Protocol of the Session on February 19, 2015

Als erste Rednerin hat das Wort Frau Kollegin

Bernhard.

Sehr geehr

ter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Sanktionen sind der harte, hässliche Kern des Hartz IV-Systems. Die Menschen, die Hartz IV beziehen, sind die größte geschlossene Gruppe, die von Armut betroffen ist. Diese Menschen, mit deren Situation wir alle hier im Saal wahrscheinlich herzlich wenig zu tun haben, sind eine Gruppe, die sich sehr schlecht zur Wehr setzen kann. Sie verfügen über wenige Ressourcen insgesamt, aber auch um entsprechen des Rechtssystem für sich zur Verfügung zu stellen.

Dieser Gruppe sind in den Monaten Juli 2013 bis

Juni 2014, so die Antwort des Senats, insgesamt 2,3 Millionen Euro durch Sanktionen weggenommen worden. Das ist aus meiner Sicht eine relativ kon servative Berechnung, ich werde darauf noch einmal zurückkommen. Es ist die größte armutsfördernde und -verschärfende Maßnahme, die im Land Bremen läuft.

(Beifall bei der LINKEN)

Man muss betonen, ohne dass das irgendeinen

Sinn bezüglich Arbeitsfördermaßnahmen gehabt hätte! Es führt in keiner Weise dazu, es wird wohl niemand behaupten können, dass man damit aus dem Hartz IV-System herauskommt.

In den Jahren 2009 bis 2013 gab es eine leichte

Abnahme der Zahl der Hartz IV-Empfänger in Bre

merhaven, in der Stadt Bremen hat sich die Zahl überhaupt nicht verändert. Die Zahl der Sanktionen hat sich in dem Zeitraum aber verdoppelt. Zuletzt wurden über 13 000 Sanktionen im Jahr neu aus gesprochen. Jeder und jede zehnte erwerbstätige Hartz IV-Empfänger und -Empfängerin war von mindestens einer Sanktion betroffen. Die Zahl der Sanktionen steigt kontinuierlich, und es ist bislang kein Ende abzusehen, ich werde später vielleicht noch einmal auf den Punkt der Sanktionsquote in den entsprechenden Jobcentern eingehen.

Die meisten Menschen denken ja, wenn man

arbeitslos ist und entsprechende Maßnahmen nicht wahrnimmt, verschiedene Dinge nicht beibringt oder sich nicht entsprechend kooperativ zeigt, dann wird man mit einer Sanktion bedacht. Das ist aber gar nicht der Fall! Mehr als drei Viertel aller Sank tionen gehen auf sogenannte Meldeversäumnisse zurück. Das heißt also, jeder, der einen Termin nicht wahrnimmt beziehungsweise sich nicht rechtzeitig zurückmeldet und dafür keinen akzeptablen Grund vorlegen kann, bekommt dafür eine Sanktion.

Das ist eine Form von Obrigkeitsstaat, die bei den

Betroffenen Wut, Ohnmacht, Hass, Depressionen und blanke Verzweiflung hervorruft. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, das passiert im staatli chen Auftrag.

Die wesentliche Funktion des Sanktionssystems

ist es, den Bezug von Hartz-IV-Leistungen so uner träglich wie möglich zu machen. Die einzige arbeits marktpolitische Folge – bestenfalls – ist, dass wir immer mehr Aufstockerinnen und Aufstocker haben. Mehr als jeder vierte in Hartz-IV-Bezug Stehende ist inzwischen nebenbei erwerbstätig. Es gibt inzwischen auch zahlreiche Menschen, die den Hartz-IV-Bezug abbrechen, weil sie es schlichtweg nicht ertragen.

Was mich in diesem Zusammenhang besonders

erschüttert, ist – ich möchte an dieser Stelle Ihre Aufmerksamkeit auf die Senatsantwort auf Frage 21 lenken –, dass der Senat dieses Sanktionssystem in vollem Umfang auch für die Jugendberufsagen tur vorsieht. Der Senat versucht nicht einmal, mit dem Jobcenter eine Regelung zu finden, damit die Sanktionsfreiheit für Jugendliche zugesichert wer den kann. Da wurde den Abgeordneten zum Teil systematisch etwas Falsches erzählt. Laut Protokoll der Bildungsdeputation vom Dezember 2014 sagte beispielsweise der Staatsrat, dass Hamburg hier als gutes Beispiel gelten könne, wenn es darum gehe, für diese Gruppe Sanktionsfreiheit zu ermöglichen. Faktisch passiert überhaupt nichts in diese Richtung. Das wird in der Senatsantwort letztlich bestätigt.

Herr Westkamp hat die Sanktionen im Armut

sausschuss verteidigt – mit einer, ehrlich gesagt, merkwürdigen Argumentation. Die Kolleginnen und Kollegen im Jobcenter seien mit Herzblut dabei. Aber wenn zum zweiten, dritten oder vierten Mal jemand nicht erscheine, dann könnten sie gar nicht

anders als eine Sanktion zu verhängen. Das ist eine Art von Argumentation, die ich nicht nachvollzie hen kann. Im Klartext heißt das, wir müssten doch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Jobcenter verstehen, da sie schikanieren müssten.

Ich möchte an dieser Stelle eines klarziehen: Mir

geht es in keiner Weise um individuelle Schuldzu weisungen. Mir geht es darum, dass wir insgesamt über dieses System der Sanktionen als strukturelles Problem nachdenken müssen. Wir produzieren durch diese Sanktionen Armut! Das Jobcenter bekämpft sie nicht, sondern trägt dazu, dass sich Armut ver schlimmert.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich bin gespannt, ob der Armutsausschuss es wagen

wird, irgendeine Maßnahme zur Armutsbekämp fung in der Größenordnung von 2 Millionen Euro vorzuschlagen. Es wäre schön, wenn er wenigstens vorschlagen würde, diese Art von Armutsförderung zu bekämpfen, die vor unseren Augen stattfindet. Denen, die es am nötigsten haben, mehr als 2 Mil lionen Euro wegzunehmen, ist ein Vorgehen, das wir in keiner Weise unterstützen können – Danke!

(Beifall bei der LINKEN)

Als Nächste hat das Wort Frau

Abgeordnete Grönert.

Meine Damen und

Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Sanktionieren durch Kürzung der Leistungen – das ist die einzige Möglichkeit, die das Jobcenter hat, um Kunden und Kundinnen, die sich nicht an Absprachen halten, mit Nachdruck zu zeigen, dass Absprachen eben doch eingehalten werden sollten. Wer Geld vom Jobcenter bezieht, ist verpflichtet, aktiv daran mitzuarbeiten, einen Job zu finden, durch den das Bestreiten des eigenen Lebensunterhalts wieder möglich wird. Viele Kunden arbeiten an diesem Ziel sehr engagiert mit. Aber es gibt eben auch andere.

Im Zusammenhang mit Sanktionen denke ich

nicht an die Menschen, die vielfältige Problemlagen, zum Beispiel durch körperliche oder psychische Er krankungen oder durch Süchte, haben und denen es deshalb schon beinahe unmöglich ist, den Weg zurück in das normale Arbeitsleben zu finden. Ich denke an diejenigen, die vergessen, verdrängen oder manchmal auch ignorieren, dass zum GefördertWerden auch das Fordern gehört.

Die Mitarbeiter des Jobcenters dürfen nach Mei

nung der CDU erwarten, dass Menschen sich an Abmachungen halten und Termine zumindest ab sagen und deren Ausfall begründen, wenn sie sie nicht einhalten können. Sie dürfen auch erwarten, dass arbeitsfähige Kunden regelmäßig Bewerbungen schreiben und dies nachweisen beziehungsweise

nachweisen, wenn sie sich persönlich vor Ort be worben haben, weil manchen das Schreiben einer Bewerbung sehr schwer fällt.

Ja, die meisten Sanktionen erfolgen wegen Melde

versäumnissen oder nicht abgesagter Termine. Aber es gibt beim ersten Versäumnis noch gar keine Sanktion! Das Meldeversäumnis wird auch akzeptiert, wenn es eine plausible Begründung für den ausgefallenen Termin gibt. Doch irgendwann kommt der Punkt, an dem sanktioniert wird, damit deutlich wird, dass auch Jobcenter-Termine eine ernst zu nehmende Angele genheit sind. Auch lange vorbereitete Zusagen für eine Weiterbildungsmaßnahme können später nicht ohne plausible Begründung einfach zurückgezogen werden, ebenso wenig andere Absprachen, die man bereits getroffen oder sogar unterschrieben hat.

In der Anfrage der LINKEN wird auf all das an

keiner Stelle eingegangen. Auch in dem Beitrag von Frau Bernhard soeben war das kein Thema. In den Augen der LIINKEN können Sanktionen anscheinend niemals sinnvoll eingesetzt werden; sie gehören möglichst gänzlich abgeschafft. Für Sie sind Sanktionen lediglich willkürlich platzierte Sparmaßnahmen des Jobcenters. Dabei liegt die Sanktionsquote in Deutschland insgesamt nur bei 4,3 Prozent, in Bremen sogar nur bei 3,4 Prozent.

Was schlagen die LINKEN denn vor, wie sonst

das Jobcenter dem Anspruch von Fördern und For dern gerecht werden könnte? Möchten Sie, dass Jobcenter-Kunden ihr Geld bekommen und sonst in Ruhe gelassen werden, außer es meldet jemand freiwillig Interesse an einem Arbeitsplatz an? Es gibt zwar hier und da Überlegungen auch in Richtung positiver Motivation für solche Menschen, die bereits in Maßnahmen sind; aber das betrifft vorrangig die jenigen, die ohnehin vorwärts streben, weniger den Kreis derer, die von Sanktionen betroffen sind. Zu den verschärften Sanktionen für unter 25-Jährige kann ich noch anmerken, dass im Koalitionsvertrag der Bundesregierung bereits eine Prüfung zugesi chert wurde.

Mir stellen sich beim Lesen der Anfrage der Frak

tion DIE LINKE aber noch viele weitere Fragen, zum Beispiel: Wie oft wurde in Bremen wegen Melde versäumnissen oder aus entsprechenden anderen Gründen so stark sanktioniert, dass jemand wirklich die Wohnung verloren hat? Wie werden die Mitar beiter des Jobcenters eigentlich für das Einleiten von Sanktionen geschult? Richten sich alle Mitarbeiter nach einem einheitlichen Maßstab, oder wird die Umsetzung von Sanktionen und die Anwendung von Ermessensspielräumen jedem selbst überlassen? Gibt es Rückkopplungen unter den Mitarbeitern zu der Frage, wer wann warum und wie oft sanktioniert hat? Passiert es, dass ein Mitarbeiter Kunden und Kundinnen wesentlich öfter sanktioniert als andere? Wenn ja, wie wird damit umgegangen?

Diese Fragen hätte ich gern beantwortet gehabt,

weil es in diesem Bereich wirklich noch Verbesse

rungspotenzial zu geben scheint. Kein JobcenterKunde möchte das Gefühl haben, lediglich an einen gern sanktionierenden Mitarbeiter geraten zu sein, während der Kunde im Nebenzimmer in Ruhe ge lassen wird. Ein Jobcenter ist es seinen Kunden und Kundinnen schuldig, dass sie sich grundsätzlich von jedem Mitarbeiter wenigstens annähernd gleichbe handelt fühlen.

Aber all diese Fragen haben die LINKEN leider

nicht stellen wollen; also gibt es darauf auch keine Antworten. Das finde ich schade – für die Kunden Jobcenters und auch für uns. Vielen Dank!