Protocol of the Session on April 25, 2013

Wenn Sie die Landeselternbeiratsvorsitzende deshalb der Parteiwerbung bezichtigen und sie auffordern, ihr Amt niederzulegen, dann ist das eine Unverschämtheit,

(Beifall bei der SPD – Wiederspruch bei der CDU)

und ich fordere Sie auf, diese Äußerungen zurückzunehmen.

Sie beschädigen nicht nur Frau Geis, die Vorsitzende, sondern auch die Mitglieder des gesamten Gremiums. Sie haben einmal mehr bewiesen, dass Ihnen die politische Diffamierung wichtiger als Sachkenntnis ist. Das wird insbesondere bei Ihrem zweiten Thema deutlich.

Wenn Sie einen Blick auf die Homepage der Experiminta geworfen hätten, hätten Sie auf diese Aktuelle Stunde verzichten können. Sie hätten bei einem reduzierten Eintrittspreis von 1 € Herrn Steinbrück persönlich befragen können, welche Äußerung er in Wirklichkeit gemacht hat.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Ist das Honorar bei Herrn Steinbrück gesunken?)

Sie hätten nicht nur ein hervorragendes Museumskonzept erlebt. Diese Investition hätte Ihnen vielmehr auch den peinlichen Auftritt heute hier erspart.

Herr Schork, ich komme jetzt auf die Sache zu sprechen, nämlich zu Ihrer Presseerklärung. Sie fordern die hessische SPD auf, sich von den „absurden und integrationsfeindli

chen Forderungen nach einem getrennten Sportunterricht für Jungen und Mädchen“ Peer Steinbrücks zu distanzieren.

Erstens. Herr Steinbrück hat dies nicht gefordert. Er hat auf die Frage eines muslimischen Vaters erklärt:

Wenn Schulen es einrichten können, dann sollen sie es machen. Ich würde da Rücksicht nehmen auf religiöse Überzeugungen. Aber da denkt vielleicht jeder anders.

Ich weiß, dass Sie gar nicht daran interessiert sind, was er wirklich gesagt hat. Interessieren sollte Sie aber das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. August 1993, in dem entschieden wurde, das zugunsten der Religionsfreiheit zu entscheiden und getrennter Sportunterricht zu ermöglichen ist, wenn es einen Konflikt zwischen Erziehungsauftrag und Religionsfreiheit gibt. Diese „absurden und integrationsfeindlichen Forderungen“ – so nennen Sie es – wurden vom obersten Verwaltungsgericht dieses Landes aufgestellt. Sie sollten sich schämen, solche haltlose Polemik in die Welt zu setzen, ohne sich zumindest vorher über die rechtlichen Grundlagen zu informieren.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Abschließend empfehle ich einen Blick in das Amtsblatt des Hessischen Kultusministeriums vom Juli 2012. Es ist Seite 406.

Sollte ein koedukativer Unterricht auch dann nicht möglich sein, muss die Schule entsprechend der Rechtsprechung versuchen, einen nach Geschlechtern getrennten Sportunterricht anzubieten.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das ist unglaublich!)

Erstmals wurde das unter Kultusministerin Wolff im Amtsblatt veröffentlicht. Im vergangenen Jahr wurde das unter Kultusministerin Beer an angegebener Stelle wiederholt.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Alles Islamisten!)

Normalerweise distanzieren wir uns gern von den Äußerungen dieser Ministerin. Aber in diesem Fall bleibt festzustellen, dass Sie sich von der geltenden Rechtsprechung und von den Äußerungen Ihrer eigenen Ministerin distanzieren. Das ist bestenfalls peinlich.

Ich komme zu meinen letzten Sätzen. Sie haben einmal mehr klargestellt, dass Sie Polemik und Diffamierung einer an der Sache orientierten Debatte vorziehen. Das Niveau dieser Regierungspartei ist wirklich unterirdisch.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Barbara Cárdenas (DIE LINKE))

Frau Kollegin Habermann, vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat sich Frau Cárdenas von der Fraktion DIE LINKE zu Wort gemeldet. Frau Cárdenas, bitte schön, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren! Die Einladung des Landeselternbeirats finden wir nicht völlig unproblematisch. Aber ich möchte jetzt zur Sache sprechen.

Es gab viel heiße Luft zur Äußerung Peer Steinbrücks Anfang des Monats, die äußerst vage, aber vielleicht gerade deshalb sehr interpretationsfähig war. Was hat er eigentlich gesagt, das die CDU als Steilvorlage für ihre Argumentation nutzen wollte, die SPD drehe die Zeit bei der gesellschaftlichen Entwicklung zurück? Steinbrück hatte mit Blick auf Forderungen eines muslimischen Vaters für eine Trennung im Sportunterricht geworben, wenn die Schulen dies einrichten könnten. Er sagte vorsichtig – das wurde bereits zitiert –:

Ich würde da Rücksicht nehmen auf religiöse Überzeugungen. Aber da denkt vielleicht jeder anders.

Neben der Äußerung von Frau Wolff ist natürlich pikant, dass im konservativen Vorzeigeland Bayern genau dies, nämlich getrennter Sportunterricht für Jungen und Mädchen, grundsätzlich vorgeschrieben ist. Davon abgesehen, zeigt dieses Zitat von Herrn Steinbrück, dass dies eine persönliche Äußerung des Kanzlerkandidaten der SPD war. Es war jedenfalls keine programmatische Äußerung der SPD, dass unter einer von ihr geführten Regierung der Sportunterricht für muslimische Jungen und Mädchen generell getrennt angeboten würde.

So eine Sichtweise wäre für mich nicht akzeptabel. Das habe ich schon direkt nach Steinbrücks Äußerung Anfang April 2013 erklärt. Auch Sevim Dagdelen, linke Abgeordnete und migrationspolitische Sprecherin im Bundestag, hat sich klar distanziert und Herrn Steinbrück sogar als Antiaufklärer bezeichnet.

(Beifall bei der LINKEN)

Mir scheint, die persönlichen Positionen zu dieser Frage sind selbst in einer Partei so unterschiedlich wie die Erfahrungen, die man selbst damit gemacht haben kann. So haben auch wir Frauen in unserer Fraktion uns darüber ausführlich unterhalten und festgestellt, dass wir unterschiedliche Einschätzungen zum gemeinsamen versus dem getrenntgeschlechtlichen Sportunterricht haben. Eine von uns dreien ist vehement für die Trennung. Das ist sie auch aufgrund persönlicher Erfahrungen. Die Zweite findet es zumindest überlegenswert, so etwas vorzuschlagen. Die Dritte ist ebenso vehement gegen die Trennung. Aber alle sind wir der Meinung, dass diese Frage nichts mit Religion zu tun hat oder haben darf.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Frage eignet sich schon gar nicht für einen billigen Wahlkampf, bei dem sich die CDU sogar zu der Behauptung verstiegen hat, dass diese Frage etwas mit der Gleichberechtigung der Geschlechter zu tun habe. Hallo, wo sind wir denn eigentlich? Sind wir im 19. Jahrhundert, als die Mädchen und die Frauen sich im Namen der Gleichberechtigung erkämpfen mussten, überhaupt am Unterricht der öffentlichen Schulen und auch am Sportunterricht teilzunehmen? Oder sind wir im 21. Jahrhundert, wo es längst seit Jahrzehnten selbstverständlich ist, dass alle Mädchen und Jungen ab dem 6. Lebensjahr zur Schule gehen und dort gemeinsam unterrichtet werden?

Wir können es uns doch leisten, die Frage zu stellen, wann eventuell eine Trennung der Geschlechter gut sein könnte, um zu unterstützen, dass die Gleichberechtigung real und nicht nur formal entsteht. Diese Diskussion kennen wir z. B. hinsichtlich des Mathematikunterrichts.

(Beifall bei der LINKEN)

Für eine solche Trennung sprechen Gründe, die gar nichts, aber auch wirklich überhaupt nichts mit religiösen Prämissen zu tun haben. Der Berliner Lehrplan begründet z. B. die Trennung in den Klassen 7 bis 10 mit:

… Unterschiede[n] des Bewegungsbedürfnisses, der geschlechtsspezifischen Interessen sowie der motorischen Eigenschaften und des Bewegungsverhaltens bei Mädchen und Jungen.

Die Bayern, die die Trennung schon mit dem 5. Schuljahr beginnen, gehen so weit, dass sie die Mädchen nur von Sportlehrerinnen und die Jungen nur von Sportlehrern unterrichten lassen. Wenn wir der Meinung sind, dass gerade auch die körperlichen Veränderungen und die psychischen Belastungen in der Pubertät eine solche Trennung sinnvoll erscheinen lassen könnten, dann ist tatsächlich der frühere Zeitpunkt ab der 5. Klasse der bessere. Denn es gibt in jeder Klasse einzelne Frühpubertierende, die dann ganz besonders dem Spott, vielleicht aber auch der eventuell genauso belastenden Bewunderung der ganzen Klasse ausgesetzt sind.

(Beifall des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Ein weiteres Argument für eine zeitweise Trennung ist das bereits genannte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1993, das Frau Habermann hier angesprochen hat.

Wir sehen also: Das Thema eignet sich in keinster Weise für die CDU zum Wahlkampf. Einer Geschlechtertrennung im öffentlichen Bereich, wie wir sie z. B. von der Ahmadiyya-Gemeinde kennen, wird damit nicht das Wort geredet. Das stärkt auch nicht die Scharia oder die Taliban, wie der bildungspolitische Sprecher der CDU, Herr Schork, in einer von seinem Vorgänger bekannt groben, vereinfachenden und islamfeindlichen Weise in einem Interview gesagt hat.

Ich schließe deshalb mit der Versicherung: Das Abendland ist nicht gefährdet. Seine Werte sind es auch nicht. Die Gleichberechtigung ist es schon gar nicht. Die unterminieren Sie höchstens dadurch, dass Sie weiterhin zulassen, dass Frauen 23 % weniger als Männer verdienen. – Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heike Habermann (SPD))

Frau Kollegin Cárdenas, vielen Dank. – Als nächster Redner spricht Herr Kollege Al-Wazir für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Herr Kollege, bitte schön, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich etwas zu den zwei unter

schiedlichen Themen sagen, die die Union in ihrer Aktuellen Stunde thematisiert. Die erste Frage lautet: Wozu lädt der Landeselternbeirat ein?

Ich stelle ausdrücklich fest: Der Landeselternbeirat muss parteipolitisch neutral sein. Ich nehme zur Kenntnis, dass offensichtlich alle Einladungen aller Parteien zu bildungspolitischen Themen verschickt werden. Ich rate deshalb der Union, eine Veranstaltung zu modernem Unterricht zu machen und die Einladung dazu dem Landeselternbeirat weiterzuleiten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heiterkeit des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Ich sage ausdrücklich – ich meine das sehr ernst –: Noch viel besser fände ich es, wenn der Landeselternbeirat und alle Stadt- und Kreiselternbeiräte im Wahlkampf Veranstaltungen mit allen Parteien organisieren würden, damit dort in Diskussionen über bildungspolitische Themen aufgeklärt werden kann. Denn ich freue mich auf diese Debatten und bin mir ziemlich sicher, zu wissen, wie das am Ende ausgehen wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel und Günter Rudolph (SPD))

Zweitens: Herr Steinbrück. Was er gesagt hat, hat Kollegin Habermann zitiert. Er hat also keine generelle Trennung gefordert.

In diesem Zusammenhang will ich ausdrücklich sagen: Wir haben in Hessen ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs, jenseits des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts von 1993; es stammt aus dem Jahr 2012. Darin heißt es im Prinzip: Wenn es zu solchen Konflikten – gerade beim Schwimmunterricht – kommt, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder hat die Schule die organisatorischen Möglichkeiten und trennt, oder sie hat sie nicht – dann ist geeignete Schwimmbekleidung angesagt, die den religiösen Bekleidungsvorschriften gerecht wird. Auf jeden Fall ist die Teilnahme am Schwimmunterricht verpflichtend.

Deswegen kann ich Sie in dem Zusammenhang nur fragen: Wo ist das Problem – wenn man es wirklich ernst meint?