Protocol of the Session on October 7, 2004

Der Justizminister weiß, dass es bei der Schließung der Amtsgerichte ein bisschen am Handwerk gehapert hat. Ich möchte das Amtsgericht Butzbach hier hervorheben.

(Zuruf des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Es ist richtig, dass im Bericht des Rechnungshofes steht, dass das Amtsgericht Butzbach aus den und den Gründen

zu schließen ist. In der ersten, von Stefan Grüttner im Dezember des letzten Jahres vorgetragenen Euphorie hieß es: Das Amtsgericht Butzbach wird geschlossen. Es geht alles zum Amtsgericht nach Gießen. – Dann hat man irgendwann gemerkt, dass das so nicht ganz passend ist, weil schon jetzt ein Teil der Aufgaben, die zum Amtsgericht Butzbach gehören, im Amtsgericht Friedberg abgearbeitet wird, z. B. Familiensachen und Insolvenzen. Dann gab es eine zweite Lösung, die hieß:Wir teilen das Gebiet auf.Von den vier Gemeinden kommen zwei zum Amtsgericht nach Gießen und zwei zum Amtsgericht nach Friedberg. – Das wurde dann auch in der örtlichen Presse von Kollegen Landtagsabgeordneten als die Lösung des Übels verkauft. Jetzt haben wir eine dritte Lösung:Alles kommt nach Friedberg. – Ich will damit nur sagen: Herr Justizminister, Herr Innenminister, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Union: Das war kein strukturelles Verwaltungshandeln.

(Beifall bei der FDP, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Sie haben damit nicht gerade den Schönheitspreis der Operation „Wir regieren dieses Land hundertprozentig sauber“ gewonnen.Trotzdem sagen wir: Okay, wir gucken uns das noch einmal an. Ob das nun letztlich in Friedberg oder in Gießen ist,ist von der Bürgernähe her relativ egal. Sie sollten sich aber nicht hierhin stellen und so tun, als ob das alles gottgegeben so gemacht werden müsste. Erstens war es nicht gottgegeben.

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Der Rechnungshof hat etwas anderes vorgeschlagen. Zum Zweiten war es handwerklich – ein gemeinsamer Freund von uns, Herr Innenminister, würde sagen – suboptimal organisiert.

Zweiter Punkt. Gerichtstage. Ich weiß, dass der Präsident des Landesarbeitsgerichtes, Herr Dr. Koch, schon seit einiger Zeit vorschlägt,die Gerichtstage aufzulösen.Es lässt sich darüber streiten, ob die Begründung von mir und von der Kollegin Beer als der Fachsprecherin als überzeugend empfunden worden ist. Ich könnte mir vorstellen, dass es immer noch günstiger ist, wenn ein Richter reist, als wenn 25 Anwälte oder Parteien reisen. Aber wenn man Gerichtsstandorte hat und keine detachierten Sitzungen haben möchte, kann ich das nachvollziehen.

Auch hier ist ein Widerspruch aufzudecken, Herr Justizminister. Bei den Amtsgerichten soll es jetzt Gerichtstage geben, jedenfalls bei dem einen oder anderen aufzulösenden Gericht. Das finde ich – von der Logik gesehen – ein bisschen befremdlich. Entweder sind Gerichtstage immer schlecht, oder sie sind es nicht, aber sie sind nicht nur schlecht bei den Arbeitsgerichten und bei den Amtsgerichten. Wir werden in den Ausschussberatungen noch einmal darauf hinweisen, dass wir das suboptimal gelöst finden.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Drittens. Große Unterstützung gibt es von uns bei der Zusammenführung der Kataster- und der Flurbereinigungsbehörden. Das ist schon in der letzten Legislaturperiode von uns angedacht worden. Staatsminister a. D. Dieter Posch hat das für seinen Geschäftsbereich schon deutlich nach vorne gebracht. Wir Liberale haben vorgeschlagen, dass das kreisbezogen gemacht wird. Sie wollen eine noch

viel engere Lösung und sagen, es sollen nur noch sieben Ämter in ganz Hessen sein. Auch da werden wir nachfragen, ob das der Weisheit letzter Schluss ist.

Ob es der Weisheit letzter Schluss ist, diese Behörde auch noch mit den Grundbuchämtern zusammenzulegen, das stelle ich für die FDP-Fraktion ausdrücklich infrage. Natürlich ist es klug, alles, was mit Grundstücken zu tun hat, in einer Behörde zu organisieren, aber bei der Verschiedenheit der zwei betroffenen Gewalten, der Exekutive und der Judikative, glaube ich, dass das auch angesichts der zu erwartenden organisatorischen Probleme zu überdenken ist. Ich weiß, die FDP-Fraktion hat diese Zusammenlegung in ihrem Wahlprogramm ausdrücklich befürwortet.Aber wir haben uns mit dem Problem noch einmal auseinander gesetzt. Kollegin Beer hat in BadenWürttemberg und in Rheinland-Pfalz die entsprechenden Modellbehörden besucht. Über ihre dabei gewonnenen Erkenntnisse sollten wir noch einmal reden.

Der vierte Punkt ist die Schließung bzw. Verlagerung einer Abteilung der Verwaltungsfachhochschule Wiesbaden. Das ist einfach nur vernünftig. Man kann nichts dagegen sagen. Das sollte so sein, und das muss so sein. Damit wird auch Geld gespart.Das hat etwas mit dem zu tun, was wir Liberale in unserem 45-Punkte-Programm gefordert haben,nämlich dass die Behörden,wenn möglich,aus den zentralen Lagen der Großstädte verlegt werden, in diesem Falle nach Mühlheim. Das spart schon allein bei den Kosten für die Gebäude viel Geld.

Der letzte Punkt betrifft das Hessische Dienstleistungszentrum für Landwirtschaft, Gartenbau und Naturschutz und dessen Auflösung. Ich muss gestehen, ganz persönlich begrüße ich das sehr, weil ich allein schon mit dem Wort und mit der Abkürzung HDLGN meine Schwierigkeiten habe. Wir werden in den Ausschussberatungen aber sehr gezielt nachfragen,warum nicht der eine oder andere Aufgabenbereich des HDLGN privatisiert wurde. Wir haben eben am Rande schon darüber diskutiert, dass es Vorstellungen auch aus der gemeinsamen Regierungszeit gab, manche Aufgabenbereiche nicht nur gemäß dem Subsidiaritätsprinzip nachgeordneten Behörden zu übertragen, sondern voll und ganz zu privatisieren.

Das heißt, wir gehen ergebnisoffen, wie es im EU-Sprachgebrauch heißt, in die Verhandlungen der Ausschüsse.Wir sind vom Grundsatz her dafür, dass die Verwaltung schlanker und effizienter wird. Man muss es aber handwerklich korrekt machen.

Lassen Sie mich ein Letztes sagen. Ich beantrage hiermit, dass der Ausschuss für Umwelt, ländlichen Raum und Verbraucherschutz in die Beratungen einbezogen wird, weil eine Reihe von Themen,wie Sie eben gemerkt haben, nichts mit dem Geschäftsbereich von Herrn Innenminister Bouffier, sondern schlicht und ergreifend mit dem Geschäftsbereich des Umweltministers, der meinen klugen Ausführungen zu dem Punkt leider nicht folgen konnte, zu tun hat. Ich schätze, er wird das im Ausschuss vom Herrn Kollegen Heidel, dem Ausschussvorsitzenden, zu hören bekommen.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort hat Frau Kollegin Hofmann für die Fraktion der SPD.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte auf zwei Punkte des Gesetzentwurfs näher eingehen, zum einen auf die Schließung von Amtsgerichten, zum anderen auf die so genannten hohen Managementbehörden.

Sie wollen ohne nachvollziehbares Konzept oder eine entsprechend belastbare Kosten-Nutzen-Analyse acht Amtsgerichte auflösen und vier weitere zu Zweigstellen machen. Sie haben die letzten zehn Monate nicht genutzt, Kritikpunkte oder Mängel, auf die Sie hingewiesen worden sind, auszumerzen, und verschanzen sich politisch immer noch hinter dem Bericht des Landesrechnungshofs.

Das Amtsgericht Bad Vilbel ist als Beispiel bereits genannt worden. Auch das Amtsgericht Bad Arolsen, das auf der Abschussliste des Landesrechnungshofs steht, bleibt Gott sei Dank erst einmal von Schließung verschont.

Ich möchte noch einmal darauf hinweisen,dass dieser Gesetzentwurf mit sehr heißer Nadel gestrickt worden ist. Das sieht man daran, dass aus Wald-Michelbach – man muss sich bei den Odenwäldern fast entschuldigen – „Wald-Michelbuch“ wird, an einer Stelle die Nummerierung falsch ist und die Zuständigkeit für die Stadt Lich in Ihrem Entwurf gänzlich unter den Tisch fällt.

Stichpunkt Kosten-Nutzen-Analyse. Sie wissen selbst ganz genau, dass die Gebäude der meisten Amtsgerichte, die jetzt geschlossen werden sollen, z. B. Hochheim oder Witzenhausen, unter Denkmalschutz stehen und damit faktisch unveräußerbar sind.

(Widerspruch der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Herr Justizminister, das konnte uns auch der Präsident des Landesrechnungshofs im Ausschuss nicht erklären – –

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Frau Wagner, wir haben das im Ausschuss dezidiert nachgefragt. Man konnte uns nicht erklären, welcher Kaufpreis für diese Immobilien zu erzielen ist.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Das ist etwas anderes!)

Ich frage mich:Was passiert denn mit diesen Liegenschaften? Wie unausgegoren Ihre Überlegungen sind, die Standorte zusammenzuführen, zeigt sich daran, dass Sie Amtsgerichte erst dem einen Landgerichtsbezirk zugeschustert haben und dann dem anderen, wie z. B. im Fall des Amtsgerichts Butzbach, aber auch im Fall des Amtsgerichts Hochheim. Sie rühmen sich jetzt, dass Sie besonders klug gewesen seien und „nachjustiert“ hätten.Für mich ist völlig unverständlich, was Sie für ein Verständnis von Regierungs- bzw.Verwaltungshandeln haben.

(Beifall bei der SPD)

Für Sie haben auch die regionalen Besonderheiten keine Rolle gespielt. Es hat z. B. keine Rolle gespielt, dass beim Amtsgericht Witzenhausen pro Jahr rund 300 Betreuungsverfahren anhängig sind und dass die zuständigen Richter für mündliche Anhörungen sehr weite Wege auf sich nehmen müssen. Eschwege liegt z. B. 29 km von diesem Gericht entfernt.Außerdem hat das Amtsgericht Witzenhausen erst im Juli 2004 das elektronische Grundbuch erhalten. Das sind doch Investitionen, die jetzt für die Katz und schlichtweg in den Wind geschossen worden sind.

(Beifall bei der SPD)

Ihre Schließungsgedanken gehen von der Annahme aus – ich darf aus der Gesetzesbegründung zitieren –, dass in den letzten Jahrzehnten verbesserte Verkehrsanbindungen für die Bürger und die Rechtsvertreter entstanden seien. Es ist unbestritten, dass die Mobilität der Bürgerinnen und Bürger in Hessen zugenommen hat, gerade was den PKW-Verkehr angeht. Das ist auch gut so. Aber wir wissen doch, dass es in den ländlichen Regionen auch aufgrund der defizitären Haushalte der Kommunen ganz anders aussieht und dass die hessischen Bürgerinnen und Bürger viel längere und teurere Wege zurücklegen müssen, um zu ihrem Recht zu kommen, als das jetzt der Fall ist.

(Beifall bei der SPD)

Herr Haselbach, ich verstehe nicht – Sie könnten ruhig einmal zuhören –, in welcher Welt Sie leben, wenn Sie sagen, es sei doch selbstverständlich, dass man derartige Verwaltungsstrukturreformen nicht gegen die Mitarbeiter, sondern mit ihnen umsetze. Was haben Sie denn gemacht? Sie haben die betroffenen Direktoren der Amtsgerichte und die Bediensteten vor Ort aus der Presse darüber informiert, dass ihr Amtsgericht geschlossen wird. Bestenfalls flatterte parallel zu der Pressemeldung eine EMail ein. Bedeutet das bei Ihnen Beteiligung oder Absprache, oder Mitbestimmung?

Ich weiß nicht, in welchen Behörden Sie waren, Herr Haselbach. Ich kenne keinen, der sagen kann, es sei ihm eine besondere Freude, für das Land Hessen zu arbeiten. Natürlich sind die meisten froh darüber, dass sie einen einigermaßen sicheren Arbeitsplatz haben. Aber die Motivation in den Amtsstuben, insbesondere auch bei den Amtsgerichten, ist im Moment denkbar schlecht: Denken Sie nur an die Einführung von SAP,die Verlängerung der Wochenarbeitszeit und die Streichung des Weihnachts- und Urlaubsgelds. Schauen Sie sich um, wie es in den Amtsstuben tatsächlich aussieht. Es gehört zu Ihrem Job, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres Landes auch in einer schwierigen Haushaltslage zu motivieren.

(Beifall bei der SPD)

Ihre Redezeit ist zu Ende, Frau Kollegin.

Ich möchte noch auf einen Punkt zu sprechen kommen.

Nein, ich habe Sie schon eine Minute länger reden lassen. Ich gebe Ihnen nur noch für einen Schlusssatz das Wort.

Es klingt natürlich sehr gut, Herr Bouffier, was Sie eben gesagt haben: alles in einer Hand, Grundbuch und Katasterwesen. Sie verkennen oder ignorieren dabei, dass es schon heute rechtlich zulässig und technisch möglich ist, dass das elektronische Liegenschaftskataster mit dem elektronischen Grundbuch vernetzt wird, und dass es einen entsprechenden Kabinettsbeschluss gibt, hier eine Schnittstellenlösung zu schaffen.

Frau Kollegin, bitte, es geht wirklich nicht mehr.

Mein letzter Satz: Die Fachwelt und auch der Justizminister wissen ganz genau, dass das, was Sie im Moment planen und was auf Bundesebene Gott sei Dank erst einmal gestoppt worden ist, absoluter Murks ist.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es liegt hierzu keine weitere Wortmeldung vor. Dann stelle ich fest, dass die erste Lesung durchgeführt worden ist.

Es ist vereinbart, den Gesetzentwurf zur Vorbereitung einer zweiten Lesung dem Innenausschuss zu überweisen, begleitend dem Ausschuss für Umwelt, ländlichen Raum und Verbraucherschutz.

(Wortmeldung des Abg. Reinhard Kahl (SPD))

Herr Kollege Kahl.

Herr Präsident! Wir beantragen, dass der Innenausschuss federführend für diesen Gesetzentwurf zuständig ist und der Rechtsausschuss, der Umweltausschuss, der Wirtschaftsausschuss und der Sozialpolitische Ausschuss an den Beratungen beteiligt werden.