Protocol of the Session on December 9, 2014

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne jede Frage, es ist wünschenswert, auch in anderen wichtigen Sachfragen über die Parteigrenzen hinweg zu kooperieren. Der gegenwärtige Länderfinanzausgleich ist für uns in Bayern völlig unakzeptabel.

(Zurufe von der CSU: Ach! Ach!)

Wir hätten in Bayern genügend Projekte, die wir mit den fünf Milliarden, die dieses Jahr überwiesen werden müssen, in Angriff nehmen könnten. Darin sind wir uns mit der CSU einig. Nicht durchgehen lassen wir Ihnen aber den Versuch, für diese schlechte Regelung jemand anderem die Verantwortung zu übertragen statt Ihnen selbst.

(Beifall bei der SPD)

Der frühere CSU-Chef Edmund Stoiber hat den Vertrag über den Länderfinanzausgleich ausgehandelt. Die Fehler von damals müssen nun gemeinsam korrigiert werden. Lassen Sie uns gemeinsam dafür kämpfen, dass die Belastungen für den Freistaat Bayern künftig sinken werden.

(Beifall bei der SPD)

Ein zweites Thema bietet sich aktuell für gemeinsame Initiativen der beiden Volksparteien in Bayern an.

Wenn es darum geht, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Bayern zu entlasten, sollten wir parteiübergreifend an einem Strang ziehen. Es könnte ein gutes gemeinschaftliches Anliegen der beiden Volksparteien SPD und CSU in Bayern sein, dieses Thema ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen. Wir brauchen Steuererleichterungen für die kleineren und mittleren Einkommen. Wir wollen die kalte Progression so schnell wie möglich abschaffen. Das ist unsere Position, und dafür sollten wir gemeinsam arbeiten.

(Beifall bei der SPD)

Der Bayerische Ministerpräsident hatte zuletzt noch davor gewarnt, die kalte Progression zu früh abzuschaffen. Das sei vor 2017 bzw. 2018 nicht möglich. Er hat sich damit ein Stück weit vom Bayerischen Finanzminister Markus Söder distanziert, der weitere Spielräume gesehen hat. Nun ist Herr Söder nicht da, aber ich möchte ihm gerne zurufen: Herr Staatsminister, man kann gelegentlich den Eindruck haben, dass das Geplänkel zwischen Ihnen und dem Ministerpräsidenten auch andere Hintergründe hat. Hier sollten wir gemeinsam den Bayerischen Ministerpräsidenten, aber auch die Bundeskanzlerin und den Bundesfinanzminister davon überzeugen, dass Gehaltssteigerungen künftig nicht mehr von der Steuer aufgefressen werden dürfen. Wir brauchen hierfür eine angemessene Perspektive, und das bedeutet für uns, die SPD, nicht erst 2017, wie es Herr Seehofer vorgeschlagen hat, sondern früher. Wir brauchen in einer angemessenen Perspektive einen ersten Schritt zum Abbau der kalten Progression. Lassen Sie uns das möglichst schnell gemeinsam erledigen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, tatsächlich war die Große Koalition die Wunschkonstellation der Deutschen im Jahr 2013, und sie ist es bis heute. Die Deutschen schätzen den politischen Kompromiss und die Machtbalance zwischen den Parteien. Sie erwarten Gesprächsbereitschaft und Dialogfähigkeit zwischen den politischen Akteuren.

In Bayern gab es 2014 für die Regierungspartei mit einer absoluten Mehrheit keine Notwendigkeit der Zusammenarbeit. Politikwissenschaftler sagen, es ergebe sich bei einer absoluten Mehrheit das Risiko, dass sich die Selbstherrlichkeit in einer Reihe von Affären und Skandalen widerspiegeln könnte, die für absolute Mehrheiten symptomatisch seien, insbesondere nach mehreren Jahrzehnten der Alleinherrschaft.

(Beifall bei der SPD)

Ich überlasse es heute Ihrer geschätzten Analysefähigkeit und Ihrer Fähigkeit der Erinnerung, ob es in der Regierungspartei in Bayern 2014 mehrfach nennenswerte Affären gegeben haben könnte. Tatsäch

lich bleibt mir heute keine Zeit, diese in der angemessenen Detailtiefe darzustellen.

(Beifall bei der SPD)

Verstehen Sie das auch als einen Beitrag zum parlamentarischen Weihnachtsfrieden.

Eines ist klar: Das, was Politikwissenschaftler sagen, muss man an der einen oder anderen Stelle ernst nehmen. Die absolute Mehrheit verführt zu Trägheit und Nachlässigkeit. Der Staatskörper setzt Fett an. Die wichtigen Probleme werden vertagt. Die Regierung konzentriert sich auf Repräsentation und Verwaltung. Sie ist ganz überwiegend mit sich selbst befasst. Ein Phänomen greift in der absoluten Mehrheit Raum: Jürgen Habermas hat es vor einigen Jahren in der "Süddeutschen Zeitung" als demoskopiegeleitete Machtpragmatik bezeichnet. Herr Habermas beschrieb das als einen Aggregatzustand, der sich durch den Verzicht auf Perspektiven und Gestaltungswillen auszeichnet.

Das ist richtig kurios. Die CSU verhält sich exakt nach der Definition von Jürgen Habermas. Neben dem Begriff "demoskopiegeleitete Machtpragmatik" ist im "Politiklexikon" ein Foto von Horst Seehofer zu sehen. Man konnte wirklich den Eindruck gewinnen, der CSU-Chef denke bis zur nächsten Umfrage und sei überwiegend damit beschäftigt, die potenziellen Nachfolger in Bayern in Schach zu halten.

(Beifall bei der SPD)

Anders als die Koalitionsregierung im Bund war die Alleinregierung in Bayern äußerst zurückhaltend mit gesetzgeberischer Innovation. Ich hoffe, ich trete Ihnen nicht zu nahe. Die Zahl der von der Staatsregierung initiierten Gesetzentwürfe ist mehr als überschaubar. In Wahrheit gibt es sie fast nicht. Lediglich einige Gesetzentwürfe zur Umsetzung von Bundesoder Europarecht in Landesrecht hat es gegeben. Es gibt ein leeres Blatt Papier an dokumentiertem parlamentarischem Gestaltungsunwillen. Die Regierung hat die Tatkraft nur vorgetäuscht. Ganze zwei Mal hat die Regierung in der laufenden Legislaturperiode – Frau Aigner spricht hier 40 Minuten – konkrete Gesetzentwürfe eingebracht, über die wir im Bayerischen Landtag zu beraten hatten.

Da aber wird es plötzlich verfassungsrechtlich problematisch. Die neuen Regeln über den Abstand zwischen Windrädern und Siedlungsgebieten greifen in das kommunale Selbstverwaltungsrecht ein. Dieses Gesetz ist nicht nur eine Blockade für die Windenergie in Bayern, es ist nicht nur eine Bremse für investitionswillige Unternehmen und Bürgergenossenschaften, es ist nicht nur ein Zeichen für den Unwillen der

Regierung, die Energiewende tatsächlich zu gestalten; nein, das Gesetz ist handwerklich auch so schlecht gemacht, dass sich die Opposition gezwungen sieht, vor den Bayerischen Verfassungsgerichtshof zu ziehen und die Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen. Das gilt auch für den Gesetzentwurf zur sogenannten Volksbefragung. Bereits 2014 hatte die SPD einen Erfolg vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof erzielt. Ich glaube, 2015 könnte wieder ein Jahr sein, in dem der Bayerische Verfassungsgerichtshof gleich zwei Initiativen der Staatsregierung für nicht konform mit der Bayerischen Verfassung erklärt.

(Beifall bei der SPD)

Zwei konkrete Gesetzentwürfchen seitens der Regierung, einmal die Blockade der Windenergie, ein andermal ein Alibientwurf für vorgetäuschte Bürgerbefragung; unter dem Strich kann man sagen: Diese Regierung hat 2014 auf das Regieren verzichtet.

(Beifall bei der SPD)

Alle Reformvorschläge und Innovationsideen der Opposition hat sie vom Tisch gewischt. Gesetzentwürfe und Anträge von SPD, FREIEN WÄHLERN und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die CSU kategorisch abgelehnt. Wieso eigentlich regieren? Im Kabinett reicht es, den Status quo zu verwalten.

Nun mag man sagen, das könnte eine Strategie sein. Bayern geht es doch alles in allem gut. Wer will das bestreiten? Vielleicht ist es gar kein schlechtes Konzept, sich aufs Repräsentieren zu konzentrieren und die Füße einmal still zu halten. Wir haben die Paragrafenbremse. Für was brauchen wir eigentlich eine Regierung? Dass wir in Bayern keine handlungsfähige Regierung brauchen, hat doch gerade der vergangene Herbst deutlich gezeigt. Wenn es darauf ankommt, ist die Regierung nicht da und zeigt sich überfordert. Menschen, die unter Entbehrungen aus Bürgerkriegsgebieten zu uns nach Bayern geflüchtet sind, schlafen bei Temperaturen mit einstelliger Zahl auf Isomatten unter freiem Himmel. Wenige Wochen vorher hatten unterschiedliche Asylgipfel beim Ministerpräsidenten und bei der zuständigen Ministerin stattgefunden. Ich frage Sie: Sieht so Regierungskunst und Managementkompetenz aus, wenn den Ankündigungen nachweislich nichts folgt?

(Beifall bei der SPD)

Es waren die Kommunen und ehrenamtlichen Helfer vor Ort, die mit ihrem Einsatz die Ehre und die Würde des Freistaates Bayern ein Stück weit gerettet haben. Für dieses Engagement trotz der mangelnden Unterstützung durch die Staatsregierung über einen viel zu

langen Zeitraum gebührt gerade ihnen unser Dank und unsere Anerkennung.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FREI- EN WÄHLER)

Die CSU hat in den letzten Tagen wieder für Aufsehen gesorgt und einen – man mag so sagen – kuriosen Vorschlag über einen Leitantrag in der Öffentlichkeit formuliert: Zu Hause im Wohnzimmer soll Deutsch gesprochen werden. Da stellt sich natürlich die Frage: Was will die CSU denn wirklich? – Nun können wir heute im Bayerischen Landtag nicht wirklich abschätzen, wann die nächsten diesbezüglichen Vorschläge kommen. In dieser Partei scheint gegenwärtig alles möglich zu sein: Ab sofort werden in bayerischen Wohnstuben nur noch Heino und Andrea Berg gehört – ist das der nächste Vorschlag? –, Franck Ribéry wird ausgewiesen, weil er am Elfmeterpunkt mit Dante und Tiago Englisch spricht, Pep Guardiola muss zu Borussia Dortmund auswandern, weil seine Pressekonferenzen auf Spanisch im öffentlichen Raum in Bayern nicht geduldet werden können, und

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

last but not least: Inge Aures und Hubert Aiwanger wird das Landtagsmandat entzogen, weil sie im Verdacht stehen, in ihrem Wohnzimmer nicht immer lupenreines Hochdeutsch zu sprechen.

(Heiterkeit bei der SPD – Beifall bei den FREIEN WÄHLERN – Zurufe von der CSU)

Der Vorschlag der CSU hat in den letzten Tagen zu Recht für Hohn und Spott gesorgt. Die integrationspolitischen Verwirrungen der CSU haben aber eine sehr ernste Kehrseite. Die Frage der Integration wird von der CSU im Einjahresrhythmus aufgeworfen. Der Tenor ist immer der gleiche. Schauen wir uns die vergangenen Jahre einmal an – 2010: Der Bayerische Ministerpräsident fordert in einem Interview mit einem Nachrichtenmagazin einen Einreisestopp für Türken und Menschen aus arabischsprachigen Ländern in dem Wissen, dass deren Einwanderungssaldo eigentlich negativ ist; mehr Türken kehren in ihr Herkunftsland zurück als zu uns zuwandern. 2011 betont der Bayerische Ministerpräsident, er werde Deutschland "bis zur letzten Patrone" – das war ein wörtliches Zitat – vor Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme verteidigen. 2012 – ein Jahr später – fordert die CSU etwas, was es in keinem anderen europäischen Land gibt, nämlich eine Maut nur für Ausländer. Wenig später, im Jahr 2013, platziert die Parteispitze die Formel: "Wer betrügt, der fliegt". Gemeint sind Bulgaren und Rumänen, die unter Ausnutzung der Freizügigkeit in Europa unser Sozialsystem angeblich massenhaft

ausbeuten würden. Diese Entwicklung – ich denke, darin sind wir uns einig – ist nachweislich nicht eingetreten.

Jetzt kommt dieser Vorschlag zur deutschen Sprache im Wohnzimmer. Einreisestopp, "bis zur letzten Patrone" – meine Damen und Herren, wer sich das anschaut, der muss zum Ergebnis kommen: Das war keine Fehlleistung in der Formulierung eines Leitantrags, da ging es nicht um ein rhetorisches Missverständnis, sondern dahinter steckt System. Der CSU geht es offensichtlich darum, die Stimmung gegen Migrantinnen und Migranten in unserem Land zu schüren.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der GRÜ- NEN – Widerspruch der Abgeordneten Gudrun Brendel-Fischer (CSU))

Schon heute haben knapp 20 % der bayerischen Bevölkerung einen Migrationshintergrund; jedes dritte Kind unter sechs Jahren hat ausländische Wurzeln. Es ist an der Zeit, diese gesellschaftliche Vielfalt auch bei uns in Bayern anzuerkennen. Es geht uns um eine Gesellschaft, die unterschiedliche Lebensentwürfe als Bereicherung und nicht als Bedrohung empfindet.

Sie werfen die Frage auf bzw. Sie stellen den Common Sense dar – wenn dieser Begriff hier gestattet ist –, dass deutsche Sprache eine Basis für gelingende Integration ist, und formulieren damit einen Mechanismus der Ausgrenzung. Es ist Konsens zwischen den Parteien im Bayerischen Landtag und auch mit den Migrationsverbänden, dass die deutsche Sprache eine Bedingung für gelingende Integration ist. Darum ging es aber nicht, und es geht auch nicht um Handlungsanweisungen für die Privatsphäre. Das, was Sie als Regierungspartei leisten müssten, sollten Sie im Jahr 2015 bitte kraftvoll angehen. Wir brauchen nämlich mehr Integrationskurse in Bayern. Wir brauchen mehr Sprachförderkurse in den Vorschulen.

(Beifall bei der SPD)

Wir brauchen mehr Sprachförderkurse in den Kindertagesstätten. Wir brauchen zusätzliche Erzieher und sozialpädagogische Betreuer mit Migrationshintergrund. Wir brauchen endlich ein Konzept, um die Zahl der Schulabbrecher mit Migrationshintergrund zu senken. Wir brauchen kleinere Klassen und mehr Ganztagsangebote. Wir brauchen pädagogischen Freiraum. Wir brauchen die Verstärkung der Schulsozialarbeit und bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. – Wenn Ihnen die Integration wirklich wichtig ist, dann gehen Sie das an! Darum muss es nämlich gehen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU.

(Beifall bei der SPD)

Als Weihnachtsmänner und Weihnachtsfrauen wäre das Kabinett eine regelrechte Fehlbesetzung; denn packt man die angekündigten Geschenke in Hochglanzpapier voller Erwartung und Vorfreude aus, stellt man enttäuscht fest: Es ist nichts drin. So sind die Päckchen für die bayerische Bildung deutlich kleiner als erwartet. Bereits im Jahr 2008 – sechs Jahre ist das her – hatte der Bayerische Ministerpräsident in seiner ersten Regierungserklärung flächendeckend Ganztagsschulen in allen Schularten und in allen sieben Regierungsbezirken innerhalb einer Legislaturperiode versprochen. Sechs Jahre danach belegt Bayern bei den Ganztagsschulangeboten noch immer einen der hinteren Plätze im Bundesländer-Ranking.

Wir begrüßen ganz ausdrücklich, Herr Kultusminister, dass es auch in der Grundschule kostenfreie Angebote für Eltern geben soll, dass sich der Freistaat dort künftig engagieren will. Die Staatsregierung sollte aber doch zur Kenntnis nehmen, dass guter Ganztag eben mehr als Hausaufgabenhilfe und das Spielen im Pausenhof sind. Die Ganztagsangebote in Bayern müssen gerade in den Grundschulen auf die Randund Ferienzeiten ausgedehnt werden. Die wenigsten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben um 16.00 Uhr Feierabend. Wir brauchen Ganztagsangebote deshalb auch bis um 18.00 Uhr. Die wenigsten Eltern haben 92 Urlaubstage im Jahr. Deshalb müssen die Kinder natürlich auch in den Ferien betreut werden. Das ist das Geschenkpaket für die Familien in Bayern, an dem wir nun gemeinsam mit den Kommunen parteiübergreifend arbeiten sollten. Davon haben die Familien etwas.

(Beifall bei der SPD)

Auch die anderen Schulgeschenke verdienen es, genau unter die Lupe genommen zu werden. Was ist mit der Bestandsgarantie des Ministerpräsidenten für die sogenannten rechtlich selbstständigen Grundschulen? – Was wie eine Lebens- und Unfallversicherung klingt, stellt sich am Ende als Risiko dar. Eltern, Schüler, Lehrer und Bürgermeister in Bayern müssen hier regelrecht alarmiert sein; denn 300 Schulen in 300 Orten in Bayern sind rechtlich nicht selbstständig. Diesen Grundschulen droht die Schließung wie auch 150 Mittelschulstandorten. Wir brauchen regionale, dezentrale Schulmodelle in Bayern. Wir benötigen wohnortnahe Heimat- und Regionalschulen, um lange Schulwege zu vermeiden und vor Ort alle Schulabschlüsse unter einem Dach zu ermöglichen.

(Beifall bei der SPD)

Werfen wir einen Blick auf das Gymnasialpäckchen, das in diesem Jahr geschnürt wurde. Beim Gymnasi