Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Wahnschaffe, in Ihren letzten Worten haben Sie gesagt, Sie würden sich bei dieser Reform etwas mehr Substanz wünschen. – Recht haben Sie.
Diese Reform war ein großes Thema, und sie hat ein kleines Ergebnis erbracht. Man könnte, um einem populären Spruch zu folgen, sagen: Sie sind als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet. Selbst der Vorsitzende der Wirtschaftsweisen hat Ihnen bescheinigt, dass der fi nanzielle Teil Ihrer großartigen Reform gescheitert ist. Deshalb wäre ich an Ihrer Stelle, Herr Unterländer, ganz still und hoffte, dass niemand merkt, welchen Pfusch ich abgeliefert habe.
Stattdessen stellen Sie einen Dringlichkeitsantrag, in dem Sie sich selbst über die Maßen loben für dieses magere Ergebnis, das bei den Gesprächen der sogenannten Großen Koalition herausgekommen ist. Groß ist die Koalition zahlenmäßig, aber in ihrer Fähigkeit, große Ergebnisse zu erzielen, ist sie nach meiner Auffassung ziemlich klein. Denn Sie hat es versäumt, eine zukunftssichere Pfl egereform auf den Weg zu bringen. Sie hat kein umfassendes Pfl egekonzept vorgelegt. Das, was Sie vorlegen, ist allenfalls ein Reförmchen, ein kleines Minikonzept.
Ziemlich klein. Es ist noch etwas ausdehnbar, Herr Wahnschaffe. Ich werde aber noch auf eine kleine positive Seite zu sprechen kommen. Ich denke, ich komme gleich dazu, damit Sie zufrieden sind. Es sind kleine Verbesserungen für Demenzkranke enthalten,
die allerdings größere Wirkung erzeugen könnten, wenn sie richtig gemacht wären. Diese Reformen werden auch auf dem Rücken einer schrumpfenden Arbeitnehmerschaft ausgetragen. Das schafft eine soziale Schiefl age. Wenn man sieht, dass die gesetzliche Krankenversicherung pro Versicherten 21 Euro zahlt, während die private Versicherung fünf Euro zahlt, dann bemerkt man deutlich die Handschrift der Union, die die Privaten immer über Gebühr in Schutz nimmt und die gesetzliche Krankenkasse für alles bezahlen lässt.
Sie haben auch keine tragfähige Finanzierung. Ihre Finanzierung überdauert maximal die nächsten ein bis zwei Jahre. Damit haben Sie die Finanzierung in die nächste Legislaturperiode verschoben. Ganz abgesehen davon, dass die Finanzierung falsch angesetzt ist. Wir brauchen hier eine Finanzierung über eine Bürgerversicherung,
damit die Lasten sozial gleichmäßig verteilt sind und damit alle Menschen mittragen an einer gemeinsamen gesellschaftlichen Aufgabe, die sich da nennt Pfl ege unserer pfl egebedürftigen Mitmenschen.
Herr Wahnschaffe, ich komme schon wieder zu einer positiven Feststellung. Es ist jetzt erkannt worden, dass Demenzkranke zumindest anspruchsberechtigt sind wenn es auch etwas spät erkannt wurde und wenn es auch nicht ausreichend fi nanziert ist. Es ist längst nicht ausreichend fi nanziert worden. Man hat dabei vergessen, dass es auch noch andere Anspruchsberechtigte gäbe wie zum Beispiel die große Zahl der pfl egebedürftigen Alleinlebenden oder der alten Menschen mit Behinderung, die überhaupt nicht erfasst sind.
Es fehlt einfach die Grundvoraussetzung für eine wirkliche Strukturreform. Diese haben Sie nicht im Ansatz begonnen. Sie haben den Pfl egebegriff nicht neu defi niert. Herr Unterländer, Sie haben einiges angesprochen, was tatsächlich noch fehlt. Hier muss ich Ihnen beipfl ichten. Es gibt so viele Dinge, die jetzt in einer Pfl egereform hätten angegangen werden müssen. Diese wurden nicht im Ansatz angesprochen.
Sie haben es eben angesprochen, aber das wurde in Ihren Gesprächen in der Großen Koalition nicht berücksichtigt.
Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass es jenseits von Schaukämpfen um die richtige Finanzierung eigentlich um ganz andere und sehr große Fragen geht, nämlich: Wie soll eine menschenwürdige Pfl ege in der Zukunft aussehen, und wer soll sie machen? – Ich hatte neulich das Vergnügen, den Vortrag eines Professors für Gerontologie an der Universität Erlangen zu hören, der ausgerechnet hat, dass in 50 Jahren, wenn wir die Pfl ege auf dem Stand von heute gewährleisten wollen, jeder fünfte Mensch in der Pfl ege tätig sein müsste. Er hat die Frage gestellt, wer soll dann noch die Semmeln backen, wer soll die Wurst verkaufen, wer soll die Räume reinigen und wer soll ein Hotel führen und was man sonst noch braucht, um unseren Standard zu halten. Wir müssen also gründlich umdenken.
Diese Fragen stellen sich jetzt, und die Antworten müssen jetzt gegeben werden. In dieser Reform, wie Sie es nennen, ist davon überhaupt nichts genannt. Zum Beispiel orientiert sich der Medizinische Dienst noch immer an 21 Kriterien, von denen zwei lauten: Kann die Oma noch zur Toilette gehen? Kann der Opa sich noch selbst rasieren? – Das ist eine rein physische Fragestellung, kein Wort davon, wie man soziale Zuwendung, wie man Gespräche und wie man Berührungen, die mindestens ebenso wichtig sind, in dieses Konzept mit einbeziehen kann. Ich habe im sozialpolitischen Ausschuss schon einmal darauf hingewiesen, dass es richtig und wichtig wäre, wegzugehen von der Beurteilung nach Kriterien hin zu einem Zeitbudget für Pfl egende. Das wäre ge
Im Grunde bleiben Sie bei dem dreimaligen „s“: satt, still, sauber. Ob die zu Pfl egenden das wollen, wage ich zu bezweifeln.
Wenn Sie sich damit brüsten, dass Sie die pfl egenden Angehörigen sechs Monate freistellen, dann muss man dazu sagen, dass sich die Union massiv dafür eingesetzt hat, dass das nicht generell gilt, sondern dass es das nur bei Betrieben mit über zehn Beschäftigten gilt. Ich muss Ihnen aber sagen, auch die sechs Monate sind Augenwischerei; denn sie werden nicht bezahlt. Wer soll es sich denn bitte schön leisten können, ohne Bezahlung aus seinem Beruf für sechs Monate auszuscheiden, zu Hause zu pfl egen und dafür keinen Cent zu bekommen? Wer bitte. – Das können sich dann wieder nur die fi nanziell Bessergestellten leisten, und die anderen schauen in die Röhre.
Im Übrigen ist es so – und das wissen Sie auch –, dass mit sechs Monaten Pfl egezeit praktisch nichts ausgerichtet ist. Eine Pfl egezeit dauert durchschnittlich zehn Jahre. Also ist das ein Tropfen auf den heißen Stein, und Sie wollen sich nun hier für diesen Tropfen auf den heißen Stein feiern lassen. Das werden wir nicht tun. Es ist dringend nötig, endlich eine wirkliche und effektive Pfl egereform ins Auge zu fassen und kein Klein-Klein.
Ich meine, wir werden damit in Zukunft noch viel Arbeit haben. Es wäre wirklich an der Zeit, dass sich die beiden großen Parteien zu einer echten Pfl egereform bekennen und sich hier nicht für Lächerlichkeiten feiern lassen wollen.
Wir lehnen die Anträge von SPD und CSU ab, weil beide Dringlichkeitsanträge nur zur Selbstbeweihräucherung geeignet sind, die Pfl egereform in der Sache aber nicht weiterbringen.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Ackermann, was jetzt als inhaltliche Reform vorgelegt wurde, ist durchaus noch verbesserungsbedürftig. Sie wissen, dass wir beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen eine Untersuchung in Auftrag gegeben
haben, die von der Ludwig-Maximilians-Universität wissenschaftlich begleitet wird, wie man den Pfl egebegriff weg von der Pfl egebedürftigkeit hin zur Alltagskompetenz verändern kann. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchung habe ich allen drei Bundesministern zugeschickt und sie darum gebeten, diese Ergebnisse zur Alltagskompetenz in die inhaltliche Reform aufzunehmen. Ich persönlich bedauere, dass diese Ergebnisse nicht aufgenommen worden sind. Die inhaltliche Reform soll offensichtlich in zwei Stufen erfolgen. Ich persönlich bin der Ansicht, wir wären schon ein Stück weiter, wenn man das gleichzeitig gemacht hätte.
Wir haben dazu Lösungsvorschläge auf den Tisch gelegt. Ungeklärt ist noch die Frage, wie demente Menschen in der Pfl egeversicherung berücksichtigt werden. Ausgehend vom früheren Pfl egebedürftigkeitsbegriff hat man bei denjenigen, die oft körperlich zwar nicht gebrechlich, aber in der Alltagskompetenz eingeschränkt sind, Probleme bei der Einstufung. Wir müssen gemeinsam schauen, dass wir die Einstufung im Gesetzgebungsverfahren noch verändern und verbessern.
Als Sie in der Regierungskoalition waren, ist in der Pfl egeversicherung gar nichts passiert. Jetzt hier so zu tun, als müsse die Große Koalition das alles ad hoc leisten, ist scheinheilig.
Ich möchte noch einmal sagen: Bei der inhaltlichen Reform, Herr Kollege Wahnschaffe, ist bei der Realisierung des Grundsatzes „ambulant vor stationär“ viel geleistet worden. Die ambulanten Strukturen werden gewaltig ausgebaut. Wir fragen durchaus, was die Menschen wollen. Wenn wir sie fragen, dann erhalten wir von 98 % der Befragten die Antwort, Herr Kollege Wahnschaffe: Wir wollen nicht in ein Heim. Sie wollen nämlich so lange wie möglich selbstbestimmt zu Hause wohnen. Die Idee mit den Pfl egestützpunkten vor Ort in den Regionen, die Idee mit dem Pfl egemanagement, die Idee, dass man die Leistungsverbesserungen im Bereich
der ambulanten Pfl ege, aber auch im Bereich der Sachleistungen stärker dynamisiert, um den Wünschen der Menschen gerecht zu werden, halte ich für hervorragend. Ich meine, das müssen wir sofort umsetzen. Ich habe bei all den Leistungsverbesserungen aber durchaus Zweifel daran, ob die 0,25 % Beitragssatzsteigerungen ausreichen werden. Für die Rentner ist vorgesehen – vielleicht zur Beruhigung, die Pfl egeversicherungsreform soll zum 01.07.2008 in Kraft treten –, dass man dann – das hat Bundesminister Müntefering gesagt – zum gleichen Zeitpunkt auch die Renten um 0,5 % anhebt, damit man die Belastungen der Rentner mit berücksichtigt. Das heißt,
gerade bei der inhaltlichen Reform der Pfl egeversicherung ist viel Gutes und Richtiges auf den Weg gebracht worden.
Ich möchte noch einen weiteren Punkt ansprechen: Natürlich steht der Mensch im Mittelpunkt; das ist überhaupt keine Frage. Wenn die Leistungen aus der Pfl egeversicherung angehoben werden, ist das für viele Selbstzahler in den Heimen durchaus wichtig, übrigens auch für deren Angehörige. Wir wissen, dass Angehörige und Selbstzahler enorm belastet werden. Über 30 % der in Heimen untergebrachten Menschen beziehen Sozialhilfe. Durch die Leistungsverbesserungen und die Beitragssteigerung sowie die regelmäßige Dynamisierung innerhalb von drei Jahren wird man es mit dieser Reform schaffen, dass zum einen Menschen wieder aus der Sozialhilfe herauskommen, zum anderen, dass sie nicht verstärkt in die Sozialhilfe abrutschen. Man wird es aber auch schaffen, dass gerade die Selbstzahler oder bei den Selbstzahlern die Kinder und Angehörigen nicht gezwungen werden, ganze Familienvermögen für die Kosten der stationären Pfl ege zu opfern. Dieser Gesichtspunkt ist meiner Meinung nach in der öffentlichen Diskussion noch viel zu wenig beachtet worden.
Herr Kollege Wahnschaffe, vielleicht noch kurz zu dem, was Sie gesagt haben. Die Leistungen des Landeserziehungsgeldes verschwinden nicht im Staatshaushalt. Das war Ihre Antwort auf die Frage des Kollegen Unterländer. Nein, das Landeserziehungsgeld kommt unseren Eltern, den Familien mit jungen Kindern, die es am dringendsten benötigen, zugute. Davon verschwindet überhaupt nichts im Haushalt.
Es sind immerhin 114 Millionen Euro pro Jahr. Wir werden in den Haushaltsjahren 2008/2009 weitere 75 Millionen Euro draufl egen. Die Eltern werden es uns danken. Mit der Erhöhung der Einkommensgrenzen werden wir dann – die Empfängergruppe ist auf einen Anteil von rund 40 % gesunken – wieder 63 % der Eltern erreichen können.
– Hinterher bitte. – In vielen Diskussionen vor Ort wird uns dafür gedankt. Sie können von mir eine ganz klare Aussage haben, hier und überall draußen: Ich stehe nach wie vor zum Erhalt der Fachkraftquote. Das Problem der Ausbildungsstellen – auch das habe ich schon einmal gesagt – werden wir mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds – ESF – zu lösen versuchen, sobald das neue Programm aus dem ESF genehmigt ist. Vom Grundsatz her bin ich der Ansicht, dass es vorrangig Sache der Ar