(Gerhard Bökel (SPD): Eigentlich sollten wir jetzt den französischen Nationalfeiertag feiern! Frau Hoffmann, wir singen jetzt die Marseillaise!)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben heute eine interessante Gemengelage, was die Anträge angeht.Ich möchte mich zunächst einmal an den Kollegen Lennert wenden, und ich werde mich noch en détail mit dem Entschließungsantrag der CDU-Fraktion auseinander setzen.
Herr Kollege Dr. Lennert, was Sie hier mit sehr viel Europapathos in der Stimme vorgetragen haben, wird in Ihrem bemerkenswerten Antrag überhaupt nicht widergespiegelt. Ich komme gleich darauf zurück. Da gefallen mir die zehn Thesen des Kollegen von Hunnius – auch wenn er die neunte leider unterschlagen hat – schon erheblich besser, weil man sich damit inhaltlich-fachlich auseinander setzen muss.
Alle vier Fraktionen hatten sich vor zwei Monaten im Europaausschuss auf gemeinsame Anträge verständigt; das war der Ausgangspunkt.Da ging es zum einen um die Mitwirkung der Länder nach Art. 23 Grundgesetz und zum anderen um die Subsidiaritätskontrolle, die im Verfassungsvertrag vorgesehen ist, die wir in Hessen verankern wollen, und zwar nicht nur durch die Landesregierung, sondern angebunden an den Landtag. Das war die einvernehmliche Beschlussempfehlung des Europaausschusses.
Meine Damen und Herren, auch wir haben einen Entschließungsantrag eingebracht. Wir alle kennen die Ergebnisse der Referenden in Frankreich und in den Niederlanden. Diese Ergebnisse sind unbestritten eine herbe Enttäuschung. Aber wir Sozialdemokraten stehen zu dem europäischen Verfassungsvertrag, und wir unterstreichen heute nachdrücklich unsere Haltung zum europäischen Einigungsprozess und zum weiteren Ratifizierungsprozess.
Die europäischen Staats- und Regierungschefs haben sich eine Denkpause von einem Jahr verordnet.Wir gehen davon aus, dass die Ratifizierung im Jahr 2007 erfolgt. Wir halten allerdings nichts davon, wie wir das im Antrag der CDU-Fraktion nachlesen können, dass die historischen Leistungen der Europäischen Union und auch dieser EUVerfassung hier zerredet werden. Genau das ist der Kern des Entschließungsantrags der CDU-Fraktion. In Ihrem unbändigen Eifer, nach Berlin zu kommen, ist anscheinend nichts vor Ihnen sicher, und Sie halten es für notwendig, hier alle europakritischen Ressentiments zu schüren.
Sie bedienen alle Vorurteile gegenüber der Europäischen Union – nach dem Motto: Jetzt schreiben wir einmal alles auf, was uns schon immer nicht gepasst hat.
Das findet sich in Ihrem Antrag wieder. Ein Beispiel: Es wird das Vorurteil bedient, die Europäische Union sei ein bürokratischer Moloch, der mit überflüssigen Vorschriften alles stranguliere. Das findet sich auch in der fünften These des Kollegen von Hunnius wieder, der das ein bisschen charmanter ausdrückte, als er meinte, das Europa der Technokraten sei nicht sexy. Dem kann ich zustimmen. Ich bin nachgerade froh, dass viele Menschen in Europa nicht die Weinmarktordnung kennen; denn das würde sie vielleicht davon abhalten, Wein zu trinken. Aber wenn wir uns überlegen, warum die Weinmarktordnung so kompliziert ist, so brauchen wir nur in die Anhänge zu schauen, und sehen dann, dass die Besonderheiten jedes Mitgliedstaats geregelt werden müssen. So kommen zum großen Teil diese aufgeblähten bürokratischen Verordnungen zustande.
Ich komme auf den CDU-Antrag zurück. Er ist wunderschön. Da wird z. B. die Chemikalienpolitik genannt. Das ist ein diskussionswürdiges Unterfangen der Europäischen Union, weil es seit Bestehen der Europäischen Union das größte Reformwerk in der Umweltpolitik darstellt. Ich bin davon überzeugt, dass am Ende der Diskussion, die jetzt im Parlament begonnen hat, ein gutes Ergebnis stehen wird.Aber die CDU sagt dazu – ich will aus diesem Antrag zitieren, das muss sein, er ist so schön –:
Am Beispiel... wird deutlich, dass solche Vorhaben allzu oft wirtschaftlichen Interessen widersprechen, was wiederum zu pauschalem Unmut in der Bevölkerung gegenüber „Brüssel“ führt.
Ist Ihnen denn noch nicht aufgefallen, dass es außer wirtschaftlichen Interessen noch andere Interessen der Europäischen Union gibt,andere Ansprüche,die die Menschen an die Europäische Union haben?
Zum Beispiel gibt es den Anspruch auf eine saubere Umwelt. Sie argumentieren so platt. Sie wollen Unmut und Stimmungen schüren, und aus diesem Unmut wollen Sie Stimmen machen. Wenn man Ihren Antrag liest und das mit der Rede vergleicht, stellt man fest, dass das anders klang. Aber ich halte immer viel davon, wenn Wort und Schrift übereinstimmen.
Ich darf Sie daran erinnern, dass die CDU im Bundestag und im Bundesrat dem Verfassungsvertrag zugestimmt hat. Ich erinnere mich sehr deutlich an das Werben des Hessischen Ministerpräsidenten während einer Delegationsreise in die neuen EU-Mitgliedsländer im letzten Jahr für den Verfassungsvertrag. Ich erinnere auch an die großen Worte von Minister Riebel.Er hat uns die Debatte aus dem Bundestag zugeschickt. Dort steht: „Ungeachtet der Ablehnung des Vertrages durch das französische bzw. durch das niederländische Referendum ist das Projekt des Vertrages über eine Verfassung für Europa wegweisend.“ Da kann ich nur zustimmen.Allerdings ist es schade, dass Sie in Ihrer Fraktion ganz offensichtlich allein dastehen.
Zum Thema Beitritt der Türkei, das Herr Kollege von Hunnius hier angesprochen hat, möchte ich Folgendes sagen: Wir haben das hier schon einmal vor einem halben Jahr diskutiert. Es sind ergebnisoffene Verhandlungen. Wer die Diskussion jetzt so anlegt wie die CDU, der hat nichts weiter im Kopf als einen billigen Wahlkampf.
Ich möchte einen Punkt herausstellen,an dem wir uns von der CDU-Fraktion sehr deutlich unterscheiden. Sie schreiben in Ihrem Antrag an mehreren Stellen, dass die CDU allein die institutionellen Regelungen des Verfassungsvertrages in Kraft setzen und die weiteren Teile des Verfassungsentwurfs neu verhandelt haben will. Das klingt bei der FDP sowohl im Antrag als auch hier im Vortrag anders.Wir waren schon einmal ein Stück weiter.Wir hatten uns auf ein Verfahren verständigt, wonach zwischen Landtag und Landesregierung Vorschläge ausgearbeitet werden sollten, wie angesichts der engen Fristen der Subsidiaritätskontrolle eine ausreichende Information und Willensbildung des Landtages sichergestellt werden kann. An dieser Beschlussfassung wollen wir festhalten – auch unterhalb der Verfassung. Denn es kann nicht sein, dass jetzt plötzlich die Informationspflichten, auf die wir uns verständigt hatten, nicht mehr gelten.
Aber da gibt es in der CDU Uneinigkeiten. Als wir uns nämlich auf diesen Antrag verständigt haben, waren alle in der CDU-Fraktion dieser Meinung – mit Ausnahme von Minister Riebel. Er sagte – ich zitiere aus dem Protokoll –, er halte es nicht für sinnvoll, die Landtage bei Entscheidungen im Sinne des Verfassungsvertrages bei langfristigen Projekten einzubinden, da er es für schwierig halte, über alles informieren zu können. Wir haben hier also eine sehr gemischte Ausgangs- und Gemengelage.
Da ist der Landtag in Schleswig-Holstein weiter. Es gibt einen gemeinsamen Antrag von CDU und SPD im Schleswig-Holsteinischen Landtag, datiert vom 01.06. – das war nach den Referenden –, in dem die Landesregierung von Schleswig-Holstein aufgefordert wird, Vorschläge vorzulegen, wie die Subsidiaritätskontrolle als Modell auch unterhalb der Verfassungsregelung umgesetzt werden kann. So viel Weitsicht und konstruktives Miteinander für die europäische Sache würde ich mir auch in diesem Hause wünschen.
Ich möchte an dieser Stelle Folgendes noch einmal ganz deutlich machen – und darin unterscheiden wir uns von der CDU –:Wir wollen nicht, dass ausschließlich die institutionellen Regelungen des Verfassungsvertrages umgesetzt werden.Wir halten auch an den Inhalten des Verfassungsvertrages fest.
Wir wollen nicht weniger Europa und mehr Marktradikalismus – ich sage das, auch wenn Sie, Herr von Hunnius, das Wort nicht mögen –, sondern wir wollen ein Europa der sozialen Verantwortung, der gestärkten demokratischen Institutionen, der Mitwirkung und der Solidarität.
Mit dem Verfassungsvertrag wird eine gesetzlich bindende Grundrechtscharta in die Verfassung aufgenommen, und Solidarität und Gerechtigkeit werden dann verbindliche Werte in der Europäischen Union. Es gibt im Verfassungsvertrag Zielbestimmungen, hinter die wir ebenfalls nicht zurück wollen. Das ist das Streben nach einer sozialen Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialem Fortschritt beruht. Dazu zählt die Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung und Diskriminierung ebenso wie die Förderund sozialer Gerechtigkeit und des sozialen Schutzes. Außerdem zählt dazu die Solidarität der Generationen.
Dazu gehören auch die Gleichstellung von Männern und Frauen sowie – das ist ein ganz wichtiger Punkt – die nachhaltige Entwicklung Europas.
Wir wissen aus Umfragen in Frankreich und in den Niederlanden, dass die Menschen nicht gegen die Verfassung gestimmt haben. Sie haben wegen diffuser Ängste vor der Globalisierung dagegen gestimmt. Ich denke, es gibt in Europa keine bessere Antwort auf die Globalisierung als eine starke Europäische Union mit einem Verfassungsvertrag, in dem sehr viele Politikfelder mit den Zielen beschrieben sind, die ich vorhin genannt habe. – Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Ursprünglich steht dieser Punkt auf der Tagesordnung, weil es einmal einen gemeinsamen Antrag aller Fraktionen zum Thema Europa gab. Da ging es um ein Landesthema, nämlich um das Thema Subsidiarität. Es ging darum, wie wir es in Hessen umsetzen können, wenn das Frühwarnsystem kommt und wenn wir als Land Einspruchsrechte gegen euroopäische Entscheidungen haben. Das wäre wirklich ein Thema für den Hessischen Landtag gewesen.
Herr von Hunnius, manchmal denke ich aber bei dieser unterirdischen Debatte, die wir heute wieder einmal führen, dass sich doch einige Antragsteller fragen sollten, ob wir es überhaupt verdienen, über das Thema Europa zu diskutieren, wenn wir es nicht fertig bringen, über die Dinge zu diskutieren, die ursprünglich auf der Agenda standen.
Ich habe von Herrn Kollegen Lennert kein Wort zu den Anträgen gehört, die ursprünglich hier zur Behandlung standen. Da muss man sich fragen, ob wir es wirklich verdient haben, hier über Europa zu diskutieren.
Denn das, was die CDU nachgeschoben hat, passt zur Wahlkampfzeit. Das muss man einfach so sagen. Sie haben einen Antrag nachgeschoben,der vermuten lässt,dass Sie überhaupt nicht mehr wissen, wo es bei Ihnen beim Thema Europa langgeht. Auch die FDP hat sich dem anscheinend angeschlossen.
Das führt nicht nur zu Europaverdrossenheit,sondern das führt auch zu Politikverdrossenheit. Es lässt sich an dieser Stelle sagen, dass andere Länder bereits daran arbeiten, wie sich das Subsidiaritätsprinzip und das Frühwarnsystem umsetzen lassen. Schleswig-Holstein und Bayern arbeiten z.B.daran.Ich frage mich,warum wir in Hessen das nicht tun, sondern unsere Zeit hier mit Wahlkampfreden verschwenden, die keinen Menschen im Land interessieren.
Zur Erinnerung: Die Europawahl liegt gerade einmal ein Jahr zurück, und doch liegen zwischen der Einschätzung des Zustandes der Europäischen Union und dem, was heute hier diskutiert wird, anscheinend nicht nur zwölf Monate, sondern zwölf Jahre. So hört sich das inzwischen an.Damals haben alle politischen Parteien die zehn neuen Mitgliedstaaten und das erweiterte Europa freudig begrüßt. Alle Parteien? – Wenn ich mich richtig erinnere, waren das fast alle Parteien. Es gab ein kleines Nest von Wankelmütigen in Gestalt der hessischen CDU, die in der Überschrift den Beitritt begrüßt haben und im Antrag und in der Rede nur polemisiert haben. Diesem Geist entspricht auch ihr Antrag, den sie hier abgeliefert haben.
Ich habe wirklich nur den Kopf geschüttelt, als ich ihn gelesen habe. Da werden Krokodilstränen über die allgemeine Besorgnis der Menschen, über die allgemeine europäische Entwicklung und die Erweiterungspolitik vergossen. Sie haben nichts anderes zu tun, als das alles stän
dig schlechtzureden. Dann brauchen Sie es auch nicht zu bedauern, wenn die Leute verunsichert werden.
Dann sagen Sie, die Debatte sollte nicht durch gegenseitige Schuldvorwürfe geprägt sein. Herr Kollege Lennert, was haben Sie denn heute hier abgeliefert?