Protocol of the Session on March 29, 2007

Wir brauchen niedrigschwellige Hilfen und eine bessere Vernetzung aller beteiligten Akteure. Da sind wir alle einer Meinung.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Kordula Schulz- Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die Meinungen unterscheiden sich, wenn es um das geht, wo Sie Mittel gestrichen haben.Ich meine die Erziehungsund Beratungsstellen. Deren Hilfe muss wirklich zeitnah zur Verfügung stehen. Da darf es keine wochenlangen Wartezeiten geben. Die Wartezeit dauert gegenwärtig bis zu sechs Monate.

(Zuruf der Ministerin Silke Lautenschläger)

Nein, die Eltern würden da nicht hingehen.Aber die Jugendämter vermitteln das.

Wir brauchen dringend mehr Betreuungsplätze, insbesondere für Kinder unter drei Jahren, um Familien, in denen es Belastungen gibt und in denen die Eltern gestresst sind, unterstützen zu können

(Beifall bei der SPD)

oder um zu erreichen, dass ganz normale Familien überhaupt nicht mehr in diese Stresssituation hineinkommen.

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen viel mehr zugehende Familienhilfen.Das ist heute in der gesamten Presse und im Rundfunk zu erfahren gewesen. Die Kritik ist sehr laut geworden. Wir brauchen mehr zugehende Familienhilfe für Risikofamilien, die überwiegend isoliert und ohne nachbarschaftliche Kontakte leben, in alltäglicher Tristesse, Armut, Arbeitslosigkeit, Ausweglosigkeit, die schlicht nicht in der Lage sind, ihre Kinder wenigstens minimal, geschweige denn liebevoll und gut zu versorgen. Hebammen könnten die sehr nahe und vertrauensvolle Beziehung zu den Eltern länger als bisher aufrechterhalten und die Eltern in ihrer Erziehungskompetenz, in ihrer Unsicherheit unterstützen, wenn ein Kind einfach nur permanent schreit. Familienhelfer sollten in jeder Kommune Neugeborene, und zwar alle Neugeborenen,begrüßen und den jungen Eltern Möglichkeiten vor Ort vorstellen: Einrichtung oder Beratung über Hilfen.

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

ja, ich werde mich beeilen, entschuldigen Sie bitte – und Kontaktmöglichkeiten mit anderen Eltern. Polizeikommissariate,angelehnt an das Polizeikommissariat in Berlin – hier sind nicht mehr Fälle passiert, sondern hier ist das Dunkelfeld aufgehellt worden. Das ist wichtig. Hier sind Kinder erreicht worden.

Meine Damen und Herren, eines vielleicht zum Schluss. Ich habe immer Probleme damit gehabt, wenn in den Medien über diese Fälle teilweise auch sehr reißerisch berichtet wurde. Mittlerweile bin ich anderer Meinung. Es ist eine Sensibilität geschaffen worden. Durch die Betroffenheit auch der Fernsehzuschauer und Leser ist vielleicht auch mehr Mut gekommen. Couragierte Nachbarn haben tatsächlich einmal zum Telefonhörer gegriffen, wenn im Nachbarhaus vielleicht etwas nicht in Ordnung war.

Frau Kollegin.

Ich bin, ohne Schuld zuzuweisen, der Meinung, dass es das Wichtigste ist, was wir schaffen können, dass die Bevölkerung wirklich aufmerksam ist. Ich glaube, dem kleinen Mädchen in Waldeck-Frankenberg hätte es auch geholfen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der FDP hat Herr Kollege Rentsch das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann da weitermachen, wo die Vorrednerin aufgehört hat. Ich glaube, dass dieses Thema, wenn Sie die Zeitungen in den letzten Wochen gelesen, wenn Sie sich darüber unterhalten haben, weiß Gott eines ist, das die Öffentlichkeit beschäftigen muss. Ich teile das. Ich glaube auch, es ist wichtig, dass die Öffentlichkeit darüber diskutiert. Mittlerweile ist die Sensibilität Gott sei Dank gestiegen. Das müssen wir sagen.

Es ist keine private Sache mehr, wenn Kinder in verwahrlosten Situationen und Verhältnissen aufwachsen müssen, wenn sie vernachlässigt werden. Wenn sozusagen weiterhin Leib und Leben dieser Kinder bedroht sind, dann ist das eine öffentliche Frage. Es ist eine Frage für die Justiz. Es ist auch eine Frage, wie diese Gesellschaft mit diesen Kindern umgeht und welche Mechanismen wir implementieren können, um diesen Kindern zu helfen.

Wenn Sie die Zeitungen in den letzten Wochen gelesen haben – das haben Sie mit Sicherheit –, kennen Sie verschiedene Fälle von Marcel bis Chiaro und ein namenloses Kind, worüber man in der Zeitung lesen konnte und von dem zu lesen war, dass es ein in einer Plastiktüte gefundener Säugling war.

Die Mutter,die ihn abgelegt hat,hat gesagt,das Kind habe gelebt, als sie es in der Plastiktüte abgelegt hat. In welcher Situation müssen Menschen sein, die solche Taten vollbringen? Wie verzweifelt müssen sie auf der einen Seite sein? Auf der anderen Seite: Was ist das für eine Gesellschaft, die in vielen Fällen bei solchen wirklichen Straftaten nicht hinschaut? Ich glaube, dass es richtig ist, dass wir dieses Thema hier aufnehmen und darüber diskutieren, wie wir Lösungsansätze in der politischen Landschaft implementieren können.

Als ich das letzte Beispiel und das, was die Mutter dazu gesagt hat, gelesen habe – es gibt dazu einen Bericht in einer südhessischen Zeitung –, habe ich mich gefragt, ob überhaupt staatliche Mechanismen der Überprüfung ausreichen, um solche Fälle zu verhindern. Ich glaube, die Antwort ist schwer. Aber wir müssen auch konstatieren: Wir werden nicht alle diese Fälle verhindern können.

Es ist immer das Problem, dass vieles im privaten Bereich stattfindet, und der Staat muss abwägen zwischen dem, was er als Kontrolle implementiert auf der einen Seite und wie viel Eigenverantwortung man den Menschen und Eltern überlässt auf der anderen Seite. Ich habe vorhin in der anderen Debatte gesagt – das möchte ich hier bestätigen –: Es ist nicht nur das Recht der Eltern, ihre Kinder zu erziehen, es ist auch ihre Pflicht, ihre Kinder zu erziehen.

(Beifall bei der FDP)

Ich glaube auch, dass dieser Satz einfach ausgesprochen ist und wir in der Realität häufig erleben, dass das in vielen Fällen nicht so ausgeübt wird, wie wir uns das als Gesellschaft vorstellen und wünschen würden, und dass es in solchen Fällen gipfelt, wie wir ihn hier haben, nämlich in justiziablen Vorgängen.

Meine Damen und Herren, ich will drei konkrete Punkte herausgreifen, bei denen ich glaube, dass wir Verbesserung brauchen.Wir haben lange – auch bei uns in der Partei – darüber diskutiert,ob es richtig ist,dass wir U-Untersuchungen verpflichtend machen. Die Ministerin ist in diesem Bereich vorgeprescht, so will ich es einmal nennen. Sie hat gesagt, sie möchte das gerne. Ich muss mittlerweile sagen: Ich halte es für eine Möglichkeit, um das Netz für die Eltern aus zwei Gründen enger zu ziehen,was gesundheitspolitisch angebracht ist. Man kann in diesem Alter viele Erkrankungen, wenn man sie früh genug entdeckt, behandeln und beheben. Das müssen wir als Gesellschaft angehen.

Wir haben auf der anderen Seite dann die Möglichkeit, dass bei Eltern, die eben nicht an den U-Untersuchungen teilnehmen, über aufsuchende Jugendhilfe nachgeschaut wird:Was sind denn die Gründe, warum diese Eltern nicht teilnehmen?

Genauso richtig ist es, dass wir über die Frage diskutieren, wie wir Elternkompetenz in diesem Bereich stärken können.

(Beifall bei der FDP)

Ich teile das, was die Vorrednerin gesagt hat. Natürlich geht es auch darum, dass es ein Angebot für Eltern geben muss, wie man mit problematischen Situationen im Bereich der Familie mit Kindern umgeht.Es ist oft keine einfache Situation, wenn man sie zum ersten Mal erlebt, sich zum ersten Mal mit einer Situation auseinandersetzen muss, die noch nicht da gewesen ist. Ich glaube, dass man Elternkompetenz stärken kann. Da hat das Land eine Verantwortung,Angebote darzustellen.

Dritter Punkt. Ich glaube, dass vieles im freiwilligen Bereich stattfinden kann. Es gibt viele Projekte. Das vergisst man bei solchen Debatten leider. Es gibt viele Projekte auch in Hessen, die sich im Bereich des Ehrenamtes engagieren und sehr gute Ergebnisse haben. Sie kennen das Projekt „Children’s Angel“, wo sich ältere Menschen, Omas und Opas – das wird im CDU-Antrag begrüßt –,um Eltern und Kinder kümmern. Das sind gute Projekte, wo man Know-how weitergeben kann. Das ist völlig richtig. Wir werden es ehrlicherweise nicht schaffen, dieses Thema komplett staatlich zu lösen.

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Meine Damen und Herren,wir müssen zwei Sachen tun.Wir müssen das Netz enger machen.Wir müssen sozusagen Angebote schaffen. Aber wir dürfen uns in dieser Debatte nicht der Illusion aussetzen, dass wir, wenn sich der Staat in diesen Bereichen mehr engagiert und anstrengt – was ich für richtig halte –, dieses Problem komplett aus der Welt schaffen.

Es wird auf diese Gesellschaft ankommen, ob sie diese Fälle aufmerksam aufnimmt und sozusagen diskutiert, ob sie schaut, wo problematische Situationen sind, und sich im Wege der Zivilcourage einsetzt. Natürlich ist es ein Fall, wenn man z. B. merkt, dass ein Kind lange schreit, man es lange nicht gesehen hat und weiß, dass dort Vernachlässigung stattfindet, dass man im Rahmen der Zivilcourage eintreten muss. Ich glaube, da ist diese Gesellschaft insgesamt gefordert und nicht nur der Hessische Landtag. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Frau Staatsministerin Lautenschläger hat das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Hessische Landesregierung setzt sich für den Schutz von Kindern unter dem Oberbegriff „Acht geben, schützen, helfen“ ein. Wir haben bereits im vergangenen Jahr eine Maßnahmenkette zum Kinderschutz in Hessen vorgestellt. Denn, wie es heute in diesem Haus mehrfach debattiert wurde, rund 60 % der Kinder, die misshandelt oder tot aufgefunden werden,sind jünger als drei Jahre.In unserer Anhörung im Landtag wurde noch einmal sehr deutlich, dass gerade die Kleinsten der größten Gefahr ausgesetzt sind.

Wir diskutieren heute wieder sehr aktuell, weil in den vergangenen Tagen ein weiterer Fall von Kindesmisshandlung in Hessen stattgefunden hat, auch über das Thema verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen. Ich sage klar, wir hätten uns als Landesregierung erhofft, dass der Bund schon ein Gesetz auf den Weg gebracht hätte, damit eine einheitliche Regelung für alle Kinder gilt – egal, ob sie über Grenzregionen innerhalb von Deutschland wechseln oder in einem Bundesland bleiben. So werden wir mit unseren Mitteln eine eigene Gesetzgebung vornehmen.

Der weitere Punkt ist – das will ich verdeutlichen –: Selbstverständlich ist es richtig, was der Kollege Rentsch gesagt hat. Die verpflichtende Vorsorgeuntersuchung ist ein Baustein. Es ist insgesamt eine Maßnahmenkette, um die es geht, auf die wir aufbauen, von der die Kollegin Ravensburg einige Teile genannt hat.Es geht darum,dass wir weiter vernetzen, dass wir auch Menschen die Augen unter dem Stichpunkt „aufeinander Acht geben in einer Gesellschaft“ öffnen, dass jeder tatsächlich durch diese Fälle, die öffentlich geworden sind, wieder anders hinschaut.

Wir haben auch die Weiterbildung im Bereich der Familienhebammen in diesem Jahr auf den Weg gebracht. Wir haben Aufklärungsmaterial für Familien zur Verfügung gestellt, den Elternratgeber, der in verschiedenen Sprachen in Zusammenarbeit mit der Stiftung Lesen gedruckt wurde, und einen reißenden Absatz besonders in Kinderund Frauenarztpraxen findet, weil wir durch diesen neuen Ratgeber die Chance haben, ausländische Eltern erstmals

besser zu erreichen und sie auf Angebote aufmerksam zu machen, damit sie wissen, dass Vorsorgeuntersuchungen im Krankenversicherungsschutz kostenlos inbegriffen sind.

Wir haben auch den Leitfaden für Ärzte neu aufgelegt, weil selbstverständlich bei der Weiterbildung mit der Landesärztekammer für das Erkennen in diesem Bereich dazugehört, dass Ärzte Mangelerscheinungen erkennen und sich in diesem Bereich fortbilden. Die Fortbildung von Ärzten und Hebammen, die Vernetzung von Projekten, frühe Prävention bei Schwangeren und Suchtmittelabhängigen – all das sind Bereiche, in denen wir uns heute schon bewegen. Zu denen gehören weiterhin Hilfsprojekte wie „Keiner fällt durchs Netz“ – das jetzt auf einen weiteren Landkreis ausgedehnt wird, um die vielen unterschiedlichen Institutionen vernünftig miteinander zu vernetzen –, das Zusammenarbeiten von Ärzten über Jugendämter, Sozialämter, Polizei und viele vor Ort, die im Bereich der freien Träger in diesem Feld tätig sind.

Es ist eine große Maßnahmenkette. Es gehören alle Bausteine mit dazu; denn natürlich ist das Ehrenamt wie beispielsweise im Werra-Meißner-Kreis mit dem Projekt „Welcome“ genauso eine Stütze für Familien, die überlastet sind, wie an anderen Stellen die Beratungsangebote und die Fortbildungen der Jugendämter.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich denke, in diesem Haus besteht ein großer Konsens darüber,dass wir weiter die Öffentlichkeit sensibilisieren müssen, auch über eine Plakatkampagne, die wir in diesem Jahr noch vor uns haben. Wir haben in einem großen Konsens im Landtag festgestellt, dass diese notwendig ist – was im Übrigen auch im Rahmen der Anhörung deutlich wurde –, damit dort, wo Misshandlung stattfindet, hingeschaut und angezeigt wird und man sich nicht als Denunziant fühlt, sondern als hilfreicher Nachbar, der tatsächlich zum Schutz von Kindern beiträgt. Auch das ist etwas, was sich im Denken an vielen Stellen verändern muss. Hier gehört meines Erachtens die Verpflichtung zur Vorsorge genauso mit dazu.

Unser Ziel ist es, mit den Kassen weiter darüber zu verhandeln, damit das Netz der Untersuchungen dichter wird. Ein Teil der Betriebskrankenkassen hat bereits eine weitere U-Untersuchung für Dreijährige eingeführt. Der Gemeinsame Bundesausschuss befasst sich derzeit damit. Sollte er nicht zu einem Ergebnis kommen, so teile ich die Auffassung, dass wir eine eigene Vorsorge in diesem Bereich einrichten sollten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Wir sollten jedoch die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses abwarten, weil es auch aus gesundheitlichen Aspekten verschiedener Art sinnvoll ist und letztlich Kosten im Gesundheitswesen spart, wenn Kinder regelmäßig untersucht werden. Deshalb gehört das nach meiner festen Überzeugung zu den normalen Untersuchungen, die bereits heute stattfinden. Wenn das nicht erreicht werden kann, stimme ich dem zu, dass wir zusätzlich eigene Vorsorge für dreijährige Kinder benötigen und einführen sollten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Frau Ministerin, die Redezeit der Fraktionen ist verstrichen.

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Ich hoffe, wir können bei diesem Thema weiter gemeinsam als Landtag nach außen deutlich machen, dass wir den Schutz der Kinder in der Güterabwägung an erster Stelle sehen und dass mit der Verpflichtung zur Vorsorgeuntersuchung ein weiterer Baustein hinzukommt, der zwar nicht alles ausräumt, aber die Kette ein bisschen dichter macht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank. – Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich nehme an, dass der Dringliche Antrag mit überwiesen werden kann.