Protocol of the Session on November 19, 2014

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Sie haben dem auch zugestimmt in der ersten Lesung!)

Unser Sachverständiger, der Verfassungsrechtler Felix Hanschmann, empfahl ebenfalls eine Gleichbehandlung. So schlecht kann der Rat von Felix Hanschmann nicht gewesen sein, denn die Bürgerschaft hat ihn ja als Prozessvertreter der Bürgerschaft benannt.

Dass der Staatsgerichtshof anders geurteilt hat, als wir uns das vorgestellt haben, ist bedauerlich. Ich glaube, wir alle haben uns gewünscht, dass die veränderte juristische und gesellschaftliche Situation stärker in das Urteil eingeflossen wäre. Wir sind weiterhin davon überzeugt, dass wir die richtigen Argumente hatten, auch wenn die CDU sich über ihren vermeintlichen Sieg gefreut hat.

Die CDU mag vom Staatsgerichtshof recht bekommen haben, sie siegt aber auf Kosten von Zehntau

senden Bremerinnen und Bremern und Millionen Menschen in Deutschland.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist für mich kein Sieg, sondern sowohl gesellschaftlich als auch politisch eine schwere Niederlage, denn wenn die CDU sich auch im Bundestag weiter einer Wahlrechtsausweitung versperrt, dann wird auch eine Grundgesetzänderung keine Mehrheit bekommen, denn das ist ja jetzt der Notausgang für die Initiative der Bürgerschaft, eine Grundgesetzänderung zu fordern. Rechtlich gibt es nur noch diese Möglichkeit. Wir finden es richtig, diese Debatte auch auf Bundesebene noch einmal anzustoßen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ohne einen Sinneswandel bei der CDU wird das aber leider nicht funktionieren. Die CDU hat der SPD, dem Bündnis 90/Die Grünen und uns vorgeworfen, dass wir falsche Hoffnung geweckt haben.

(Abg. Frau H ä s l e r [CDU]: Sie haben es ja selbst zugegeben!)

Wenn Sie die Hoffnung nicht enttäuschen wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, dann setzen Sie sich doch dafür ein, dass das Grundgesetz endlich einer vielfältigen Gesellschaft Rechnung trägt!

(Beifall bei der LINKEN und beim Bünd- nis 90/Die Grünen)

Wir finden es richtig und wichtig, dass das Grundgesetz dahingehend geändert wird, dass auch Drittstaatsangehörige wählen dürfen. Schleswig-Holstein und Hamburg wollten das ja schon im Jahr 1990. Fast 25 Jahre später sind wir leider kaum einen Schritt weitergekommen. Es ist höchste Zeit, dass sich das ändert. Der Wahlrechtausschuss schlägt der Bürgerschaft deshalb vor, dass die Bürgerschaft den Senat auffordert, sich auf Bundesebene für eine Wahlrechtsausweitung einzusetzen. Das unterstützen wir.

Im Ausschuss haben wir schon deutlich gemacht, dass wir uns eine gerechtere Ausweitung gewünscht hätten. Wir haben beantragt, dass das gleiche Wahlrecht für alle hier lebenden Menschen ohne deutschen Pass eingeführt wird. Die Koalition hat keine überzeugenden Argumente geliefert, warum sie ein Dreiklassenwahlrecht beibehalten möchte. Anders kann ich es nicht nennen, wenn EU-Bürger die Landtage und Drittstaatsangehörige nur Kommunalparlamente wählen dürfen, wie es die Koalition will.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Wenn der Staatsgerichtshof das schon nicht angenommen hat, wird er das ja wohl erst recht nicht annehmen!)

Man muss es aber trotzdem versuchen! Wir stimmen trotzdem zu, denn wir halten die Debatte für wichtig, und mehr kann dabei mit der aktuellen Haltung der CDU ja leider nicht herauskommen. Wir nähern uns dem Ziel in Schritten von Jahrzehnten. Wer weiß, vielleicht kommen wir irgendwann einmal an. Ich gebe die Hoffnung jedenfalls nicht auf, und ich bin froh, dass ich nicht der Einzige bin. – Danke für die Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tschöpe.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Über die gesellschaftlichen Verhältnisse und die beginnende Legitimationskrise unseres demokratischen Systems haben meine Vorredner ausreichend gesprochen, ich will das nicht wiederholen, auch die Zahlen nicht.

Im Jahr 1990 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das Wahlrecht unmittelbar an die deutsche Staatsbürgerschaft gekoppelt werden muss. Dieser Sichtweise hat sich der Staatsgerichtshof im Frühjahr 2014 schließlich mit einer Mehrheit von sechs zu eins angeschlossen. Ich gebe hier ganz offen zu, dass ich diese Entscheidung bedauere.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Ich bin auch davon überzeugt, dass das angestrengte Verfahren im Gegensatz zu der Verlautbarung manch anderer Parteien überhaupt nicht vergeblich gewesen ist, denn der Staatsgerichthof hat anders als das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt, dass diese Verhältnisse in Deutschland durch eine einfache Grundgesetzänderung veränderbar sind. Das heißt, wenn der Bundesgesetzgeber will, kann er das Grundgesetz ändern, und damit könnte ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern das Wahlrecht gewährt werden. Das sah 1990 in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts deutlich anders aus, als es jetzt nach der Entscheidung des Staatsgerichtshofs aussieht.

Jetzt kommen wir zu der Frage, die nicht mehr juristisch ist, sondern politisch wird: Für eine solche Änderung des Grundgesetzes, Kollege Röwekamp, braucht man eine Zweidrittelmehrheit. Leider ist es in der Geschichte der Bundesrepublik so, dass es noch nie eine Zweidrittelmehrheit gegen die CDU gegeben hat.

(Abg. K a u [CDU]: Gott bewahre!)

Wenn ich jetzt aufzähle, wer auf Bundesebene alles für eine Wahlrechtsänderung ist, dann sind das die SPD, Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE. Wir

unterscheiden uns graduell darin, wie weit die Änderung gehen kann und wie es ausgestaltet wird.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Aber es reicht nicht!)

Nein, selbst wenn man die Splitterparteien Piratenpartei und FDP hinzunehmen würde, reichte es immer noch nicht, Kollege Röwekamp!

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Genau!)

Worauf kommt es an? Es kommt am Ende des Tages – –.

(Zuruf: Auf die CSU!)

Dass die CSU an dieser Stelle progressiver sein wird als die CDU, kann ich mir nicht vorstellen.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Die Frage ist, ob es überhaupt progressiv ist!)

Es kommt am Ende des Tages, Herr Kollege Röwekamp, auf Ihre Haltung dazu an, und das ist die Frage, die Sie und Ihre Partei irgendwann einmal beantworten müssen. Es kommt auf die Haltung der CDU dazu an, ob Sie die Partizipation von Drittstaatsangehörigen und EU-Bürgern wollen oder nicht.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen und bei der LINKEN)

Sie können sich nicht mehr dahinter verstecken, und das war ja auch das Ärgerliche in der Auseinandersetzung, dass das grundgesetzlich nicht möglich ist. Der Staatsgerichtshof hat deutlich festgestellt: Es geht, man muss nur noch wollen! Damit wird es eine Frage der Haltung.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN)

Die Mehrheit in diesem Haus, alle außer Ihrer Fraktion – –.

(Abg. T i m k e [BIW]: Wir auch nicht! – Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Wir wollen es nicht!)

Sie wollen es nicht. Wir sind der Meinung, es wäre ein Gewinn für die Demokratie. Ich persönlich bin mir im Übrigen sicher, Kollege Röwekamp, dass die CDU diesen gesellschaftlichen Wandel auf Dauer nicht ignorieren kann. So eine Blockadehaltung zahlt sich nicht aus!

w e k a m p [CDU]: Wenn es falsch wäre, gäbe es ja vielleicht auch eine andere Mehrheit!)

Es gibt ja auch Menschen, die die CDU aus anderen Gründen wählen als wegen ihrer Haltung zum Wahlrecht für EU-Ausländer.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Das gibt es bei der SPD übrigens auch!)

Das gibt es bei der SPD auch, aber vielleicht ist es ja einmal ganz hilfreich, so ein bisschen hinauszuschauen und sich anzusehen, wer sich denn eigentlich alles für so ein Ausländerwahlrecht einsetzt. Da gibt es Menschen, die ganz tief in Ihrem Milieu verwurzelt sind.

Ich möchte hier noch einmal den Doyen des konsularischen Korps zitieren, der uns in der Anhörung des Wahlrechtsausschusses, wie ich fand, eine sehr bedenkenswerte Argumentation mit an die Hand gegeben hat. Er hat gesagt, das konsularische Korps Bremens hätte diese Frage erörtert, und sie wären einvernehmlich der Meinung, dass das Wahlrecht internationalisiert gehört. Er hat das mit denselben Argumenten getan, mit denen das auch die Koalitionsfraktionen getan haben, aber er hat darüber hinaus noch einen weiteren Gedankengang eingeführt, den ich zumindest in diese Debatte auch noch einmal einführen möchte. Er hat gesagt, für ein Land in der Mitte Europas, für dessen wirtschaftliche und soziale Prosperität ein Zuzug von Menschen aus anderen Ländern erforderlich ist und zunehmend erforderlich sein wird, seien im Wettbewerb um geeignete Zuwanderer die Möglichkeiten der politischen Partizipation ein nicht zu unterschätzender Standortfaktor.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen und bei der LINKEN)

Wenn das diplomatische Korps, das von seiner sozialen Zusammensetzung mit Sicherheit Ihnen nähersteht als vielen anderen, zu so einer einhelligen Meinung kommt, dann bin ich fest davon überzeugt, dass die Zeit nicht mehr lange dauert, bis auch Sie Ihre Haltung in dieser Frage ändern.

Lassen Sie mich mit einem Zitat von Brecht schließen: „Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so eine einfache Weise zustande wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.“ Wir als SPD werden weiter dafür streiten, dass Brecht an dieser Stelle nicht recht behält. – Ich danke Ihnen!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen und der LINKEN)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Häsler.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Noch einmal vorweg an Herrn Tuncel gerichtet: Ich habe nie von Sieg gesprochen, in allererster Linie kann man das vielleicht als Niederlage der rot-grünen Koalition bezeichnen.