Protocol of the Session on April 2, 2003

Für die Aktuelle Stunde ist von den Fraktionen kein Thema beantragt worden.

Job 2010

Große Anfrage der Fraktion der SPD vom 27. November 2002 (Drucksache 15/1311)

D a z u

Mitteilung des Senats vom 25. Februar 2003

(Drucksache 15/1389)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Röpke.

Gemäß Paragraph 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort auf die Große Anfrage in der Bürgerschaft mündlich zu wiederholen. Frau Senatorin, ich gehe davon aus, dass Sie darauf verzichten wollen.

Wir treten in die Aussprache ein.

Als Erste hat das Wort die Abgeordnete Frau Ziegert.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es mag ja angesichts von fast 44 000 Arbeitslosen im Land Bremen überflüssig erscheinen, sich nun ausgerechnet heute Gedanken über einen Mangel an Arbeitskräften von morgen zu machen. Alle Prognosen aber sagen, und die vorliegende Antwort des Senats auf die Große Anfrage bestätigt auch, dass die demographische Entwicklung, das heißt, die Veränderung im Altersaufbau der Bevölkerung, sich nicht nur – und das ist ja bereits in aller Munde – einschneidend auf die Finanzierung unserer sozialen Sicherungssysteme auswirken wird, sondern auch auf den Arbeitmarkt, und das nicht erst 2030, sondern auch schon bis zum Jahr 2010.

Die Voraussage bis zu diesem Zeitpunkt steht ja im Übrigen auf einigermaßen gesicherter Grundlage. Das kann man auch in der Antwort hinsichtlich des Altersaufbaus der Bevölkerung im Land Bremen und im Umland verfolgen, da das Arbeitskräftepotential von morgen heute bereits unsere Schulen besucht. Der im Land Bremen und auch im Bremer Umland feststellbare starke Rückgang bei der Zahl der jüngeren Kinder weist allerdings wie alle Arbeitsmarktprognosen auf eine noch erheblichere Verschärfung der Problemlage nach 2010 hin. Deshalb ist heute wirkungsvolles Gegensteuern dringend angesagt.

Ich will nun nicht auf alle Einzelheiten der dankenswert detaillierten Antwort des Senats eingehen. Es steht jedenfalls zunächst einmal fest, dass das Arbeitskräfteangebot in Bremen schon bis 2010 um etwa zehn Prozent zurückgehen wird. Das wäre angesichts der hohen Arbeitslosigkeit in Bremen und Bremerhaven zunächst einmal durchaus positiv zu werten. Wenn allerdings die bremische Wirtschaftsförderungspolitik zu dem erwarteten Zuwachs an Arbeitsplätzen führt, wovon wir ja ausgehen müssen, und zugleich die Konjunktur in kommenden Jahren wieder anzieht, dann wird es zu Engpässen kommen, vorerst zwar weniger im rein rechnerischen Ausgleich von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt als vielmehr, und das ist ein Problem, das schon in den nächsten Jahren auf uns zukommt, bezogen auf das qualitative Angebot an Arbeitskräften. Ein größeres Angebot an Arbeitsplätzen und die demographische Veränderung machen also aktive Arbeitsmarktpolitik keineswegs überflüssig nach dem Motto, das erledigt sich schon von selbst durch das Wachsen der Wirtschaftskraft, sondern es erfordert sogar zusätzliche arbeitsmarktpolitische Anstrengungen.

Wir haben ja bereits während des Konjunkturaufschwungs 2000/2001 gesehen, dass viele Betriebe trotz bestehender hoher Arbeitslosigkeit über Fachkräftemangel geklagt haben. Man mag darüber streiten, ob es im Einzelfall zu Recht war, aber es war schon festzustellen, dass dieses so genannte Mismatch aufgetreten ist. Das heißt, das bestehende Angebot an Arbeitskräften, was an Arbeitslosen auf

dem Markt war, entsprach nicht dem, was die Betriebe an Fachkräften gebraucht haben. Es gab sogar, man hat es heute schon fast vergessen, die Debatte über die Green Card nicht nur für IT-Fachleute, sondern auch für weitere Bereiche des Arbeitsmarktes, zum Beispiel für Pflegekräfte.

Ein weiteres Problem kommt dazu, nämlich dass bei zurückgehenden Schülerzahlen die Konkurrenz zwischen Hochschulausbildung und betrieblicher Ausbildung größer werden wird. Vor allem das Handwerk wird dann Schwierigkeiten haben, seinen Nachwuchsbedarf zu decken. Deshalb täten die Betriebe eigentlich gut daran, statt Ausbildung zu reduzieren, sich bereits heute ihren qualifizierten Nachwuchs für morgen zu sichern.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Insgesamt ist aber mit Blick auf die Zukunft vor allen Dingen nötig – wie heute bereits begonnen –, die betriebliche Berufsausbildung durch Modernisierung, durch neue Ausbildungsberufe und die Eröffnung weiterer Qualifizierungsmöglichkeiten attraktiver zu machen, damit wir diese Möglichkeit einer qualifizierten Ausbildung weiterhin auch und gerade für benachteiligte Jugendliche offen halten, denn eins ist auch klar: Qualifikationsanforderungen – der Senat weist in seiner Antwort darauf hin – werden weiter steigen.

Bereits für das Jahr 2010 werden nach der Prognose des IAB insgesamt nur noch 11,3 Prozent der Arbeitsplätze für gering qualifizierte Arbeitskräfte überhaupt zur Verfügung stehen. Deshalb ist, nebenbei bemerkt, auch die Propagierung eines breiten Niedriglohnsektors für gering qualifizierte Arbeitskräfte ein Weg in eine Sackgasse, die den Betroffenen keine Perspektive gibt und den künftigen Arbeitsmarktanforderungen nicht gerecht wird.

(Beifall bei der SPD)

Damit sind höchstens in begrenztem Umfang Augenblickserfolge zu erzielen, aber die Zukunftsanforderungen nicht zu erfüllen. Richtiger ist es, die Weiterbildung für gering qualifizierte Arbeitskräfte weiter zu fördern und zu forcieren, wie dies im Rahmen unseres Beschäftigungspolitischen Aktionsprogramms auch bereits geschieht.

Gemessen an den Anforderungen des künftigen Arbeitsmarktes brauchen wir aber, und das müssen wir uns klarmachen, generell einen höheren Standard bei Bildung und Ausbildung für die nachfolgende Generation, und das vor dem Hintergrund der PisaErgebnisse, mit denen wir im Augenblick konfrontiert sind. Stagnation wie seit Beginn der neunziger Jahre trotz insgesamt verlängerter Ausbildungszeit können wir uns nicht leisten. Stillstand bedeutet auf diesem Gebiet der Qualifizierung Rückschritt.

Die Betriebe, die sich daran gewöhnt haben, Innovation durch Neuanstellung junger Fachkräfte zu bewältigen, werden sich nicht mehr darauf verlassen können, ein entsprechendes Angebot auf dem Arbeitsmarkt vorzufinden. Deshalb muss auch die Wirtschaft, müssen auch die Betriebe sich umstellen. Die demographische Entwicklung erzwingt eine grundlegende Veränderung in der betrieblichen Personalpolitik. Das betrifft den Umgang mit älteren Beschäftigten, das betrifft die Nachwuchsgewinnung durch eigene Ausbildung, und vor allen Dingen betrifft das die Schaffung frauen- und familienfreundlicher Betriebs- und Arbeitszeitgestaltung.

Meine Damen und Herren, die Bevölkerungsentwicklung wirkt sich heute bereits im Gesundheitsund Pflegebereich unmittelbar aus. Schon heute liegt ein Schwerpunkt der Bremer Qualifizierungspolitik zu Recht in diesem Bereich. Es muss aber für die Zukunft noch mehr zur Attraktivitätssteigerung dieses nicht nur wirtschaftlich und für den Arbeitsmarkt, sondern auch gesellschaftlich äußerst wichtigen Bereichs kommen. Neben einem höheren Ansehen für diese Tätigkeit, in der ja überwiegend Frauen arbeiten, wird es auf die Dauer auch ohne angemessene Bezahlung und Arbeitsbedingungen, vor allem im ambulanten Pflegebereich, nicht gehen. Dafür ist allerdings auch eine angemessene Finanzierungsbasis in der Sozialversicherung Voraussetzung.

Meine Damen und Herren, es ist deutlich geworden, dass wir nicht abwarten können, sondern dass in vielen Bereichen Handlungsbedarf und Handlungsmöglichkeiten bestehen, Anforderungen, die nicht nur an die Politik, sondern vor allen Dingen auch an die Wirtschaft zu richten sind, an die Unternehmen, und hier, ich sage es ausdrücklich, auch an Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften in Unternehmen. Politik ist hier aber auch gefordert und muss sich dieser Aufgabe stellen.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte fünf Gebiete nennen, in denen dieser Handlungsbedarf besteht und etwas getan werden kann, zum Teil auch getan wird! Das erste Gebiet betrifft natürlich Bildung und Ausbildung. Wir werden es uns in Zukunft nicht nur unter moralischen Gesichtspunkten, sondern auch unter rein wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten nicht mehr leisten können, was wir uns heute noch glauben leisten zu können, nämlich dass ein großer Teil ausbildungswilliger und -fähiger Jugendlicher keine Ausbildung erhält. Grundlage dafür muss natürlich eine verstärkte Ausbildung in den Betrieben sein, aber wichtig ist, und hier ist vor allen Dingen die Politik gefordert, dass in der Schule eine angemessene Grundlage für diese Ausbildung gelegt wird.

(Unruhe auf dem Besucherrang)

Liebe Schülerinnen und Schüler, wenn Sie die Ränge verlassen, bitte machen Sie das in Ruhe, denn wir müssen weiterverhandeln! Danke schön! – Bitte, Frau Kollegin, fahren Sie fort!

Ich muss dann aber auch einmal lobend sagen, dass hier auf der rechten Seite die Schüler noch von lobenswerter Aufmerksamkeit und Konzentration sind! Ich finde, das sollten wir auch einmal anerkennen!

(Beifall – Abg. Frau S t a h m a n n [Bünd- nis 90/Die Grünen]: Da merkt man, dass du Lehrerin bist!)

Ja, immer loben! Fördern und fordern!

Betriebliche Ausbildungsplätze sind das A und O, die Förderung benachteiligter Jugendlicher, aber ich glaube auch, und wer die Antwort des Senats auf die Große Anfrage gelesen hat und in der Materie steckt, den muss auch beunruhigen, dass wir es uns noch immer leisten, dass ein großer Teil der Jugendlichen, das sind ja immerhin bei den deutschen Jugendlichen noch neun Prozent, unsere Schulen ohne jeden Abschluss verlässt. Das ist zu viel.

Ich stelle auch erfreut fest, dass man sich diesem Problem nun auch im Bildungsressort ganz verstärkt widmet und dass hier eine ganze Menge Anstrengungen unternommen werden, damit dieser Anteil verringert wird. Ich finde dies auch wichtig. Generell muss gesagt werden, dass wir es uns in Zukunft nicht mehr leisten können, ich glaube, das ist unserer Gesellschaft immer noch nicht genügend klar, durch soziale Ausgrenzung künftig Talente zu verschenken.

Eines muss auch deutlich sein, insgesamt höhere Qualifikationsanforderungen für Jugendliche, für die nachwachsende Generation können nicht bedeuten, mehr Auslese zu betreiben, sondern müssen bedeuten, mehr zu fördern, damit das Begabungspotential jedes Einzelnen erschlossen werden kann.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Das trifft insbesondere auch für die ausländischen Jugendlichen zu. Es hat mich schon erschreckt, in der Antwort zu lesen, dass der Anteil ausländischer Jugendlicher, der unsere Schulen ohne Abschluss verlässt, in den letzten Jahren von immerhin 17 auf 19 und dann auf 22 Prozent gestiegen ist. Ich finde, wir leisten uns hier, dass ein erschreckend großer Anteil Jugendlicher – man muss ja bedenken, dass die ausländischen Jugendlichen 30 Prozent eines Schülerjahrgangs mittlerweile schon ausmachen – ohne Ausbildung bleibt. Damit bleiben sie auch ohne Perspektiven, beziehungsweise es ist dann sehr schwierig, durch entsprechende Fördermaßnahmen

diesen Jugendlichen noch zu einem qualifizierten Einstieg in den Arbeitsmarkt zu verhelfen. Hier ist ein sehr dringender Handlungsbedarf, und mit den Reaktionen auf Pisa, mit der verstärkten Sprachförderung, finde ich, ist hier ein guter Ansatz gefunden worden, aber hier ist wirklich ein sehr starker und sehr dringender Handlungsbedarf.

(Beifall bei der SPD)

Als zweiter Punkt, das hatte ich schon genannt, ist die Qualifizierung der Arbeitslosen zu nennen.

(Glocke)

Ich hoffe, Sie haben berücksichtigt, dass ich hier auch unterbrochen wurde.

Sie sind schon zwei Minuten über die Zeit, Frau Kollegin!

(Abg. K a s t e n d i e k [CDU]: Die Zeit ist abgelaufen!)

Die Zeit ist noch nicht abgelaufen, sondern wir stehen hier gerade erst am Anfang dessen, was wir zu tun haben. Da ist hoffentlich die Zeit noch nicht abgelaufen!

Ich will ein paar Punkte nennen, ich kann dies gleich auch noch einmal ausführen. Das ist eine höhere Erwerbsbeteiligung der Migranten, die hier leben, das ist Zuwanderung, das ist vor allen Dingen ein längerer Verbleib älterer Arbeitnehmer in der Arbeitswelt und zuletzt, aber nicht als unwichtigster, sondern als wichtigster Punkt, eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, um auch Frauen ihren angemessenen Platz in der Arbeitswelt zu verschaffen.

Ich will an dieser Stelle erst einmal schließen, möchte aber deutlich sagen, dass die demographischen Veränderungen große Herausforderungen für die Politik, für uns alle sind, dass wir gute Chancen haben und dass der Senat aufgefordert ist, der künftigen Entwicklung des Arbeitsmarktes ebenso viel Aufmerksamkeit zu widmen wie der künftigen Wirtschaftsentwicklung. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Stahmann.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die Große Anfrage der SPD, wie entwickelt sich der Arbeitsmarkt im Jahr 2010 im Land Bremen, also in ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

Bremen und Bremerhaven, ist eine interessante Anfrage. Die SPD hatte nach Prognosen gefragt, und richtigerweise hat der Senat geantwortet: Prognosen, wie Bremen im Jahr 2010 ganz genau aussieht, die können wir als Senat gar nicht geben. Wir können die Zahlen, die wir heute haben, wie sich der Arbeitsmarkt heute darstellt und die Bevölkerungsstruktur im Land Bremen, übertragen und dann sagen, diese und jene Probleme, diese und jene Chancen zeichnen sich auch im Jahr 2010 ab. Da gilt es, Probleme zu lösen, und es geht darum, Chancen zu ergreifen.