Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Thomas Hacker, Dr. Andreas Fischer, Dr. Otto Bertermann u. a. und Fraktion (FDP), Georg Schmid, Alexander König und Fraktion (CSU) Hilfe für japanische Katastrophenopfer (Drs. 16/7939)
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Georg Schmid, Alexander König, Renate Dodell u. a. und Fraktion (CSU), Thomas Hacker, Tobias Thalhammer, Dr. Franz Xaver Kirschner u. a. und Fraktion (FDP) zu den Auswirkungen der Naturkatastrophe in Japan - insbesondere den gravierenden Ereignissen in den japanischen Kernkraftwerken und den Maßnahmen der Bundesregierung und der Staatsregierung (Drs. 16/7940)
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Markus Rinderspacher, Ludwig Wörner, Kathrin Sonnenholzner u. a. und Fraktion (SPD) Kernkraftwerk Isar 1 dauerhaft abschalten (Drs. 16/7941)
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Margarete Bause, Dr. Martin Runge, Ulrike Gote u. a. und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Atomkraft abschalten - Energiewende in Bayern (Drs. 16/7943)
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Hubert Aiwanger, Tanja Schweiger, Thorsten Glauber u. a. und Fraktion (FW) - Endgültiges und dauerhaftes Abschalten AKW Isar 1 - Sicherung der Zwischenlagerung von Atommüll gegen Terrorangriffe und Flugzeugabsturz - Zurücknahme der geplanten Laufzeitverlängerung und schnellstmögliches Abschalten der in Betrieb befindlichen Atomkraftwerke
- Berichterstattung der Bundesregierung über Untersuchungsergebnisse Endlagerung Atommüll - Planung Ausbau Erneuerbare Energie als Ersatz für Atomkraftwerke (Drs. 16/7945)
(Vom Redner nicht auto- risiert) Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Was gerade in Japan passiert ist, ist eine unfassbare Tragödie - eine Tragödie, deren Ausmaß jegliches menschliches Vorstellungsvermögen übersteigt. Durch Erdbeben und Tsunami sind viele zehntausende Menschen tot oder vermisst. Viele Hunderttausende sind obdachlos geworden, und die von der Atomkatastrophe ausgehende radioaktive Strahlung bedroht jetzt viele Millionen akut an Leben und Gesundheit. Die Situation wird immer dramatischer. Die Menschen in den Notunterkünften leiden nicht nur an der eisigen Kälte des Winters, sondern immer mehr auch an Krankheiten. Heute hat uns die Meldung erreicht, dass einige Menschen wohl wegen der mangelhaften medizinischen Versorgung gestorben sind. Was eine Zuspitzung der Situation in den betroffenen Atomkraftwerken bedeuten würde, möchte ich mir gar nicht erst ausmalen.
Vor dem Hintergrund dieses unermesslichen Leides ist es notwendig und richtig, dass wir für unser Land die Konsequenzen in der Energiepolitik erörtern. Wir müssen und werden diese Konsequenzen ziehen. Ich meine aber, dass, während hunderttausende Menschen in Japan um ihr Leben und Millionen um ihre Gesundheit kämpfen, unser erster Gedanke sein muss, diesen Menschen zu helfen. Das ist keine politische Frage, sondern es ist eine Frage der Moral und ein Gebot der Humanität.
Deshalb möchte ich ausdrücklich allen Rednern danken - gleich welcher Fraktion -, die diesen Gedanken, wenn auch oftmals nur kurz, wenigstens an den Anfang ihrer Ausführungen gestellt haben. In der öffentlichen Debatte vermisse ich diese humanitäre Priorität, erst einmal unseren so sehr bedrängten Mitmenschen in Japan zu helfen. Wenn es Äußerungen in der Politik gegeben haben soll - ich habe sie nicht selbst gehört - wie: Gott sei Dank ist diese Katastrophe nicht in Deutschland passiert, sondern in Japan, dann muss ich sagen: Dabei scheint mir der richtige Maßstab etwas verrutscht zu sein. Für eine solche Äußerung erwartet man eigentlich eine öffentliche Entschuldigung.
Die Atomkatastrophe hat nicht Deutschland getroffen, sondern trifft Japan, und das mit voller Wucht. Wenn die Menschen bei uns Geigerzähler kaufen, dann verstehe ich die Angst, die sie bewegt, sehr gut. Ich denke aber, es wäre sinnvoll, diese Geigerzähler zu kaufen und nach Japan zu schicken. Dort werden sie gebraucht.
Wenn die Menschen bei uns Jod-Tabletten kaufen, dann verstehe ich auch das sehr gut, habe aber die Angst, dass sie durch Desinformation eine Überfunktion der Schilddrüse und damit gesundheitliche Störungen riskieren. Wenn von manchen Mitgliedern dieses Hauses die Angst geschürt wird, dass über die Atmosphäre bei uns etwas in die Nahrungskette gelangt, dann ist das in Anbetracht der Tatsache, dass Japan Lebensmittel in großem Umfang importieren muss, unverantwortlich. Wenn wir uns Sorgen machen sollten und Sorgen machen müssen, dann müssen wir uns im Moment Sorgen um die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger in Japan machen.
Lassen Sie mich aber auch etwas zu den anderen Anträgen sagen: Die Atomkatastrophe von Japan hat die Welt verändert und wir müssen daraus Konsequenzen ziehen. Es ist richtig: Unsere Atomkraftwerke sind nicht durch die Katastrophe von Fukushima unsicherer geworden. Sie sind aber auch nicht durch den Regierungswechsel von Rot-Grün zu Schwarz-Rot oder von Schwarz-Rot zu Schwarz-Gelb unsicherer geworden. Was sich verändert hat ist der Maßstab, es ist der Sicherheitsstandard, den wir anlegen. Ursache dieses veränderten Sicherheitsmaßstabes ist ein Naturereignis, und dieses Naturereignis macht es nicht nur vernünftig, sondern es macht es zu unserer Pflicht, unsere ursprüngliche Sicherheitsbewertung zu überprüfen. Die FDP-Fraktion im Bayerischen Landtag begrüßt ausdrücklich, dass wir durch das Moratorium der nächsten drei Monate einen gründlichen Sicherheitscheck an unseren Atomkraftwerken vornehmen können, und zwar nicht, weil wir glauben, dass sie unsicher sind oder unsicher geworden sind, sondern weil wir jedes auch noch so kleine und geringe Risiko noch weiter minimieren wollen.
Aus genau diesem Grund hat sich die FDP-Fraktion im Bayerischen Landtag - im Übrigen einstimmig dafür ausgesprochen, dass das Atomkraftwerk Isar 1 dauerhaft abgeschaltet bleiben soll.
Es ist nötig, dass wir in Deutschland Konsequenzen ziehen. Es ist aber auch nötig, dass wir diese Konsequenzen besonnen ziehen. Wer sofort abschalten will, wer sagt, wir sollten heute aus der Atomenergie rauskommen, wird verantwortlich sein für dramatische Einschnitte bei der Versorgung. Herr Staatsminister Zeil hat dies völlig richtig ausgeführt. Ich füge hinzu: Wer sofort abschalten will, der wird auch für den Ausbau der Kernenergie rund um Deutschland und Bayern herum verantwortlich sein. Dasselbe gilt für die pauschale Rücknahme der Laufzeitverlängerung aller deutschen und bayerischen Atomkraftwerke - egal, wie alt, und egal, wie sicher sie sind.
Vielleicht hat jemand von Ihnen einen Vertreter aus Tschechien gesehen, wie er sich gefreut und gesagt hat: Wenn Deutschland aussteigt, nur zu, wir steigen ein. Vielleicht hat er auch die "Oberösterreichischen Nachrichten" gelesen, wo es hieß: Tschechische Politiker beharren auf dem Ausbau der Kernenergie. Die Chefin der staatlichen Behörde für atomare Sicherheit bestätigt die Existenz von geologischen Bruchlinien in der Region um Temelin. Sie sagt auch, das stärkste Beben in Tschechien habe bisher die Stärke 3,2 gehabt. Temelin ist auf 5,5 ausgelegt. Kolleginnen und Kollegen, das erinnert mich fatal an die Beurteilung in Japan.
Deswegen sage ich Ihnen, der Dringlichkeitsantrag der SPD ist politisch richtig. Juristisch ist er aber bedenklich, denn ich möchte keine Schadensersatzansprüche auslösen. Deshalb werde ich ihm nicht zustimmen.
Die Dringlichkeitsanträge der Freien Wähler und der GRÜNEN sind inhaltlich nicht richtig. Ich bitte Sie, diese abzulehnen. Die Dringlichkeitsanträge der FDP und der CSU sind Ausdruck für eine besonnene und verantwortungsbewusste Politik in diesem Land. Dafür bitte ich um Zustimmung.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Fischer hat wie viele Rednerinnen und Redner
vor ihm das unermessliche Leid dargestellt, das derzeit die japanische Bevölkerung zu erdulden hat. Schnelle Hilfe ist jetzt tatsächlich dringend erforderlich und humanitär geboten. Unsere Frau Präsidentin hat heute Morgen die Sitzung mit einer Erklärung zu den Ereignissen in Japan eröffnet und festgestellt, dass in einem hoch technologischen Land das scheinbar Unmögliche eingetreten ist. Das hat uns schon den ganzen Tag bewegt. Das ist ein Appell an uns alle, und es ist selbstverständlich, dass es ein einfaches "Weiter so" nicht geben wird, sondern dass alles auf den Prüfstand kommen muss.
Die Politik in Deutschland, auch die der Sozialdemokraten, hat sich in den fünfziger Jahren für eine Energieversorgung mit Kernenergie entschieden. Wir haben heute schon sehr ausführlich darüber diskutiert. Auch auf der Basis der von Rot-Grün beschlossenen Laufzeiten wären heute noch alle Kraftwerke am Netz. Das letzte ginge erst 2022 vom Netz.
Unsere Kraftwerke erfüllen die weltweit höchsten Sicherheitsanforderungen, die nicht zuletzt auch von den Ministern Trittin und Gabriel so festgelegt wurden. Seit Inbetriebnahme unserer Kernkraftwerke wurden in Bayern über 3,7 Milliarden Euro in die Nachrüstung investiert, um sie durch permanente Sicherheitsverbesserungen auf dem aktuellsten Stand der Technik zu halten. Isar 1 wurde heute im Rahmen des Moratoriums vom Netz genommen. Die Menschen in Bayern können sich darauf verlassen, dass unser oberstes Gebot beim Betrieb der Kraftwerke in Bayern die maximale Sicherheit war, ist und bleibt.
Dabei ist aber auch klar, dass wir nicht auf einer Insel der Glückseligen leben. Kollege Fischer hat es schon dargestellt. Wir brauchen internationale und einheitliche Sicherheitsstandards für ganz Europa. Die hohen Sicherheitsstandards in Deutschland stellen dafür sicher eine gute Grundlage dar. Wir müssen auch bei der weiteren Energieerzeugung über die europäischen Dimensionen reden. Wir haben noch nichts gewonnen, wenn wir die deutschen Kraftwerke abschalten, während an der französischen Grenze oder in Temelin neue Kraftwerke gebaut werden.
Jetzt müssen wir den Umbau auf erneuerbare Energien weiter beschleunigen und die Energieeinsparung und Energieeffizienz weiter voranbringen. Wir fordern deshalb mit unserem Dringlichkeitsantrag, dass die Staatsregierung bis Mai ein Konzept dafür vorlegt, wie ein Umstieg auf Erzeugung regenerativer Energien in den nächsten zehn Jahren möglich ist. Das geht nicht mit Aktionismus, sondern nur mit einem nachhaltigen und grundlegenden Umbau unseres Stromversorgungssystems.
Unser Problem besteht nicht allein darin, dass noch zu wenig regenerative Energie installiert ist. Unser Problem besteht auch darin, dass Photovoltaik und Wind zu wenig und zu unbeständig Strom liefern. Wenn wir beispielsweise bei einem Überangebot von Wind wegen Sturmes die Windkrafträder nicht abschalten müssten, weil wir die Energie speichern könnten, könnten wir die Energiemenge aus Windkraft sofort verdreifachen. Wir brauchen deshalb eine Großoffensive zur Entwicklung von Speichertechnologie. Die Stromspeicherung ist die Achillesferse einer effektiven und grundlastfähigen Versorgung mit erneuerbarer Energie. Pumpspeicherkraftwerke sind in Deutschland kaum noch durchsetzbar. Die Genehmigungsverfahren dauern bis zu zehn Jahre. So bleiben uns kurzfristig nur die Ankopplung an Pumpspeicherkraftwerke und Wasserkraftwerke im Ausland, die forcierte Entwicklung der Elektromobilität und die verstärkte Forschung auf dem Gebiet neuer Speichertechnologien. Wir sind ein Land der Techniker und Ingenieure und haben daher die Chance, noch stärker als bisher zum Weltmarktführer in Sachen saubere Energie zu werden und uns damit weitere Wettbewerbsvorteile im internationalen Wettbewerb zu sichern.
Ein weiterer Schlüssel für die Versorgung in der Zukunft ist das Stromnetz. Auch darüber ist heute schon mehrfach diskutiert worden. Ohne Netzausbau und ohne effizienten Netzbetrieb ist das Ziel einer dezentralen und von vielen Anlagenbetreibern getragenen Energieversorgung nicht erreichbar. 1980 kamen 80 % der Energie noch aus rund 1.000 Quellen. In den nächsten Jahren bewegen wir uns auf eine Million Quellen zu. Die meist stark schwankende und räumlich verstreute Einspeisung von erneuerbaren Energien macht einen Ausbau der Netze erforderlich, um die Netzstabilität weiter zu gewährleisten. Die notwendigen Investitionen in den weiteren Ausbau der Netze, die Entwicklung der erneuerbaren Energiequellen und der Speichertechnologie werden Milliarden kosten. Der Ausbau wird auch nicht über Nacht passieren. Unsere gemeinsame Aufgabe ist es, Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und dafür zu sorgen, dass neue Netze und Projekte die Akzeptanz vor Ort finden. Darauf liegt unsere gemeinsame Verantwortung.
Wir werden den Dringlichkeitsanträgen auf Drucksachen 16/7939 und 16/7940 zustimmen. Für den Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 16/7941 - das wurde schon ausgeführt - empfinden wir eine gewisse Sympathie. Wir halten es für richtig, Isar 1 dauerhaft vom Netz zu nehmen. Rechtlich ist der Antrag in dieser Form aber nicht annehmbar. Der Umweltminister hat es vorhin schon umfassend dargestellt. Die Anträge auf Drucksachen 16/7943 und 16/7945 lehnen wir ab,
weil die weiteren Schritte auch unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus dem Moratorium eingeleitet werden müssen.
Meine sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon faszinierend, wenn man diesen Tag Revue passieren lässt und die Eide hört, die darüber geschworen wurden, was man alles will und was man nicht mehr will. Am Ende des Tages
kommt der Jurist und sagt nein. Ich bedauere, dass in diesem Hause nicht die Politik das Primat hat. Ich habe mir immer gedacht, ich sei im Parlament und nicht im Gerichtssaal. Dass wir das Recht beachten müssen, ist natürlich unstrittig. Ich würde mir aber auch wünschen, dass Beamte und Minister nicht immer prüfen, warum etwas gerade nicht möglich ist, sondern dass sie prüfen, was zu tun ist, damit etwas möglich wird.