Protocol of the Session on July 8, 2009

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Insofern kann diese Konvention ein Meilenstein auf dem Weg zu vollständiger Selbstbestimmung, gesellschaftlicher Teilhabe und Chancengleichheit für Menschen mit Behinderungen sein.

Es ist aber klar, mit der Ratifizierung der Konvention fängt die eigentliche Arbeit erst an; denn auch auf die Länder, nicht nur auf den Bund, kommen einige Änderungen zu. Diese Änderungen bedürfen einer Evaluie

rung. In vielen Bereichen kann man die Änderungsbedarfe gar nicht abschätzen. Insofern müssen wir das umfassend prüfen. Das haben die beiden vorliegenden Anträge zum Ziel. Diesbezüglich möchte ich noch einmal auf die Gemeinsamkeiten hinweisen, die den Anträgen zugrunde liegen. Herr Dr. Jürgens, Sie haben es ja gesagt: Der Antrag, den Sie hier gestellt haben, wurde von der FDP-Bundestagsfraktion wortwörtlich so gestellt. Unsere Anträge unterscheiden sich in ein oder zwei Punkten; es handelt sich aber um eher kosmetische Unterschiede. So möchte ich es einmal bezeichnen.

Sie fordern, dass bei der inklusiven Beschulung das Wahlrecht im Vordergrund steht. Ich denke, es ist nicht unbedingt nötig, das in einem Antrag zu formulieren; denn das ist eines der Ziele des Art. 24 der UN-Konvention. Insofern ist das sowieso ein Teil des Umsetzungsprozesses,und wir brauchen das nicht noch einmal explizit festzuhalten. Das hätte einen mehr deklaratorischen Charakter.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Zum anderen unterscheiden wir uns, wenn es um die Übersetzung der Konvention geht. Die Übersetzung ist nicht korrekt. Das stimmt. Statt des Begriffs Inklusion wurde der dem deutschen Behindertenrecht eher verwandte und bekannte Begriff Integration verwendet. Da stimme ich Ihnen zu.Andererseits müssen wir uns fragen, ob wir von einer Änderung der Übersetzung – wie es auch die FDP-Bundestagsfraktion fordert – viel haben werden. Sie wissen genauso wie ich, dass die englische Fassung die maßgebende ist. Insofern wird das keine praktischen Verbesserungen im Detail bringen. Wenn Sie sich mit den Verbänden unterhalten, ob das der Blinden- und Sehbehindertenbund ist, ob das die Lebenshilfe ist, bekommen Sie zu hören: Kümmert euch darum, dass die gesetzlichen Grundlagen geändert werden, macht eure Arbeit, aber verschwendet eure Zeit nicht, indem ihr versucht, etwas an der Übersetzung zu drehen. – Das müssen wir also nicht machen. Das ist an der Stelle entbehrlich.

(Beifall bei der FDP)

Wir beschäftigen uns lieber damit, den Alltag der Menschen zu verbessern. Dazu müssen wir an die gesetzlichen Grundlagen herangehen. Wenn wir nur an den Symbolen und an den Wörtern etwas ändern, bringt das praktisch nichts.

Das sind die zwei Punkte, die ich nennen wollte. Ich gehe davon aus, dass wir aufgrund der großen Übereinstimmung auch im Ausschuss für Arbeit, Familie und Gesundheit eine Übereinstimmung erzielen werden. Wie wir alle wissen, sind die Debatten in diesem Ausschuss seit jeher fern jeglicher Beratungsresistenz und ideologiefrei. Sie sind immer von großer Harmonie geprägt. Insofern bin ich guten Mutes, dass wir im Ausschuss eine große Übereinstimmung erzielen, und ich freue mich auf die weitere Diskussion. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Mick. – Das Wort hat Frau Abg. Müller, SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es wird auf einmal so ruhig, dass mir ganz unheimlich wird. Ich möchte trotzdem sagen, dass wir Sozialdemokraten alle Bestrebungen unterstützen, die geeignet sind, behinderten Menschen ihr Schicksal zu erleichtern und allen Menschen Teilhabe an allen Bereichen gesellschaftlichen Lebens zu ermöglichen.

(Beifall bei der SPD)

Als besonders wichtige Aspekte nenne ich die Bildung, das Gesundheitswesen, den Arbeitsmarkt, die Mobilität, die Kultur und das Vereinswesen.Viele in der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN genannten Institutionen, die auch Sie, Herr Kollege Jürgens,erwähnt haben,sind in der Zeit entstanden, als Rot-Grün in Hessen regiert hat. Ebenso vielen Institutionen ist im Rahmen dessen, was wir „Operation düstere Zukunft“ nennen, die Unterstützung zwar nicht völlig gekappt, aber erheblich zurückgefahren worden. Ich nenne stellvertretend das Netzwerk für behinderte Frauen in Kassel.

Wir Sozialdemokraten streiten leidenschaftlich für die Integration von Kindern mit Behinderungem in Regelschulen und Regelkindergärten. Davon, dass die Landesregierung bzw. das Kultusministerium das nur sehr halbherzig tut, zeugen mehrere Prozesse, die Eltern geführt haben, um die Aufnahme ihrer behinderten Kinder in Regelschulen zu erzwingen.Diese Prozesse sind meines Wissens allesamt gewonnen worden.

(Beifall bei der SPD)

Diese Eltern wollen ihren Kindern etwas ermöglichen, was für gesunde Kinder selbstverständlich ist: mit- und voneinander zu lernen. Ich halte das generell für ein sehr gutes pädagogisches Prinzip. Gemeinsames Leben und gemeinsames Erleben sind in jedem Alter und in jeder Lebenslage ein Gewinn für alle Beteiligten. Wir plädieren für die Integration behinderter Menschen in die Regeleinrichtungen, in die Gesellschaft, wir plädieren für ihre Teilhabe. Natürlich ist von Fall zu Fall zu prüfen, ob eine sinnvolle Förderung behinderter Kinder und Menschen in den dafür vorgesehenen Institutionen möglich ist. Das kann aber kein Argument dafür sein, grundsätzlich zu leugnen, dass behinderte Menschen in Regeleinrichtungen – und insbesondere behinderte Kinder in Regelschulen – integriert werden können und auch integriert werden sollen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LINKEN)

Sie haben ein Recht darauf, und das ist sinnvoll.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LINKEN)

Für die Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes kommt den Kommunen eine wichtige Rolle zu. Das Konnexitätsprinzip muss die Kommunen in die Lage versetzen, dieser wichtigen Rolle gerecht zu werden und den Gegebenheiten zu entsprechen. Auch in diesem Kontext werden sich die ab 2011 geplanten Kürzungen im kommunalen Haushalt verheerend auswirken.

Unsere Gesellschaft ist leider noch weit davon entfernt, Behinderten und Nichtbehinderten die gleichen Möglichkeiten zu geben. Dies gilt ganz besonders in der Frage der Barrierefreiheit und in der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Wer es im Eigenversuch testen will, dem sei

empfohlen, zu versuchen, sich mit einem Zwillingskinderwagen einen ganzen Tag lang durch die Stadt zu bewegen, Behördengänge oder Einkäufe zu machen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das menschliche Leben umfasst sehr viele Aspekte. Es umfasst das Kindsein, Elternsein, Gesundsein, Kranksein. Vieles von dem ist uns schon passiert, einiges wird uns hoffentlich noch passieren. Jeder von uns kann in die Lage versetzt werden, behindert zu sein oder mit Behinderten in Berührung zu kommen. Ich sage: Alte, Kranke, Behinderte, Gesunde, Starke und Schwache, alle gehören in die Mitte der Gesellschaft. Wir müssen sie alle in die Lage versetzen, mit uns zu leben. Wie ich schon gesagt habe: Es wird uns alle bereichern und den Behinderten helfen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Müller. – Das Wort hat der Abg. Utter, CDU-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die UN-Konvention ist ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Rechte von Menschen mit Behinderungen. Die CDU begrüßt ausdrücklich, dass die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet wurde und am 1. Januar in Kraft getreten ist.

Zwar hat Deutschland mit dem Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen, dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen sowie dem Hessischen Behindertengleichstellungsgesetz schon gute gesetzliche Grundlagen geschaffen. Aber die Umsetzung der UN-Konvention ist ein weiterer wichtiger Schritt zur Stärkung der Rechte von Menschen mit Behinderungen.

Wie es meine Vorredner schon gesagt haben, gilt es nun, die Konvention mit Leben zu erfüllen und die Konsequenzen für die Gesetzgebung und das Verwaltungshandeln zu prüfen. Wir wollen dies vor allem auch im Dialog mit den anderen Bundesländern und der Bundesregierung machen. Bei allem Wettstreit zwischen den Bundesländern um die beste Lösung sollte nämlich eine gewisse Einheitlichkeit der Regelungen angestrebt werden.

Das Hessische Behindertengleichstellungsgesetz, das schon mehrfach erwähnt wurde, muss, da es außer Kraft tritt, noch in diesem Jahr neu beraten werden. Die Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die ausführliche Antwort der Landesregierung und das beigefügte Material sind ausgesprochen wertvoll und eignen sich, um auch in diesem Bereich eine Bewertung vorzunehmen.

Ich finde, es ist durchaus ein Grund zur Freude – jenseits von Regierung und Opposition –, dass Hessen bei der Gleichstellung von Behinderten in den letzten Jahrzehnten deutliche Fortschritte gemacht hat und den Vergleich mit anderen Bundesländern nicht scheuen muss. Ich finde es schön, wenn es hier zu einem Streit darüber kommt, wer mehr für Behinderte getan hat: Rot-Grün, SchwarzGelb oder Schwarz. Wenn wir uns in dem Bestreben, et

was für Behinderte zu tun, einig sind, soll mir das recht sein. Das ist ein schöner Streit in diesem Haus.

Dass es, wie die Zwischenbilanz zeigt – es kann sich hierbei nur um eine Zwischenbilanz handeln –, neben allen Fortschritten auch noch Handlungsbedarf gibt, wird nicht bestritten. Es ist die Aufgabe – die heute besonders Herr Dr. Jürgens übernommen hat –, aufzuzeigen, wo noch mehr gehandelt werden muss.

Generell gilt für die Fortschreibung des Gesetzes, dass wir die konstruktive Zusammenarbeit mit den Interessenverbänden der Behinderten fortsetzen sollten. Ich bin seit einem Jahr innerhalb der CDU-Fraktion mit dieser Aufgabe betraut, und ich muss wirklich sagen, dass ich sehr beglückt über die Zusammenarbeit mit den Behindertenverbänden bin, die sehr konstruktiv arbeiten und sehr gezielte Vorschläge machen. Das sind wirklich Interessenverbände im besten Sinne des Wortes.

Einen Punkt sehe ich ein wenig anders als Frau Müller – vielleicht weil ich kein Jurist bin.

(Horst Klee (CDU): Das ist doch prima! – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das ist kein Mangel!)

Gut, jetzt hören Sie mir zu, und sagen Sie mir dann, ob Sie das immer noch so sehen.

(Horst Klee (CDU): Es gibt auch noch Normale! – Gegenruf des Abg. Günter Rudolph (SPD): Das war jetzt die diplomatische Formulierung! – Horst Klee (CDU): Es gibt auch noch andere!)

Die Umsetzung der Rechte der Behinderten ergibt sich meiner Meinung nach aus dem Grundgesetz und aus der Anwendung der Menschenrechte. Das heißt für mich, dass es kein Fall von Konnexität ist. Barrierefreiheit herzustellen, um die Teilhabe von Behinderten am öffentlichen Leben zu ermöglichen, ist keine neue Aufgabe für die kommunale Ebene, sondern es ist eine bereits existierende Aufgabe für jede staatliche Ebene, ob es sich nun um die kommunale Ebene, die Länderebene oder die Bundesebene handelt. Zu behaupten, hier herrsche Konnexität, es werde also eine neue Aufgabe zugeteilt, scheint mir verkehrt zu sein.

(Beifall bei der CDU – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Es geht z. B. um die Frage von Gemeindeschulen!)

Bei dem Thema Barrierefreiheit wird allerdings auch deutlich, dass es keine Schwarz-Weiß-Entscheidung gibt, sondern dass es im Einzelfall auf sinnvolle Kompromisse ankommt. Manches, was gemacht wird, um Barrierefreiheit herzustellen – wir haben es gerade gehört –, war zwar gut gemeint, ist aber nicht gut geworden. Darin muss man Herrn Dr. Jürgens recht geben.

Trotzdem stelle ich fest, dass wir in vielen Bereichen Verbesserungen hinbekommen. Im Rahmen der Konjunkturprogramme werden an vielen Straßen die Kreuzungen umgebaut, und damit wird erreicht, dass sowohl Rollstuhlfahrer als auch Blinde einen sicheren Übergang erhalten.

Der Antrag der Koalitionsfraktionen scheint mir trotz allem der weiter gehende zu sein. Ich kann mir allerdings auch vorstellen, dass wir uns auf eine Version einigen; denn Regierung und Opposition sind in ihren Anliegen gar nicht weit voneinander entfernt.

(Beifall bei der CDU)

Zum Schluss möchte ich auf die Frage nach einer Neuübersetzung eingehen, die im Antrag der GRÜNEN gestellt worden ist. Es ist zutreffend: Es gibt eine Version – die englische –, die rechtlich gültig ist.

Ich fände es spannend, wenn man sich überlegte, ob man nicht eine Version – ich weiß nicht, ob wir das „Übersetzung“ nennen wollen – in einfacher Sprache schaffen sollte; denn gerade die Gehörlosen sagen immer wieder, sie würden die Dokumente, die sie als Behinderte betreffen, gern in einer Sprache lesen, die sie verstehen können. Gerade bei Gehörlosen muss man mit einem anderen Wortschatz arbeiten. Das wäre eine Anregung, die man noch aufnehmen könnte. Dann hätten die Gehörlosen ebenfalls Zugang zu diesem wichtigen Dokument, das für die Behindertenpolitik zukunftsweisend ist.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Utter. – Das Wort hat Frau Kollegin Cárdenas.

Das war toll ausgesprochen: auf der ersten Silbe betont.

(Horst Klee (CDU): Olé!)