Protocol of the Session on November 8, 2017

Landtag 3992 51. Sitzung/8.11.17

wahrscheinlich sogar zur Aufenthaltsüberwachung das mildere Mittel im Vergleich zu einer Observation.

Wogegen wir uns aber wehren, uns schon beim letzten Mal gewehrt haben und auch in Zukunft wehren werden, ist, dass der Eindruck entsteht, dass wir mit dieser Fußfessel das Instrument haben, das in irgendeiner Form etwas verhindert. Das ist sie einfach nicht. Sie ist vielmehr ein Instrument, um eine Aufenthaltsüberwachung vorzunehmen und Bewegungsbilder zu erhalten, aber sie ist nicht das Instrument, das am Ende einen Anschlag verhindern wird. Wir kennen alle die Fälle, in denen Menschen trotz Fußfessel schwerste Straftaten begangen haben. Es ist in Ordnung, dass wir das sozusagen - -.

(Zuruf Abg. Hinners [CDU])

Wie bitte, Herr Hinners? Jetzt habe ich Ihnen nicht zugehört. Ich bitte, das zu entschuldigen. Ich dachte, ich sei am Reden.

(Heiterkeit Bündnis 90/Die Grünen)

Bei allen diesen Mitteln geht es doch um die Frage: Für welche Situation brauche ich welches Instrument? Noch einmal ganz deutlich:

(Glocke)

Ja, die Fußfessel hat in bestimmten Bereichen eine bestimmte Aussagekraft, aber in dem Moment, in dem jemand mit einer Fußfessel ein Attentat begehen will, wird ihn diese nicht aktiv daran hindern. Das heißt, in den schlimmen Fällen, bei denen wir wissen, dass der Verdacht naheliegt, dass es in unmittelbarer zeitlicher Nähe einen Anschlag gibt, werden wir um das Mittel der Observation nicht herumkommen. Dann stellt sich die Frage, ob ich demjenigen, von dem ich weiß, dass er vielleicht Attentäter sein könnte, vorher sage, dass ich weiß, dass er Attentäter ist, indem ich ihm eine Fußfessel umbinde. Das ist eine Diskussion, die letzten Endes die Experten in Sicherheitsbehörden führen müssen. Das will ich an dieser Stelle nicht vertiefen. Ich wehre mich nur gegen die Glorifizierung der Fußfessel als Allheilmittel. Dabei wird es auch bleiben.

Abschließend halten wir es auch für richtig, im Bereich Islamisierung und Salafismus mehr zu forschen, mehr zu lernen und vor allem zu verstehen. Das kann für die Arbeit im präventiven, aber auch im repressiven Bereich sehr nützlich sein. - In diesem Sinne herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Wendland.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Diese Debatte zeigt mir wieder einmal, wie sehr Angst politisches Handeln bestimmt. „Sicherheit im Rechtsstaat“ heißt der rot-grüne Antrag. Das klingt beruhigend, schränken wir hier im Parlament unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung doch nicht ein, wenn wir diesen Antrag beschließen. Aber ist es nicht eine trügerische Sicherheit, wenn die stationäre und mobile Videoüberwachung in Bremen ausgebaut und neu geordnet wird? Ich betone: ausgebaut, also erweitert wird, auch mit viel Steuergeld. Verhindert das tatsächlich Anschläge wie den in Berlin? Nein!

(Abg. Senkal [SPD]: Nein! Aber der Aufklärung hilft es immens!)

Was ist mit dem Recht des Bürgers, sich ohne Beobachtung rund um die Uhr im öffentlichen Raum bewegen zu können, was eine liberale Demokratie ja ausmacht? Sie dagegen sind auf dem Weg in die Totalüberwachung des öffentlichen Raumes, vom Marktplatz bis zum Bierzelt auf der Bürgerweide.

Nicht zu vergessen, dass nun auch noch die Telefonüberwachung ausgeweitet wird, wenn die Bürgerschaft das Bremische Polizeigesetz novelliert. Ich betone: Die Polizei übernimmt zukünftig Aufgaben des Verfassungsschutzes. Sie wird unseren Festnetzanschluss, unser Handy, unser WhatsApp, unser Skype aushorchen - bisher die Zuständigkeit der Nachrichtendienste. Im Klartext: Sie wollen, dass die Polizei zukünftig auch Lauschangriffe durchführen darf. Für mich ist das der Türöffner, auch den privaten Raum mehr und mehr zu überwachen.

(Beifall DIE LINKE)

Ich erinnere an die Feierstunde „70 Jahre Landesverfassung“. Viele von Ihnen waren nicht da, als Frau Leutheusser-Schnarrenberger ihre Festrede hier im Plenarsaal hielt und dabei betonte, dass die bremische Landesverfassung besonders grundrechtsfreundlich ist, weil sie gerade nicht das Abhören von privaten Gesprächen im privaten Umfeld, zu Hause, erlaubt. Sie warnte davor, dass Grundrechte schleichend ausgehöhlt werden. Genau das passiert, wenn Sie diesem Antrag zur Novellierung des Polizeigesetzes zustimmen.

Worüber reden wir hier? Wir reden von groß angelegter staatlicher Überwachung. Dass die CDU das will, ist mir klar. Die SPD? Nun gut!

Landtag 3993 51. Sitzung/8.11.17

Warum aber die Grünen mitmachen, ist mir ein Rätsel. Das steht übrigens im Widerspruch zur Haltung des grünen Innenpolitikers Konstantin von Notz, der ganz klar sagt, wir müssten weg von der staatlichen Totalüberwachung. Aber genau die unterstützen die Grünen in Bremen mit diesem Antrag.

Zustimmen kann ich der der rot-grünen Koalition in der Bekräftigung der herausragenden Bedeutung von Prävention. Ich bin ganz bei den Regierungsparteien, wenn sie Jugendarbeit in muslimischen und interkulturellen Lebenswelten fördern oder Beratungsnetzwerke für Angehörige und Betroffene finanzieren wollen. Den Kern des Antrags, mehr Überwachung durch repressive Maßnahmen, um eine trügerische Sicherheit zu suggerieren, lehne ich ab. Ich erinnere an das Ziel der Terroristen: Sie wollen unsere freiheitlichdemokratische Grundordnung angreifen. Und was macht die Mehrheit in der Bremischen Bürgerschaft gerade? Sie opfert Freiheit für vermeintliche Sicherheit. Die Mehrheit der Abgeordneten ist gerade auf diesem Weg, und da bin ich wieder bei Frau LeutheusserSchnarrenberger. Sie warnte davor, die verfassungsrechtlichen Hürden für staatliche Eingriffe in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger sukzessive abzusenken. - Vielen Dank!

(Beifall DIE LINKE)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Herr Zenner.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Unter der Überschrift „Sicherheit im Rechtsstaat“ kann man auch promovieren oder eine Habilitationsschrift abgeben.

Terrorismus, Links- und Rechtsradikalismus sowie organisierte Kriminalität beschäftigen uns seit einigen Jahren. Das Thema wird durch einen neuen Antrag wieder aufgekocht, obwohl eigentlich Handeln erforderlich wäre und man aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger nach dem Mäurer-Günthner-Papier von Anfang des Jahres schon viel mehr hätte erwarten können.

(Zuruf von der CDU: Ja, genau!)

Sie haben hier mit einem Dringlichkeitsantrag aufgewartet - ich kann ihn eigentlich nur so verstehen -,

(Abg. Senkal [SPD]: Das ist kein Dringlichkeits- antrag! - Abg. Frau Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: Er hat keine Dringlichkeit! - Abg. Tschöpe [SPD]: Ein Dringlichkeitsantrag vom 13. Juni!)

weil Sie in der Vergangenheit die Polizei und die Justiz nicht richtig ausgestattet haben und jetzt mehr und mehr, auch getrieben durch die Opposition, dazu kommen, schneller zu handeln.

Fünf der Beschlusspunkte sind, sicherheits- oder justizpolitisch gesehen, Allgemeinplätze. Diese Forderungen wird jeder von uns unterstützen können. Dabei geht es zum einen um die Prävention. Wir sind uns alle darüber einig: Politische oder religiöse Radikalisierung zu verhindern, ist Aufgabe von uns allen. Es kommt aber darauf an, personell und finanziell anständig auszustatten, zu evaluieren und zu schauen, was in der Vergangenheit in den einzelnen Einrichtungen nicht geklappt hat und was besser gemacht werden kann, wie wir Elternhäuser, Schulen, Ausbildungsstätten in diese Präventionsarbeit einbeziehen können. Das ist anständige Prävention, das wird jeder unterstützen.

Zweitens: Verschärfte Strafandrohungen bringen in der Regel nichts. Da sind wir völlig bei Ihnen, das betonen wir stets. Es kommt nicht darauf an, Stammtischparolen zum Besten zu geben. Bei einer Verschärfung von Gesetzen kommt nichts heraus. Im Einzelfall haben wir zum Beispiel bei der Polizei oder bei den Amtsträgern nachgebessert. Wir haben nach den Kölner Ereignissen auch bei den Sexualdelikten Lücken aufgefüllt. Das ist okay. Aber grundsätzlich bringen Strafverschärfungen nichts.

Der dritte Punkt: Bei den Sicherheitsbehörden und in der Justiz sollen Schwachstellen aufgedeckt und die Behörden sollen zeitgemäß ausgestattet werden. Natürlich! Aber wer über Jahre die Polizei, die 300 000 Überstunden vor sich herschiebt, nicht sachgemäß ausgestattet hat, der kann doch nicht einen solchen Allgemeinplatz formulieren und jetzt fordern, sie zeitgemäß auszustatten.

(Beifall FDP)

Auch wer es in der Justiz so weit hat kommen lassen, dass mangels Richterstellen U-Häftlinge nach sechs Monaten entlassen worden sind, kann doch nicht einen Allgemeinplatz formulieren, indem er fordert, auch diese zeitgemäß auszustatten. Das ist all die Jahre nicht erfolgt. Erst auf Drängen der Opposition sind Sie dem Stück für Stück nachgekommen.

(Beifall FDP, CDU, BIW - Abg. Senkal [SPD]: Das ist doch Quatsch!)

Landtag 3994 51. Sitzung/8.11.17

Richtig ist, Polizei und Justiz so auszustatten, wie es nötig ist.

Viertens geht es um eine Forschungsstelle Salafismus. Das Thema hatten wir vor ein oder zwei Sitzungstagen hier im Parlament.

(Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Schon in der letzten Legislaturperiode!)

Wir hatten dazu eine Anfrage gestellt. Diese ist von Herrn Staatsrat Ehmke beantwortet worden. Wir unterstützen, dass dieses Zentrum eingerichtet wird, dass man sich wissenschaftlich, soziologisch, mit den Themen des Salafismus und Islamismus beschäftigt. Ob diese Forschungsstelle über die Jahre zu einem wirklichen Zentrum wird und vielleicht auch auf Norddeutschland erweitert werden kann, müssen wir abwarten. Diese Tendenz findet aber unsere Unterstützung.

Wir haben auch schon zum x-ten Mal gesagt, dass der Bund bei der Abschiebung von Personen, die den Aufenthalt in Deutschland verwirkt haben, mehr Kompetenzen übernehmen muss. Ein Kompetenzzentrum in Berlin ist sinnvoll. Der Bund, Berlin, hat die Außenbeziehungen. All das ist hier schon hundertmal gesagt worden. Dazu brauchen wir diesen Antrag letztlich nicht.

Interessant wird der Antrag eigentlich nur, soweit es um die Novellierung des Polizeigesetzes geht. Das ist das Einzige, das ein bisschen Substanz hat.

(Abg. Hinners [CDU]: Das müssen wir erst einmal abwarten!)

Dazu sage ich aber: Im Januar haben Sie ein Papier verabschiedet, und heute kommt die Koalition, kommen also die Leute, die die Regierung stellen, und wollen ihren eigenen Senat quasi vor sich her treiben.

(Glocke)

Ich unterbreche und komme gleich noch einmal wieder. - Danke schön!

(Beifall FDP)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Herr Hinners.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Wendland, Sie versuchen immer wieder, Sicherheit und Freiheit gegeneinander auszuspielen. Tatsache ist aber, dass diese unabdingbar miteinander verbunden sind.

(Beifall CDU, Bündnis 90/Die Grünen, BIW)