VERA. Sie wissen doch ganz genau, was bei diesen Vergleichsarbeiten gemacht wird. VERA ist nicht geeignet. VERA fragt doch nicht die Wissensstände ab.
(Dr. Paul Wengert (SPD): Sie reden doch an der Sache vorbei! – Zuruf der Abgeordneten Isabell Zacharias (SPD))
Wenn Sie es nicht hören wollen, erkläre ich es Ihnen gerne noch einmal: VERA ist ein Instrument der internen Schulevaluation. Im Übrigen wird in der dritten Jahrgangsstufe abgefragt und nicht in der vierten Klasse, in der letzten Endes die Schullaufbahnempfehlung gegeben wird. Sie hat im Übrigen auch nichts mit dem aktuell durchgenommenen Lernstoff zu tun. Wenn Sie die Umfragen des Ministeriums unter den Lehrern kennen würden, dann wüssten Sie, dass der ganz überwiegende Teil, nämlich durch die Bank 65 bis 70 %, der Lehrerinnen und Lehrer der Meinung ist, dass der Einbezug der VERA-Ergebnisse nicht zu einer größeren Objektivität der Beurteilung beiträgt. Wieso Sie die Ergebnisse trotzdem in die Begründung des Antrags aufgenommen haben, verstehe, wer will; ich verstehe es ganz ehrlich nicht, Herr Güll.
Deswegen ist für uns entscheidend, dass wir durch die Schullaufbahnempfehlung den Schülerinnen und Schülern einen Anhaltspunkt geben. Die freie Elternwahl, die Sie propagieren, machen Sie sich doch selbst vor. Sie sagen: Wir brauchen stattdessen ein verbindliches Lehrergespräch. Herr Güll, wir führen ständig Lehrergespräche. Meine Frau und ich führen immer wieder Lehrergespräche, und ich würde mir wünschen, dass es alle anderen Eltern auch so tun; denn die Lehrer, die in der Regel in der vierten Klasse die Kinder beurteilen, haben die Kinder sowohl in der dritten als auch in der vierten Klasse unterrichtet. Sie haben zwei Jahre lang einen Überblick über die Leistungen ihrer Schülerinnen und Schüler gewonnen. Wenn ich mich nicht auf deren Empfehlung verlassen soll, worauf dann? – Das, was im Übertrittszeugnis oder in der Schullaufbahnempfehlung steht, ist nicht das Ergebnis eines Tests oder zweier Tests, sondern es ist das Ergebnis von vielen Leistungstests, die über das Jahr hinweg gemacht worden sind. Weil dieses Verfahren ehrlich ist, können Sie mir abnehmen, dass das tatsächlich ein ausgewogenes System ist.
Entscheidend ist, dass wir uns auf die Empfehlungen der Lehrerinnen und Lehrer verlassen können. An dieser Stelle sage ich den Lehrerinnen und Lehrern der Grundschule ein ganz herzliches Dankeschön, dass sie das tun. Auf sie können wir uns verlassen. Das ist unter anderem daran erkennbar, dass von all denjenigen, die 2014 und 2015 mit einer Gymnasialempfehlung das Gymnasium besucht haben, gerade einmal 3,8 % die Schule abgebrochen oder die Schulart gewechselt haben. Das ist in diesem Zusammenhang ein ganz hervorragendes Ergebnis, das zeigt, dass die Schullaufbahnempfehlungen, die die Grundschullehrerinnen und -lehrer geben, komplett richtig sind.
Ihre Meinung, dass das System überholt ist, kann verstehen, wer will. Der Bayerische Realschullehrerverband versteht sie im Übrigen auch nicht. Der hat auf die Misere in Baden-Württemberg hingewiesen und mitgeteilt, dass Sie in dem Zusammenhang von Ihrem Ross runterkommen sollten. Herr Kollege Güll, Sie haben das Thema in einem Dringlichkeitsantrag aufgegriffen. Deswegen glaube ich, Sie haben eine Aufarbeitung im Ausschuss verpasst. Die kann man ja durchaus nachholen. Ihr Ziel heute war vor allem, unbedingt noch mal für Verwirrung und Durcheinander zu sorgen, weil die Schullaufbahnempfehlungen jetzt im Mai vorliegen. Ihnen geht es nicht um die Sache; denn wenn es Ihnen um die Sache gegangen wäre, dann hätten wir im Ausschuss darüber geredet. Das wollten Sie ganz offensichtlich nicht, sondern Sie mussten einen Dringlichkeitsantrag daraus machen. Deswegen sage ich Ihnen – nach meinen bisherigen Ausführungen werden Sie nicht überrascht sein –: Wir werden Ihren Antrag ablehnen, auch deswegen, weil hier ganz offensichtlich der ideologische Gaul mit Ihnen durchgegangen ist.
Aber ich gehe davon aus, dass dies das letzte Zucken des ideologischen Gauls war. Der ist totgeritten.
Deswegen kann ich Ihnen nur empfehlen: Steigen Sie von dem Gaul ab, der bringt Sie nicht weiter vorwärts!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist sicherlich sinnvoll und nachdenkenswert, auch über das Übertrittsverfahren zu reden. Gut, dass wir das heute tun; es passt ja auch zeitlich.
Man kann sicherlich das ein oder andere verbessern. Man kann über die Prüfungsdichte nachdenken. Man kann das Ganze prozessorientierter gestalten. Man kann den Schulartwechsel noch leichter gestalten. Man kann auch die Gespräche mit den Lehrern weiterentwickeln.
Nur, was sind denn die zwei Ziele des Antrags? – Ein Ziel ist, das hat Kollege Güll schon gesagt, die Freigabe des Elternwillens. Da stellt sich schon die grundsätzliche Frage, ob die Freigabe des Elternwillens die Dinge besser macht. Ich glaube, nein. Es gibt verschiedene Studien. Sie haben die Studie von Professor Reinders zitiert. Es gibt aber auch die DollmannStudie, die genau das Gegenteil besagt: Wenn man den Elternwillen freigibt, wird die soziale Spreizung sogar noch größer.
Glaubt jemand im Ernst, dass in Starnberg, München oder in Grünwald weniger Kinder aufs Gymnasium gehen, wenn der Elternwille freigegeben wird? – Das glaube ich nicht. Die einzig mögliche Konsequenz ist vielleicht, dass dann noch mehr aufs Gymnasium gehen; das weiß ich aber nicht. Ich persönlich glaube, dass es wirklich auch an dem Elternwillen liegt.
Ein zweites Thema ist die Frage des Drucks; diese Frage ist schon wichtig. Häufig ist der Druck bei den Schülern zu groß. Die Frage stellt sich aber, von wem der kommt. Ich persönlich glaube, und das sollte man auch untersuchen, dass der Druck auch von den Eltern kommt; das hört man jedenfalls von vielen Lehrern. Insofern bin ich damit einverstanden, dass man über den Übertritt diskutiert, dass man auch analysiert, warum die Unterschiede in Bayern vorhanden sind. Ich bin sicher: Die Kinder in Oberfranken sind nicht dümmer als die Kinder in Oberbayern und in München.
Die Frage ist doch: Warum gibt es Unterschiede? Man sollte sicherlich auch einmal über die Eltern und über die Strukturen vor Ort nachdenken.
Ich verstehe nicht – und das ist die zentrale Ausrichtung –, warum der Dringlichkeitsantrag der SPD eine verfassungsmäßige Überprüfung zum Ziel hat. Ich glaube, das ist nicht erfolgversprechend. Ich sage Ihnen, warum: insbesondere deshalb, weil der Bayerische Verfassungsgerichtshof vor zwei Jahren genau diese Frage entschieden hat. In einer Popularklage zum Übertrittsverfahren hat er entschieden, es widerspricht nicht dem Gleichheitsgebot, es widerspricht nicht der Menschenwürde, es widerspricht nicht der
Handlungsfreiheit. – Das sollte man sich einmal anschauen. Ich gebe einer solchen Klage keine Chance.
Wenn Sie sagen, man muss gleiche Lebensbedingungen prüfen, dann halte ich entgegen: So steht es nicht in der Verfassung. In der Verfassung stehen "gleichartige Lebensverhältnisse". Das ist ein Programmsatz, der sich an den Staat richtet. Es wird schwer sein, daraus einen Anspruch der Eltern herzuleiten.
Das heißt auch nicht Gleichmacherei. Wenn wir gleiche Lebensverhältnisse wollten, dann müssten wir beim Wohnungsmarkt anfangen. Ich glaube, dieser Ansatz einer verfassungsmäßigen Überprüfung wird eher in den Wald führen. Man sollte besser schauen, ob das Übertrittsverfahren so, wie es gestaltet ist, sinnvoll ist, was man verbessern kann, wie man das machen könnte. Die Staatsregierung aufzufordern, im Grunde gegen sich selbst zu prüfen, ob sie verfassungsgemäß handelt, ist wohl nicht die richtige Zielrichtung. Aus diesem Grund werden wir den Antrag ablehnen. Über alles andere können wir gerne diskutieren.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über das Übertrittsverfahren in Bayern und über die Rechtmäßigkeit des Übertrittsverfahrens. Man muss schon einmal darüber reden, was dieses Übertrittsverfahren vorgibt. Es gibt eine Scheinobjektivität vor, die es nicht einlösen kann. Es gibt auch vor, bildungs-, chancen- und vor allem leistungsgerecht zu sein, die richtige Leistung zu belohnen und darüber hinaus festzustellen, ob die Schülerin bzw. der Schüler für das Gymnasium oder die Realschule geeignet ist. Übrigens wird nie überprüft, ob die Schülerin bzw. der Schüler für die Mittelschule geeignet ist, ob er oder sie wirklich geeignet ist, einmal Installateur zu werden. Vielleicht ist der Mensch, der die Durchschnittsnote 2,33 schafft, besser geeignet, um Installateur zu werden. Ob unbedingt jeder, der die Durchschnittsnote 2,33 schafft, Jurist werden muss, ist eine andere Frage.
Die Frage geht also um die objektiv richtige Zuweisung auf die einzelnen Schularten. Diese Zuweisung stellt einen hohen Anspruch. Wir als Staat sagen den Eltern der Kinder: Ihr Kind geht dahin, und Ihres geht dorthin. Das entspricht nicht unserem Verständnis von mündigen Bürgerinnen und Bürgern und Eltern. Wer diese Zuweisung macht, hat einen hohen rechtlichen Begründungszusammenhang herzustellen.
Das Übertrittsverfahren wird den sozialen Hintergründen nicht gerecht. Akademikerkinder werden bevorzugt und gehen bevorzugt ans Gymnasium. Das muss man insbesondere für Bayern so feststellen. Das ist eine Scheinobjektivität in einem Flächenland, die ich als jemand, der tatsächlich aus der Fläche kommt, nicht hinnehmen kann. Man muss einfach sehen, wie groß die flächenmäßigen Unterschiede in Bayern bei der Zuweisung sind. Bei der Frage "Bist du geeignet fürs Gymnasium oder nicht?" geht es nicht um die Bildungsgerechtigkeit zehn Jahre später. Ich wehre mich dagegen, dass Intelligenz unter der bayerischen Bevölkerung so unterschiedlich verteilt sein soll, wie das hier suggeriert wird. Ich glaube einfach nicht, dass die Menschen in Oberbayern so viel klüger sind als die in Niederbayern oder die in Schwaben. Das kann ich mir einfach nicht vorstellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, genau das suggeriert aber dieses Übertrittssystem. Es suggeriert, dass im Landkreis München viele Gymnasialkinder leben und in Niederbayern oder in Hof viele Mittelschulkinder. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt aber keine Gymnasialkinder oder Mittelschulkinder, sondern die Kinder haben ihre Stärken und Schwächen und müssen individuell gefördert werden. Darum soll es uns gehen und nicht um die Zuweisung an die Schularten.
Zum differenzierten Schulsystem sage ich: Ich finde, wir müssen schon darüber reden, ob wir eine Akademikerschwemme haben und wie wir die duale Ausbildung rechtfertigen. Fraglich ist, ob wir das bei den 10Jährigen entscheiden sollen. Ich glaube, dass das der falsche Zeitpunkt ist.
Wenn es Ihnen wirklich darum geht, einer Akademikerschwemme entgegenzutreten, dann, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU aus den Landkreisen um München, sagen Sie den Eltern: Ihr seid hier zu viele Akademiker, wir bauen hier kein neues Gymnasium, schickt eure Kinder auf die Mittelschule, damit sie Installateure werden. – Das tut ihr aber nicht.
Deswegen stelle ich fest: Dieses Übertrittsverfahren ist ungerecht. Man muss wirklich fragen, ob es verfassungsgemäß ist. Daher ist es gut, dass die SPD dieses Gutachten in Auftrag gibt.
Das Wichtigste ist aber – und da sind wir uns fast schon einig –, dass das Übertrittsverfahren den Kindern nicht gerecht wird. Der Druck, der auf die Kinder in der Grundschule ausgeübt wird, ist immens. Er mag zwar von den Eltern kommen; aber der Druck der Eltern trifft auf die Durchschnittsnote 2,33. Die Kinder zerbrechen an der Note 2,33, ganz egal, woher der Druck kommt. Wenn der Staat ein Schulsystem schafft, in dem die Kinder an einer Note zerbrechen und den Druck spüren, dann muss man diese Note abschaffen und nicht das, was die Eltern wollen.
(Michael Hofmann (CSU): Weil ihr suggeriert, dass sie alle aufs Gymnasium müssen! Das ist das Problem! – Klaus Adelt (SPD): Das stimmt doch gar nicht!)
Wer suggeriert, dass seine Kinder nicht aufs Gymnasium müssen, sollte seine eigenen Kinder nicht dorthin schicken. Das ist ein Vorschlag. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen also dieses Verfahren ändern, weil es Druck aufbaut.
Ich kann noch auf eine Pressemitteilung des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes hinweisen. Das ist der Lehrerverband, der die Grundschullehrerinnen und -lehrer repräsentiert. Sie erleben tagtäglich, was unter diesem Druck passiert. Übrigens vertritt dieser Verband auch die Mittelschullehrer. Die Mittelschule wird immer von den Lehrerverbänden gelobt, die Lehrer repräsentieren, die nicht in der Mittelschule unterrichten. Dieser Lehrerverband sagt: Der Druck ist zu groß, wir müssen ihn abschaffen. Die Präsidentin fragt: Warum hören wir nicht einfach mit diesem Verfahren auf? – Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich würde vorschlagen, wir beenden dieses Verfahren, wir ändern das Übertrittsverfahren, das es in dieser Form nur noch in Bayern gibt. Wenn wir oder Sie mit Ihrer Mehrheit das im Landtag nicht schaffen, dann wird möglicherweise das Gericht dieses Verfahren beenden. Wir erleben das öfter in der Politik; dann ist das eben so. Ich fände es aber besser, wir würden das in politischem Auftrag und pädagogisch gut begründet tun, als auf das Gericht zu setzen. Wenn es aber so sein soll, dann sei es so. Wir unterstützen deswegen den Antrag der SPD.
Ich gebe zunächst bekannt, dass die SPD-Fraktion namentliche Abstimmung zu ihrem Antrag beantragt hat. – Jetzt kann ich Herrn Staatssekretär Eisenreich das Wort erteilen. Bitte sehr.
gen! Zunächst einmal möchte ich feststellen, dass die CSU, die SPD und die GRÜNEN unterschiedliche Überzeugungen haben, wie das richtige Schulsystem aussieht. Die SPD möchte wie auch die GRÜNEN eine Gemeinschaftsschule, also eine Schule für alle. Wir wollen das nicht. Wir sind der Überzeugung, dass darin der eine Teil überfordert und der andere Teil unterfordert wäre. Wir sind der Überzeugung, dass wir für vielfältige Talente vielfältige Bildungswege anbieten sollten. Deshalb kommen wir trotz aller persönlichen Sympathie an diesem Punkt nicht zusammen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, heute geht es speziell um das Thema Übertritt bzw. die Übertrittsempfehlung. Sie ist ein Teil des Übertrittsverfahrens. Dazu gehört wesentlich mehr als nur diese Empfehlung. Bei uns fängt es schon in der 3. Jahrgangsstufe mit Beratung und Rückmeldungen zum Leistungsstand der Schüler an. Es gibt die Möglichkeit von Lernentwicklungsgesprächen und die frühzeitige Information, welche Chancen unser vielfältiges Bildungssystem bietet, wie viele Bildungswege es gibt. In der 4. Klasse geben die Lehrkräfte, die die Schülerinnen und Schüler zwei Jahre lang begleitet haben und deswegen die Begabungen und Interessen der Schülerinnen und Schüler gut kennen, eine Übertrittsempfehlung ab. Sie haben einen wirklich professionellen Blick auf die Schülerinnen und Schüler. Diese Empfehlung ist fundiert, und sie ist qualifiziert. Sie unterstützt die Eltern bei der Wahl der richtigen weiterführenden Schule für ihr Kind. Wenn wir uns die Akzeptanz dieses Verfahrens anschauen, dann sehen wir, dass gut zwei Drittel der Eltern und der Pädagogen die Übertrittsempfehlung für alle Schüler der Jahrgangsstufe 4 für sinnvoll oder sogar für sehr sinnvoll halten.
Es wäre schön, wenn dieses Ergebnis, auch wenn es nicht Ihrer Überzeugung entspricht, einfach zur Kenntnis genommen würde. Das Verfahren ist nach unserer Meinung sinnvoll, weil wir eine andere Überzeugung haben, wie das richtige Schulsystem aussehen soll. Wir wollen ein begabungsgerechtes, differenziertes Schulsystem mit vielfältigen Bildungswegen. Deswegen gibt es auch den Übertritt in verschiedene Schularten. Die Angst, die immer wieder da ist, zum Teil aber auch geschürt wird, dass bereits in der 4. Klasse über die Zukunft der Kinder entschieden wird, ist unbegründet. Deswegen sollten wir sie auch nicht schüren.