Protocol of the Session on January 30, 2007

(Unruhe)

Ich rede weiter, wenn sich die beiden Kollegen darauf verständigt haben, leiser zu sein. – Ich bedanke mich herzlich.

(Beifall bei der SPD)

Nach dem Fall der Mauer war die Perspektive des EUBeitritts für die Länder Mittel- und Osteuropas eine wichtige Voraussetzung – oder ein wichtiges zentrales Element – für den Aufbau ihrer neuen Gesellschaftsordnung. Zur politischen Stabilität Europas gehören, trotz aller Probleme, die wir dabei zu bewältigen haben, auch die wirtschaftliche und die soziale Stabilität.

Die Errungenschaften der Europäischen Union gehören inzwischen ganz selbstverständlich zum Alltag. Das stelle ich immer wieder fest, wenn ich mich mit meinen mittlerweile erwachsenen Kindern darüber unterhalte. Bedauerlicherweise ist es so, dass Europa heute kaum noch Begeisterung weckt. Ich stimme der Landesregierung zu, wenn es in der Regierungserklärung heißt, dass es dort einiges zu tun gibt. Meine Zustimmung hat auch das Leit

motiv der Bundesregierung zur EU-Ratspräsidentschaft: „Europa gelingt gemeinsam“.

Als Nächstes ist natürlich zu fragen: Was ist da zu tun? Herr Minister, dazu gehören sicherlich Aktivitäten, wie sie in der letzten Woche bei dem europäischen Projekttag auf der Tagesordnung standen.Um Ihre Aufzählung zu ergänzen – ich finde es nett, dass Sie die EU-Beamten genannt haben –: Es war auch eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen aus dem Hessischen Landtag beteiligt. Ich selbst war in einer beruflichen Schule. Das Europainformationsbuch stieß auf großes Interesse. An die Landeszentrale für politische Bildung geht ein Dank für die gute Gestaltung. Ein Dank geht an dieser Stelle auch an die Landesvertretung in Brüssel für ihre kompetente Arbeit.

Ich sage aber auch, was an der Arbeit in Brüssel zu verbessern ist. Dafür nenne ich ein Beispiel. Die hessischen Hochschulen beklagen die geringen Erfolgsaussichten bei Anträgen nach dem jeweiligen Forschungsrahmenprogramm. Es liegt im Interesse des Landes, dies durch die Implementierung von Wissenschaftsmanagern zu verbessern. Ich denke, das ist wichtiger für die Forschung in unserem Lande und wichtiger für unsere Zukunft,als mit anderen Bundesländern in einen Wettbewerb darüber zu treten, welches Bundesland das größere Länderereignis feiert. Natürlich gehe ich davon aus, dass der Wein, den es auf dem Weinfest gab, sehr ordentlich war.

(Michael Siebel (SPD): Das ist wichtig!)

Leider konnte ich nicht daran teilnehmen, weil ich durch den Kreistag verhindert war.

In der Regierungserklärung betont der Herr Minister mehrfach, dass Europa eine große Erfolgsgeschichte sei und dass ein Europaverdruss – auch das wird mehrmals erwähnt – in Hessen nicht angesagt sei.

Natürlich ist es wichtig, die Europäische Ratspräsidentschaft zu begleiten. Es ist auch wichtig, den 25. März, den 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge, feierlich zu begehen. Dass die Landesregierung diese Ereignisse nicht sang- und klanglos verstreichen lässt, ist eigentlich selbstverständlich.

Aber die Landesregierung reduziert die Europäische Union auf Verwaltungsprobleme. Ich finde es schon mehr als bedenklich, wenn die Landesregierung Roman Herzogs Äußerungen zustimmt. Herr Kollege Häusling hat bereits darauf hingewiesen. Das, was der Altbundespräsident schreibt, nämlich Europa entmachte uns und unsere Vertreter, ist schließlich starker Tobak. Das kann man so nicht stehen lassen.

(Beifall bei der SPD)

Der Altbundespräsident sieht in einem Europäischen Verfassungsvertrag ausdrücklich keine Verbesserung. Das Horn, in das er bläst, klingt so: Europa sei ein bürokratischer Moloch, der die nationalen Parlamente entmachte und den es zurückzudrängen gelte. – Herr Minister, Sie bejubeln zwar Europa, stimmen dann aber zusammen mit Roman Herzog in die alten Kritteleien ein.

Herr Kollege Häusling hat Klaus Hänsch zitiert, den Abgeordneten der SPE und ehemaligen Präsidenten des Europäischen Parlaments. Ich möchte Ihnen ein anderes Zitat vorhalten. Es stammt von Werner Weidenfeld, der, wie wir wissen, ein eher dem konservativen Lager zuzuordnender Professor in München ist:

Werner Weidenfeld hält die Europakritik des früheren Bundespräsidenten für populistisch, seine Vorschläge zur künftigen Gestalt der EU für undemokratisch.

Herr Minister, über so etwas freuen Sie sich. Das finde ich sehr bedenklich.

Ich denke, mitunter verhilft ein Perspektivenwechsel zu ganz neuen Einsichten. Dass ein hoher Prozentsatz des deutschen Rechts von der Europäischen Union beeinflusst ist, das ist wenig überraschend; denn unter den Bedingungen der Globalisierung schrumpfen ohnehin die Einflussmöglichkeiten der Nationalstaaten. Nur ein vereinigtes Europa mit 480 Millionen Einwohnern eröffnet neue Spielräume. Das gilt für den Gesundheits- und Verbraucherschutz in der Europäischen Union, der weltweit höchstes Niveau hat. Das gilt für die Wirtschaftspolitik, das gilt vor allem für die Umwelt und den Klimaschutz. Denn Lösungen auf diesen Feldern haben sich schon lange aufgrund ihrer Problematik dem nationalen Zugriff entzogen. Sie machen Entscheidungen notwendig, die weit über die nationalen Grenzen hinausreichen. Wer etwas anderes sagt, der verkauft die Bürger, die man für Europa begeistern will, ein Stück weit für dumm.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben in Ihrer Regierungserklärung sehr viel Liebe und sehr viel Eifer den Vorschlägen der Kommission zur Weinmarktordnung gewidmet. Natürlich freut mich das als Abgeordnete aus dem Rheingau außerordentlich. Aber gerade an dieser Weinmarktordnung ist deutlich zu machen,dass Europa nur gemeinsam handeln kann.Denn es geht nicht darum, die Kommission zu bekämpfen, sondern es geht darum, den europäischen Weinbau fit zu machen für den Weltmarkt, den wir schon haben.

Herr Minister, ich würde mich freuen, wenn Sie das Papier, das Sie morgen der Kommissarin übergeben werden, endlich einmal dem Hessischen Landtag zur Kenntnis geben würden – es wird wohl kein Geheimdokument sein –; wir haben es schon mehrfach angefordert.

(Petra Fuhrmann (SPD): Das ist allerhand!)

Nun zu den Inhalten. Man kann natürlich über die Vorschläge streiten. Aber Deutschland alleine hätte keine Chance im internationalen Konzert. Wir wissen alle, dass die Europäische Union die Kompetenzen für ihre Mitgliedstaaten wahrnimmt und dafür Übertragungen von Kompetenzen der Mitgliedstaaten benötigt. Das verlangt – auch das ist nichts Neues – eine partielle Aufgabe der Souveränität.Die einheitliche Normsetzung durch die EU beflügelt den Handel in der Europäischen Union, beflügelt die Wirtschaft und erleichtert den Austausch und Kooperationen.

Die konservative Antwort darauf ist – wir haben es bei Roman Herzog gehört, und es klingt auch in Ihrer Regierungserklärung durch –, den Superstaat zu beklagen und zu seiner Bekämpfung aufzurufen. Meine Damen und Herren,das ist kein europäisches Denken und Fühlen,das ist gestrig, das ist Kleinstaaterei. Das lehnen wir ab.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister Hoff, Sie müssen sich schon einig werden, ob Sie die Vorteile eines gemeinsamen Vorgehens sehen und die positiven Äußerungen des Ministerpräsidenten Koch zu den Vorschlägen der Kommission zur Strommarktordnung begrüßen oder ob Sie sich immer nur die

Häppchen herauspicken, die in Ihr Konzept passen, und den Rest in Bausch und Bogen verdammen.

Sie machen drei Vorschläge. Zum einen geht es um die Diskontinuität von Gesetzesvorhaben. Darüber kann man diskutieren. Man muss am Ende sorgfältig abwägen. In die Überlegungen sind die Erfahrungen aus der Debatte und den Verläufen um die Chemikalienverordnung und die Dienstleistungsrichtlinie einzubeziehen; denn das sind sehr umfangreiche europäische Regelungen, die das Europäische Parlament, die Kommission, aber auch uns sehr lange beschäftigt haben. Ich denke, aus diesen Beispielen kann man Resümee ziehen.

Von der Befristung von Richtlinien und Verordnungen halten wir nichts, weder auf der hessischen Ebene – das haben wir oft genug deutlich gemacht – noch auf der europäischen Ebene.Ein großer Teil der Verordnungen,z.B. die Verordnungen zu den Strukturfonds, zur gemeinsamen Agrarpolitik oder auch der Forschungsrahmenplan, sind ohnehin zeitlich gebunden, und es gibt bei den Strukturfonds, bei den großen Programmen sogenannte Midterm-Reviews. Es passt auch nicht zusammen, die Bürokratie in der Europäischen Union zu beklagen und dann alle Richtlinien und Verordnungen zu befristen.

Sie beklagen auch die Kompetenzordnung. Es war eine klare Kompetenzordnung mit der Europäischen Verfassung geplant. Allerdings hatte der Verfassungskonvent von einem abgeschlossenen Kompetenzenkatalog abgesehen, um für künftige Entwicklungen offen zu sein.Wir haben das begrüßt. Kompetenzen können, wie Sie das fordern, bereits heute mit einstimmigem Beschluss auf die Mitgliedstaaten rückübertragen werden. Mit der EU-Verfassung gälte für eine solche Entscheidung das Mehrheitsprinzip.

Es kommt Folgendes hinzu: Die nationalen Parlamente haben inzwischen mehr Einfluss auf die Brüsseler Gesetzgebung als beispielsweise der Hessische Landtag auf die bundesdeutsche Gesetzgebung. Es gibt mittlerweile eine Vereinbarung zwischen dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung über die Zusammenarbeit in den Angelegenheiten der Europäischen Union. Wir werden die Zusammenarbeit zwischen dem Hessischen Landtag und der Landesregierung im Zusammenhang mit der Europäischen Union wieder auf die Tagesordnung nehmen. Andere Länder wie beispielsweise Rheinland-Pfalz sind da erheblich weiter.

Herr Minister, Sie betonen die Effekte des Binnenmarktes und loben die Entstehung neuer Arbeitsplätze. Sie begrüßen die Fördermittel.Das tun wir auch.Ich füge für die SPD-Fraktion hinzu: Wir mussten häufig genug die Kofinanzierung durch das Land Hessen anmahnen,

(Gerhard Bökel (SPD): So ist es!)

gerade was die Strukturfonds im Bereich der Landwirtschaft angeht, aber auch dem Europäischen Sozialfonds.

(Beifall bei der SPD)

Inzwischen ist es gerade im Sozialbereich so, dass dort ausschließlich der Europäische Sozialfonds kofinanziert wird. Es gibt überhaupt keine hessischen Programme mehr.

Natürlich können wir feststellen, dass die Europäische Union ein starker Partner für die Menschen im ländlichen Raum ist. Herr Minister, es fällt immer wieder auf, dass Sie besonders Ihre Kritik an der europäischen Naturschutzpolitik lieben. Zur Illustration bemühen Sie dies

mal einen Feldhamster, der sich vor den Mähdrescher eines Bauern wirft. Ohne die Diskussion wiederholen zu wollen,die wir im Europaausschuss geführt haben und die wir unentwegt im Umweltausschuss über europäische Naturschutzpolitik führen: Sie ziehen gegen den Naturschutz zu Felde. Für Sie ist er ein Hemmnis bei Infrastrukturmaßnahmen. Ihn zu brandmarken, dafür ist Ihnen kein Argument zu billig. Herr Minister, ich lade Sie ein – Sie haben ein extrem gestörtes Verhältnis zum Naturschutz –, mit mir eine Wanderung im FFH-Gebiet Engweger Kopf in Lorchhausen zu machen.

(Florian Rentsch (FDP): Das finden wir gut! – Michael Boddenberg (CDU): Ist das auch Europa?)

Sie werden dann eine grandiose Landschaft erleben, und ich werde Ihnen die blauflüglige Ödlandschrecke zeigen, die nach dem Anhang III der FFH-Richtlinie geschützt ist.

(Minister Volker Hoff: Darf man da laufen, oder muss man schweben?)

Da darf man laufen. – Sie werden dann auch sehen, welche Nutzungen in solchen Gebieten zugelassen sind: naturverträgliche Nutzungen.

Im Gegensatz zu Ihren starken Sprüchen gegen den Naturschutz – Ihnen ist, wie gesagt, kein Argument zu billig – stehen die Absichten der Bundesregierung, die Sie zu unterstützen vorgeben. In dem bereits zitierten Arbeitsprogramm „Europa gelingt gemeinsam“:

Ein besonderes Anliegen gilt dem Schutz der nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt, deren Rückgang erschreckende Ausmaße angenommen hat.

(Gerhard Bökel (SPD): Das sagt die Regierung Merkel!)

Das sagt die Regierung Merkel zur nachhaltigen Nutzung der Natur. – Herr Minister, außerdem macht Ihnen die EU-Erweiterung Sorgen. Für die Sozialdemokraten steht fest: Es wird neue Erweiterungsschritte der Europäischen Union erst dann geben können, wenn es eine Europäische Verfassung gibt.Wir begrüßen es auch im innereuropäischen Interesse, dass die Bundesregierung in der Zeit der Ratspräsidentschaft die Wiederbelebung des Verfassungsprozesses sehr hoch angesiedelt hat.

Trotz der Sorgen, die die Landesregierung um die Erweiterung hat,begrüßt sie,wie positiv sich Kooperationen mit dem jungen Mitgliedstaat Ungarn oder dem Beitrittskandidaten Kroatien darstellen. Dass die Türkei in dieser Aufzählung fehlt, ist sicherlich kein Zufall. Den eben gehörten positiven Aussagen der Landesregierung zum europäischen Einigungsprozess steht jedoch in der Realität leider nur allzu oft ihre kritische, ja abweisende Haltung gegenüber. Das zeigt sich gerade an Ihrem 365-Tage-Programm, Herr Minister.

Es besteht im Kern aus der Abwehr der Ansprüche Europas gegenüber dem Land Hessen. Die Haltung, die Sie an den Tag legen, ist defensiv und gerade nicht europäisch. Am schönsten wird es, wenn Sie die hessische Verwaltungsvereinfachung Europa als Beispiel andienen. Da muss ich Sie ganz im Ernst fragen: Haben Sie etwa vergessen, welche Kosten und welche heftigen, inhaltlich kontroversen Diskussionen wir nach wie vor in Bezug auf SAP hier haben?

(Beifall bei der SPD – Michael Boddenberg (CDU): Nur Sie haben damit Probleme, wir nicht!)

Mit den Kosten etwa auch nicht? Na gut.