Protocol of the Session on July 6, 2017

Lassen Sie mich auf den Arbeitsmarkt schauen. Standardisierte Arbeit wird durch Algorithmen, Automatisierung und Robotik ersetzt. Es stehen nicht nur die Blue-Collar-Jobs auf dem Spiel, sondern auch die Berufe bei Banken, Versicherungen und in der Industrie. Niemand kann heute mit Gewissheit sagen, ob die Digitalisierung unter dem Strich mehr Arbeitsplätze bringen oder kosten wird. Wir wissen aber ganz sicher, dass sich die Arbeit bereits verändert hat und sich weiter verändern wird. Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen abhängiger und selbstständiger Tätigkeit sowie zwischen Selbstbestimmung und Selbstausbeutung können und werden noch weiter verschwimmen. Es ist jetzt allerhöchste Zeit, sich Gedanken über die Folgen zu machen.

Folgende Fragen müssen wir uns stellen: Wie verteilen wir die Arbeit auf mehr Schultern? Wie schaffen wir gut bezahlte Jobs? Wie unterstützen wir die Unternehmen? Wie entwickeln wir geltende Sozial- und Arbeitsstandards weiter? Wie schützen wir die Rechte der Beschäftigten? Wie machen wir sie fit für die Digitalisierung? Hier sei mir ein kleiner Einschub gestattet. Ich kann nur wiederholen: Ein erster Schritt wäre es, wenn Sie sich endlich nicht mehr länger gegen ein Weiterbildungsgesetz sperren würden. Herr Kreuzer, es ärgert mich, wenn Sie immer sagen, dass auf Freiwilligkeit gesetzt wird. Die Politik muss Rahmenrichtlinien schaffen und gestalten. Ein Weiterbildungsgesetz wäre genau so eine Sache.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Außerdem ist es wichtig, dass wir uns über die soziale Sicherung Gedanken machen. Die Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein möchte das bedingungslose Grundeinkommen testen. Ich finde das mutig und bin auf die Ergebnisse gespannt.

(Staatsministerin Ilse Aigner: Bravo! Bravo!)

Frau Aigner, ich finde es schlecht, dass Sie sich gegenüber einer neuen Idee ablehnend verhalten und sagen: Bravo, das wird ja sicher gar nichts. Seien wir doch einmal mutig! Lassen Sie uns Dinge ausprobieren und testen. Schauen wir, ob vielleicht neue Ansätze für eine zukunftsfähige Gesellschaft sinnvoll wären.

(Beifall bei den GRÜNEN – Staatsministerin Ilse Aigner: Ich bin dagegen!)

Von dieser CSU-Regierung wünsche ich mir mehr Offenheit für Neues. Ich gebe Ihnen folgenden Tipp: Lassen Sie einfach jedes zweite Selbstlob weg, und probieren Sie stattdessen etwas Neues aus. Das wäre eine Win-win-Situation für uns alle.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn ich schon beim Thema Selbstlob bin, dann muss ich zu Markus Söder schauen. Die Menschen im ländlichen Raum wären froh, wenn sie das schnelle Internet nicht nur aus der Zeitung kennen würden. Dort inszeniert Markus Söder einen Förderbescheid nach dem anderen.

(Staatsminister Dr. Markus Söder: Kennen Sie den ländlichen Raum? – Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Dumm ist nur, dass dort in der Realität kaum etwas ankommt. Schnelles Internet ist ein Bestandteil der Daseinsvorsorge. Aber Deutschland liegt beim Ausbau im hinteren Mittelfeld. Im Vergleich mit anderen Bundesländern liegt Bayern im hinteren Mittelfeld. Markus Söder ist diesbezüglich ein Fake-Account. Sie rufen das Gigabit-Land aus. Die Wirklichkeit liegt bei ein paar Megabit.

(Beifall bei den GRÜNEN – Max Gibis (CSU): Keine Ahnung!)

Sie wollen mir etwas von "keine Ahnung" erzählen? Vielleicht haben Sie schon einmal in Ihren Haushalt geschaut? – Wissen Sie eigentlich, dass Sie alleine für Staatsstraßen 134 Millionen Euro mehr ausgeben als für die Förderung des Breitbandausbaus?

(Max Gibis (CSU): Das ist die Ideologie der Lüge! – Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Im Jahre 2017 ist das, ehrlich gesagt, peinlich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte Sie noch fragen: Wie lange wollen wir eigentlich noch zuschauen, wie die Telekom ihr uraltes Kupfernetz mit Steuermitteln vergoldet, anstatt endlich

in ein modernes und zukunftsfähiges Glasfasernetz zu investieren?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir möchten – –

(Unruhe)

Wir möchten den Glasfaseranschluss für jedes Gebäude. Mein Kollege Markus Ganserer hat einmal gesagt: Sie betreiben den schnellen Ausbau des langsamen Internets. Damit hat er heute immer noch recht!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Kreuzer, ich musste vorhin schmunzeln, als Sie hier standen und gesagt haben, wir geben jetzt 3 Milliarden Euro aus und das wäre ein Wort. Ich weiß nicht, ob Sie sich mit der Thematik schon einmal beschäftigt haben. Das Glasfasernetz in ganz Bayern auszubauen, kostet schätzungsweise 10 Milliarden Euro. Für den Glasfaserausbau wären 10 Milliarden Euro ein Wort, aber nicht 1,5 Milliarden. Daran könnten Sie sich einmal messen lassen.

(Max Gibis (CSU): Keine Ahnung! – Thomas Kreuzer (CSU): Sie fördern die Wirtschaftshilfe. Sie haben ja überhaupt keine Ahnung! – Josef Zellmeier (CSU): So was von ahnungslos!)

Außerdem fällt auch der Mobilfunk als Alternative aus. Im weltweiten Vergleich gibt es in Deutschland eine miserable Netzabdeckung. LTE ist in weniger als 60 % des Landes verfügbar. In Peru, Kambodscha oder Panama ist das Netz besser.

(Markus Blume (CSU): Gehen Sie doch dahin!)

Dafür ist es bei uns besonders teuer, online zu surfen. Schlechte Leistung für teures Geld. Herr Seehofer, dazu möchte ich von Ihnen gerne etwas hören.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir schaffen es, Busse autonom fahren zu lassen. Aber an einem einheitlichen elektronischen Ticket für Bus und Bahn scheitern wir. Eine klare und übersichtliche Auskunft, mit welchem Mix ich mein Ziel am schnellsten und am klimafreundlichsten erreichen kann – Fehlanzeige in Bayern. Dabei sind doch eigentlich alle Informationen längst vorhanden. Die Digitalisierung ist doch so großartig, da sie uns die Möglichkeit gibt, Mobilität endlich von den Wünschen der Kundinnen und Kunden her zu denken. Da würde ich mir wünschen, dass Sie in diesem Bereich endlich mal in die Gänge kommen.

(Beifall bei den GRÜNEN – Zuruf des Minister- präsidenten Horst Seehofer)

Die neue Technologie kann uns auch bei der Energiewende helfen, indem wir Erzeugung und Verbrauch von Strom besser zusammenbringen. Flexible Verbraucherinnen und Verbraucher arbeiten dann, wenn es Strom im Überfluss gibt, und sie halten sich zurück, wenn er knapp ist. Das geht mit der Waschmaschine technisch genauso wie mit einem großen Kühlhaus oder dem Zementwerk; gesteuert wird das alles über den Preis. Technisch ist das heute schon längst machbar. Und – für mich als GRÜNE ist das besonders schön – das Klima würde davon auch noch profitieren. Allerdings fehlt der politische Wille, die Chancen der digitalen Gesellschaft für einen besseren Umweltschutz endlich zu nutzen. Ich erwarte auch, dass Sie hier in diesem Bereich mehr tun.

Ich möchte Ihnen noch einen Tipp mit auf den Weg geben: Sie können auch beim E-Government endlich mehr machen. Vor Kurzem waren wir GRÜNE in Estland. Da wird Digitalisierung im Verwaltungshandeln so gelebt, dass Sie alle nur staunen würden: Bis auf das Heiraten, Sich-scheiden-Lassen und einen Hauskauf kann man alle Verwaltungsvorgänge online mit seiner Verwaltung tätigen. Da brauchen Sie mir jetzt nicht mit Ihrem BayernPortal kommen, Herr Seehofer; das hilft nämlich auch nicht, wenn wir nicht endlich ein Transparenzgesetz haben. Deswegen wiederhole ich: Wir GRÜNE werden hier in diesen Bayerischen Landtag so lange ein Transparenzgesetz einbringen, bis wir endlich Informationsfreiheit in Bayern haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Und, Herr Seehofer, Estland ist für mich ein sehr gutes Beispiel. Sie haben am Anfang Ihrer Rede den Schwarzen Peter gleich mal wieder nach Europa geschoben und Europa geschmäht, indem Sie sagten, dass der Ausbau des Netzes doch so langsam vorwärtskomme. Schauen Sie nach Estland, schauen Sie in die skandinavischen Länder – da geht’s nämlich auch –, und machen Sie hier Ihre Hausaufgaben, bevor Sie wieder Europa den Schwarzen Peter zuschieben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe gerade einige der vielen Möglichkeiten der Digitalisierung aufgeführt. Aber leider eröffnet die Digitalisierung auch für Leute, die mit Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nichts am Hut haben, neue Möglichkeiten. Nicht nur Erpressung, Phishing oder Industriespionage sind ein Problem. Dagegen braucht es endlich eine einheitliche Strategie zur IT-Sicherheit hier in Bayern. Die mutmaßlich aus Russland organisierten Cyberangriffe auf die Demokratische Partei in den USA zeigen, dass man damit Wahlen manipulieren kann. Die

Angriffe auf den Bundestag und das Bundeskanzleramt haben offengelegt, wie verwundbar auch unsere Systeme sind. Was passiert, wenn kurz vor der Bundestagswahl vermeintlich belastendes Material veröffentlicht wird, vielleicht gegen eine Partei, die beispielsweise Wladimir Putin nicht so gerne an der Regierung sähe? – Ich hoffe, wir reagieren dann so besonnen, wie es die französische Öffentlichkeit kürzlich getan hat.

Leider brauchen wir nicht in andere Länder zu schauen. Wir können uns auch hier in Deutschland umschauen und müssen sehen, dass es auch hier genügend Stellen gibt, die am liebsten alles über jeden wissen wollen. Der Großen Koalition aus CDU, CSU und SPD sind die Urteile des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs gegen die Vorratsdatenspeicherung anscheinend egal. Mit dem Bundestrojaner will die Bundesregierung die Messenger-Dienste ausspionieren. Ihre Datensammelwut kennt kein Maß und kein Ziel. Sie zerstören die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger, anstatt sie zu schützen, und nebenbei zerstören Sie damit auch das Vertrauen der Menschen in die Vorteile der Digitalisierung.

(Dr. Florian Herrmann (CSU): Im Gegenteil!)

Und ich sage Ihnen heute und hier: Wir GRÜNE verteidigen das Recht auf digitale Selbstbestimmung für jeden einzelnen Menschen.

(Beifall bei den GRÜNEN – Widerspruch des Ab- geordneten Dr. Florian Herrmann (CSU))

Genau für diese digitale Selbstbestimmung, für das Empowerment der Menschen für den Umgang in der digitalen Welt, braucht es Regeln und Leitplanken. Wer will, dass die Digitalisierung eine Erfolgsgeschichte wird, muss diese Regeln akzeptieren und dafür sorgen, dass sie auch eingehalten werden. Ich will das, und ich hoffe, dass diese Seite im Plenum das auch möchte.

Kolleginnen und Kollegen, wir können entscheiden, welche Spielregeln für die digitale Gesellschaft gelten. Den Willen, aktiv zu gestalten, Debatten anzustoßen, groß zu denken, vermisse ich bei der CSU-Regierung. Disruptive Technologien können morgen erscheinen, von denen wir heute noch nicht einmal ahnen, dass sie kommen werden. Es ist also unsere Aufgabe, die Gesellschaft darauf vorzubereiten, Leitplanken zu setzen und die Digitalisierung zum Nutzen aller voranzutreiben. Offene Systeme wie Linux gelten in der Informatik als robuster und weniger störanfällig, gerade weil sie ihren Quellcode offenlegen und alle sich an ihrer Weiterentwicklung beteiligen können. Ich finde, wir sollten die Politik doch mal als offenes System be

greifen, als System, das besser wird, weil sich mehr Menschen beteiligen können. Holen wir Digitalisierung heraus aus Expertenzirkeln, Exzellenzclustern, Masterplänen und anderen Nischen der bürokratisch-ökonomischen Selbstbeschäftigung, machen wir sie zu einem wahrhaft politischen Thema; lernen wir voneinander, reden wir offen darüber, erzählen wir die ganze Geschichte! – Nur dann haben wir die Chance auf ein Happy End. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Kollegin Schulze. – Jetzt hat Frau Kollegin Claudia Stamm das Wort. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Machen wir einen Zeitsprung ins Jahr 2008. Da haben Sie, Herr Ministerpräsident, hier im Hohen Haus gesagt: Wir werden dafür sorgen, dass spätestens in drei Jahren die Bürger überall in Bayern Zugang zum schnellen Internet haben. – Das hat wohl nicht ganz geklappt. Deshalb im Jahr 2013 gleich noch einmal – ich zitiere –: Das modernste Breitbandnetz muss in Bayern Standard werden. Dafür werden wir alles tun; wir schaffen bis 2018 ein digitales Hochgeschwindigkeitsnetz, und zwar flächendeckend.

Sehr geehrter Herr Kreuzer, ich frage mich, was an dem, was wir heute gehört haben, wirklich neu war: Im Jahr 2017 gehen Sie ans Pult und erzählen uns was von der digitalen Leitregion, neuen Netzen, BAYERN DIGITAL II und, und, und. – Also, nehmen Sie’s mir nicht übel: Ich finde, es klingt weder neu noch innovativ noch visionär. Ich hätte mir gewünscht, dass heute mal was Visionäres von Ihnen kommt, zum Beispiel ein Gegencheck Ihrer anderen Versprechen und Regierungserklärungen, zum Beispiel: Bayern barrierefrei 2030.

(Markus Blume (CSU): 2023!)

Stimmt, 2023! Ich hab Ihnen sogar noch sieben Jahre mehr gegeben. Aber ich frage mich: Sind Sie manchmal mit öffentlichen Nahverkehrsmitteln in Bayern unterwegs? – Ganz bestimmt nicht. Es braucht keinen Rollstuhl, es reicht einfach ein schwerer Koffer oder ein Kinderwagen – Sie kommen nicht durch.