Bei uns in der Fraktion, in einer kleinen Arbeitsgruppe zum Thema „Prekarität und Arbeitsverhältnisse“, war vor Kurzem ein Kollege der Arbeitnehmerkammer, der uns das einmal dargestellt hat: Bei einer 40-Stunden-Woche muss ich circa 70 Jahre zu einem Mindestlohn von 8,50 Euro sozialversicherungspflichtig arbeiten, um zu einer Rente von 850 Euro brutto/760 Euro netto zu kommen. Das ist die Realität. Übrigens, liebe Freunde von der LINKEN, bei 10 Euro muss ich 60 Jahre sozialversicherungspflichtig arbeiten, um diese Rente zu erreichen.
Wenn wir – ich sage einmal – diese Theorie von den markträumenden Löhnen von Sinn und anderen verfolgen, dann kommen wir bei 5 Euro, die ja deren Vorstellung sind, auf circa 95 Jahre, die man sozialversicherungspflichtig arbeiten muss, um diese Minirente zu erreichen. Von daher völlig d’accord: Das ist keine Lösung. Unsere Linie ist ja auch: Wir ziehen damit eine Untergrenze ein, und darauf baut sich eine Korrektur unseres Tarifsystems, das in den letzten 15 Jahren versaut worden ist, auf.
Ja, am Markt. Das ist ja die Wirtschaft! Am Markt gibt es Akzeptanzprobleme. Aber das Akzeptanzproblem taucht auch immer dann auf, wenn ich am Markt merke: Das muss ich nicht zahlen; ich kriege es billiger. Wenn ich es aber nicht billiger kriege, dann habe ich kein Akzeptanzproblem; dann muss ich das schließlich irgendwann zahlen.
Wie zum Beispiel das Haareschneiden; das wird dann gar nicht mehr gemacht! Spätachtundsechziger wie ich haben das eine Zeitlang vorgelebt, und da kommen wir wieder hin.
Letzte Bemerkung dazu: Die Stärke der deutschen Ökonomie ist doch nicht der Billiglohnsektor im Dienstleistungsbereich. Die Stärke der deutschen Ökonomie ist die exportorientierte Wirtschaft, das, was an Dienstleistungen an der exportorientierten Wirtschaft hängt, und da finden Sie die Niedriglohnsektoren nicht.
Die finden Sie unter anderem deswegen nicht, weil der beste Garant gegen die Niedriglohnsektoren ein Tarifsystem ist, das in freien Verhandlungen auf der Basis starker Gewerkschaften und starker Unternehmensverbände durchgesetzt wird, und die darf man in der Tat aber auch nicht dadurch stören, dass man Sektoren zulässt, in denen sozusagen der Billigheimer ein- und ausgeht und damit das Tarifsystem zerstört. Das ist unsere Botschaft!
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kastendiek hat mir gerade zugeraunt: „Wollen wir einmal Schwung hineinbringen!“ Ja, das tun Sie in der Tat: Denn Sie machen die Diskussion um den Mindestlohn, die wir hier schon recht breit, präzise und, wie ich im Nachlesen der Debatten finde, auch inhaltlich sehr gut geführt haben, komplett wieder auf.
Die Begründung für den Mindestlohn – nur noch einmal zur Erinnerung; das können Sie auch nachlesen – war hier im Parlament nie die Armutsfestigkeit, war auch nie ein gehobener Lebensstandard oder großer Reichtum, sondern die 8,50 Euro waren im Gegensatz zur Forderung der LINKEN immer die Rückwärtsrechnung dessen, womit jemand mit einer Vollzeitbeschäftigung von Transferleistungen unabhängig wird. Das liegt meines Wissens bei 8,32 Euro oder 8,37 Euro; legen Sie mich nicht auf den Cent fest! Wir haben es für das Land Bremen auf 8,50 Euro aufgerundet, weil es hier aufgrund von Miet- und sonstigen Situationen Verschiebungen gibt. 8,50 Euro war immer die Rückrechnung dessen, womit wir die Kommune entlasten, die die Kosten tragen muss. An der Stelle haben wir Armutsfestigkeit nicht im Sinne von zwei Dritteln des üblichen Lohnes, der, verteilt auf die Bundesbevölkerung, zu finden ist, definiert, sondern sie rein daran festgemacht, wann die Menschen von Transferleistungen leben und somit ein würdiges Leben führen können.
Ich habe damals in der Debatte gesagt: Es kann nicht sein, dass Menschen ihren Feierabend dadurch definieren, dass sie zu ihrem zweiten Job aufbrechen müssen, um existenzsichernd überleben zu können. 8,50 Euro müssen dafür sein, dass sich jemand mit einem Job ohne Transferleistungen seinen Feierabend auch wirklich nehmen kann.
Ich habe, seitdem wir den Landesmindestlohn hier beschlossen haben, mehrere Bundesländer auf Einladung bereist, die sich alle darüber gefreut haben, dass wir in Bremen so mutig waren und auch so geschlossen vorangegangen sind, einen Landesmindestlohn festzulegen. Ich bin dann irgendwann auch in Sachsen gewesen, und als man mir in Sachsen noch einmal geschildert hat, welches Tarifgefüge gesetzlich zulässig existiert und was die Menschen dort teilweise verdienen, weil es weder sittenwidrig ist noch gegen irgendwelche Vorschriften verstößt, bin ich umgefallen, weil es schlimmer war! Ich kannte das Beispiel der Friseurin, die vielleicht für 3,20 Euro arbeitet, Friseurlohn Ost minus Abschlag, Pipapo; das war alles gesetzlich richtig. Nein, es gibt noch viel schlimmere Dinge. Dort gibt es Küchenhelfer, die arbeiten für 2,92 Euro!
Wirtschaft, dass der Mindestlohn der Tod der Wirtschaft sei, weil damit Wirtschaftsgüter nicht mehr bezahlbar seien. Das ist doch totaler Quatsch! Wenn es für alle die gleiche gesetzliche Lohnuntergrenze gibt, dann kann es eben nicht mehr sein, dass Betrieb A sagt: „Wir halten uns an Tarifverträge!“ und Betrieb B sagt: „Wir halten uns nicht daran, weil wir Lohnkosten ausfindig machen, die für das Stück, das produziert wird, keine Rolle mehr spielen!“. Ich habe eine Zeitlang in der Produktentwicklung für Freizeitprodukte gearbeitet. Da hieß es immer: Frank, mach Dir keine Gedanken über die Lohnkosten; die spielen in Polen und China eine untergeordnete Rolle; wir machen das schon; es spielt keine Rolle! – Das will ich nicht. Ich will nicht, dass der Wettbewerb hier dadurch bestimmt wird, wie der Kollege Reinken eben auch schon gesagt hat, dass sich einer findet, der es noch billiger macht, weil er noch einen Trick findet, um das Tarifrecht auszuhebeln, weil er irgendwelche Werkverträge hier vergibt oder weil er irgendwo im Osten mit dem Abschlag eben noch günstiger produzieren kann. Ich will, dass es für alle eine gesetzliche Untergrenze gibt, an die man sich halten muss, mit der ich vorher weiß, was ich im Minimum verdiene, und aus die Maus, und das soll es sein! – Danke!
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Die Bürgerschaft nimmt von der Antwort des Senats, Drucksache 18/1088, auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE Kenntnis. Meine Damen und Herren, interfraktionell ist mittlerweile vereinbart worden, dass der Tagesordnungspunkt 8 für diese Sitzung der Bürgerschaft ausgesetzt werden soll. Bevor ich Sie in die Mittagspause entlasse, möchte ich Sie noch darauf hinweisen, dass in der Mittagspause die Aktionen der Kolleginnen des AK „Gewalt gegen Frauen und Mädchen“ und der ZGF stattfinden werden. Im Foyer wird das Programm INSIDE vorgestellt. Wir treffen uns hier um 14.30 Uhr wieder.
Ich begrüße auf der Besuchertribüne Schülerinnen und Schüler der Bremer Krankenpflegeschule, Studierende der öffentlichen Hochschulen des Landes Bremen, eine Gruppe Senioren der IG Metall und eine Studiengruppe der Hochschule Bremen.
Strukturelle Unterfinanzierung der öffentlichen Hochschulen beenden – Studienplätze und Fächervielfalt in Bremen sichern
Dazu als Vertreterin des Senats Frau Professor Dr. Quante-Brandt, ihr beigeordnet Herr Staatsrat Kück.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit einem Jahr darf sich die Bremer Universität exzellent nennen. Ich war unter anderem letzte Woche wieder dort. Das riesige Transparent, das weithin sichtbar war, ist verschwunden, und die Stimmung, die dort gerade herrscht, ist alles andere als exzellent.
Seit dem vergangenen Semester werden dort nämlich Kürzungen von 132 Stellen diskutiert, 80 im wissenschaftlichen Mittelbau und 50 in der Technik und in der Verwaltung. Unser Antrag heißt „Strukturelle Unterfinanzierung der öffentlichen Hochschulen beenden“, und diese Unterfinanzierung möchte ich Ihnen am Beispiel der Universität erläutern.
Die Universität und Hochschulen haben ungefähr seit dem Jahr 2000 Globalhaushalte, aus denen sie alles bestreiten. Die Universität erhält vom Land Bremen die sogenannten Grundmittel. Im Moment sind das knapp 140 Millionen Euro. Das klingt erst einmal sehr viel, und tatsächlich: Wenn man sich den bremischen Haushalt anschaut, sind die Uni und sind die Hochschulen einer der größten Kostenfaktoren im Landeshaushalt. Aber die Uni und die Hochschulen gehören auch zu den größten Arbeitgebern und Wirtschaftsfaktoren im Land Bremen. Das muss man immer dazu sagen und darf nicht nur die Kostenseite betrachten.
Aus den Grundmitteln bezahlt die Uni Löhne, Gehälter, Anschaffungen und Investitionen, Mieten, Reparaturen, Rechnungen für Gas und Strom und so weiter und so fort.
Nun gab es in den letzten Jahren, namentlich seit 2007, eine Menge Probleme. Erstens gab es, wie wir
alle auch aus eigener Erfahrung mit den eigenen Haushalten wissen, Preissteigerungen. Die Strompreise sind enorm gestiegen und heute sehr viel teurer als früher, und die Universität verbraucht natürlich eine Menge Strom. Zweitens gab es andere Kostensteigerungen, unter anderem deswegen, weil die Uni in einem sehr schlechten baulichen Zustand ist und hier und da – ich drücke es einmal ganz vorsichtig aus – Reparaturen nötig sind. Drittens hat das Land Bremen in seinem Hochschulgesamtplan, dem HGP 5, beschlossen, dass man Stellenziele zwar nach wie vor hochhält, aber die Personalmittel wurden damals nicht entsprechend eingestellt.
Wenn man alle diese Kostensteigerungen und die Mehrbedarfe zusammenzieht, muss man feststellen, dass nach dem Sinken der Hochschulfinanzierung in den Jahren 2007 und 2008, die mit dem HGP 5 verbunden waren, die öffentliche Grundfinanzierung der Universität und der Hochschulen seit 2009 im Grunde gleich bleibt. Im Vergleich zu 2010 sollen die Mittel für 2015 laut dem aktuellen Haushaltsentwurf des Senats um 3,6 Prozent steigen. Wenn man aber die fünf Jahre Kostensteigerung betrachtet, wird diese nominale Erhöhung komplett aufgefressen. Inflationsbereinigt hat die Uni also 2015 erheblich weniger als 2010.
Das ist das Ergebnis, und das ist das, was die strukturelle Unterfinanzierung eigentlich ausmacht. Die öffentlichen Hochschulen und auch die Uni werden so zu einer Mangelwirtschaft gezwungen; denn irgendwie müssen Stromrechnungen bezahlt werden. Das heißt, an einer anderen Stelle muss eingespart werden. Da das häufig gar nicht möglich ist – auch wenn Studiengänge geschlossen wurden, kann man sie ja erst dann endgültig abwickeln, wenn die letzten Studierenden die Universität verlassen haben –, hat sich an der Uni über Jahre hinweg ein Defizit von 10 Millionen Euro pro Jahr aufgebaut.
Jetzt ist die große Frage, und die stellen wir als Fraktion ja schon seit mehreren Jahren: Soll man dieses Defizit durch Stellenstreichungen ausgleichen? Wir sagen ganz klar immer wieder: Nein, das ist unserer Meinung nach keine Option. In dem Bericht des Wissenschaftsrats, der vor einigen Wochen veröffentlicht worden ist, lesen wir, um einer größeren Zahl von Studierenden ein qualitativ hochwertiges Studium zu ermöglichen, sei es notwendig – Zitat – „die personelle und sächliche Ausstattung der Hochschulen zu verbessern und an die Studierendenzahlen anzupassen“. Demgegenüber warnt der Wissenschaftsrat explizit vor weiteren Einschnitten. Ich zitiere weiter: Die an der Universität geplanten Stelleneinsparungen stellten eine erhebliche Gefahr für die Qualität sowohl von Lehre als auch von Forschung dar und seien geeignet, die Erfolge der Universität, nicht zuletzt der Exzellenzinitiative, infrage zu stellen. – Nachzulesen auf Seite 67. Wer es mir nicht glaubt: Der Bericht liegt auf meinem Schreibtisch.
Es wird also allerhöchste Zeit, dass Uni und Hochschulen endlich und verlässlich, vor allen Dingen verlässlich, mehr Geld in den Grundhaushalt bekommen. Die Landeszuschüsse für die Uni und auch für die Hochschulen müssen bedarfsgerecht sein, Preissteigerungen müssen ausgeglichen werden – ich erinnere hier noch einmal dran, dass sogar die Tarifsteigerungen nicht immer komplett kompensiert wurden –, und die Einrichtungen müssen verlässlich und seriös planen können und wissen, wie viel Geld sie zur Verfügung haben.
Das Wichtigste ist unserer Meinung nach aber: Studienplätze und ganze Studiengänge dürfen auf keinen Fall reduziert werden, wie das hier vor anderthalb Monaten schon einmal anklang. Die Lehre darf nicht verschlechtert werden, und das bedeutet: Der Personalabbau, der an der Universität, aber mit Step 2020 auch an der Hochschule Bremen ansteht, muss endgültig vom Tisch! – Ich danke Ihnen!