Protocol of the Session on March 29, 2007

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau von der Leyen hat recht, aber sie hat die Debatte nicht erfunden. Sie hat das Thema glücklicherweise endlich auch in konservativen Kreisen diskussionsfähig gemacht. Deswegen sollten Sie nicht versuchen, hier neue Mauern aufzubauen.

Meine Damen und Herren, selbstverständlich haben weder die Politik noch der Staat das Recht, den Menschen vorzuschreiben, wie sie zu leben haben. Dann darf der Staat aber auch nicht bestimmte Formen des Zusammenlebens privilegieren, wie er es mit dem Ehegattensplitting tut. Aufgabe des Staates ist es, familien- und kinderfreundliche Rahmenbedingungen zu schaffen und wenn, dann das Vorhandensein von Kindern und nicht die Lebensweise der Eltern zu subventionieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn sich rund 80 % der jungen Männer und Frauen heute Kinder wünschen, aber immer weniger Kinder geboren werden, ist das ein Zeichen dafür, dass die Rahmenbedingungen nicht stimmen, die die Entscheidung für Kinder positiv beeinflussen. Ob eine Familie ihre Kinder selbst zu Hause betreut oder von einer Tagesmutter oder in einer Krippe betreuen lässt, muss ihre eigene Entscheidung bleiben. Der Staat kann darüber informieren und beraten. Er kann Plätze zur Verfügung stellen.Aber er hat sich nicht darin einzumischen, wofür sich die Eltern entscheiden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn es – das ist Teil der Realität hier in Hessen – nicht ausreichend Betreuungsplätze gibt, gibt es auch keine Wahlfreiheit für Eltern. Das ist die Realität. Das ist der Punkt, über den wir hier und heute reden. Es kommt darauf an, diese Rahmenbedingungen zu verbessern und die Betreuungsplätze endlich zügig auszubauen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auf der Tagesordnung steht deshalb die Wahlfreiheit bei den Fragen, wie man zusammenleben möchte, wie das Familieneinkommen erwirtschaftet wird und wie und von wem Kinder betreut werden. Zu dieser Wahlfreiheit gehört auch ein qualitativ hochwertiges Betreuungsangebot.

Denn Kinder – auch das sage ich noch einmal ausdrücklich in die Reihen konservativer Ex-Familienpolitiker – brauchen nicht nur ihre Eltern,sondern sie brauchen auch andere Kinder.Auch deswegen brauchen wir Betreuungsplätze und Möglichkeiten für Kinder, miteinander zu lernen.

Ob eine Mutter oder ein Vater erwerbstätig sein will oder lieber Elterngeld in Anspruch nimmt – wer wollte sich hier hinstellen und darüber richten, ob das richtig oder falsch ist? Warum soll eine Mutter, die keinen Trauschein hat, weniger wert sein als eine Mutter, die einen Trauschein hat?

Aber genau das ist es, was die Fraktion der Union im Bundestag gerade wieder durchgesetzt hat. Auch in diesem Zusammenhang wird es wieder die – man kann es so nennen – Zwei-Klassen-Mütter geben. Meine Damen und Herren, damit haben Sie in dieser familienpolitischen Debatte wirklich das falsche Zeichen gesetzt. Hier kommt Ihr altes Familienbild wieder zum Vorschein. Das erleben wir schon seit Jahrzehnten.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie stehen zu Ihrer Ideologie. Deswegen nehmen Sie die Realität nicht zur Kenntnis. Es gibt immer mehr Alleinerziehende. Die Scheidungsrate wird immer höher. Es gibt immer mehr Paare, die in Partnerschaften ohne Trauschein zusammenleben wollen.

Nun möchte ich auf die konkrete Landespolitik zu sprechen kommen. Niemand, auch die Mitglieder der Landesregierung nicht, bestreitet, dass wir in Hessen zu wenig Betreuungsplätze haben. Mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz wurde der Anfang gemacht. Aber auch das wurde am Anfang von der Landesregierung ausgebremst. Das rächt sich jetzt. Meine Damen und Herren, hätten Sie damals die Umsetzung des Gesetzes nicht blockiert und sofort damit begonnen, die Zahl der Plätze auszubauen, wären wir heute weiter.

Die CDU in Hessen musste aber zum Jagen getragen werden. Bis heute fehlt in unserem Land ein verlässliches Konzept des Landes für den Aufbau eines den Bedarf deckenden pädagogischen Betreuungsangebots.

Es gibt Umfragen,die belegen,wie viel Betreuung bei den verschiedenen Altersgruppen gewünscht wird. Im ersten Lebensjahr sind dies ungefähr 11 %. Beim zweiten Lebensjahr sind es rund 30 %. Im dritten Lebensjahr wünschen rund 50 %, also etwa die Hälfte aller Eltern, eine Betreuung für ihre Kinder. Nach dieser Umfrage fehlen zurzeit in Hessen rund 33.000 Plätze. Legt man allerdings die Quote von 35 % zugrunde, von der Frau von der Leyen ausgeht,dann fehlen sogar 41.000 Plätze für die Betreuung der Kleinkinder.

Aufgrund der auf kommunaler Ebene vorliegenden Daten, die es Dank des Tagesbetreuungsausbaugesetzes gibt, wissen wir immer genauer, welcher tatsächliche Bedarf sich abzeichnet. Herr Kollege Reißer und Frau Kollegin Lautenschläger, es ist deshalb relativ müßig, darüber zu diskutieren, ob nun Ihre Zahl, die 11,4 %, oder die des Statistischen Bundesamts mit 9,6 % stimmt. Sie schmücken sich hier mit Federn, die gar nicht die Ihren sind. Sie schmücken sich mit Federn der Kommunen. Die originären Landesmittel für die Kleinkinderbetreuung haben Sie in den letzten Jahren nicht erhöht.Sie tun hingegen immer so, als sei da Bombastisches passiert.

(Beifall der Abg. Frank-Peter Kaufmann und Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sowie der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Deswegen steht im Moment die Frage auf der Tagesordnung: Wie schaffen wir es, den tatsächlich bestehenden Bedarf an Betreuungsplätzen zu decken? – Meiner Meinung nach ist es deshalb notwendig, nachdem der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz besteht, den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz endlich in Angriff zu nehmen.

Die Kommunen bieten von der Verwaltung her alle Voraussetzungen dazu. Wir könnten den Rechtsanspruch in einzelnen Etappen sukzessive aufbauen. Das ist das Gebot der Stunde.Meine Damen und Herren,ich fordere Sie auf, sich dem anzuschließen. Wir müssen den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz umsetzen. Für jedes Kind, für das ein Platz gewünscht wird, soll es auch einen Platz geben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wohlgemerkt, das heißt nicht, dass die Eltern gezwungen werden sollen, einen solchen Platz in Anspruch zu nehmen.Vielmehr soll damit die von Ihnen so hoch beschworene Wahlfreiheit ermöglicht werden. Nur wenn es eine ausreichende Anzahl an Betreuungsplätzen gibt, können wir auch sicher sein, dass die Eltern, die es wünschen, das auch in Anspruch nehmen können.

Die Umfrage zeigt auch, dass Sie sich, damit das erreicht werden kann, langsam von der von Ihnen vorgesehenen Quote von 20 % verabschieden müssen. Nicht nur Frau von der Leyen hat das bereits getan. Sie sieht 35 % vor. Vielmehr hat sich, nicht zuletzt aufgrund der Diskussion, die wir in den letzten Monaten geführt haben, gezeigt, dass die Nachfrage steigt. Sie richtet sich eben nicht an dem Wahlprogramm der CDU aus. Vielmehr richtet sie sich nach den konkreten Bedürfnissen der Eltern und ihrer Kinder hier in Hessen.

Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen: Kinder sind lieb und teuer. Ohne ein deutliches landespolitisches Engagement, das einerseits die Finanzierung der Plätze sicherstellen muss, bei dem es andererseits aber auch um eine gute Qualität der Plätze gehen muss, werden wir in Hessen keine ausreichende Wahlfreiheit haben.

Das ist die aktuelle Situation. Die heute geführte Diskussion zeigt, dass Sie gerne darüber reden, reden und reden. Mit dem BAMBINI-Programm haben Sie den Eindruck erweckt, als würden diese Plätze sozusagen von alleine entstehen.Außerdem erwecken Sie den Eindruck, dies sei nur der Landesregierung zuzurechnen. In Wirklichkeit ist das aber nicht der Fall.

Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Ich komme zum Schluss meiner Rede. – Meine Damen und Herren, spätestens bei der Haushaltsberatung wird sich zeigen,wie ernst Sie es tatsächlich meinen,den Eltern in Hessen Wahlfreiheit zu verschaffen. Bisher zeichnet sich das nicht ab.

Ich sagte es bereits. Damit wir solche oberflächlichen Reden nicht mehr hören müssen, erwarte ich, dass Sie späte

stens zu den Haushaltsberatungen, vielleicht aber auch noch früher, einen konkreten Plan vorlegen, wie der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz und einen Betreuungsplatz für alle Kinder, deren Eltern das wünschen oder brauchen, in Hessen erreicht werden kann. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Die nächste Wortmeldung stammt von Frau Abg.Fuhrmann.Sie spricht für die Fraktion der SPD.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU – Herr Reißer –, soweit Sie im Raum sind. Ihr Antrag suggeriert, dass die Eltern in Hessen derzeit bereits die freie Wahl hinsichtlich der Kinderbetreuung hätten. Das wäre schön. Diese Wahlfreiheit ist aber nur eine – so muss ich sagen – besonders hartnäckige konservative Wahlfreiheitideologie.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael Bod- denberg (CDU):Was heißt das jetzt?)

Frau Kollegin Pauly-Bender hat das heute Morgen schon erwähnt. – Herr Kollege Boddenberg, wenn Sie zugehört hätten, wüssten Sie, dass es sich hier um ein hessisches Remake einer CDU-Position vor dem Wirken von Rita Süssmuth handelt. So sagte sie es. Das trifft auch zu.

(Beifall der Abg. Dr. Judith Pauly-Bender (SPD))

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Wenn Sie das sehen wollten, könnten Sie das sehen. Sie schließen die Augen und träumen. Herr Kollege Reißer, Sie sind damit leider von der Lebensrealität der Familien in Hessen meilenweit entfernt. Das muss ich Ihnen sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Fakt ist, dass die Kinderbetreuung in Hessen zu Beginn des 21. Jahrhunderts immer noch ein Wettlauf der Eltern gegen die Zeit ist. Die Familien verlieren diesen Wettlauf meistens, oder sie bezahlen mit vollkommener Erschöpfung.

Das gilt für die Betreuung der ganz Kleinen. Das gilt für die Kinder in den Kindertagesstätten, und das gilt auch für die Kinder in den Schulen.

Frau Ministerin, Sie haben sich bei den ganz Kleinen einen Betreuungsgrad von 11,5 % zurechtgebastelt. Ich sage Ihnen: Sie bauen damit Potemkinsche Dörfer auf. Denn Sie beziehen jeden Betreuungsplatz in der Tagespflege ein, also auch die, die nur einmal wöchentlich oder für zwei Stunden pro Woche angeboten werden. Das ist einfach unseriös.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Fakt ist: Die Ganztagsbetreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren sind völlig im Schatten. Eine junge Mutter hat mir gerade gestern erzählt, dass sie bereits im fünften Schwangerschaftsmonat mit ihrem Bildchen herumgegangen ist und ihr noch ungeborenes Kind in 18 Krippeneinrichtungen einer südhessischen Großstadt angemeldet hat. Tatsache ist, dass sie wirklich das Glück gehabt hat, mit einem Vorlauf von fünf Monaten einen Platz zu bekommen. Die meisten Mütter verhalten sich genauso, aber sie erhalten keinen Platz in einer Kindertagesstätte.

Deshalb hilft uns das ganze Schwadronieren mit der Wahlfreiheit überhaupt nicht weiter.

(Beifall bei der SPD)

Ich behaupte außerdem, dass Sie, von einigen wenigen in der CDU abgesehen, die Wahlfreiheit nicht wirklich wollen.

(Dr. Judith Pauly-Bender (SPD): Das sind einzelne Personen!)

Von einzelnen Personen abgesehen, danke schön. – Es passt nicht zu Ihrer Ideologie, dass junge Frauen kurz nach der Geburt wieder arbeiten gehen. In Ihrem Hinterkopf ist immer noch das Bild, dass die Kinder in Wirklichkeit am Anfang ihres Lebens nur bei den Müttern gut aufgehoben sind.

Die nächste Hürde für die Eltern ist dann sehr oft der Kindergarten. Da soll das Kind dann schon einen Platz in Anspruch nehmen können.

Ich möchte etwas zu den Zahlen sagen. Die rot-grüne Landesregierung hat in acht Jahren 60.000 Kindergartenplätze aufgebaut und finanziert. Herr Kollege Reißer, das sollten Sie nicht kleinreden.

In der Realität ist es so, dass wir auch in den Kindertagesstätten sehr oft nur Plätze finden, bei denen vormittags betreut wird. Manchmal bieten sie nur Plätze für den Vormittag oder den Nachmittag an. Es gibt da Zeiträume, die nicht überbrückt werden. Die Eltern, die keine Großeltern am Ort oder besonders nette Nachbarn haben, sind sehr oft immer noch aufgeschmissen.