Protocol of the Session on May 17, 2001

Über eine Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre haben wir heute Vormittag debattiert. Ich konzentriere mich jetzt auf den Punkt Abschaffung der Fünfprozentklausel aus dem bremischen Wahlrecht. Wir sagen nicht, dass wir das aus rechtlichen Gründen machen müssen. Wir sagen nur, wir können es machen, es ist nach wie vor von der Rechtsprechung eher als Ausnahme deklariert und nicht als Regel. Vor allen Dingen sagen wir, wir wollen es politisch. Darin liegt die Differenz, nicht aber darin, dass wir das rechtlich unterschiedlich beurteilen. Wir wollen es, Sie wollen es nicht.

Die Gerichte bestätigen regelmäßig, dass die Sperrklausel als Ausnahme von dem Grundsatz der gleichen Chancen für jede Stimme zulässig ist, wenn es zwingende Gründe dafür gibt. In der Regel wird dann gesagt, die „Funktionsfähigkeit“ des Parlaments wäre ein solcher zwingender Grund. Wenn Sie sich aber die Entscheidungen anschauen, wie etwa die letzte in Mecklenburg-Vorpommern, so wird immer deutlicher gesagt, dass es nicht genügt, eine theoretische abstrakte Möglichkeit zu behaupten, sondern – ich darf aus diesem Urteil zitieren – „es ist dabei auf die konkrete, durch tatsächliche Anhaltspunkte gestützte und mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwartende Möglichkeit abzustellen“.

Jetzt sagen Sie uns doch einmal konkret und irgendwie abgesichert, was es an der Funktionsfähigkeit dieses Hauses beeinträchtigen würde, wenn hier noch insgesamt vier Abgeordnete der PDS und der FDP sitzen würden! Werden wir da beeinträchtigt? Ich gebe gern zu, dass es für den einen oder anderen dann schwieriger würde. Für uns wäre es schwieriger, aber das ist hier wirklich nicht der Maßstab, sondern es käme darauf an, dass die Menschen, die Wählerinnen und Wähler, wieder das Gefühl bekommen, dass es auf jede Stimme ankommt, dass nicht wieder ein großer Teil der Stimmen irgendwo verloren geht.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Seit der letzten Debatte hier hat sich eine weitere Reihe von Parlamenten von der Fünfprozenthürde bei Kommunalwahlen verabschiedet, ich nenne Berlin, Hessen, vorher schon Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern ist jetzt durch den Staatsgerichtshof zu einer Überprüfung aufgefordert worden. Wir gehören inzwischen zu einer Minderheit unter den Ländern, die ein Kommunalwahlrecht mit der Fünfprozentsperrklausel haben.

Ich will auch nicht von ausländischen Parlamenten reden, da werden Sie das überhaupt nicht finden. Wenn Sie in den letzten Tagen einmal mit den Freunden aus Danzig geredet haben, machen die nur große Augen, wenn man über die Fünfprozentklausel in einem Kommunalparlament redet. Sie haben 60 Abgeordnete, und sie haben weiß Gott unruhigere Zeiten, sie haben jetzt fünf Fraktionen, und ich habe nicht die geringste Andeutung gehört, dass sie damit nicht fertig würden.

Natürlich würden wir als Kommunalparlament und als Landtag in unserer Stadt sehr gut damit fertig werden, es wäre kein Problem. Wir schlagen vor, dass Bremen im Wahlrecht den Weg zu Ende geht, den wir bei den Beiratswahlen ja bereits begonnen haben, auf jegliche Sperrklausel zu verzichten. Das würde dann dazu führen, dass es die so genannte natürliche Klausel gibt, nicht jede Stimme würde ei

nen Sitz bekommen, das kann natürlich bei der Größe nicht sein.

(Abg. E c k h o f f [CDU]: Herr Kuhn, wie groß ist denn der größte Beirat? – Glocke)

Herr Dr. Kuhn, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage anzunehmen?

Bitte schön!

Bitte, Herr Beckmeyer!

Herr Abgeordneter und Vizepräsident, von welchem Parlament sind Sie zum Vizepräsidenten gewählt worden, von der Stadtbürgerschaft oder vom Landtag?

(Abg. Frau M a r k e n [SPD]: Das möchte ich auch gern wissen!)

Ich glaube, das wissen Sie auch, dass wir, wie der Senat, im Landtag gewählt sind. Das weist auch darauf hin, dass in Bremen die Trennung von Stadtparlament und Landtag nicht vollzogen ist, wie Sie vermutlich auch wissen. Wenn ich eine Neuerung einführen will, dann müssen wir auf die Gegebenheiten Bremens Rücksicht nehmen, und das führt eben dazu, dass wir hier in Bremen die Chance haben, über das Kommunalwahlrecht in vielen deutschen Ländern hinauszugehen und zu sagen, wir führen das nicht nur im Kommunalwahlrecht ein, sondern auch im Landtag. Weil wir nun einmal so ein kleines Land sind, in dem man das in übersichtlicher und klarer Weise machen kann, deswegen trauen wir uns das zu, Herr Kollege Beckmeyer, einen kleinen Schritt darüber hinauszugehen, was andere Länder machen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Glocke)

Sind Sie bereit, eine weitere Zwischenfrage anzunehmen?

Für mich ist das hier ein Dialog! Bitte schön!

Bitte, Herr Beckmeyer!

Herr Abgeordneter, ich denke einmal, wir diskutieren aktuell im Landtag über eine Änderung eines Gesetzes, das auch hier in diesem Landtag verabschiedet wird. Stimmen Sie mir da zu?

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Da erwarten Sie jetzt wohl keine Ant- wort!)

Das Zweite ist, möglicherweise habe nicht nur ich allein den Eindruck, dass wir bei der Frage der Ver

kleinerung des Parlaments, bei der Sie so vehement um 79 Mandate kämpfen, hier möglicherweise heute für ein Mandat der Grünen antreten. Stimmen Sie mir da zu, oder gehe ich da fehl?

Da gehen Sie irgendwie, wie auch in Ihrer vorigen Frage schon, völlig fehl. Ich kann dem nicht folgen, was Sie sagen. Es tut mir Leid, die Frage kann ich nicht beantworten. Ich habe es wirklich nicht verstanden, Herr Kollege.

Ein natürliches Quorum hätte natürlich andere Ausmaße als bei den Beiräten, weil die unterschiedlich groß sind.

(Zuruf des Abg. E c k h o f f [CDU])

Herr Eckhoff, ich komme dazu noch! Der Abteilungsleiter im Innenressort hat uns Folgendes vorgetragen: Mit der Einführung des neuen Zählverfahrens braucht man dann in Bremerhaven zirka vier Prozent der Stimmen, um das natürliche Quorum zu überspringen, in Bremen gut zwei Prozent, in der Stadtverordnetenversammlung etwa 2,5 bis drei Prozent, bei den Beiräten sind das, je nach Größe, heute schon drei bis fünf Prozent. So weit liegt das also bei den Beiräten und Bremerhaven nicht auseinander. Wir hätten in der Tat, wie das insgesamt beim Kommunalrecht so ist, in einer großen Stadt in Nordrhein-Westfalen ein anderes natürliches Quorum als in einer relativ kleinen Gemeinde. Das ist aber überall Usus und gar kein besonderes Problem.

Wir sehen das politische Problem nicht, das dazu führen könnte, hier im kommunalen Wahlrecht und im Landtag die Fünfprozentklausel um jeden Preis beizubehalten. Ich sage Ihnen, nicht die phantasierte Unregierbarkeit ist heutzutage das Problem von Politik, wenn es ein Problem gibt, dann liegt es in Bürgerferne, in Undurchsichtigkeit, in Undurchdringlichkeit. Nicht zu große Vielfalt ist heute das Problem, sondern zu große Einfalt, meine Damen und Herren!

Wer heute noch wirklich Angst hat vor Unruhe oder Unübersichtlichkeit, Unvorhersehbarkeit oder Überraschungen hier im Parlament, der hat, finde ich, noch zu viel Angst vor der Demokratie. Ich sage Ihnen aber: Wir sind für die Wähler da und nicht umgekehrt!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Teiser.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Dr. Kuhn, ich vermute, dass Sie sich den Rest aufbewahrt haben für die zweite ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

Runde. Insofern werde ich ebenfalls mit dem Bereich Verkleinerung des Parlamentes anfangen. Im Jahre 1991 hat die Diskussion begonnen, sie endete erstmalig 1993 mit dem so genannten Kiene-Gutachten, knapp 100 Seiten stark, ich durfte damals daran mitwirken. Das Ergebnis war, dass dieses Parlament aus vielerlei Gründen nicht verkleinert werden konnte. Sie haben in Ihrer Argumentation eben Gründe aufgeführt und haben so getan, als wenn es gar keine andere Lösung gäbe, als dieses Parlament zu verkleinern. Sie haben auf die Finanzen abgehoben. Nun sage ich Ihnen in aller Ernsthaftigkeit: Wenn man Sanierungsland ist, muss alles auf den Prüfstand gestellt werden, da haben Sie völlig Recht, allerdings gibt es einen Unterschied zwischen normalen Institutionen und Verfassungsorganen. Die Kriterien können Sie nicht gleichermaßen anwenden, denn ansonsten könnten Sie auf die Idee kommen, noch weitere Einschnitte vorzunehmen, insbesondere dann, wenn Sie hier, das verstehe ich aus Ihrer Sicht, aus einem Papier zitieren, das, wie Sie selbst gesagt haben, geheim ist. Sie hatten es aber vor sich liegen, insofern kann es eigentlich nicht geheim gewesen sein. Wenn Ihre Intention ist, wir verringern die Zahl der Abgeordneten, proportional werden auch die Gelder für Mitarbeiter reduziert, und der übrig gebliebene Rest der Abgeordneten und der Mitarbeiter der Fraktionen kontrolliert dann die Regierung, dann muss ich Ihnen allerdings sagen, gehen Sie einmal auf diesem Weg weiter, wundern Sie sich dann aber anschließend auch nicht, wenn das Parlament noch schlechter in der Lage ist, gegen einen Regierungsapparat, der aus Tausenden von Mitarbeitern besteht, anzukämpfen!

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Sie haben deutlich darauf hingewiesen, dass Bremerhaven durch die Anzahl der Mandate überproportional bevorteilt wird und dass Sie das für ungerecht halten. Herr Dr. Kuhn, auch vor Staatsgerichtshöfen und vor dem Verfassungsgericht holt keiner seinen Taschenrechner heraus. Sie werden sicher die Diskussion verfolgt haben, als es um den Neuzuschnitt der Wahlkreise für den Deutschen Bundestag ging. Wenn es um die Gleichwertigkeit der Stimmen geht, dann wissen Sie natürlich auch, sind nach Intention des Verfassungsgerichts Abweichungen nach oben und unten von bis zu 25 Prozent zulässig. Insofern ist also die Frage der Gleichwertigkeit der Stimmen nicht auf Dezimalstellen auszurechnen und dann möglicherweise jedes Jahr, wenn die neue Bevölkerungsstatistik kommt, anzupassen. Wir hätten hier ansonsten alle vier Jahre wechselnde Abgeordnetenzahlen. Gott sei Dank ist es seinerzeit klugen, vorausschauenden Politikern gelungen, die beiden Wahl

bereiche in der Verfassung so zu manifestieren, dass sie nur einstimmig geändert werden können. Daraus rühren natürlich viele Probleme, die Sie haben, weil das nämlich bei Beibehaltung dieser Regelung mit der Fünfprozentklausel eben nicht so einfach ist, wie Sie es gerade dargestellt haben.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Wir wollen sie ja auch abschaffen, Herr Teiser!)

Das ist klar, Sie wollen sie abschaffen. Ich verstehe das auch bei der politischen Lage, in der Sie sich in letzter Zeit befinden, dass Sie sich sagen, es kann ja nicht schlecht sein, wenn wir diese Fünfprozenthürde nicht mehr überspringen müssen.

Sie haben dann, und da will ich einen Gedanken aufgreifen, der völlig konträr zu Ihrem steht, Herr Dr. Kuhn, gesagt, und das steckt ja im Prinzip dahinter, dass die Politikverdrossenheit der Bürger, die geringere Teilnahme an öffentlichen Wahlen, daher rührt, dass der Bürger seine Stimme nicht mehr richtig durchgesetzt fühlt, dass sie sich im Parlament nicht niederschlägt.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Einige, ja!)

Ich sage, man kann auch die gegenteilige Theorie vertreten. Der Bürger wählt, weil er die, die er wählt, in der Regierung sehen will, die sollen das für ihn umsetzen, was er von denen verlangt, wenn er sie wählt. Das kann er aber nur mittelbar, weil er auf eines keinen Einfluss hat, und das sehen viele Bürger auch: Ganz egal, wen er gewählt hat, zum Schluss weiß er nicht, ob es möglicherweise eine schwarzrote, eine schwarzgrüne, eine grünschwarze, eine gelbschwarze oder gelbrote Koalition gibt. Es kann so sein, dass er sich in Koalitionen gar nicht mehr wiederfindet, und möglicherweise wäre die Lösung, und die würde bestimmt dazu führen, dass viel mehr Bürger zur Wahl gehen würden, wenn wir ein Mehrheitswahlrecht hätten.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Das haben Sie aber nicht beantragt, Herr Teiser!)

Ich habe es als Theorie gegen Ihre aufgebaut, die unnachgiebig daran festhält, nur die Fünfprozenthürde abzuschaffen.

Zur Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre! Ich bekomme das auch so zusammen, ich habe das Buch da liegen lassen. Sie wissen natürlich, wie die Regelungen im Wahlgesetz im Einzelnen auszulegen sind. Wenn Sie Sechzehnjährige in dieses Parlament schicken wollen, dann müssen diese am Wahltag 16 sein. Die Kandidatenaufstellung kann nach diesem Wahlgesetz bis zu 15 Monate vorher geschehen. Das

heißt, sie sind dann vierzehndreiviertel Jahre alt, wenn sie in ihrer Parteiversammlung zum Kandidaten gekürt werden. Sie dürfen natürlich selbst an dieser Wahl nicht teilnehmen, weil sie ja die 16 noch nicht erreicht haben, aber sie haben dann in ihrer Kandidatenaufstellung – –.

(Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grü- nen]: Was ist denn heute mit den Achtzehn- jährigen?)

Das ist eben ein Unterschied, ob ich vierzehndreiviertel, sechzehndreiviertel oder siebzehndreiviertel Jahre alt bin. Das ist ein kleiner Unterschied!

Es ist vorhin schon einmal in einem anderen Zusammenhang angedeutet worden: Sie wollen Leute, die vierzehndreiviertel oder 15 Jahre alt sind. Die wollen Sie in der Unterbezirksversammlung oder auf der Jahreshauptversammlung oder Delegiertenversammlung, wie immer man das nennt, möglichst zu Landtagskandidaten küren. Gleichzeitig sagen Sie bei jemandem, der vierzehndreiviertel Jahre alt ist, bis zu neun Monate bevor wir diesen jungen Mann oder diese junge Frau aufstellen, sind die auf jeden Fall erst einmal für nichts verantwortlich, was sie getan haben, schon gar nicht strafrechtlich. Ein dreiviertel Jahr später küren wir sie aber zum Landtagskandidaten. Das ist eine Theorie, die nur sehr schwer nachzuvollziehen ist, für mich jedenfalls nicht!

(Beifall bei der CDU – Abg. D r. K u h n [Bündnis 90/Die Grünen]: Das gilt aber für die jetzt Achtzehnjährigen auch!)

Sie haben völlig Recht, Herr Dr. Kuhn, seinerzeit stand in einem Wahlprogramm der CDU die Reduzierung auf 51 Abgeordnete. Natürlich waren damit 51 Vollzeitabgeordnete gemeint, nicht 51 Halbtagsabgeordnete.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Gemeint waren 51 CDU-Abgeordnete! – Heiterkeit – Glocke)