Protocol of the Session on February 26, 2015

Ich komme zurück zum Tagesordnungspunkt 4 und rufe die Listennummer 18 der nicht einzeln zu beratenden Anträge auf:

Antrag der Abgeordneten Hubert Aiwanger, Florian Streibl, Dr. Hans Jürgen Fahn u. a. und Fraktion (FREIE WÄHLER) Bekämpfung der Ursachen sogenannter Armutsmigration in den Herkunftsländern (Drs. 17/4319)

Ich eröffne die Aussprache. Die Gesamtredezeit der Fraktionen beträgt nach der Geschäftsordnung 24 Minuten. Die Redezeit der Staatsregierung orientiert sich dabei an der Redezeit der stärksten Fraktion. Das bedeutet für die CSU acht Minuten, für die SPD sechs Minuten, für die FREIEN WÄHLER und die GRÜNEN jeweils fünf Minuten und für die Staatsregierung acht Minuten. - Erster Redner ist der Kollege Dr. Fahn. Bitte schön.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im letzten Jahr gab es den berühmten Satz: Wer betrügt, der fliegt. Mit dieser Aus

sage der CDU wurden auch verschiedene Wahlkämpfe geführt.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Dahinter stand unter anderem die Problematik der sogenannten Armutswanderung aus Osteuropa. Was steckte dahinter? - Die kommunalen Spitzenverbände hatten schon lange Alarm geschlagen und darauf hingewiesen, dass es in mancher deutschen Kommune und auch in vielen bayerischen Kommunen Probleme gebe. Weil insbesondere Länder Südosteuropas – ich nenne hier bewusst Bulgarien und Rumänien – ihrer Fürsorgepflicht nicht gerecht werden, sondern sogar im Gegenteil ungeliebte Minderheiten aus dem Land mobben, sind unsere Kommunen die Leidtragenden. Wir haben hier in der Tat ein Problem, für das wir dringend Abhilfe schaffen müssen.

Deshalb haben wir uns als FREIE WÄHLER und Anwalt der Kommunen ernsthafte Gedanken darüber gemacht, wie wir den Städten und Gemeinden konstruktiv helfen und einen Weg finden können, und haben den Antrag gestellt, das Problem in den Herkunftsländern zu lösen.

Dies wurde im Europaausschuss diskutiert, und die anderen Fraktionen haben bis auf die CSU zugestimmt. Die Gründe dafür, warum die CSU nicht zugestimmt hat, sind mir auch nach intensivem Studium der Protokolle mehr als schleierhaft.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Vielleicht liegt es auch daran, dass die Kollegen von der CSU unseren Antrag nur überflogen und gar nicht richtig gelesen haben. Ich werde noch darauf zurückkommen.

Was wollen wir? - Wir wollen, dass sich die Staatsregierung bei der Europäischen Kommission dafür einsetzt, nach Möglichkeiten zu suchen, den Herkunftsländern von Armutsmigration, insbesondere Bulgarien und Rumänien, Unterstützung in Bezug auf den Mittelabruf bei Fördergeldern, zum Beispiel ESF oder EFRE, anzubieten, um sie im Hinblick auf die Integration der am stärksten von Armut betroffenen Gruppen zu unterstützen und damit auch die Ursachen sogenannter Armutswanderung aus Osteuropa direkt zu bekämpfen.

Wir haben auch konkrete Beispiele genannt. Es geht um zur Verfügung stehende Strukturmittel. Diese wurden beispielsweise in Bulgarien und Rumänien lediglich zu 42 % abgerufen. Hier besteht Handlungsbedarf.

Wir berufen uns auch auf den Deutschen Städtetag, der ein Papier herausgegeben und ganz klar gesagt hat, die europäischen Fördermittel müssten zur Verbesserung der Lebensbedingungen auch vor Ort ankommen. Wenn sie nur zu 42 % abgerufen werden, dann kommen sie auch nicht richtig vor Ort an.

Deshalb haben wir auch in der Begründung ausdrücklich klargestellt, dass selbstverständlich jeder Mitgliedstaat der Europäischen Union selbst über Umfang und Art der Maßnahmen entscheidet. Das Herantreten an die Europäische Kommission soll als Angebot und nicht als Verpflichtung gedacht sein. Auch hierüber wurde diskutiert.

Zum einen hat die Kollegin Schorer-Dremel von der CSU im Ausschuss ausgeführt, die Vorgabe zur Umsetzung konkreter Maßnahmen sei eine unzulässige Einmischung in die Souveränität der Mitgliedstaaten. Aber das steht gar nicht in unserem Antrag; das wollen wir gar nicht; das ist gar nicht unser Anliegen. Eine solche Schlussfolgerung kann man aus unserem Antragstext gar nicht ziehen.

Zum andern hat der Kollege und Jurist Dr. Rieger gemeint, unser Antrag habe juristische Schwächen, weil die Herkunftsländer sogenannter Armutsmigration hierin weitgehend unbestimmt blieben. Aber ich habe vorhin schon darauf hingewiesen - in der vierten Zeile steht genau dies -: Wir meinen zum Beispiel Bulgarien und Rumänien. Also haben wir doch die Länder benannt, meine Damen und Herren.

Daher meine ich, dass die Argumente der CSU, mit denen unser Antrag abgelehnt wurde, unverständlich sind. Wir wollen, dass zur Verfügung stehende Strukturmittel dort auch ankommen und dass diese Leute, wenn sie es wollen, Hilfe bekommen.

Wir haben diesen Antrag hochgezogen, weil er für das Argument, die Ursachen sogenannter Armutsmigration sollten in den Herkunftsländern bekämpft werden, wichtig ist. Wir bitten um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei den FREIEN WÄHLERN)

Vielen Dank, Kollege Fahn. – Nächste Wortmeldung: Kollege Taubenender für die CSU-Fraktion. Bitte sehr.

(Vom Redner nicht auto- risiert) Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum einen danke ich den FREIEN WÄHLERN für ihren Antrag. Er stellt immerhin die Anerkenntnis der Realität von Armutsmigration und Sozialmissbrauch dar. Noch vor einem Jahr haben diese Zeter und Mordio geschrien, als die CSU dieses Thema auf

gegriffen hat. Jetzt wollen sie die Armutsmigration bekämpfen. Das ist gut.

Die Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft "Arbeitswanderung aus Osteuropa" hat schon im Jahr 2013 völlig richtig festgestellt, die Problematik der Armutswanderung könne langfristig nur gelöst werden, wenn sich die Situation der Betroffenen in den Herkunftsländern merklich verbessere.

Wie aber kann man die Situation in den Herkunftsländern verbessern, um Armutsmigration zu verhindern? Wenn es nach den FREIEN WÄHLERN geht, soll die Europäische Kommission tätig werden und besonders Rumänien und Bulgarien beim Abruf der Mittel unterstützen. Darüber, wie das genau geschehen soll, sagen sie wenig aus. Mit keinem Wort wird erwähnt, welche konkreten Maßnahmen die EU-Kommission hier ergreifen soll.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Wenn der Gedanke nicht als Anstoß ausreicht! Ich kann doch nicht im Detail sagen, wann ihr wohin fahren müsst!)

Die Entscheidung über die Verwendung von EU-Mitteln muss weiterhin in der Souveränität der Mitgliedstaaten liegen. Das ist, glaube ich, selbstverständlich. Es ist nicht belegt, dass die Herkunftsländer sogenannter Armutsmigration nicht wissen, wie sie die EUGelder abrufen können.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Offensichtlich schon! Wenn Sie es nicht wissen: Das hat sogar die Hohlmeier angeregt!)

Der Antrag beruht lediglich auf spekulativen Annahmen.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Nein, die Hohlmeier hat es gesagt! Sie hat Tipps gegeben, und wir haben es zu Papier gebracht!)

- Die Hohlmeier muss ja nicht immer recht haben. Wer nicht in der Lage ist, Mittel vernünftig abzurufen, nährt natürlich auch Zweifel, ob er die abgerufenen Mittel auch effizient einsetzt.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Der schickt uns die Leute herüber! Das ist praktischer!)

Bei der ineffizienten Verwendung von Mitteln auch noch Pate zu stehen, ist geradezu absurd.

Sie wollen, dass die Europäische Kommission an die Mitgliedstaaten herantritt und ein Angebot macht. Dabei darf man aber eines nicht vergessen: Jedes Mitgliedsland der EU hat eigene Europaabgeordnete

und auch Europakommissare. Rumänien hat 32 Europaabgeordnete, Bulgarien 17. Für Haushalt und Personal ist in der Europäischen Kommission die bulgarische Vizepräsidentin Kristalina Georgiewa zuständig. Aus Rumänien kommt die EU-Kommissarin Corina Cretu und kümmert sich um Regionalpolitik.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn die geballte Fachkompetenz in der EU-Kommission nicht hilft, um für das eigene Land etwas zu erreichen, dann kann die EU-Kommission wohl auch nicht helfen.

(Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER): Sie wirken ja angeblich auf Griechenland auch ein, und hier sagen Sie so!)

Das wäre ja genauso, als würde man Wasser in die Donau schütten.

Es gibt bereits entsprechende Angebote in den Ländern und Ansprechpartner für die Länder. Nicht zu vergessen sind auch die Repräsentanten der EU vor Ort. Man sollte bei der Frage nach der Verwendung der Fördermittel auf diese Kompetenzen zurückgreifen und nicht wieder neue Strukturen schaffen.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch auf ein Problem zu sprechen kommen, das einer effizienten Mittelverwendung oft im Weg steht: die Korruption. Ich bin der festen Überzeugung, dass Rumänien und Bulgarien den wirtschaftlichen Standard enorm erhöhen könnten, würden sie die Korruption im Land erfolgreich bekämpfen. In einem Index von Transparency International vom Januar 2015 werden Bulgarien und Rumänien als die korruptesten EU-Länder aufgeführt. Rumänien legt allerdings inzwischen eindrucksvolle Erfolge bei der Korruptionsbekämpfung vor.

(Dr. Hans Jürgen Fahn (FREIE WÄHLER): Das hat mit unserem Antrag nichts zu tun!)

Ausdrücklich ist dem neuen Präsidenten Rumäniens, Klaus Johannis, zu danken, der dieses Problem wirklich anpackt. Im vergangenen Jahr hat es in Rumänien 280 Verurteilungen wegen Korruption – auch von hohen Regierungsbeamten – gegeben. Jetzt wurden 4.000 neue Korruptionsverfahren eingeleitet. Es liegt doch auf der Hand, dass Verwaltung nur funktionieren kann, wenn die Korruption bekämpft wird.

An diese innenpolitischen Ursachen, die verhindern, dass Fördermittel effizient eingesetzt werden, muss die Regierung vor Ort herangehen. Zu sagen, die EUKommission solle den Rumänen und Bulgaren beibringen, mehr Geld auszugeben, geht dann doch zu weit. Deutschland hat schon, als Rumänien und Bulgarien noch Beitrittskandidaten waren, viel getan und

auch konkrete Hilfe beim Aufbau der Verwaltung geleistet. Den Rest müssen sie jetzt selber schaffen. Gleichzeitig ist unsere Staatsministerin Beate Merk in politischen Gesprächen mit Verantwortlichen weiterhin sehr engagiert, um Korruption zu bekämpfen, um die Verwaltung effektiver zu machen und um Armut und Arbeitslosigkeit vor Ort zu beseitigen.

Die Bayerische Staatsregierung setzt sich dafür ein, dass das Programm der EU auch auf Probleme dieser Länder zugeschnitten ist. Es gibt das Programm "Europa 2020", das die Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit in ganz Europa zum Ziel hat. Die Mitgliedstaaten können jetzt schon 4 % der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel für sogenannte technische Hilfen einsetzen. Die technische Hilfe umfasst den Einkauf von Experten, Evaluatoren und Beratern. Osteuropäische Staaten leisten sich bereits große Consultingunternehmen, die sie bei der Verwendung der Mittel unterstützen. Es kann für Rumänien und Bulgarien nur einen Weg geben: Die Menschen vor Ort müssen ihr Land aus eigener Kraft aufbauen und wirtschaftlich stark machen. Nur so können sie die Situation in ihren Herkunftsländern verbessern.

Dass sie es können, zeigen die vielen Rumänen und Bulgaren, die in Deutschland arbeiten, Geld verdienen und in die sozialen Sicherungssysteme einzahlen. Über 250.000 Bulgaren und Rumänen gehen einer geregelten Beschäftigung in Deutschland nach. Ohne sie könnten wir in vielen Bereichen – im verarbeitenden Gewerbe oder in der Pflege – zahlreiche Arbeitsplätze nicht mehr besetzen.

(Thomas Gehring (GRÜNE): Nichts mehr mit der Einwanderung in Sozialsysteme!)

Europäische Fachkräfte, die wir in Bayern brauchen, sind herzlich willkommen. Klar ist aber auch: Dem Sozialmissbrauch durch arbeitslose Rumänen und Bulgaren müssen wir in Deutschland stärker begegnen, so wie es die CSU schon seit Jahren fordert. Wenn die Sozialleistungen im Vergleich zu anderen Ländern sehr hoch sind, besteht der Anreiz zur Zuwanderung. Deshalb müssen wir klar regeln, dass Zuwanderer, die in Deutschland nicht in die Sozialkassen eingezahlt haben, keine Ansprüche auf Sozialleistungen haben. Das hat die CSU bereits umgesetzt. Auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hat uns im November letzten Jahres recht gegeben. Der Grundsatz der Freizügigkeit bedeutet nicht das Recht auf freien Zugang zu den Sozialsystemen der Mitgliedstaaten.

Die CSU setzt sich dafür ein, den Sozialmissbrauch in unseren Ländern zu verhindern. Sie kann aber nicht die Hausaufgaben in den Herkunftsländern erledigen.

Deshalb lehnen wir den Antrag der FREIEN WÄHLER auch im Plenum ab.

(Beifall bei der CSU)