Protocol of the Session on May 31, 2018

(Beifall DIE LINKE)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Aussprache ist geschlossen.

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort des Senats auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 19/1585, Kenntnis.

Kommt der Senat bei der wirksamen Bekämpfung und Prävention von Armut voran? Große Anfrage der Fraktion der CDU vom 23. Januar 2018 (Drucksache 19/1490)

Dazu

Mitteilung des Senats vom 13. März 2018 (Drucksache 19/1586)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Stahmann.

Gemäß Paragraf 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort mündlich zu wiederholen. Ich gehe davon aus, sehr geehrte Frau Senatorin, dass Sie darauf verzichten wollen und dass wir gleich in die Aussprache eintreten können.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Grönert.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zahlen und Statistiken über Armut und Armutsgefährdung spiegeln zwar

die in unserer Gesellschaft existierende Ungleichheit wieder, aber über reale Armut sagen sie gar nicht so viel aus. Armutsgefährdet sind in Deutschland bereits die Menschen, die weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens zur Verfügung haben. Wenn aber nun alle Bürger auf einen Schlag das Doppelte bekämen, bliebe die Armutsgefährdung trotzdem genau so groß wie vorher, obwohl alle viel mehr hätten, und wenn alle Millionäre Deutschland verlassen würden, dann würde die Armutsgefährdung sofort drastisch sinken, obwohl niemand auch nur einen Euro mehr in der Tasche hätte.

(Beifall CDU)

Somit reden wir zwar von Armut und Armutsgefährdung, meinen damit aber eigentlich immer nur den Abstand zwischen denen, die mehr, und denen, die weniger Geld zur Verfügung haben. Die hässliche Wahrheit ist aber leider, dass Bremen mit 24,8 Prozent, oder, wie der Senat sagt, 22,8 Prozent die höchste Armutsgefährdungsquote Deutschlands hat. Der Bundesdurchschnitt liegt dagegen nur bei 15,7 Prozent. Kinder und Jugendliche unter 18 sind in Bremen sogar zu 36,6 Prozent armutsgefährdet, während alle anderen Bundesländer unter 30 Prozent bleiben. Und diese Wahrheit, meine Damen und Herren, ist dann doch der eigentliche Skandal. Das seit 70 Jahren sozialdemokratisch geführte Bremen hat und hält den letzten Platz auf dieser Skala.

Diese Ungleichheit zwischen Arm und Reich verschärft sich hier zudem seit Langem auch dadurch, dass immer mehr junge Familien nach Niedersachsen ziehen, weil sie hier kein passendes Haus finden, und auch, weil sie Kita, Schule und die Sicherheitslage für ihre Kinder im Umland besser finden.

(Abgeordneter Senkal [SPD]: Sicherheitslage. So ein Quatsch!)

Auch die Sicherheitslage. Ich kenne genügend Leute, die mir das so sagen, junge Leute. Natürlich werden arme Menschen auch nicht reicher, wenn mehr dieser Familien in Bremen bleiben würden. Aber es würde doch helfen, auf jeden Fall, das untere Ende der Skala zu verlassen. Ich will und kann gar nicht so tun, als würde man hier in Bremen nicht auch irgendetwas machen und sich nicht bemühen, die Dinge in den Griff zu kriegen. Der Bremer Senat hat hier und da sogar gute Ideen, die er aber leider zu oft nicht umsetzt und wenn, dann läuft er der Situation stets hinterher und ist noch weit von einer Kehrtwende entfernt.

(Beifall CDU)

Die ausgebauten Maßnahmen, die uns in der Antwort zur Großen Anfrage vom Senat als aktive Armutsprävention präsentiert werden, sind doch fast alle dem geschuldet, dass wir so viele Neubürger dazu bekommen haben. Sie mussten die Angebote ausweiten, um schlichtweg den Status quo überhaupt halten zu können. Aus dieser Tatsache will ich auch keinem einen Vorwurf machen. Aber ich hätte mir natürlich mehr gewünscht. Doch mich stört, dass Sie das in dieser Vorlage nicht zugeben.

Ich möchte den Blick jetzt noch gezielt auf die Gruppe der Transferleistungsempfänger richten, weil sie tatsächlich die ärmste Gruppe darstellen. Als Sozialpolitikerin höre ich immer wieder, dass das Sozialressort eigentlich nur die Möglichkeit hätte, diesen Menschen mehr Teilhabechancen zu eröffnen, Armut sozusagen erträglicher zu machen. Das wird, wenn man das Sozialressort mit der Bekämpfung von Armut alleine lässt, wohl auch so sein. Bekämpfung von Armut kann und darf aber keine alleinige Aufgabe von Sozialpolitik sein.

Armutsbekämpfung muss von allen Ressorts ernst genommen und auch abgestimmt werden, von Bildung und Wirtschaft, aber auch von Bau, Inneres und allen anderen. Nur Teilhabechancen durch Soziales zu eröffnen bedeutet ja lediglich, den von Transferleistungen lebenden Menschen ihren finanziellen Rahmen durch kleine finanzielle Vorteile zu erweitern. Dadurch kommen sie aber nicht aus ihrer Situation heraus, und diese kleinen Vorteile fallen auch ziemlich schnell wieder weg, sobald die Betroffenen anfangen, einer Arbeit nachzugehen.

Übrigens verstärken diese sogenannten Teilhabechancen auch die Tatsache, dass einige Menschen ohnehin schon sehr abwägen, ob es sich für sie überhaupt finanziell lohnt, arbeiten zu gehen. Sie können dann nämlich bald nicht mehr bestimmte Dinge nutzen, wie zur Tafel zu gehen, verbilligte Theaterkarten zu bekommen, die Zuschüsse zum StadtTicket entfallen, kostenfreie Verhütungsmittel und irgendwann auch die staatlichen Bildungs- und Teilhabeleistungen, das Wohngeld oder auch der Kindergeldzuschlag. Das sind alles Mittel, die irgendwie noch oben darauf kommen auf die Transferleistungen. Deshalb brauchen wir, damit verfestigte prekäre Lebenssituationen gar nicht erst entstehen, noch viel mehr sinnvolle Maßnahmen und nicht nur Hilfe in Form von Teilhabechancen.

Wir brauchen sehr, sehr gute Bildungsangebote, gerade auch für die Kinder benachteiligter Familien, damit sie den Armutskreislauf verlassen können. Wir brauchen ausreichend Wohnraum, Arbeitsplätze und einen funktionierenden sozialen Arbeitsmarkt. Und obwohl der Senat die Probleme doch weitgehend kennt, gelingt es ihm bislang nicht, wirksam gegenzusteuern. Stattdessen beschäftigt er sich mit und verweist immer wieder hilfsweise auf die Dinge, die Armut zwar erträglicher machen, die aber nicht aus der Armut heraushelfen. Das finde ich schade, und ich sage nachher noch ein paar Worte, wie wir das vielleicht weiter begleiten. – Danke!

(Beifall CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Görgü-Philipp.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Bekämpfung und Prävention von Armut in Bremen und Bremerhaven ist kein einfaches Thema. Dass es kein Patentrezept zur Lösung gibt, wurde schon im Abschlussbericht des damaligen Ausschusses fraktionsübergreifend festgestellt. Wir müssen uns immer wieder bewusst machen, wir haben es mit ganz unterschiedlichen Adressaten zu tun, für die individuelle Unterstützung erfolgen muss. Unterschiedliche Lebenslagen erfordern unterschiedliche Strategien. Deswegen haben wir von Anfang an viele Institutionen und Fachressorts in die Prozesse einbezogen und Kompetenzen gebündelt und, das möchte ich betonen, entsprechend bei der Haushaltsaufstellung berücksichtigt.

Die Antwort des Senats zeigt deutlich, was sich alles durch die finanzielle Schwerpunktsetzung, die Rot-Grün beschlossen hat, im Bereich Sprachförderung und Bildung tut. Gerade im letzten Monat haben wir uns vor Ort von der sehr erfolgreichen Arbeit des Quartiersbildungszentrums in Gröpelingen überzeugt, nur um ein Beispiel zu nennen, natürlich neben dem Großprojekt Kita und Ganztagsausbau.

Auch im Bereich der Geflüchteten führen wir die Projekte des Integrationskonzeptes fort. Sie setzen unmittelbar an der Lebenswirklichkeit der Neuzuwanderer an. Neben der Erstintegration im Stadtteil geht es auch um die berufliche Bildung für Geflüchtete. Hier möchte ich insbesondere die Einstiegsqualifikationsmaßnahmen des Aus- und Fort

bildungszentrums erwähnen. Dieses vorgeschaltete Jahr trägt maßgeblich zum erfolgreichen Abschluss einer Ausbildung bei. Der Abschluss bedeutet Zukunfts- und Bleibeperspektive.

Im Bereich Familienhilfe möchte ich auf die im Rahmen der Weiterentwicklung des Jugendamtes initiierten Modellprojekte "Familie im Stadtteil", "STEEPS", "BRISE" und "Kidstime" hinweisen. Auch die Sozialraumkoordinatoren sind inzwischen in allen Bremer Sozialräumen mit einem Umfang von sechs Beschäftigungsvolumen aktiv. Die präventiven Angebote werden dadurch deutlich gestärkt. Das Modellprojekt „Vermittlung und Integration von Alleinerziehenden in Arbeit“ stimmt mich froh. Wir können also feststellen, Bremen tut etwas und wird es auch in Zukunft machen.

Sehr gut, das möchte ich unbedingt erwähnen, ist, dass unser Sozialressort das Institut Arbeit und Wirtschaft mit einer Bilanzierung der diversen Umsetzungsschritte der letzten zehn Jahre der Armutsbekämpfung und -prävention beauftragt hat. Neben allen unseren Aktivitäten bleibt die entscheidende Frage: Warum greifen die vielen Maßnahmen nicht deutlicher? Diesem Thema müssen wir uns stellen.

Ich hoffe durch die Bilanzierung auf konkrete Erkenntnisse, wo wir besser werden müssen, sei es bei der Vernetzung im Stadtteil, bei dem Thema sozialer Wohnungsbau oder bei der Verzahnung von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen oder, oder, oder.

Ein Punkt, der mir am Herzen liegt, ist die Jugendarbeitslosigkeit im Land Bremen. Sie ist erschreckend hoch. Hier haben wir dringenden Handlungsbedarf. Wir brauchen nicht nur deutlich mehr Ausbildungsplätze, sondern wir brauchen auch Berufsschulen, die durch flankierende Maßnahmen die jungen Menschen zum Abschluss führen. Ich hoffe, dass wir bei diesem ernsten Thema Armut weiterhin an einem Strang ziehen werden. Armut geht uns alle an, und wichtig sind meiner Meinung nach die Querverbindungen zwischen den verschiedenen Themenbereichen und eine konstruktive Zusammenarbeit. – Danke!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Buhlert.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wer Armutsforschung betreibt, kommt um Definitionen und Statistiken nicht umhin. Wir haben dann Diskussionen zu führen über: Müssen wir die Millionärsdichte senken, um die Armut zu verringern? Oder müssen wir die Studenten herausrechnen, die auch alle mit in der Statistik darin sind? Das können wir machen, das bringt uns aber nicht weiter, sondern es geht darum, wie wir dem konkreten einzelnen Menschen helfen können und dafür sorgen, dass seine Lebensumstände besser sind.

Ich bin sehr dankbar, dass Frau Görgü-Philipp deutlich gemacht hat, dass es eben darum geht, die Lebensumstände der Einzelnen zu verbessern. Zum Schluss hat sie gesagt, ja, wir müssen dafür sorgen, dass Jugendliche besser ausgebildet werden, und da seien die Berufsschulen in der Pflicht. Das sind sie. Die leisten Großartiges, die sind auch hervorragend. Was nicht hervorragend in Bremen ist, auch wenn die Bildungssenatorin das vorhin in den Debatten etwas bestritten hat, ist unser allgemeinbildendes Schulsystem. Da können wir noch besser werden. Und dann ist das ein aktiver Beitrag dazu, Armut zu bekämpfen, weil wir Menschen in die Lage versetzen, selbstbestimmt ihr Leben zu finanzieren, soweit sie das eben können.

(Beifall FDP, CDU)

Und das ist das, was ich meine, wenn ich sage, uns Freien Demokraten geht es darum, den Einzelnen zu sehen. Wie sieht es aus? Ein Kind kann nicht für seinen Lebensunterhalt sorgen. Da müssen wir überlegen, wir haben eine Anhörung dazu in der Sozialdeputation gemacht, wie man im Zweifel ein Kinderbürgergeld, wie wir es nennen würden als Freie Demokraten, zur Verfügung stellt. Wenn man das so weiter denkt, muss man sich aber fragen: Ist das der Ansatz, den wir alleine gehen müssen, dort entsprechende Mittel für die Kinder und deren Auskommen bereitzustellen? Oder ist es nicht noch viel besser, wenn wir hingehen, und auch denen helfen, dass ihre Eltern einen Arbeitsplatz haben? Denn das größte Armutsrisiko für Kinder ist Arbeitslosigkeit der Eltern.

(Beifall FDP, CDU)

Das heißt, wir müssen Arbeitsplätze für Eltern schaffen hier in Bremen, in der Region, damit diese die Armut ihrer Kinder bekämpfen können. Da gibt es viele Hemmnisse. Alleinerziehende seien nur erwähnt, die natürlich dafür entsprechende Betreu

ungsmöglichkeiten und entsprechend flexible Betreuungsmöglichkeiten haben müssen und günstigen Wohnraum, übrigens an ÖPNV-Strecken. Wer sich anschaut, wo Alleinerziehende wohnen, es ist immer dort, wo sie die Logistik, so will ich es einmal nennen, mit ihren Kindern am besten bewerkstelligen, wo sie kurze Wege zur Kita, zur Schule und zu den betreuenden Großeltern haben, wo sie den ÖPNV und diese ganzen Möglichkeiten, auf die sie angewiesen sind, weil sie sich andere Möglichkeiten gar nicht leisten können, auch nutzen können. Auch das müssen wir entsprechend beachten.

Wir müssen in der Tat, es ist angesprochen worden, die Sprünge im Transfersystem endlich beseitigen, die dazu führen, dass Leute sagen, ja, wenn ich das jetzt mache, habe ich so und so viel weniger, das lasse ich lieber. Das sind immer Angststufen, die dafür sorgen, dass die Menschen sich nicht trauen, ihr eigenes Schicksal wieder in die Hand zu nehmen. Das müssen wir abstellen.

(Beifall FDP)

Aus- und Weiterbildung ist ein weiterer Aspekt, den wir angehen müssen, um Menschen wieder in die Lage zu versetzen, soweit sie das können, auch selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Und dann ist es eine Frage, die wir uns stellen müssen. Frage 18 und 19 sind das. Da geht es um das Projekt Lazlo. Da gibt es Arbeitsplätze für Menschen, die wieder einsteigen wollen, für Langzeitarbeitslose, die sollen damit wieder in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden. Es gelingt in einer Stadt mit 9,2 Prozent Arbeitslosigkeit hier, in Bremerhaven sind es 12,8 Prozent, wenn ich das heute richtig in der Zeitung gelesen habe, also fast zehn Prozent im Land Bremen, gelingt es nicht, 500 Personen in dieser Stadt zu finden, die dieses Programm wahrnehmen wollen und können. Dann muss ich mich doch fragen als Politiker, ist dieses Programm und sind die Eingangsvoraussetzungen richtig? Ist das der falsche Ansatz? Was muss ich ändern, damit ich diesen Menschen, denen ich helfen will, sonst hätten wir ja nicht 500 Plätze geschaffen, auch helfen kann?

(Beifall FDP)

Das ist ein Punkt, an dem wir wirklich aktiv werden müssen und an dem wir steuernd eingreifen müssen, denn dort Mittel und Möglichkeiten ungenutzt zu lassen, das ist das, was nicht sein kann. Es geht darum, wirklich Menschen wieder zu befähigen, soweit diese Menschen dazu in der Lage sind, selbst für sich zu sorgen und dann denjenigen, die

nicht dazu in der Lage sind, mit Transferleistungen, am besten mit dem liberalen Bürgergeld, zu helfen. – Herzlichen Dank!

(Beifall FDP)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Janßen.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Debatte um Armut ist ja nicht neu in diesem Haus, wir haben sie schon häufiger geführt und nun haben wir auf Grundlage der Anfrage der CDU noch einmal ein paar aktualisierte Zahlen.