Wir können zwar mit Gesetzen dafür sorgen, dass im öffentlichen Dienst kein Platz für Islamisten ist. Aber im Alltag müssen wir fordern, dass das Gesetz der gegenseitigen Toleranz von beiden Seiten anerkannt wird.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Herr Wagner,das Urteil des Staatsgerichtshofs ist eines sicher nicht: ein Erfolg für die CDU.
(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Jetzt sind wir aber gespannt! – Zuruf des Abg. Axel Wintermeyer (CDU))
Es hat nämlich gerade nicht entschieden, dass ein isoliertes Kopftuchverbot in Hessen verfassungsgemäß ist. Im Gegenteil,es hat diese Frage offengelassen.Vielleicht hätten Sie das Urteil einmal lesen sollen.
Ob auch das Tragen eines Kopftuches islamischer Provenienz in den Schutzbereich des Grundrechts der Glaubensfreiheit fällt und vom Verbot des § 86 Abs.3 Sätze 1 und 2 Hessisches Schulgesetz umfasst ist, bedarf hier indes keiner Entscheidung. Der Staatsgerichtshof entscheidet im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle nicht über die Frage, welche Kleidungsstücke, Symbole und andere Merkmale nach § 86 Abs. 3 Hessisches Schulgesetz (...) nicht verwendet oder getragen werden dürfen.... Denn die konkrete Auslegung des einfachen Rechts ist zuvörderst Aufgabe der Behörden und Fachgerichte (...).
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Haben Sie jetzt gewonnen, oder haben Sie nicht gewonnen, Frau Faeser?)
Diese Begründung vermag jedoch nicht zu überzeugen. Denn das Gesetz zur staatlichen Neutralität hat sich in der Begründung ausdrücklich auf eine gesetzliche Grundlage für ein Kopftuchverbot bezogen. Ich darf an dieser Stelle den ehemaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden und heutigen Bundesverteidigungsminister zitieren, der in der Plenardebatte in diesem Haus am 7.Oktober 2004 gesagt hat, dass der Hessische Landtag über das sogenannte Kopftuchgesetz entscheide.
Herr Wagner, angesichts dieser Begleitumstände ist es in der Tat nicht nachvollziehbar, dass der Hessische Staatsgerichtshof die Frage des einseitigen Verbots eines Kopftuchs überhaupt nicht geprüft hat. Wir halten das für einen Fehler, weil ein einseitiges Verbot des Kopftuchs in der Tat nicht verfassungsgemäß ist. Hier wäre eine klare Aussage des Staatsgerichtshofs wünschenswert gewesen.
Damit befinden wir uns in guter Gesellschaft. Denn fünf der elf Mitglieder des Staatsgerichtshofs teilen unsere Auffassung,
dass die Regelungen im Schulgesetz und im Beamtengesetz so nicht hätten verabschiedet werden dürfen. Ich will jetzt nicht darüber mutmaßen, warum die Mehrheit des Staatsgerichtshofs keine eindeutige Sachentscheidung
(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Die anderen auch! – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das gilt für die anderen aber auch!)
zugunsten der allgemeinen Gleichbehandlung von Symbolen und Merkmalen getroffen hat. Herr Hahn, es ist aber festzustellen, dass entgegen der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in Hessen nach wie vor weder Rechtsklarheit noch Rechtssicherheit für den Einzelfall besteht.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum Kopftuch im Jahre 2003 ausdrücklich eine landesgesetzliche Grundlage für das Tragen von religiösen und weltanschaulichen Symbolen gefordert.
Das sollte gerade nicht der Schulverwaltung in einer Einzelfallentscheidung überlassen werden. Dies aber hat die knappe Mehrheit des Staatsgerichtshofs nicht beachtet, indem Sie die künftigen Einzelfälle von der untersten Ebene entscheiden und den Bestand von anderen Gerichten überprüfen lassen will.
Meine Damen und Herren von der CDU, es besteht also kein Grund, sich heute hierhin zu stellen und so zu tun, als sei die Entscheidung des Staatsgerichtshofs ein Erfolg für Sie.
Ich kann Ihnen sagen, was das heute ist. Mit dieser Aktuellen Stunde betreiben Sie wieder einmal gesellschaftspolitische Spaltung, indem Sie einseitig das Kopftuch ablehnen.
(Beifall bei der SPD – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Ah! – Michael Boddenberg (CDU): Machen Sie sich keine Sorge, Frau Kollegin!)
Herr Boddenberg, Sie können mir ja sagen, wie Sie es sich erklären, dass hier Herr Wagner einseitig das Tragen von Kopftüchern den Beamten verbieten will,aber gleichzeitig vor wenigen Wochen in der „Frankfurter Rundschau“ zum Entsetzen der eigenen Kultusministerin Kruzifixe für alle Klassenzimmer und alle Amtsstuben gefordert hat.Was ist das denn sonst?
Die SPD hat sich immer dafür ausgesprochen, dass sich Lehrerinnen und Lehrer weltanschaulich und religiös neutral verhalten sollen.
Deswegen wollen wir auch nicht, dass Lehrerinnen ein Kopftuch oder andere religiöse Symbole im Unterricht tragen. Das gebietet die staatliche Neutralitätspflicht.
Zum anderen resultiert es aus der negativen Religionsfreiheit der Schülerinnen und Schüler und der Lehrer.
Im Übrigen differenzieren weder Sie noch Herr Wagner – Sie sollten vielleicht zuhören –,noch die knappe Mehrheit des Staatsgerichtshofs zwischen der allgemeinen inneren Verwaltung und dem staatlichen Bildungsauftrag von Schulen oder anderen Bereichen staatlichen Handelns. Das wäre hier eigentlich vonnöten gewesen.Was bleibt,ist eine einseitige Privilegierung religiöser Symbole oder Kleidungsmerkmale abendländischer oder christlicher Herkunft gegenüber religiösen Kleidungsmerkmalen anderer Kulturen. Das ist und bleibt unzulässig.
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. So hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung von 2003 verlangt, dass die strikte Gleichbehandlung der verschiedenen Glaubensrichtungen beachtet werden muss. Diese Vorgaben erfüllt Ihr Gesetzentwurf nach wie vor nicht und Ihre heutige Rede allemal nicht.