Ich frage Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wer möchte in diesem Land eine Kindereinrichtung haben, die länger als sechs Stunden geöffnet ist und kein Mittagessen anbietet? – Wir wollen so einen Standard nicht haben.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf von der CDU: Wir auch nicht!)
Ich sage Ihnen noch einmal: Sie haben von der ersten zur zweiten Lesung nichts verstanden. Wir haben Ihnen erklärt: Es fehlen immer noch 8.000 Plätze für Kinder unter drei Jahren. Es fehlen immer noch 3.500 Erzieherinnen und Erzieher als Fachkräfte. Wir haben immer noch eine mangelhafte Hortbetreuung.
Nur 400 von 1.200 Grundschulen haben überhaupt eine Ganztagsbetreuung. Wer in dieser Stunde an diesem KiföG festhält, welches die entscheidenden Antworten zu den Herausforderungen der Kinderbetreuung schuldig bleibt, hat seine Hausaufgaben nicht gemacht und auch nicht verstanden, worauf es in den nächsten Jahren bei der frühkindlichen Bildung ankommt.
Lassen Sie mich die Jungen Liberalen erwähnen. Wir sind nicht immer einer Meinung, aber in der „FAZ“ stand zu lesen, dass so, wie CDU und FDP dieses KiföG behandelt hätten, sie sich anstellen würden wie der dumme August. – In bestimmten Punkten haben manchmal auch Junge Liberale recht. Was Sie hier abgeliefert haben, war für die Ansprüche heutiger Kinderbetreuung tatsächlich nicht mehr genügend.
Wir haben auch über die Inklusion geredet. Bei den gefühlten Hunderten von Veranstaltungen, auf denen wir uns treffen – Frau Wiesmann, Herr Merz, Frau Schott –, arbeiten wir immer wieder an der Frage, wie wir in diesem Land zukünftig mit behinderten Kindern umgehen. Der Verweis der CDU und der FDP, es könne doch eine Vereinbarung zwischen dem Hessischen Städtetag bzw. den hessischen Spitzenverbänden und den freien Trägern geben, ist durchaus eine Antwort. Allerdings ist es eine Antwort, die sich davor drückt, eine landesrechtliche Regelung zu erarbeiten, in der genau diese Frage beantwortet wird.
Dann kommen noch Verbände und Träger auf uns zu und fragen: Was passiert denn mit den behinderten Kindern in unserer Einrichtung, wo bisher nur 20 Kinder in der Gruppe waren, damit man die zwei behinderten Kinder tatsächlich besser betreuen kann, und wo jetzt, um die volle Subvention zu bekommen, auf 25 aufgestockt werden muss? Können die beiden behinderten Kinder dann tatsächlich noch umfangreich und ausführlich betreut werden? – Davor haben sie Sorge. Deswegen sagen sie uns auch, dass bei den Förderungen, wie Sie sie vorsehen, auch die 800 € pro Kopf nichts nutzen, die Sie noch hinterherwerfen. Es wird dem Finanziellen nicht guttun, dort behinderte Kinder zu betreuen.
Wenn Träger dann sagen, sie bräuchten andere Regelungen, weil es eine Menschenrechts- und eine Bürgerrechtsfrage ist, dass wir die Inklusion vorantreiben, nicht wegdiskutieren und uns nicht in die Büsche machen, son
dern dass wir sie in einem KiföG regeln, dann haben sie recht. Dann muss man sie auch nicht beschimpfen, sondern seinen Gesetzentwurf ändern, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Nein, Sie wollen mit demselben Kopf zum zweiten Mal durch dieselbe Wand. Ich kann Ihnen prognostizieren – dazu muss man wahrlich kein Prophet sein –, dass Sie damit kaum Erfolg haben werden. Wenn Sie sich die Umfragen von „FAZ“ und FFH zu den wichtigsten Themen ansehen – Herr Kollege Wagner hat es schon gesagt: das wichtigste war die Schulpolitik, das zweitwichtigste die Kinder- und Familienpolitik – und tatsächlich glauben, mit diesem Gesetz eine Antwort darauf zu geben, sind Sie auf einem falschen Weg. Ich will es mit den Worten eines Teilnehmers aus Kassel formulieren: Das Beste an diesem Gesetz ist, dass es nicht unbedingt angewendet werden muss, mit all den Qualitätsvorschlägen, die dort gemacht werden.
Ein KiföG im Jahr 2013, das bis 2019 Bestand haben soll, das die Fragen der Kinderbetreuung für Hortkinder und behinderte Kinder nicht beantwortet, das Unsicherheiten in den Qualitätsstandards bis hin zum Mittagessen in Einrichtungen schafft, hat schlicht und ergreifend seinen Namen nicht verdient, weil nicht verstanden wurde, worum es in Zukunft geht. Alles schreit danach, dass dieses Land einen Wechsel braucht, auch in der Kinderbetreuung. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die regierungstragenden Fraktionen haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, gegen den die Bevölkerung dieses Landes im wahrsten Sinne des Wortes Sturm gelaufen ist. Dann bekommen wir hier gesagt, wir als Opposition sollten mit der Volksverunsicherung aufhören.
Ich finde das schon bezeichnend; denn es gibt immer wieder Anträge und Gesetze, deren Inhalt die Oppositionsfraktionen nicht teilen. Ich habe es aber noch nicht erlebt, dass deswegen ein Sturm im Land losbricht, der dazu führt, dass Tausende von Menschen auf Demonstrationen gehen, Unterschriftenlisten zeichnen, vor diesem Hause demonstrieren, sich in ihren Kitas und auf Dorfplätzen versammeln – mitnichten.
Nein, es hat die Opposition nicht gebraucht, um das Volk zu verunsichern, Frau Wiesmann; das haben Sie ganz allein geschafft.
Sie haben einfach ein Gesetz geschaffen, das Menschen zutiefst verunsichert, die Verantwortung für ihre Kinder übernehmen und gute Kinderbetreuung haben wollen. Das ist ganz allein Ihr Werk. Wenn Sie wollen, dass die Volksverunsicherung aufhört, dann ziehen Sie diesen unsäglichen Gesetzentwurf zurück und sorgen dafür, dass es eine
vernünftige Vorlage gibt, und zwar eine, mit der die Menschen in diesem Land nicht verunsichert werden.
Dann berufen Sie sich – selbst, als es um diese unsägliche Geschichte mit der Mittagessensversorgung geht – in all Ihren Statements darauf, dass die hessischen Städte und Gemeinden das wollen, was Sie dort eingebracht haben. Wissen Sie, was mich daran furchtbar irritiert? Die Stadt Maintal schreibt hier, sie wolle Ihr Gesetz nicht. Die Gemeinde Kaufungen schreibt, sie wolle Ihr Gesetz nicht. Die Stadt Hanau schreibt, sie wolle Ihr Gesetz nicht. Sie alle haben einen ganzen Stapel solcher Briefe. Ich möchte einmal wissen, wer Ihr Gesetz noch will.
Über Lärmschutz sollten Sie einmal nachdenken. Die Zwischenrufe von Ihrer Seite waren heute ziemlich unerträglich.
Zum guten Schluss kommt der Städte- und Gemeindebund, der Ihren Gesetzentwurf ganz einfach ablehnt. Wer will ihn eigentlich noch? Außer Ihnen doch niemand mehr.
(Holger Bellino (CDU): Nehmen Sie doch einmal das Spielzeug da vorne weg! Man sieht Sie gar nicht mehr! – Gegenruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE): Sie müssen mal wieder petzen? – Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)
Dann fragen Sie, woher das Geld kommen soll, Frau Wiesmann. – Das Geld muss über vernünftige Steuereinnahmen hereinkommen.
Herr Bellino, Sie sind gerade nicht dran. – Das Geld muss über vernünftige Steuereinnahmen kommen, damit wir eine Einnahmesituation haben, die für ein Land auskömmlich ist, damit es möglich ist, Sozialpolitik und Bildungspolitik so zu gestalten, dass es nicht schlecht, sondern gut für die Menschen ist.
Sie haben es nicht geschafft, die Menschen zu überzeugen. Nachdem Sie diesen massiven Sturm gegen Ihren Gesetzentwurf erlebt haben, haben Sie angefangen, daran zu verschlimmbessern. Es ist nicht besser geworden, es ist schlimmer geworden. Wenn ich mir vorstelle, dass zukünftig ein Kind sechs, sieben oder acht Stunden in eine Tageseinrichtung gehen kann, ohne dort ein warmes Essen zu bekommen, dann ist das für mich eine gruselige Vorstellung. Es ist auch für die Menschen dort draußen, die Eltern und Erzieherinnen eine gruselige Vorstellung.
Jetzt kommen Sie wieder mit dem Argument, das müsse ja niemand umsetzen. Das ist Ihr Standardargument zu diesem Gesetz, dass es niemand machen müsse. Ich frage mich nur, warum Sie ein Gesetz machen, das niemand ausführen soll. Für gewöhnlich macht ein Gesetzgeber Gesetze, weil er will, dass man sich auch genau an diese Gesetze hält. Das wollen Sie aber offensichtlich nicht, jeden
falls verkünden Sie das auf jedem Podium. Sie erzählen immer und immer wieder: Wir wollen das nicht. – Ich frage Sie zum wiederholten Mal: Warum schreiben Sie es dann in ein Gesetz? Warum schreiben Sie Mindeststandards auf, von denen Sie nicht wollen, dass sie umgesetzt werden?
Ja, es sind Mindeststandards. Aber ich schreibe doch die Mindeststandards auf, die ich für richtig und sinnvoll halte. Wenn Sie Ihre Mindeststandards nicht für sinnvoll und richtig halten, schreiben Sie sie nicht hinein.
Wenn Sie diese Mindeststandards, die Sie hier aufgeschrieben haben, für sinnvoll und richtig halten, dann erklären Sie hier bitte, dass es die Standards sind, die Sie haben wollen. Dann stehen Sie auch dazu. Wenn sie nicht richtig sind, dann schreiben Sie sie nicht auf. So einfach ist das.
Man muss kein Gesetz machen, von dem man nicht will, dass es eingehalten wird; das ergibt überhaupt keinen Sinn.
Sie haben einen Bildungs- und Erziehungsplan. Sie hinterlegen in diesem neuen Gesetzentwurf diesen Bildungs- und Erziehungsplan mit ein bisschen Geld, ja. Aber Sie schaffen Rahmenbedingungen, die es unmöglich machen, dieses Bildungs- und Erziehungsplan umzusetzen. Ich frage Sie, warum Sie das tun, wenn Sie wollen, dass der Bildungsund Erziehungsplan umgesetzt wird. Dann muss ich Rahmenbedingungen schaffen, die das ermöglichen, und nicht solche, die es verhindern.
Sie haben ein Aktionsprogramm zur Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention, lang und viele Seiten. Darin stehen ein paar kluge Sachen, aber nicht, wie Sie es umsetzen wollen. In diesem Gesetzentwurf steht auch nichts dazu, außer dass Sie wollen, dass man danach handelt. Wie man danach handeln soll unter den Rahmenbedingungen, schreiben Sie nicht auf. Das schreiben Sie auch bewusst nicht auf. Denn es ist nicht möglich, unter diesen Rahmenbedingungen danach zu handeln. Das macht es völlig unmöglich.
Wenn danach finanziert wird, wie viele Kinder in der Gruppe sind, heißt das, die Gruppen müssen vollgemacht werden, damit man die volle Finanzierung bekommt. Dann wird sich jeder Träger sehr genau überlegen, ob er es sich leisten kann, ein Kind, das deutlich mehr Aufwand erfordert, ein Kind, das mehr Betreuungsaufwand hat, ein Kind, das mehr Zuwendung braucht, das mehr Zeit braucht, das mehr Einzelbetreuung braucht, in eine Gruppe zu nehmen. Man muss sich auch unter pädagogischen Gesichtspunkten überlegen, ob das a) für die Gruppe und b) für das betroffene Kind zumutbar ist.
Ich halte das für völlig unzumutbar, und damit tun Sie das Gegenteil von dem, was die Behindertenrechtskonvention von Ihnen verlangt.
Ziehen Sie diesen unsäglichen Entwurf zurück. Nutzen Sie die Zeit, die Sie bis zur dritten Lesung haben. Denken Sie darüber nach, wie Sie es neu machen können. Versuchen Sie es einfach noch einmal. Ich glaube zwar nicht, dass viel Besseres dabei herauskommt. Vielleicht sollten Sie es einfach gründlich lassen. Aber nutzen Sie die Chance, die
Sie haben. Denn das, was Sie hier vorgelegt haben, wollen die Menschen da draußen nicht. Das wollen die Eltern nicht, die Erzieherinnen nicht. Die Kinder würden es nicht wollen, wenn sie begreifen würden, was es bedeutet.
(Holger Bellino (CDU): Das sind die, die von Ihnen aufgehetzt wurden! – Gegenruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE): Die wurden alle von Frau Schott aufgehetzt? – Gegenruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE): Das sind alles Kommunisten?)
Die Gemeinden wollen es nicht, und die Fachleute wollen es auf gar keinen Fall. Deshalb ziehen Sie in Ihrem eigenen Interesse – die Menschen werden es Ihnen in diesem Jahr quittieren – diesen unsäglichen Gesetzentwurf zurück.