Protocol of the Session on June 15, 2017

Wenn wir beide zustimmen, dann kann Frau Kollegin Vogt noch eine Zwischenfrage stellen. - Bitte sehr!

Es ist nur eine Frage, denn Sie haben natürlich völlig recht! Wir haben das mit unserem Steuerkonzept auch gegengerechnet und dort natürlich auch Dinge wie das Ehegattensplitting mit einmünden lassen, das ist uns völlig klar. Wie wird es denn bei den Grünen diskutiert? Wird dieses Modell auch mit dem Steuerkonzept gegengerechnet?

Natürlich muss man das gegenrechnen! Man muss am Ende zu Nettokosten kommen, weil ja sehr viele Dinge wegfallen, die heute finanziert werden. Trotzdem ist es aber ja nicht unerheblich, ob ich dann über 5, 10, 20 oder 100 Milliarden Euro spreche. Da waren ja schon ganz viele Summen in der Diskussion, und deswegen muss man natürlich auch dort einen gewissen Realismus walten lassen, was man tatsächlich umsetzen kann.

Landtag 3526 46. Sitzung/15.06.17

(Glocke)

Das ist Teil dieser Diskussion, und wir würden diese Diskussion gern in der staatlichen Sozialdeputation, in der man das noch einmal fachlich aufarbeiten kann, mit Ihnen zusammen weiterführen. Deswegen ist der Vorschlag heute, dass wir den Antrag an die Sozialdeputation überweisen. Dort werden wir uns als Fraktion und wird sich die Koalition insgesamt konstruktiv an einer Debatte beteiligen.

Gestatten Sie mir noch eine Bemerkung!

Jetzt strapazieren Sie es aber ein bisschen, Herr Kollege Dr. Güldner!

Weil es unüblich ist, aber wegen Kindergrundsicherungsproblemen, meiner eigenen Sicherung, der Anwesenheit meiner Kinder zu Hause, werde ich die Sitzung unter Umständen im Laufe der Debatte verlassen. Ich mache es nicht aus Unhöflichkeit oder Missachtung den Antragstellern und den Kollegen gegenüber, sondern weil ich schlichtweg die Betreuung meiner Kinder zu Hause übernehmen muss. - Vielen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Ahrens.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Kinderarmut muss entschieden entgegengetreten werden, und es muss dafür auch eine Lösung gefunden werden, die Auffassung teilen wir. Wir reden hier allerdings über den Weg, wie das zu erreichen ist. Da schlagen Sie vor, das sächliche Existenzminimum, das vom Zugriff des Staates freizuhalten ist, zukünftig auszuzahlen, und zwar 573 Euro pro Kind ohne jegliche Bedarfsprüfung bis zum 18. und in bestimmten Fällen bis zum 25. Lebensjahr.

Während Sie das Betreuungsgeld in Höhe von 150 Euro als Herdprämie diffamierten und Frau Leonidakis noch im Jahr 2015 die Thüringer Studie zitierte, wonach es Kinder von der Kita und Eltern von der Arbeit abhält, nun die 180Grad-Wende! Betreuungsgeld gab es in Höhe von 150 Euro für maximal 22 Monate, meine Damen und Herren, das war laut Auffassung der LINKEN und vielen anderen schlecht. Nun werden 573 Euro pro Monat nicht nur für zwei, sondern mindestens für 18 Jahre gefordert, und das ist auf einmal gut. Vorher hat es Eltern davon abgehalten, das Richtige zu tun, und es war einhellige Meinung - übrigens auch hier in diesem Hause -, dass stattdessen lieber dieses

Geld genommen werden sollte, um es für die staatliche Infrastruktur zu verwenden, für Krippen, für Kitas und den Ausbau von Ganztagsschulen.

(Abg. Frau Leonidakis [DIE LINKE] meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Ich beantworte keine Fragen, ich habe nur fünf Minuten! Vielleicht am Ende, dann können wir das ja genauso machen wie der Kollege vorher! Diese ideologische Verrenkung müssten Sie uns dann in der Deputation erläutern, Frau Leonidakis!

(Abg. Frau Leonidakis [DIE LINKE]: Das mache ich sehr gern!)

Sie fordern immerhin, um in Ihrem Jargon von damals zu bleiben - ich habe mir die Debatte noch einmal angeschaut -, eine viermal so hohe Herdprämie,

(Abg. Frau Leonidakis [DIE LINKE]: Das ist et- was ganz anderes, und das wissen Sie ganz ge- nau!)

und das nicht nur für 22 Monate, sondern für 18 Lebensjahre.

Wie wirkt das denn nun konkret in Bremen? Die erschreckendste Erkenntnis der Studie der Arbeitnehmerkammer zur sozialen Lage der Familie, die wir übrigens erst im März besprochen haben, zeigt, dass 40 Prozent der Mütter in Bremen und 65 Prozent der Mütter in Bremerhaven vor der Geburt nicht berufstätig waren. Vorher haben 150 Euro pro Monat ihnen den Anreiz genommen, einen Schul- oder Berufsabschluss zu machen, und in Zukunft sollen es 573 Euro sein, die sie dann bis zum 18. Lebensjahr der Kinder erhalten. Das ist mehr, als jeder Minijob bringen würde.

Man muss dazu dann auch noch sagen - denn das verschweigen Sie ja auch geflissentlich -, dass eine Kindergrundsicherung mit einer massiven Einkommenssteuererhöhung und viel höheren Steuersätzen einhergeht, schon für kleine Einkommen. Das können Sie in dem WSI-Papier der Hans-Böckler-Stiftung nachlesen, die sich ebenfalls sehr umfassend mit dem Thema beschäftigt hat. Die konkreten Auswirkungen sind dann gerade für ärmere Familien nicht immer so, wie Sie sich das vorstellen, sondern weisen zum Teil genau in die entgegengesetzte Richtung, dass sie nämlich weniger haben als bisher, denn es ist an der Stelle ganz klar: Steuerrecht ist für Sozialpolitik nicht geeignet. Gut gemeint ist eben nicht gleich gut gemacht, meine Damen und Herren!

Landtag 3527 46. Sitzung/15.06.17

(Beifall CDU - Widerspruch DIE LINKE)

Nein, das stimmt nicht, und jetzt kommen wir einmal zu den Zahlen! Ich weiß, dass es die Linken leider nicht so damit haben: Ein Euro Kindergelderhöhung - das auch noch an Herrn Matthias Güldner - kostet 180 Millionen Euro. Wenn wir das Kindergeld auf 328 Euro erhöhen würden, wären das 20 bis 25 Milliarden Euro. Das sind die Zahlen, über die wir reden, und da sind wir noch lange nicht bei 573 Euro, da sind wir dann bei dem, was die grüne Programmatik uns hier gerade vorgestellt hat.

Armut, darauf sind Sie beide überhaupt nicht eingegangen, ist aber doch viel vielschichtiger als nur monetär. Kinder aus deprivierten Familien kämpfen damit, dass Eltern morgens nicht mit ihnen aufstehen, dass sie ihnen kein Frühstück für die Schule machen, den Wert von Bildung nicht verstehen, nicht mit ihnen in die Bibliothek gehen und ihr Smartphone mehr Stunden am Tag benutzen, als sich mit ihrem Kind auseinanderzusetzen und sich um dies zu kümmern.

(Beifall CDU - Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Das ist doch totaler Schwachsinn, was Sie da sa- gen, und das wissen Sie auch! Was haben Sie denn für ein Bild von armen Familien?)

Dieses Verhalten, meine Damen und Herren, ändern Sie auch nicht mit 573 Euro pro Monat und Kind, das steigert eher noch die Motivation, mehr Kinder zu bekommen.

Wenn Sie sich dann an dieser Stelle ansehen - Sie sagten ja, dass es für die Alleinerziehenden besonders spannend und wichtig sei -, dass in Bremen der zu späte Zugang zur Krippe, der hier von der rot-grünen Regierung durch die Zugangsbedingungen verursacht wird, eben dazu führt, dass diese jungen Frauen ganz schnell in Geschwisterketten kommen und dann den Zugang zum Arbeitsmarkt dauerhaft nicht mehr finden, und auch dazu gibt es gerade eine aktuelle Studie der Arbeitnehmerkammer, dann sieht man, dass das kontraproduktiv wirken wird, und zwar hier vor Ort, ganz konkret in Bremen und in Bremerhaven!

(Beifall CDU)

Ich gebe Ihnen recht, wir müssen uns um die sogenannten sozialen Brennpunkte und die steigende Kinderarmut kümmern. Ich habe die Debatte, die ich mit Herrn Janßen geführt habe, noch sehr gut im Kopf.

(Abg. Frau Vogt [DIE LINKE]: Ja, aber leider nützt das nichts!)

Leider halte ich den Weg, den Sie hier vorschlagen, nicht für den richtigen Weg.

(Glocke)

Abschließend noch ein Punkt! Das Unterhaltsvorschussgesetz, das gerade reformiert worden ist, geht einen anderen Weg. Es setzt einen Anreiz, durch eigener Hände Arbeit Geld zu verdienen, und dann kommt etwas zusätzlich dazu.

(Abg. Frau Leonidakis [DIE LINKE]: Kinder sol- len jetzt arbeiten, oder was?)

Nein, Sie verstehen mich da bewusst falsch, und das ist nicht in Ordnung! Es geht darum, dass der Wert von Arbeit auch Kindern vorgelebt werden muss, und sie wachsen heutzutage - noch zwei Sätze! - schon in Quartieren auf, wo überhaupt keiner mehr arbeiten geht, zum Beispiel in Bremerhaven-Lehe, wo sie das gar nicht mehr erleben. Das ist aber wichtig. Es stärkt das Selbstwertgefühl von Eltern, es stärkt das Selbstwertgefühl von Kindern, und es zeigt, dass sich Leistung lohnt, und das muss Kindern vorgelebt werden, meine Damen und Herren!

(Beifall CDU)

Ich möchte die Redner darauf hinweisen, dass man vereinbart hat, darüber auch in der Deputation noch ausführlich zu reden.

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Möhle.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich immer dann, wenn die anderen lange geredet haben und man selbst dazu aufgefordert wird, es möglichst kurz zu machen! Ich versuche es einmal!

Ich sage, erstens, lieber Matthias Güldner, das steht nicht nur im Programm der Grünen, sondern steht ist auch im Programm der Roten. Deswegen war es auch relativ einfach, das in die Koalitionsvereinbarung hineinzuschreiben.

Vieles von dem, was hier vorgetragen worden ist, teile ich, gar keine Frage! Ich finde dennoch, dass es wichtig ist, das sehr gründlich zu diskutieren. Vor allem glaube ich, wenn wir das in der Deputation diskutieren wollen und müssen, dass wir dafür auch ordentlich Zeit in Anspruch nehmen und das nicht einmal eben so nebenbei diskutieren.

Mein Gefühl ist, dass der Grundsatz des deutschen Sozialrechts so ist, dass es immer sagt, wir helfen dem Individuum entsprechend seinen

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Bedürfnissen, seinen Anforderungen, und es also eine ganz individuelle Ausrichtung hat. Diese Dinge, und da bin ich dann wirklich unsicher, bereiten mir manchmal das Gefühl, als würde das nicht mehr quasi den Bedürfnissen entsprechen. An dieser Stelle sage ich, ich denke das bei den Fragen vom Kind her. Es ist für mich ganz wichtig, es soll gegen Kinderarmut sein und die Situation der Kinder verbessern. Die Frage, die man sich dann wirklich stellen muss, ist: Wenn wir diese Grundsicherung finanzieren, gelingt es uns, dass das tatsächlich den Kindern zugutekommt und nicht für ganz andere Geschichten ausgegeben wird?

(Abg. Frau Leonidakis [DIE LINKE]: Bisher ge- lingt es jedenfalls schlecht!)

Lassen Sie es mich doch einmal in Ruhe erklären! Ich sage doch nur, wo es Diskussionsbedarf gibt! Man muss es so organisieren, damit es gelingt, dass dieses Geld am Ende des Tages auch für die Kinder da ist und bei den Kindern ankommt.

Jetzt steht in Ihrem Antrag unter anderem, dass Bildung und Teilhabe so schlecht bei den Kindern ankommt. Das hat natürlich etwas mit der Konstruktion des Bundesgesetzes zu tun, das außerordentlich kompliziert und bürokratisch war. Wir haben in Bremen, und es war damals doch Karl Bronke zu verdanken, dass diese blaue Karte entwickelt und damit der Zugang durchaus erleichtert wurde - -.

(Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Im Untersuchungs- ausschuss gab es aber schon den einen oder anderen Hinweis auf die Ursachen! - Zuruf Abg. Frau Ahrens [CDU])

Er sagt, ich soll kurz reden! Dann müssen Sie auch nicht so viel dazwischenrufen, denn das verlängert meine Redezeit!