters, ihrer Behinderung oder sexuellen Identität ausgeschlossen ist.

Wir wollen eine solidarische Erweiterung der Europäischen Union – eine Europäische Union, die eine solidarische Weltwirtschaft anstrebt und ihrer Verantwortung zur Lösung der globalen Probleme gerecht wird. Wir wollen eine Verfassung für Europa, die von den Bürgerinnen und Bürgern mitgestaltet und in einer europäischen Volksabstimmung angenommen wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir bleiben dabei – und sehen uns durch das Urteil auch bestärkt –, dass der Lissabon-Vertrag keine ausreichende Grundlage für ein soziales, demokratisches und friedliches Europa gelegt hat und daher dringend verbesserungswürdig ist.

(Zuruf des Abg.Axel Wintermeyer (CDU))

Wir setzen auf die Iren,Herr Wintermeyer.– Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Nächste Wortmeldung, Herr Abg. Quanz für die SPDFraktion.

Herr Präsident,werte Kolleginnen und Kollegen,verehrte Besucherinnen und Besucher, meine Damen und Herren! Herr van Ooyen, ich greife zwei Dinge auf, die klargestellt werden müssen.

Erstens. Ich weise entschieden zurück, dass die EU eine militaristische Ausrichtung hat.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU)

Die EU ist im Rahmen von UNO und NATO an Einsätzen beteiligt, die friedenserhaltende Maßnahmen und friedenssichernde Maßnahmen betreffen. Ich sage Ihnen eines: Hätten die EU und die NATO in Jugoslawien früher eingegriffen, wäre tausendfaches Leid erspart geblieben.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Zweitens.Wer sagt, den Vertrag von Lissabon könne man auch ablehnen – Sie fordern quasi dazu auf, dass die Bevölkerung in Irland das in einem zweiten Referendum ablehnt –, der stoppt den Integrationsprozess insgesamt. Dann sind all Ihre Ziele, die Sie eben noch formuliert haben, obsolet. Man muss Hindernisse aus dem Weg räumen. Wir müssen klare Kriterien für die Weiterentwicklung finden.Aber die Chance, dass Europa sich weiterentwickelt, kaputt zu machen, ist Ihr Ansatz. Ihn gehen die anderen Parteien zu Recht nicht mit.

(Beifall bei der SPD,der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin Erfurth, Sie sprechen vom Haus Europa und dem Zimmer Hessens. Ich fasse in einem Satz zusammen: Um dieses Haus, in dem 400 Millionen Menschen leben dürfen, beneiden uns andere Regionen in der ganzen Welt. Dieses Haus ist wohltemperiert, bietet viel Sicherheit, viel Schutz, Wohlstand und Frieden. Das ist nicht vom Himmel gefallen, sondern es ist die Politik, die gesagt hat: Frieden immer, aber Krieg nicht mehr,Wohlstand für viele,nationale Grenzen behindern das.Wir wollen die Einigung und die Integration,neue Chancen eröffnen – auch für Jugend, für Technologie und Entwicklung.

Deshalb sollten wir nicht das Kleinkarierte in den Mittelpunkt der Reden stellen, sondern – wenn ich mir Ihre Seite ansehe, Frau Osterburg – diese Erfolgsgeschichte um ein neues Kapitel erweitern. Darum geht es jetzt.

Der Lissabon-Vertrag bietet eine neue Chance für eine Weiterentwicklung.Wir sind da ein ganzes Stück vorangekommen.Was macht denn die Attraktivität der EU aus? – Aus 6, aus 15, aus 27 Staaten werden mehr. Kroatien klopft an.Andere Staaten werden folgen.Was macht diese EU aus? – Natürlich das,was ich eben erwähnt habe,nämlich Frieden und Wohlstand. Aber da ist noch mehr. Umweltstandards, Arbeitsschutzstandards, und dass wir besser aus der Krise gekommen sind als andere. Ich weiß nicht, wer sein Vermögen zum Teil in Schweizer Franken angelegt hatte. Der hat sich dann gewundert. Ähnlich ist es auch beim Verhältnis zum Dollar. Es gab immer skeptische Stimmen. Der Euro hat deutlich an Wert gegenüber dem Dollar zugenommen. Da gibt es vieles mehr.

Gerade aus hessischer Sicht ist die EU-Geschichte eine besondere Erfolgsgeschichte.Nicht nur,dass der geografische Mittelpunkt der EU jetzt in Hessen liegt – das ist ein Symbol –, sondern es gibt außer Symbolen auch harte Fakten,was Hessen in Europa ausmacht:die Zentralbank, europäische Finanzaufsichten, natürlich auch, was Frankfurt insgesamt als ein Zentrum Europas ausmacht: die Verkehrsgeografie, der Flughafen und vieles mehr.

Europa hat die Chance zur Weiterentwicklung – auch in Richtung mehr Demokratie. Da bietet natürlich der Vertrag von Lissabon gute Ansätze. Das betrifft die Stärkung des Parlaments und die kommunale Selbstverwaltung, die Stärkung der Rechte des AdR, eine gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik und vieles mehr. Diese neuen Chancen gilt es zu nutzen. Deshalb ist es wichtig, dass wir nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts jetzt über eine neue Gesetzgebung die Chance haben, auch die Demokratisierung des Prozesses innerhalb unseres Landes ein gutes Stück voranzubringen. Die Begleitgesetze sind dazu angetan, sowohl die Rechte des Bundestages als auch – das ist für uns besonders wichtig – die Rechte des Bundesrates zu stärken. Wir sind damit direkt beteiligt, durch Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte. Diese neuen Chancen wollen wir nutzen.

Ich fand es schon bemerkenswert, dass sich bei der Diskussion um diese Begleitgesetze plötzlich eine recht merkwürdige, aber doch nicht neue Koalition der Skeptiker gebildet hat.Wenn die CSU auch im Europaausschuss gegen Anträge der Koalition stimmt und immer noch von einem völkerrechtlichen Vorbehalt spricht oder das imperative Mandat für das Festlegen der Regierung in Brüssel vorsieht, dann ist das wenig angetan, tatsächlich konsensorientiert die weitere Entwicklung zu begleiten.Dass DIE LINKE dabei mitgestimmt hat, wissen wir.

Ganz entscheidend ist aber, dass das Bundesverfassungsgericht im Kern noch einmal bejaht hat, dass der Lissabon-Vertrag mit dem Grundgesetz selbstverständlich vereinbar ist. Der Nachbesserungsbedarf tut gut in Richtung Demokratisierung – auch in Richtung Mitwirkung im föderalen System der Bundesrepublik für die Länder.Wenn wir von der Weiterentwicklung Europas reden, dann gebe ich Ihnen Recht, Frau Erfurth, dass man Ziele formulieren muss. Da muss man einiges mitteilen, in welcher Richtung wir das gern sehen würde. Deshalb verweise ich noch einmal auf unseren Antrag und gehe auf wenige Aspekte unseres Antrags ein, der im Europaausschuss liegt und über den wir in der nächsten Woche verhandeln werden.

Dieser Antrag weist zu Recht auf die Lissabonner Ziele hin. Er weist auf eine wettbewerbsfähige, wissensbasierte wirtschaftliche Weiterentwicklung hin: mehr Gelder für Wissenschaft,für Forschung und Entwicklung.Da sind wir nicht gut. Da steht Deutschland im Konzert der Mitbewerber und auch unserer Partner eben nicht gut da. Ich verweise darauf, dass Europa ein Hort der Stabilität erneut werden und sich weiterentwickeln muss. Da stellen sich schon Fragen nach der Finanzaufsicht. Da stellen sich auch Fragen nach den Finanzprodukten. Da stellen sich schon Fragen, was die Boni angeht und was Beteiligung und auch Vermögenserwerb bei der breiten Bevölkerung angeht.

Da bin ich sehr sicher: Ein Europa, das bei den Bürgerinnen und Bürgern mehr Akzeptanz und mehr Interesse finden muss, kann nur ein soziales Europa sein.

(Beifall bei der SPD)

Im Rahmen einer Weiterentwicklung der Finanzsysteme hat sich eines gezeigt, nämlich dass das deutsche Bankensystem mit der festen Säule der öffentlich-rechtlichen Banken und Sparkassen das solideste war. Ich habe die Diskussion hier im Hause nicht vergessen, in der eine Partei besonders forsch war und infrage stellte, ob nicht die Sparkassen doch durch private Anlagemöglichkeiten oder Ähnliches auf den Weg in Richtung einer Privatisierung gebracht werden sollten.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Daran erinnere ich mich gerade auch noch!)

Herr Staatsminister Posch, ich bin froh, dass Sie mittlerweile, so glaube ich, einen Schwenk in der Denkhaltung eingenommen haben und dass wir heute sagen können:Es ist gut, dass es die Sparkassen gibt.

Ein Letztes. Wenn von 27 Staaten in 20 Staaten Mindestlöhne eingeführt sind, dann kann das nicht ganz falsch sein. Ich bedauere es sehr, dass wir das immer noch diskutieren. Zu einer sozialen Absicherung, zu einer sozialen Gesellschaft gehört auch, dass faire Löhne für gute Arbeit bezahlt werden.