Protocol of the Session on July 8, 2015

Sie haben es hingenommen, dass von einem Bildungsetat von 11,2 Milliarden Euro im Jahr 2015 gerade einmal 450 Millionen Euro, also 4 %, in die berufliche Bildung investiert werden. Sie haben nicht resigniert, als sie mit erweiterter Schulleitung, QM und anderen zusätzlichen - vor allen Dingen bürokratischen - Aufgaben konfrontiert wurden, ohne eine entsprechende Mehrung des Personals. Weil ihnen ihre Schüler am Herzen liegen, haben sie Überstunden gemacht, und zwar in erheblichem Umfang. Die Überstunden entsprechen derzeit 359 Lehreräquivalenten, also 359 Planstellen. Wo bleibt da die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers

(Beifall bei der SPD – Unruhe – Glocke der Präsi- dentin)

- danke -, zumal dieser offenkundige, eklatante Personalmangel weniger auf die Beschulung von Flüchtlingen und Asylbewerbern als auf eine fehlerhafte Prognose des zuständigen Ministeriums zurückgeht? Dort

rechnete man zum Beispiel für die Oberpfalz im Jahr 2011 mit einem Schülerrückgang in den Folgejahren von 29 %; tatsächlich sind es aber 2 %.

In Bayern insgesamt ist die Schülerzahl an beruflichen Schulen sogar um 3,6 % gestiegen. Doch bei seiner Mittelzuweisung orientiert sich das Ministerium an seiner Prognose, nicht an der Realität. Bildungspolitik auf der Basis von Realitätsblindheit - das kann nur schiefgehen!

(Beifall bei der SPD)

Und es geht gründlich schief, wie der Hilferuf des VLB zeigt; denn nicht einmal jetzt, da weitere Klassen für die Beschulung jugendlicher Flüchtlinge und Asylbewerber nötig sind – derzeit besuchen weniger als die Hälfte von ihnen eine Berufsschule -, ist das Ministerium zu notwendigen Maßnahmen bereit. Vielmehr werden die beruflichen Schulen aufgefordert, die Arbeitszeitkonten abzubauen. Wie soll das gehen ohne zusätzliche Einstellungen, wo doch schon die Überstunden wegen Personalmangel entstanden sind? Da ist das Ministerium auf ein brillante Idee verfallen: Man streicht Pflichtunterricht. Pflichtunterricht heißt so, Kolleginnen und Kollegen, weil einerseits die Schüler verpflichtet sind, ihn zu besuchen, andererseits aber die Schule verpflichtet ist, ihn anzubieten. Das ficht die Verantwortlichen im Ministerium offensichtlich nicht an. Schon jetzt entfallen, wie ich auf eine Anfrage erfahren habe, bis zu einem Drittel des Unterrichts in Sport und Religion und 5 % des Deutschunterrichts. Das ist mehr als ein Armutszeugnis. Das ist ein bildungspolitischer Offenbarungseid!

(Beifall bei der SPD)

Weil wir die berufliche Bildung tatsächlich für eine politische Kernaufgabe halten, fordern wir jetzt eine Task Force für die beruflichen Schulen. Die Anträge der GRÜNEN und der FREIEN WÄHLER haben die gleiche Zielsetzung. Deswegen stimmen wir ihnen auch zu. Der Antrag der CSU hingegen suggeriert mit seiner Überschrift "Unterrichtsversorgung … weiterhin sicherstellen", zurzeit sei alles in Ordnung, was nicht der Fall ist. – Quod erat demonstrandum. Deshalb werden wir diesen Antrag ablehnen.

Falls Sie Leute für die beruflichen Schulen suchen: Es gibt genügend gute Referendare, die an Gymnasien oder Realschulen keine Stelle gefunden haben und nach einer Zusatzqualifikation zum Beispiel Deutsch als Zweitsprache unterrichten könnten. Sorgen Sie für ausreichend Personal, Herr Minister! Der Nachtragshaushalt steht bevor. Das ist die Chance, damit der Pflichtunterricht aufrechterhalten und die viel zitierte Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung nicht vollends zur Makulatur wird.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. - Jetzt hat Herr Kollege Felbinger das Wort. Bitte sehr, Herr Kollege Felbinger.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Minister! Schülerinnen und Schüler aller Schularten in Bayern haben einen Anspruch auf die Sicherstellung ihres Pflichtunterrichts. Uns ist egal, ob das schulpflichtige oder berufsschulpflichtige Schülerinnen und Schüler sind. Für uns macht das keinen Unterschied. Bei uns genießen alle Schularten gleich hohe Wertschätzung. Es macht auch keinen Unterschied, ob jemand hier geboren oder ob er zu uns geflüchtet ist. Wir sind der festen Überzeugung: Die Bayerische Staatsregierung muss hierfür den Pflichtunterricht gewährleisten. Wenn sie das nicht schafft, hat sie schlicht und einfach versagt.

Es ist bedauerlich genug, dass wir heute über dieses Thema reden müssen, und es ist auch bedauerlich, dass die CSU – das sehe ich, wenn ich ihren Antrag lese – die Realität immer noch nicht erkannt hat und davon spricht, dass die Unterrichtsversorgung "weiterhin" sichergestellt werden soll, obwohl sie es bis jetzt überhaupt nicht ist.

Fakt ist, dass der offene Brief des Berufsschullehrerverbands diese Unterrichtsversorgung noch einmal sehr deutlich vor Augen geführt hat. Man kann sagen, es ist ein Hilfeschrei der Berufsschullehrer, die ja sonst eigentlich nicht für öffentliches Lospoltern bekannt sind, sondern brav ihre Pflicht tun, und dies hervorragend. Dieser Hilfeschrei zeigt erneut, dass das Kultusministerium in der Unterrichtsplanung heillos überfordert ist. Es ist überfordert, weil Ministerpräsident Seehofer keine Stellen schaffen möchte und der Finanzminister daran natürlich auch kein Interesse hat.

Leidtragende sind die Lehrkräfte an allen Schulen, aber insbesondere an den beruflichen Schulen. Die Ursache liegt natürlich in der verfehlten Bildungspolitik der CSU, die seit Jahren die beruflichen Schulen im toten Winkel lässt. Das wird ganz besonders dadurch deutlich, dass an den beruflichen Schulen eine Personaldeckung von gerade einmal 92 % besteht. Das wird aktuell deutlicher denn je, weil die Zahl der berufsschulpflichtigen Schülerinnen und Schüler und der Flüchtlinge in Bayern steigt.

Die beruflichen Schulen konnten in den letzten Jahren eine erfolgreiche Entwicklung bei den Schülerzahlen verzeichnen und leisten hervorragende, qualitätvolle Arbeit. Während das Ministerium noch 2011 für die beruflichen Schulen einen Schülerrückgang prognosti

zierte, ist inzwischen vielfach genau das Gegenteil eingetreten. In den Regierungsbezirken sind entweder nahezu gleichbleibende oder sogar steigende Schülerzahlen festzustellen. Mit knapp 60.000 Schülerinnen und Schülern an FOS/BOS ist dort derzeit sogar ein Allzeithoch erreicht.

Bedauerlich ist – das muss man der Staatsregierung einfach vorwerfen -, dass die Zahl der Planstellen seit Jahren mit dem Schülerzuwachs nicht Schritt gehalten hat. Aus diesem Grund ist insbesondere an den beruflichen Oberschulen die Abdeckung des Pflichtunterrichts mit dem vorhandenen Lehrerpersonal nicht mehr zu gewährleisten.

Sehr deutlich formuliert hat das der gerade erst neu ernannte Ministerialbeauftragte für die FOS/BOS in Ostbayern Klaus Vietze im letzten Verbandsheft. In der Ausgabe März/April sagt er Folgendes – ich zitiere -:

An den Beruflichen Oberschulen herrscht seit vielen Jahren ein unakzeptables Unterrichtsdefizit. Will man die Budgetlücke schließen und die Aushilfskräfte auf ein annehmbares Maß zurückfahren, braucht man mindestens 300 zusätzliche Planstellen.

Genau diese Planstellen fordern wir FREIEN WÄHLER seit Jahren. Wir fordern außerdem, dass nicht länger all diese Lücken mit Aushilfsverträgen geschlossen werden. Den jungen Lehrkräften wird keine berufliche Perspektive geboten; sie werden schlicht und einfach ausgebeutet. Hier muss etwas passieren.

Die Lehrkräfte müssen für ihre wichtige Tätigkeit nicht nur eine hohe Wertschätzung erfahren, sondern sie müssen vom Freistaat Bayern die Unterstützung erhalten, die sie benötigen. Herr Minister, wo bleiben die in Erlangen beim Berufsschullehrerkongress versprochenen 100 Stellen? Bis heute sind sie nicht in Sichtweite.

Den erwähnten Hilfeschrei des Verbands der Lehrer an beruflichen Schulen in Bayern sollten Sie jetzt endlich ernst nehmen. Kämpfen Sie mit uns für zusätzliche Planstellen an den beruflichen Schulen! Tun Sie doch nicht so, als ob alles in Ordnung wäre! Legen Sie endlich – das fordern wir von Ihnen – die Zahlen offen! Planen Sie gewissenhaft und hören damit auf, an jeder Stelle mit den Zahlen zu jonglieren und zu tricksen.

Ich zitiere noch einmal den stellvertretenden Vorsitzenden des VLB Martin Krauß. Er schreibt im aktuellen Verbandsheft – ich zitiere –:

… die Planstellenzuweisungen decken nicht den Bedarf – und dies schon seit Jahren. Es wird Zeit, die Fakten auf den Tisch zu legen. Nur so wird "nüchternen Rechnern" vor Augen geführt, dass ein riesiger Handlungsbedarf notwendig ist, wenn das "Schiff Berufsschule, berufliche Schulen" weiterhin ihre "Passagiere" sicher zu den beruflichen "Häfen" bringen soll.

Die Schulfamilie, Herr Minister, erwartet dies zu Recht. Wofür machen Sie eigentlich jährlich die Lehrerbedarfsberechnung, wenn die Zahlen dann doch im Papierkorb landen, anstatt in die entsprechenden Lehrerbedarfe umgesetzt zu werden? - Die Schulfamilie erwartet nicht mehr und nicht weniger als eine gesicherte Unterrichtsversorgung im kommenden Schuljahr. Es darf kein Pflichtunterricht mehr aus Personalnot ausfallen. Deswegen bitten wir um Zustimmung zu unserem Antrag. Wir stimmen auch den Anträgen von SPD und GRÜNEN zu und lehnen den der CSU ab.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Danke schön. – Jetzt hat Herr Kollege Reiß das Wort. Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Petersen, lieber Kollege Felbinger, es besteht tatsächlich keinerlei Zweifel daran, dass die beruflichen Schulen in Bayern derzeit größte Herausforderungen zu meistern haben. Das hängt sicherlich einmal damit zusammen, dass der Erfolg dieser wichtigen Säule der bayerischen Schullandschaft an sich sowie die Situation in der bayerischen Wirtschaft, die positive Ausbildungsbereitschaft der Betriebe für die angesprochenen, teilweise über die Prognosen hinausgehenden Schülerzahlen sorgt.

Zu berücksichtigen ist aber auch – Sie haben es angesprochen, und das ist in den Anträgen als ein zentrales Thema enthalten – der steigende Zustrom junger Flüchtlinge und Asylbewerber, der uns vor enorme Herausforderungen stellt. Das hat natürlich Einfluss auf die Unterrichtsversorgung insgesamt.

In unserer Fraktion war heute Vormittag der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zu Besuch und hat noch einmal sehr deutlich auf die Dimension der Zahlen und auf die Entwicklung der letzten Jahre hingewiesen. Im Jahr 2007 gab es beim Bundesamt 19.000 Anträge, 2014 waren es schon über 200.000, und in diesem Jahr erwartet Herr Dr. Schmidt fürs Bundesamt 400.000 Anträge.

Die Bewältigung dieser Antragsflut bedeutet einen riesigen Kraftakt für die Verantwortungsgemeinschaft

aller politischen Ebenen; so haben es die Ministerpräsidenten beim Asylgipfel formuliert. Das geht bei Europa los und zieht sich über den Bund, die Länder bis hin zu den Kommunen. Diese zahlenmäßige Entwicklung bei jungen Flüchtlingen und Asylbewerbern bedeutet eine enorme Herausforderung für die Schulen.

Wir stellen dafür enorme Haushaltsmittel zur Verfügung, Herr Kollege Felbinger.

(Zuruf des Abgeordneten Günther Felbinger (FREIE WÄHLER))

Die aktuellen Flüchtlingszahlen bedeuten für Bayern im Doppelhaushalt 2015/2016 zusätzlich bereitzustellende Mittel in Höhe von rund 3 Milliarden Euro.

(Beifall bei der CSU)

Wenn sich Bayern da mit den anderen Bundesländern vergleicht, vor allem was die Unterstützung der Kommunen anbelangt, stellt man fest: Das ist völlig unerreicht.

Auch wenn der Hauptteil dieser Mittel in die Versorgung und die Unterbringung der Asylbewerber fließt, gehen doch erhebliche Mittel auch in die Beschulung der zu uns kommenden jungen Flüchtlinge. Dieses Thema steht bei uns nicht im "toten Winkel", so wie Sie das formuliert haben, Herr Kollege Felbinger. Offensichtlich stand es bei Ihnen im toten Winkel, wenn Sie den VLB brauchen, um das Thema überhaupt auf die Tagesordnung zu nehmen.

Für uns besteht kein Zweifel: Wir müssen die Unterrichtsversorgung und ihre Qualität an den Schulen mit besonderem Augenmerk auf den beruflichen Schulen weiter sichern. Das bringen wir in unserem Dringlichkeitsantrag hier deutlich zum Ausdruck.

(Beifall bei der CSU)

Wir sind zuallererst den Lehrkräften an allen Schulen dankbar für die herausragende Arbeit, die sie in dieser außergewöhnlichen Situation für die jungen Menschen leisten, die aus den Krisenregionen der Welt zu uns kommen. Mit einer Fülle von schulinternen Maßnahmen tragen diese Lehrkräfte täglich dazu bei, dass Bayern den anhaltend großen Zustrom von Jugendlichen meistern und einen möglichst optimalen Unterricht bieten kann.

Das bayerische Modell erfährt bundesweit Beachtung und Zustimmung. Der Bundesflüchtlingsrat hat es den anderen Bundesländern mehrfach empfohlen. Das gilt auch und besonders für die hervorragende Arbeit, die bei der Beschulung berufsschulpflichtiger Flüchtlinge geleistet wird.

Erst im März dieses Jahres haben wir zusätzlich 70 Klassen für berufsschulpflichtige Flüchtlinge eingerichtet, um diesem Zustrom zu begegnen. An 75 Standorten in Bayern können derzeit in 260 Klassen rund 4.500 berufsschulpflichtige Flüchtlinge in den Berufsschulen an einem zweijährigen Programm teilnehmen, worin sie Deutschkenntnisse erwerben und sich auf eine Berufsausbildung oder den weiteren schulischen Weg vorbereiten können.

Bereits bestehende Standorte haben wir gestärkt und weitere Klassen eingerichtet. Selbstverständlich muss die Zahl der Standorte und der Klassen für das kommende Schuljahr angesichts der steigenden Zahlen der zu beschulenden Flüchtlinge weiter – und zwar deutlich – ausgebaut werden. Basis dafür ist das bayerische Konzept zur Sprachschulung ankommender Flüchtlinge. Wir halten bereits in den Erstaufnahmeeinrichtungen das Angebot seitens des Kultusministeriums vor, Anfängerkurse in "Deutsch als Zweitsprache" wahrzunehmen.

Im Jahr 2014 hat das Kultusministerium eine Stabsstelle eingerichtet. Diese Stelle koordiniert das Bildungsangebot für junge Flüchtlinge und organisiert Maßnahmen, die sich aus der Situation der Schulen vor Ort ergeben. Wir gelten hier im deutschen Vergleich als Vorbild und als Vorreiter, was die sprachliche, schulische und gesellschaftliche Integration von Asylbewerbern anbelangt.

(Beifall bei der CSU)

Die Ursprünge für das Modellprojekt "Berufliche Bildung für berufsschulpflichtige Flüchtlinge" wurden zunächst in Nürnberg und München entwickelt; es hat sich schnell in ganz Bayern ausgebreitet. Es gibt jetzt – ich habe es bereits angeführt – in ganz Bayern zahlreiche Berufsschulen, die Sprachförderung und Berufsinformation betreiben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist richtig: Im laufenden Schuljahr werden an den beruflichen Schulen mehr Schüler unterrichtet, als in der Schülerprognose berechnet. Ein Teil davon ist sicher unabhängig von der Zahl der Flüchtlinge zu sehen. Zugleich bedeutet das ein Zeichen und ist ein überzeugender Beleg für die Zukunftsfähigkeit dieser Form der beruflichen Bildung; das haben Sie ja auch angesprochen. Diese Entwicklung stellt die Schulen und die Bildungspolitik vor enorme Herausforderungen, die wir jedoch – da habe ich keine Zweifel – in Zukunft auch bewältigen werden. Auch die Fachoberschulen und die Berufsoberschulen sind angesprochen. Sie verzeichnen aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit eine enorme Nachfrage bei den Schülerinnen und Schülern. Das ist letzten Endes eine erfreuliche Entwicklung; denn die FOS

und die BOS haben sich als zweiter, gleichwertiger Bildungsweg zur Hochschulreife positioniert. Dazu kann man diese Säule der bayerischen Bildungspolitik nur beglückwünschen. Auch an diesen Schulen konnten wir in letzter Zeit zusätzliche Stellen schaffen. Wir werden da auch nicht nachlassen.