Protocol of the Session on October 5, 2006

(Beifall bei der SPD)

Warum bringen Sie keinen Gesetzentwurf ein, durch den die Beitragsfreiheit für den gesamten Kindergartenbe

such schrittweise herbeigeführt wird,und zwar durch Landesmittel? Warum denken Sie nicht über einen Rechtsanspruch für Betreuungsplätze ab dem zweiten Lebensjahr nach? Dass das alles möglich ist, haben die Kolleginnen und Kollegen aus Rheinland-Pfalz, die gerade einmal eine Brücke von hier entfernt sind, in den letzten Tagen vorgemacht.

Die im Kindertagesstättengesetz von Rheinland-Pfalz gesetzten Eckpunkte sollten jedenfalls Vorbildcharakter für Hessen haben. Dort ist ein Gesetz formuliert worden, das den Namen auch verdient.

Aber nicht nur die Regelung der Beitragsfreiheit fehlt im zweiten Teil des Gesetzentwurfs, auch die qualitative Weiterentwicklung von Betreuungseinrichtungen ist leider nirgends erkennbar, erst recht nicht die Notwendigkeit einer Weiterentwicklung auch und gerade in dem im Sinne von Bildung immens wichtigen Zeitabschnitt.

Sie haben einen Bildungs- und Erziehungsplan vorgelegt. Da stehen wir auch zu Ihnen, Frau Ministerin. In diesem Gesetzentwurf bleibt er aber völlig unerwähnt.

(Zuruf von der SPD: Das ist schade!)

Damit fällt er,was wir immer befürchtet haben,in den Bereich der völligen Unverbindlichkeit und Bedeutungslosigkeit.

Meine Damen und Herren, der 12. Kinder- und Jugendbericht, der 7. Familienbericht, die brandaktuelle 15. Shell-Studie und nicht zuletzt viele Anhörungen hier im Landtag haben unisono die Qualitätsmerkmale für Betreuung, Bildung und Erziehung definiert. Hier nur einige Beispiele:kleinere Gruppengrößen,Verbesserung des Betreuungsschlüssels, bedarfsgerechte Öffnungszeiten, gezielte Fortbildung für Betreuungspersonal, die verbindliche Sprachförderung und vieles mehr.

Frau Staatsministerin, warum waren Sie eigentlich bei all diesen Anhörungen anwesend, wenn Sie nichts von den Ergebnissen der Experten in Ihren Gesetzentwurf einbringen? Mir bleibt nur eine Erklärung für ein solches Vorgehen: Diese Landesregierung will sich – anders, als das in den meisten anderen Bundesländern der Fall ist – aus der Verantwortung für qualitativ hochwertige Kindertagesstätten herausstehlen.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Sie bekunden zwar immer wieder die Zukunftsrelevanz dieses Berichts, auch in Ihrem sehr langatmigen Vortrag. Offensichtlich sind Sie aber nach wie vor nicht bereit, dafür das notwendige Geld in die Hand zu nehmen, um auch dadurch den vorrangigen Stellenwert von Betreuung, Bildung und Erziehung zu dokumentieren.

(Beifall bei der SPD)

Wenn nämlich unterschiedlich finanzstarke Kommunen die finanzielle Verantwortung für Betreuung tragen müssen, wird sich notgedrungen auch ein System unterschiedlicher Qualitätsstandards in Hessen etablieren – und das mit all den daraus resultierenden Folgen für die Bildung.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Ich möchte auf einen weiteren Punkt zu sprechen kommen, der nicht nur mich, sondern alle Mitglieder des Landesjugendhilfeausschusses sehr geärgert hat. Frau Ministerin, ich frage Sie ganz ehrlich: Warum schaffen Sie den Landesjugendhilfeausschuss nicht gleich ab?

(Zuruf von der SPD: Genau!)

Wenn Sie den Fachausschuss, der bisher Richtlinienkompetenz in den Fragen der Jugendhilfeplanung hatte, zum reinen Gesprächskreis degradieren wollen, sollten Sie gleich konsequent sein und offen zugeben,dass Sie seitens Ihrer Regierung keine Notwendigkeit der fachlichen Beratung sehen.

(Beifall bei der SPD)

Ihre Haltung haben Sie bereits im Vorfeld dieser Lesung mit der Verkürzung der Anhörungszeit und der Terminierung in die Hauptferienzeit sehr deutlich gemacht – und das, obwohl seit mehr als einem Jahr, wie ich eingangs gesagt habe, der große Gesetzentwurf, also der Wurf, angekündigt worden ist.

Ich habe volles Verständnis dafür, dass Sie einen Fachausschuss nicht besonders wertschätzen, der Ihnen bescheinigt, dass es Ihnen nicht gelungen ist, den gesellschaftspolitischen und auch fachlichen Herausforderungen in der Herstellung eines qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Bildungs- und Betreuungsangebots gerecht zu werden, als da wären: Ausbau von kinder- und familienfreundlichen Rahmenbedingungen, Verbesserung der Chancengleichheit von Kindern jedweder Herkunft, Förderung früher und integrativer Bildung, Qualitätsentwicklung und vor allem partnerschaftliche Finanzverantwortung von Land und Kommunen.

(Beifall bei der SPD)

Dass die grundsätzliche Förderung der Jugendhilfe durch Landesmittel jetzt aufgegeben und als Kannleistung formuliert wird, hat uns am Ende auch nicht mehr sehr erstaunt.

Die Definition von sozialer Verantwortung und sozialem Gewissen durch CDU und Landesregierung, gerade wenn es um Menschen auf der Schattenseite der Gesellschaft geht, ist eine grundlegend andere als die unsere.

(Beifall bei der SPD)

Das haben wir spätestens im Zusammenhang mit der „Operation angeblich sichere Zukunft“ gemerkt.Auch in der letzten Ausschusssitzung haben wir inhaltlich darüber debattiert.

Wenn die in den §§ 20 ff.aufgeführten Fördermaßnahmen von Jugendsozialarbeit, Familienhilfe, sozialer Gruppenarbeit usw. bei steigendem Bedarf in der Jugendhilfe nur noch Kannleistungen für das Land sein sollen, kann sich jeder die Folgen ausmalen.

(Zuruf: Sie hört überhaupt nicht zu!)

So wird dieses Gesetz einen weiteren Beitrag zur Amerikanisierung des hessischen Sozialsystems leisten. Die Reform in dieser Form bedeutet eindeutig einen Rückschritt sowohl im sozialen wie im bildungspolitischen Bereich.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Eckhardt. – Als nächste Rednerin hat Frau Schulz-Asche das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich begrüße für meine Fraktion ausdrücklich, dass versucht wird, verschiedene Gesetze der Kinder- und Jugendhilfe in ein ge

meinsames Gesetz zusammenzufassen. Ich kritisiere ausdrücklich,dass Sie dabei die Gelegenheit versäumt haben, die Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern in Hessen an die moderne gesellschaftliche Realität anzupassen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben einen großen Wurf angekündigt, und am Ende fällt es uns schwer, ein Würfchen zu erkennen. Deswegen lassen Sie mich gleich mit dem zentralen Kritikpunkt an dem von Ihnen vorgelegten Gesetzentwurf beginnen. Sie haben gemeinsam mit der Kultusministerin einen Bildungs- und Erziehungsplan vorgelegt, der sich im Moment in der Testphase befindet, der allseits positive Beachtung gefunden hat und auch von uns allen hier begrüßt wurde.

Dieser Bildungs- und Erziehungsplan sieht vor: eine stärkere individuelle Förderung, die Formulierung von Bildungszielen für die Altersgruppe von Geburt an bis zum zehnten Lebensjahr, die Kooperation von Trägern, die Harmonisierung von Übergängen zwischen den einzelnen Betreuungsangeboten von der Krippe zum Kindergarten, vom Kindergarten zur Grundschule. – Das, was Sie rhetorisch alles so schön daherkommen lassen, findet sich in diesem Entwurf überhaupt nicht mehr wieder.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist umso bedauerlicher,als wir heute Morgen den ideologischen Grabenkämpfer der Schulpolitik, Herrn Irmer, erlebt haben. Oder denken Sie an die aktuelle Auseinandersetzung in Dietzenbach über die deutsche Sprache im Kindergarten. Im Übrigen habe ich Ihnen heute dazu einen offenen Brief geschrieben.

Das macht deutlich, wie wichtig es ist, in diesem Land Hessen darzustellen, was moderne Pädagogik bedeutet und was der Bildungsplan möchte.Dann frage ich Sie:Warum kommt dieser Bildungsplan in dem Gesetzentwurf überhaupt nicht vor?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich einen zweiten Punkt ansprechen, der mich sehr ärgert, und zwar auch deswegen, weil Sie manchmal Ihre Positionen ändern und hinterher versuchen, das nicht mehr darzustellen. Was dieser Gesetzentwurf im Moment macht, ist: Er konzentriert sich auf eine Kinderbetreuung, von der ich befürchte, dass sie sich auf die Aufbewahrung beschränken wird. Sie haben zum wiederholten Male versäumt,in die frühkindliche Bildung zu investieren.

Ich möchte das an einem Punkt festmachen, als im Kommunalwahlkampf Ihre Bürgermeister angefangen haben, zu versprechen, dass die Elternbeiträge im dritten Kindergartenjahr abgeschafft werden sollen. Bis dahin waren wir mit Ihnen zusammen eigentlich der Meinung, dass es im Land Hessen notwendig ist, möglichst massiv in den Ausbau und die Qualität der Betreuung der unter Dreijährigen zu investieren, und dass das Gleiche für den Kindergartenbereich notwendig ist. Es kann nicht darum gehen, von der landespolitischen Seite aus Elternbeiträge zu subventionieren.

In den meisten Kommunen gibt es bereits sozial gestaffelte Elternbeiträge. Die Kommunen wissen sehr gut, wie sie auf die Bedürfnisse der Eltern eingehen können. Es kann nicht Aufgabe des Landes sein, hier zu subventionieren und die Subventionen, die für die Investitionen in

die Qualitätsverbesserung notwendig und überfällig sind, auszulassen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Frau Eckhardt hat es angesprochen: Der Entwurf verabschiedet sich erneut von dem Anspruch der Landesregierung, mit den Trägern zu kooperieren, mit den Leuten, die sich in diesem Bereich auskennen. Der Jugendhilfeausschuss ist ein Beispiel dafür. Sie versäumen ein weiteres Mal, Mindestqualitätsstandards festzulegen.Überall dort,wo es in Paragrafen in diese Richtung geht, wird auf Rechtsverordnungen verwiesen, sodass für uns im derzeitigen Verfahren der Lesung überhaupt nicht klar ist, welche Mindestqualitätsstandards Sie überhaupt vorgeben wollen.

Deswegen sage ich Ihnen ganz deutlich:Wir werden über diesen Entwurf nicht weiter diskutieren, wenn Sie nicht in der Lage sind, die Rechtsverordnungen vorzulegen, damit uns klar wird, was sich hinter den einzelnen Paragrafen verbirgt. Ich kann Ihnen wirklich sagen, dass das Vertrauen in die Landesregierung sehr angeschlagen ist. Das BAMBINI-Projekt ist nur ein Beispiel dafür, dass hinterfragt werden muss, was die Landesregierung beabsichtigt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Sie selbst haben § 32 mit dem BAMBINI-Projekt angesprochen. Die Landesregierung entzieht sich der Verantwortung. Die Landesregierung nimmt andere, in diesem Falle die Kommunen, in die Pflicht, und am Ende stellt sie sich hin und schmückt sich mit fremden Federn.

Das BAMBINI-Projekt hat von der Landesregierung als einzige zusätzliche Zugabe 10 Millionen c, der Rest ist eine Umverteilung von Mitteln aus dem Kommunalen Finanzausgleich. Wie die Antwort der Landesregierung auf einen Berichtsantrag meiner Fraktion gezeigt hat, sind die Einsparungen, die aus Hartz IV erwartet werden, für die Kommunen überhaupt noch nicht in verlässlichen Zahlen darzulegen. Das heißt, es ist überhaupt noch nicht deutlich und klar, inwieweit und in welcher Höhe die Kommunen tatsächlich entlastet werden, wovon sie jetzt die zusätzliche Finanzierung anlegen sollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Florian Rentsch (FDP))