Darauf komme ich noch zurück. Zunächst möchte ich einige Kernpunkte nennen – ich werde Sie nicht allzu lange
Zunächst ist festzuhalten, dass der öffentliche Bereich den Datenschutz weitgehend verinnerlicht hat, sodass bewusste und gezielte Datenschutzverstöße nicht signifikante Ausnahmeerscheinungen sind. Gelegentliche Beschimpfungen auf der Arbeitsebene beantworte ich möglichst unmittelbar, ohne die Urheber bei den vorgesetzten Instanzen zu denunzieren. Deswegen bekommen Sie auf den höheren Hierarchieebenen von derartigen Vorkommnissen fast gar nichts mit.
Man kann aber generalisieren: Es gibt komplexe – manche würden sagen: schwierige – Personengruppen. Das sind Vorurteile, aber Sie können das selbst beurteilen. Es handelt sich um Lehrerinnen und Lehrer sowie Richterinnen und Richter.
(Günter Rudolph (SPD): Ja, ja, ja! – Minister Michael Boddenberg: Nennen Sie sicherheitshalber noch ein paar!)
Ich habe sie nur als Beispiel genannt, um zu zeigen, wo Datenschutzprobleme auftreten. Die treten deswegen auf, weil diese Personenkreise Teile ihrer dienstlichen Tätigkeiten am heimischen Arbeitsplatz verrichten müssen oder dürfen. Das heißt, sie können gar nichts dazu, wenn es zu Verstößen gegen den Datenschutz kommt. Hier muss das Bewusstsein dafür geweckt werden, dass ein multifunktionaler Privat- oder Dienst-PC mit Internetzugang die Datensicherheit gefährdet. Das heißt, wenn man zu Hause ungeschützt mit Daten arbeitet, kann man mit Sicherheit damit rechnen, dass ein Dritter darauf zugreifen kann. Wenn das dienstliche Daten sind, ist das natürlich verheerend.
Thematisch sind die Überwachungs- und Videokameras ein Dauerbrenner. Schon kurz nach meinem Amtsantritt habe ich mich darauf festgelegt, dass Videokameras im öffentlichen Raum begrüßenswert und akzeptabel sind, wenn sie zur Verbesserung der Sicherheit beitragen und wenn auf sie hingewiesen wird. Durch den inflationären Gebrauch von Überwachungskameras wird die Schutzfunktion allerdings relativiert. Deswegen halte ich Tendenzen, durch Videokameras Sicherheitspersonal zu ersetzen, für schädlich.
Ich kam kürzlich in die paradoxe Situation,das Anbringen von Überwachungskameras im öffentlichen Personennahverkehr zu fordern. Man hatte dort nämlich Attrappen angebracht. Wenn sich der Eindruck durchsetzt, bei Überwachungskameras könnte es sich nur um Attrappen handeln, wird der generalpräventive Zweck der Videoüberwachung an besonders gefährdeten Orten relativiert, oder die Benutzer des ÖPNV wiegen sich in Sicherheit, die real nicht existiert, und lassen sich z. B. auf Auseinandersetzungen mit Skinheads ein, weil sie hoffen, die Vertreter der Staatsgewalt kämen rechtzeitig. Dann sitzen sie aber vor einer Attrappe.
Mir wurde gesagt, ein Datenschutzverstoß liege nicht vor; denn man habe auf die Attrappe nicht hingewiesen. Das ist grotesk. Stellen Sie sich vor: Die sagen, ein Daten
schutzverstoß liege nicht vor, weil sie nicht auf die Attrappe hingewiesen hätten. Dann frage ich mich: Was nützt eine Attrappe, wenn das abschreckend wirken soll? Eine nicht erkannte Attrappe ist nutzlos, wie wir uns vorstellen können. – So viel zum Grundsatz der Erforderlichkeit.
Eine Pionierrolle nimmt Hessen auf dem Gebiet des Kindergesundheitsschutzes ein. Das Kindesgesundheitsschutzgesetz vom 14.12.2007 ist gleichwohl aus zwei Gründen problematisch. Das betrifft erstens die Gemengelage von elterlicher Fürsorgepflicht und staatlichem Wächteramt und zweitens das Bund-Länder-Verhältnis.
Zum ersten Grund. Staatliche Interventionen werden von Eltern als Einmischung in eigene Angelegenheiten betrachtet. Andererseits sind wir alle emotional berührt, wenn wir über Vernachlässigung, Misshandlung und Missbrauch von Kindern erfahren.
Der Hessische Datenschutzbeauftragte war dementsprechend intensiv in die Beratung des Gesetzes involviert, und auch beim Neugeborenenscreening bin ich intensiver eingebunden, als es meine Zuständigkeit für den Datenschutz eigentlich hergibt. Deswegen sage ich Ihnen offen: Ich beteilige mich nur,um über die datenschutzrelevanten Aspekte des Vorhabens umfassend informiert zu sein und um die Informationen an dieses Hohe Haus weitergeben zu können.
Insgesamt handelt es sich um ein gesetzgeberisches Experiment,sodass ich die Installation eines Evaluationsbeauftragten empfehle. Wie nötig die Einbindung des Hessischen Datenschutzbeauftragten ist, hat sich vor Kurzem gezeigt, als in einer nicht geringen Anzahl von Fällen Eltern an die Teilnahme ihrer Kinder an den jeweiligen Früherkennungsuntersuchungen erinnert wurden, obwohl die Kinder bereits verstorben waren.
Zweitens. Seit Kurzem liegt der Entwurf eines Bundeskinderschutzgesetzes vor, der in seiner Begründung den Anspruch einer abschließenden bundeseinheitlichen Regelung äußert. Die Gesetzgebungskompetenz wird auf einen bestimmten Artikel des Grundgesetzes gestützt, nämlich auf den der öffentlichen Fürsorge. Darauf aufbauend wird behauptet, eine Gesetzesvielfalt auf Länderebene würde zu einer Rechtszersplitterung mit problematischen Folgen für den Schutz der Kinder und der Jugendlichen führen. So lautet die Begründung für das Bundesgesetz. Unter anderem dürfe nicht der Anreiz für Eltern verstärkt werden, den Kinderschutz durch einen Umzug von Bundesland zu Bundesland zu erschweren.
Im Klartext heißt das: Hessen soll seinen strengeren Gesundheitsschutz, d. h. die Verbindlichkeit der Früherkennungsuntersuchungen, aufgeben, damit bundeseinheitlich ein laxerer Maßstab gelten kann. Die bundesrechtliche Regelung ist jedoch insoweit nicht abschließend. Sie lässt eine ausfüllungsfähige Lücke. Außerdem reicht die Ermächtigungsgrundlage nicht für strukturelle Änderungen des Gesundheitswesens in den Ländern.
So viel wollte ich nur zu meiner Dienstleistung an den hessischen Landesgesetzgeber sagen. Das heißt, der Bund konnte keine abschließende Regelung treffen. In Hessen haben Sie die Freiheit,zu gestalten.Ich sage es immer wieder: Mein Anliegen ist es, dass die Gestaltungsfreiheit dieses Parlaments so offensiv behauptet wird, wie es nur irgendwie geht.
Sie erwarten das natürlich: Jetzt gehe ich noch auf die Zusammenlegung des öffentlichen mit dem privaten Bereich ein. Ich habe mich hierzu schon mehrfach geäußert und bestätige, dass der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion vom 29. April 2009 den von mir vorgetragenen Vorstellungen nahekommt.
Der Jahresbericht soll allerdings nicht zur Bewertung eines Gesetzgebungsvorhabens umfunktioniert werden. Jedoch bedürfen meine früheren Äußerungen der Klarstellung.
Zunächst möchte ich sagen: Ich habe kein eigenes Interesse,sei es persönlicher,sei es institutioneller Art,an einer Zusammenlegung. Ich will nicht, dass das missverstanden wird. Wir haben mit dem öffentlichen Bereich schon genug zu tun. Der private Bereich würde lediglich zusätzliche Arbeit bedeuten. Da drängt sich niemand freiwillig.
Hierzu sind wir allerdings bereit.Die Bereitschaft also besteht. Die politische Entscheidung des Obs der Zusammenlegung liegt allein bei Ihnen.Dabei haben Sie,mit den Worten von Karat bzw. Peter Maffay gesprochen, verfassungsrechtlich über sieben Brücken zu gehen.
Erstens.Verfassungsrechtlich gesehen sind die Einheit der Verwaltung und die damit verbundenen Ministerialverantwortlichkeit ein hohes Gut, das nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden darf.
Drittens. Es steht aber zu befürchten, dass der Europäische Gerichtshof die Unabhängigkeit des Datenschutzes in Deutschland pauschal verneint. Er wird nicht zwischen den Regelungen in Hessen und denen anderer Länder differenzieren, die eklatant dem Europarecht widersprechen.Als Begründung könnte er behaupten, dass die fehlende Unabhängigkeit im privaten Bereich auch die Unabhängigkeit im öffentlichen Bereich infiziert.
Viertens. Falls wir vom Europäischen Gerichtshof Prügel beziehen, stellt sich die Frage, ob die dann gebotene Aufhebung der Ministerverantwortlichkeit so sehr die Strukturprinzipien des Art. 79 Abs. 3 Grundgesetz berührt, dass dem deutschen Verfassungsrecht über Art. 23 Grundgesetz Vorrang vor dem Gemeinschaftsrecht zukommt. Das wäre dann der Konfliktfall mit der Europäischen Gemeinschaft. Die Frage ist, ob uns das die Sache wert ist. Dieser Souveränitätsvorbehalt wurde bisher noch niemals praktiziert. Er kommt nur als Ultima Ratio in Betracht. Dazu muss ich sagen: So wichtig ist die Ministerverantwortlichkeit doch nicht, dass wir deswegen den Eklat der Europäischen Union riskieren könnten.
Fünftens. Die Ministerverantwortlichkeit dient der Wahrung des Demokratieprinzips. Der gleiche demokratische Effekt ließe sich durch eine unmittelbare parlamentarische Verantwortlichkeit des Hessischen Datenschutzbeauftragten erzielen. Hierfür gibt es Parallelen. Ob diese Parallelen sonderlich glücklich und treffend sind, sei hier dahingestellt.
Sechstens. Sollte der Europäische Gerichtshof die Unabhängigkeit der gesamten Datenschutzkontrolle als Verfassungsauftrag formulieren, ist darauf hinzuweisen, dass die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vereinbart haben, einen Musterentwurf für ein modernes Datenschutzgesetz bis zum Jahr 2010 zu konzipieren. Für die Koordination und Sichtung der Vorschläge hat man einen Dummen gesucht. Dementsprechend wurde das dem Hessischen Datenschutzbeauftragten unter Berücksichtigung seines Hauptamtes übertragen. Das bedeutet, dass ich mich meinen Kollegen gegenüber bei dieser Frage zu wissenschaftlicher Neutralität verpflichtet habe.
Das führt zu Siebtens. Der Hessische Datenschutzbeauftragte kann auf Ersuchen des Landtags Gutachten zu Datenschutzfragen erstatten. Dabei ist wohl weniger an verfassungsrechtliche Gutachten über die eigene Aufgabenstellung gedacht. § 25 Hessisches Datenschutzgesetz schließt die Möglichkeit indessen nicht aus. Ein verfassungsrechtliches Gutachten könnte sich meines Erachtens durchaus auf die Frage der Zusammenlegung der beiden Bereiche erstrecken. Das würde dann mit der gebotenen Neutralität erfolgen. Das soll keine aufgedrängte Bereicherung, sondern nur eine Anregung sein. Ich möchte nicht als aufdrängender Bereicherer missverstanden werden.
Ich komme zum letzten Abschnitt.Von mir wird regelmäßig ein Abstecher in die populäre Musik erwartet.
Da wir 60 Jahre Grundgesetz feierten, drängt sich der Blick auf die deutsche Hitparade des Jahres 1949 auf.
Das folgt getreu meiner These: Die Musik der Kindheit prägt das Leben. – Raten Sie einmal, welches der Haupthit in der Geburtsstunde des Grundgesetzes war. Das war das Lied des Kölner Karnevalssängers Jupp Schmitz. Es hieß: „Wer soll das bezahlen?“
Es gibt eine zensierte dritte Strophe, die nicht auf der Platte erschienen ist. Da wird darauf hingewiesen, dass es zwei deutsche Staaten gibt.Außerdem wird darauf hingewiesen, dass uns Frankfurt am teuersten kommen würde, falls es jemals Bundeshauptstadt werden sollte.
Ich hoffe, dass dieses Lied nicht nach 60 Jahren an die Stelle der Nationalhymne tritt, und komme zum Gesichtspunkt der aufgedrängten Bereicherung zurück. Das angebotene Gutachten des Hessischen Datenschutzbeauftragten zur Frage der Zusammenlegung in der gebotenen Neutralität hat einen Vorteil. Der ist aber gravierend. Es würde nichts kosten.