Protocol of the Session on May 20, 2021

Wenn wir heute in den jüdischen Gemeinden hören, dass sich Menschen um ihre Sicherheit Gedanken machen oder gar überlegen auszuwandern, dann ist es mehr als höchste Zeit für uns zu handeln.

Wir begrüßen sehr, dass dieser Antrag heute als gemeinsamer Antrag aller demokratischen Fraktionen eingebracht wird. Er ist ein deutliches Zeichen gegen jede Form des Antisemitismus; denn wir brauchen in dieser Frage den Grundkonsens aller Demokratinnen und Demokraten.

Wir machen gemeinsam deutlich, dass Vorurteile und Judenhass in allen Bereichen des Lebens bekämpft werden müssen – durch Aufklärung, durch Bildung und durch aktives Zusammenwirken aller –, aber dort, wo Hassrede, Bedrohung, Beleidigung und Gewalt ins Spiel kommen, durch konsequentes Handeln der Sicherheitskräfte und durch konsequente Strafverfolgung.

Kolleginnen und Kollegen, wenn wir das heute beschließen, fängt unsere gemeinsame Arbeit erst an. Denn was wir hier formulieren, sollen nicht nur schöne Worte sein; es soll uns zum Handeln anhalten. Deshalb fordern wir die Mehrheitsfraktionen auf, den Weg in dieser Frage gemeinsam mit den anderen demokratischen Fraktionen des Hauses zu gehen.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben bereits die Initiative in das Haus eingebracht, die Handlungsempfehlungen des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus des Bundestags darauf hin zu prüfen, wie weit sie auch in Bayern umgesetzt werden müssen. Dies wurde leider abgelehnt. Wir hoffen, dass von dem heutigen gemeinsamen Antrag auch die Initiative ausgeht, solche Debatten künftig anders und gemeinschaftlich zu führen.

Wir bitten um Zustimmung zu dem heute vorliegenden gemeinsamen Antrag.

(Beifall)

Als nächster Redner spricht für die FDP-Fraktion der Kollege Dr. Wolfgang Heubisch.

Verehrte Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Albert Einstein, Franz Kafka, Heinrich Heine, Stefan Zweig, Hannah Arendt, Paul Ehrlich, Else Lasker-Schüler, Felix Mendelssohn Bartholdy, Gustav Mahler – diese Liste an Personen mit jüdischer Herkunft, die unser Leben so stark geprägt haben, ließe sich noch endlos fortsetzen. Sie alle haben Großes geleistet und dieser Welt und damit auch uns etwas hinterlassen, wofür wir sie in Erinnerung behalten werden.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, seit mehr als 1.700 Jahren leben Jüdinnen und Juden in den Ländern und Regionen Mitteleuropas und Deutschlands. Leider gibt es nahezu seitdem auch Antisemitismus. Es ist mir unbegreiflich und berührt mich auch persönlich zutiefst, dass wir in Deutschland immer und immer wieder über dieses Thema reden müssen – in einem Land, das doch aus seiner Geschichte

hätte lernen müssen. Die Ermordung von etwa sechs Millionen Jüdinnen und Juden – hier soll auch an Roma und Sinti gedacht werden – sollte alle Menschen in Deutschland und nachfolgende Generationen sensibilisieren.

Ich kann und will nicht akzeptieren, dass wir in einer Welt leben, in der Menschen so menschenverachtend über andere denken, reden und handeln. Ich will in einem Land leben, in dem jemand nicht aufgrund seiner Herkunft oder Religion beurteilt wird, sondern nur nach seinen Taten und seinem Handeln.

(Beifall)

Ich will in einem Land leben, in dem sich jeder und vor allem unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger sicher fühlen und frei entfalten können.

Ich will in einem Land leben, das es schafft, Artikel 1 unseres Grundgesetzes vollständig umzusetzen:

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Das ist also auch unsere Verantwortung.

Leider, verehrte Damen und Herren, gehen die Nachrichten und Entwicklungen in die entgegengesetzte Richtung. Das ist beschämend für uns. Dabei müssen wir trennen zwischen der Kritik an der Politik des Staates Israel und dem Hass und den Aggressionen gegen Jüdinnen und Juden, vor allem hier in Deutschland.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Hass und Hetze sind aktuell nicht nur auf den Straßen zu sehen. Die sozialen Medien sind voll davon. Es gibt eine vielfache unheilige Allianz zwischen Demonstrierenden und Hasspostings in den sozialen Medien.

Beschimpfungen, Verunglimpfungen und antisemitische Äußerungen sind weder im öffentlichen noch im digitalen Raum zu dulden. Mit aller Kraft müssen wir uns als Gesellschaft dagegenstellen. Null Toleranz gegenüber Antisemiten!

(Beifall)

Was können wir tun? – Unsere Aufgabe als Vertreter des Staates ist es, die spezifische Gefährdung jüdischen Lebens ernst zu nehmen und sich ihr entschieden entgegenzustellen. Wenn wir uns nicht dafür einsetzen, wer dann?

Die heutige Resolution ist ein richtiger und extrem wichtiger Schritt. Genauso wichtig ist es, dass die demokratischen Fraktionen des Bayerischen Landtags eng zusammenstehen und ihre klare Haltung gegen den Antisemitismus nach außen tragen. Antisemitischen Angriffen und Ausschreitungen muss mit allen Mitteln des demokratischen Rechtsstaates entgegengetreten werden.

Wir müssen lauter und deutlicher gegenüber antisemitischen Äußerungen und Ausfällen auftreten. Wir müssen unsere Stimmen noch deutlicher erheben, dass es uns nicht egal ist, wie sich Jüdinnen und Juden bei uns hier fühlen. Wir müssen klarmachen, dass wir an ihrer Seite stehen und sie mit allen Mitteln des Rechtsstaates – ich wiederhole mich – beschützen.

Verehrte Damen und Herren, solange ich lebe, gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass dieses Thema wirklich einmal Geschichte sein wird und wir in einem Deutschland, in einem Europa leben werden, wie ich es mir immer gewünscht habe: frei, tolerant und wehrhaft gegen die Feinde der Demokratie im besten Sinne des Grundgesetzes und auch der Bayerischen Verfassung.

(Beifall)

Für die CSU-Fraktion spricht als Nächster der Kollege Karl Freller.

Verehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Vor knapp zehn Jahren ist der NSU, der Nationalsozialistische Untergrund, aufgeflogen. Auch mir hat damals das Landeskriminalamt mitgeteilt, dass mein Name, der Name meiner Frau und unsere Privatadresse in Schwabach auf den Listen standen, die man bei den Tätern Mundlos und Böhnhardt fand. Wahrscheinlich war mein Wirken für die Stiftung Bayerische Gedenkstätten die Ursache. Meine Rede in der damaligen Plenardebatte schloss ich mit dem Satz: Es ist nicht vorbei, die braune Saat geht immer wieder auf. – Manchmal ist es bitter, recht zu behalten.

Besonders der Antisemitismus dieser Tage zeigt eine Wut und Wucht, bei der keine Sonntagsrede mehr Abhilfe schafft. Die viel beschworene wehrhafte Demokratie muss jetzt beißen; bellen hilft nicht mehr.

Es ist ein Armutszeugnis, wenn ein Bürgermeister die israelische Fahne vom Rathaus abhängen muss, so geschehen in Hagen, weil man in Sorge ist, der Proteste nicht Herr zu werden. Wehrhafte Demokratie heißt: Es muss schonungslos verfolgt und ermittelt werden, auch wer die Drahtzieher und geistigen Brandstifter sind.

(Beifall)

Sehr verehrte Damen und Herren, das Wort "Antisemitismus" muss uns allen, der Politik wie der gesamten Bürgerschaft, durch Mark und Bein gehen. Mit dieser Geisteshaltung sind im letzten Jahrhundert sechs Millionen Juden von den Nationalsozialisten grausam ermordet worden. Es gab Gräueltaten ohne Ende. Kleinkinder hat man ihren erschossenen Eltern lebendig ins Massengrab nachgeworfen und sie dann zugeschaufelt, wie es Zeitzeugen heute noch berichten. Antisemitismus, der Hass gegen Juden, ist das Schlimmste, was Deutschland je hervorgebracht hat. Und dann meinte ein Alexander Gauland, Hitler und die Nationalsozialisten seien nur ein "Vogelschiss" in tausend Jahren deutscher Geschichte gewesen.

In der AfD-Fraktion dieses Parlaments sind etliche Abgeordnete, denen ich persönlich wirklich nichts Böses unterstelle. Aber ich will nie und nimmer begreifen, warum sie sich nicht von ihrer Partei verabschieden.

(Lebhafter Beifall)

In München – es ist noch kein Jahr her, es war im Juni 2020 – wurde ein Björn Höcke mit AfD-Ehren empfangen. Er war es, der das Denkmal für die ermordeten Juden in Berlin als "Denkmal der Schande" bezeichnet hat. Wörtlich sagte er: "Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat." – Allein diese Aussage ist Antisemitismus pur.

Leider ist die rechte und rechtsextreme Szene nicht die einzige, in der Judenhass einen Nährboden findet. Die Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit hat eine weitere Gruppe als Täter klassifiziert. Sie bestehe, so die EUMC-Studie, aus jungen Muslimen, Personen nordafrikanischer Abstammung und Immigranten. Das vergangene Wochenende hat dieses Forschungsergebnis mehr als bestätigt. Brauner Extremismus und antisemitischer Islamismus werden zu einer giftigen Mischung für unser Land.

Dazu kommen noch der Antisemitismus aus der linken Ecke – Gysi lässt grüßen – und die abstruse Judenfeindlichkeit vieler Querdenker und Corona-Leugner. Von welch scheußlichem Zynismus zeugen auf das T-Shirt aufgeklebte Judensterne mit dem Text "Impfen macht frei" oder die perverse Bildmanipulation der AfD Salzgitter, die im Foto eines KZ-Tores die Inschrift "Arbeit macht frei" zu "Impfen macht frei" umformte!

Nun komme ich zu meinen Gedanken zur sogenannten Israel-Kritik. Wenn auf Transparenten steht "Israel ist unser Unglück", dann muss man wissen, dass dieses Zitat ursprünglich auf Julius Streicher, den mittelfränkischen NSDAP-Gauleiter und "Der Stürmer"-Herausgeber zurückgeht. Das ursprüngliche Zitat lautet: "Juden sind unser Unglück". – Für mich ist es pure Scheinheiligkeit, wenn jemand bei antisemitischen Hassdemonstrationen mitmarschiert und hinterher erklärt, er habe nur gegen die Tagespolitik des Staates Israel demonstrieren wollen.

Im Übrigen sind Israel und Deutschland, sind Israel und Europa Partner und, wie es Angela Merkel vor Jahren in ihrer Rede vor der Knesset formulierte, verbunden durch gemeinsame Werte, verbunden durch gemeinsame Herausforderungen und verbunden durch gemeinsame Interessen. Denn Stabilität, wirtschaftliche Prosperität, Sicherheit und Frieden in Europa sowie in dieser Region sind in unser beiderseitigem Interesse. Israel – so sagte es die Kanzlerin, und ich sehe es genauso – ist die einzige wirkliche Demokratie im Nahen Osten.

Vor zwei Jahren war ich in Tel Aviv, zufällig am Christopher Street Day. Stundenlang zog eine lebensfrohe Parade entlang des Strandes. Das war Freiheit pur. Was würden Menschen in Nachbarländern für eine solche Offenheit in ihren Staaten geben! Vielleicht sollte die Fridays-for-Future-Bewegung etwas vorsichtiger sein, sich einseitig negativ über Israel zu äußern. Wer für die Jugend spricht, dem muss die Toleranz in einer Gesellschaft ein wichtiges Ziel sein.

(Beifall)

Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ist viele Jahrhunderte alt und höchst komplex. Es bleibt jedem unbenommen, sich eine eigene Meinung über die Tagespolitik in Israel zu bilden. Aber eines ist für mich klar: Die Sicherheit Israels ist für uns Deutsche niemals verhandelbar. Nach der Shoah ist es deutsche Staatsräson und menschliche Verpflichtung, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um Israels Existenz zu schützen.

(Beifall)

Zum Glück und endlich hat Außenminister Maas den Raketenterror der Hamas auf das Schärfste verurteilt. 3.000 Raketen hat die Hamas innerhalb von sechs Tagen auf die Zivilbevölkerung Israels abgefeuert. So lässt sich kein Frieden in dieser Region erzwingen. Das führt allenfalls zu Krieg. Und dass wohl der Iran hinter der Hamas steht, ist mehr als eine Vermutung. Es ist nicht nur das Recht Israels, sich zu wehren, sondern es ist seine Pflicht, zum Schutz seiner Zivilbevölkerung.

Zurück nach Deutschland. Wer aus einem anderen Land hierher geflüchtet ist und bei uns Schutz und Hilfe gefunden hat, dessen mindeste Pflicht ist es, sich auch an diese deutsche Staatsräson zu halten. Wer Hassparolen grölt und israelische Fahnen verbrennt, der hat zu gehen, und zwar schnell.

(Beifall)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Redezeit ist zu kurz, um die gesamte Entschließung zu erläutern und den umfangreichen Katalog bayerischer Maßnahmen darzustellen. Die Staatsregierung, vom Ministerpräsidenten bis hin zum Be

auftragten für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, leistet ihr Möglichstes. Gerade auch die KZ-Gedenkstätten haben die Herausforderung angenommen. Insbesondere in Flossenbürg bemüht man sich im Projekt "ReMember" vor allem um Jugendliche im Alter von 15 bis 23 Jahren mit Migrations- oder Fluchterfahrung und führt sie zu einem Zertifikat als Botschafter bzw. Botschafterin für gelebte Erinnerungskultur. Das bedeutet, Jugendliche aus Flüchtlingsfamilien meist muslimischen Glaubens lernen, wohin Ausgrenzung, Rassismus und Antisemitismus führen. Dadurch haben wir die Chance, viele Vorurteile, die sie gegen Juden von Haus aus mitbringen, abzubauen.

Generell brauchen wir im Lande neben mehr politischer Bildung wieder eine stärkere Erziehung zu Empathie und Menschlichkeit. Wer als Kind den Spruch "Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg‘ auch keinem andern zu" verinnerlicht, wird auch im späteren Leben mehr Rücksicht auf andere nehmen. Abschließend will ich drei Punkte nennen, die mir wichtig sind:

Erstens. Ich danke den Repräsentanten der beiden Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, Frau Dr. Charlotte Knobloch und Herrn Dr. Josef Schuster, und allen an ihrer Seite für ihre großartige und glaubwürdige Arbeit. Ich danke auch der Liberalen jüdischen Gemeinde. Es ist großartig, dass jüdisches Leben in viele unserer Städte zurückgekehrt ist. Wie bereits Vorredner gesagt haben, ist es eine große Bereicherung, dass die jüdische Kultur wieder gepflegt wird und wir gemeinsam über 1.000 Jahre jüdische Kultur in Bayern und 1.700 Jahre jüdische Kultur in Deutschland feiern können. Auch wenn die Corona-Maßnahmen noch etwas hinderlich sind, der Wille zur Gemeinsamkeit in Bayern trägt.

Eine zweite Bemerkung. In diesen Tagen finden projüdische Kundgebungen statt, zum Beispiel am Sonntag um 14 Uhr am Nürnberger Kornmarkt. Ich wünsche mir, dass sich möglichst viele Menschen Bayerns daran beteiligen und deutlich zeigen, dass sich unsere jüdischen Bürgerinnen und Bürger auf ihre Nachbarn, ihre Arbeitskollegen und die anderen Bürgerinnen und Bürger ihrer Stadt verlassen können und unter unser aller Schutz stehen. Mir ist die Mehrheit der Bevölkerung noch zu still. Ich zitiere hier gerne Nils Minkmar aus der "SZ" von gestern: