Protocol of the Session on June 21, 2006

Führen Sie keine Schaufensterdebatten! Familienförderung und Kinderbetreuung muss ernsthaft betrieben werden, nicht mit irgendwelchen ideologischen Bildern. Dafür treten wir von der CSU ein. Wir treten ein für berufstätige und moderne Mütter und Väter, wir treten jedoch ebenso für Familien ein, in denen ein Elternteil in der Familie arbeitet.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Wir treten für die gute Bildung der Kinder ein. Wir bekommen immer wieder bescheinigt, dass die Erziehung und die Bildung in Bayern mit am erfolgreichsten in der Bundesrepublik ist, und zwar zum Glück nicht von Ihnen, sondern durch Pisa. Ich glaube, darauf können wir in Bayern ganz stolz sein, auch wenn wir nicht so selbstzufrieden sind, wie Sie das gerne sind.

(Lebhafter Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Schieder. Bitte, Herr Kollege.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich eine Feststellung machen: Wie man in der Diskussion gehört hat, ist die Auseinandersetzung über das Ehegattensplitting ideologisch ziemlich aufgeladen. Für die einen ist das Ehegattensplitting ein antiquiertes Mittel, um ein überholtes Familien- oder Partnerschaftsbild angeblich zu unterstützen. Für die anderen ist eine andere Form, beispielsweise die Individualbesteuerung, ein Angriff auf das heilige Institut von Ehe und Familie. Beides ist, das will ich versuchen, deutlich zu machen, nicht richtig. Ich rate deshalb zunächst zu einer ideologischen Abrüstung.

(Beifall bei der SPD)

Ich rate dazu, das Problem, sofern es eines ist, ganz pragmatisch und praktisch zu betrachten. Da will ich zunächst einmal die Feststellung treffen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Zusammenveranlagung und das damit zusammenhängende Splitting mit der Frage, ob man Familien oder Kinder fördert, nichts zu tun hat.

Wer beides durcheinander bringt, versteht entweder nichts von der Systematik des Steuerrechts oder er will es schlicht und einfach nicht verstehen. Das ist genauso, wie wenn ich sage: Die pauschale Absetzung für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ist nicht kinderfördernd. Klar, das ist nicht kinderfördernd, aber es ist ein völlig anderer Fall. Wir müssen die Baustellen einfach unterscheiden.

In Deutschland liegt die Einführung der Zusammenveranlagung von Ehegatten – oder von Partnern, wenn Sie es so wollen; wenn Sie die bürgerlich-rechtliche Voraussetzung dafür schaffen, ist es mir recht – weit zurück, und zwar hat man sie aus Gründen der Vereinfachung eingeführt. Das ist an sich vernünftig.

Dann ist das so genannte Splittingverfahren eingeführt worden. Es ist eine notwendige Konsequenz der Zusammenveranlagung, nicht etwa eine Bevorteilung von irgendjemand. Das Splittingverfahren ist eingeführt worden, um bei Ehepartnern Nachteile zu verhindern. Dies ist der entscheidende Grund. Das Ehegattensplitting ist genau mit Blick auf ein Partnerschaftsbild eingeführt worden: Wenn beide Ehepartner berufstätig sind, dann sind sie ohne Splittingverfahren benachteiligt gegenüber Individualbesteuerten oder Alleinstehenden. Deswegen ist das Splitting ein Verfahren zur Verhinderung von Nachteilen für Partner, die berufstätig sind. Das muss man sich vor Augen halten.

Jetzt wird die von uns in jeder Hinsicht unterstützte Forderung gestellt: Wir wollen, dass Frauen und Mütter berufstätig sein können, gleichberechtigt sind und ihren Beruf sowohl während der Kinderphase als auch danach ausüben können. Dies ist völlig richtig. Dann darf man aber nicht das Steuerrecht überstrapazieren, sondern wenn man das will, muss man erstens Arbeitsplätze für die Frauen haben, und zweitens muss man Betreuungseinrichtungen haben. Darin sind wir uns doch im Prinzip

einig. Da darf man nicht an der falschen Baustelle bauen. Die Einführung weder des einen noch des anderen Steuerverfahrens bringt Arbeitsplätze oder Betreuungseinrichtungen. Entscheidend ist also, die Baustellen hier zu unterscheiden.

Lassen Sie mich noch folgerichtig weiter argumentieren. Was ich jetzt gesagt habe, ist ein Blick auf die Gegenwart und die Zukunft. Man muss beim Ehegattensplitting fairerweise auch einen Blick in die Vergangenheit werfen. Das tun Sie überhaupt nicht. In der Vergangenheit haben sehr viele Frauen und Mütter die Berufstätigkeit mangels Betreuungseinrichtungen aufgegeben. Nach 10 oder 15 Jahren haben sie den Wiedereinstieg in die Berufstätigkeit mangels Arbeitsplätzen und wegen schlechter Arbeitsmarktbedingungen oft nicht geschafft.

Würden wir heute das Ehegattensplitting abschaffen, dann würden wir gerade diejenigen – von denen wird es mit Recht so empfunden – mit einer Steuererhöhung nachträglich bestrafen, die eigens wegen der Kindererziehung zu Hause geblieben sind. Das sind nicht ein paar hunderttausend, sondern Millionen von Familien. So kann man mit Leuten nicht umgehen. Das wäre ein Vertrauensbruch. Diese Auffassung habe ich.

(Beifall bei der SPD)

An dieser Stelle kommt dann der Hinweis auf den glänzend verdienenden Facharzt und seine tennisspielende Ehefrau, die kein Einkommen hat. Es wird gesagt, es könne doch nicht sein, dass man diese Frau dann fördert.

Abgesehen davon, dass niemand zu einem bestimmten Partnerschaftsmodell gezwungen wird, sage ich dazu Folgendes: Liebe Befürworter der Individualbesteuerung, führen wir doch einmal hypothetisch die Individualbesteuerung ein und warten ein paar Jahre, um dann die Ergebnisse anzuschauen. Ich beziehe das auf das Beispiel, das ich soeben genannt habe. Das Ergebnis wird sein, dass wir feststellen werden, dass die einkommenslose tennisspielende Ehefrau des glänzend verdienenden Facharztes auf einmal Einkommen haben wird. Ja, sie wird Einkommen haben. Warum? Weil in Konsequenz der Einführung der Individualbesteuerung dieses Ehepaar sagen wird: Wir sind doch nicht verrückt, dass wir jetzt so viel Steuern zahlen; jetzt verlagern wir einfach die Einkommensquellen, damit beide ein Einkommen haben. Solches ist doch schon heute der Fall. Im Übrigen ist es legitim, dass Partner Einkommensquellen verlagern.

So kommt man also zu dem gleichen Ergebnis und nicht zu dem Ergebnis, das Sie im Blick haben. Die Welt sieht nach Einführung einer Individualbesteuerung nämlich ganz anders aus.

Im Hinblick auf eine weitere Konsequenz nenne ich Ihnen noch ein Beispiel. Wenn wir hypothetisch die Individualbesteuerung einführen, dann müssen Sie, liebe Befürworter dieser Besteuerung, wenn die Ehepartnerin kein eigenes Einkommen hat, selbstverständlich den bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruch, den die Frau gegenüber dem Mann hat, bei dem Mann steuermindernd berücksich

tigen, weil dieser seine steuerliche Leistungsfähigkeit einschränkt – das ist anders zu sehen als bei einem Alleinstehenden.

In einem solchen Fall einer hypothetischen Individualbesteuerung müssen wir ein paar Jahre warten, um dann die Ergebnisse zu betrachten. Dann wird man nämlich exakt auf den gleichen Fall stoßen, den Sie heute als kritischen oder Problemfall hinstellen. Man wird die Fälle betrachten müssen, bei denen nur einer der Ehepartner arbeitet – diesen Fall wird es als Ausnahme immer wieder einmal geben –, und dann feststellen, dass die Unterhaltsverpfl ichtungen steuerlich berücksichtigt werden. Dadurch aber zahlen die Ehepartner niedrigere Steuern so wie heute beim Splitting. Das läuft auf weniger Steuern hinaus als bei jemandem, der allein steht. Dann hat man also das Gleiche wie bisher auch.

Das würde dann bedeuten, etwas ironisch gesagt: Wir haben in Deutschland wieder einmal eine große Reform gemacht – diesmal keine neoliberale, sondern eine moderne, von manchen gar als „links“ verstandene – und stellen am Ende fest, dass sie nichts gebracht hat, weil wir dieselben „Probleme“ wie vorher haben.

Deshalb sollte man aus praktischen und pragmatischen Gründen die Finger davon lassen. Weil dies unsere Meinung ist, müssen wir heute Ihren Antrag leider ablehnen.

(Beifall bei der SPD)

Die nächste Wortmeldung kommt von Herrn Staatsminister Prof. Dr. Faltlhauser. Er spricht für die Staatsregierung.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal mit einer solchen Freude einer Rede von Herrn Schieder zuhören kann und so beifällig nicken muss. Man merkt, Herr Schieder ist vom Fach. Er ist ein gelernter Finanzbeamter. Er war an einer ordentlichen Schule, nämlich an der Bayerischen Fachhochschule. Er ist in ordentlicher Verwaltung tätig gewesen, nämlich in der bayerischen Finanzverwaltung. Ich kann das, was Sie gesagt haben, in allem Ernst nur unterstreichen.

Zu dem, was Frau Bause etwas überlegen in diesen Raum hinein gesagt hat, dass wir alle verstaubt seien und auf dem Stand der Fünfzigerjahre dächten, möchte ich einige Anmerkungen machen.

Sie haben in unnachahmlicher Überheblichkeit gesagt – wenn ich das sagen darf, Frau Bause –, dass wir nach dem Familienbild der Fünfzigerjahre urteilten.

(Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich doch nur ein paar Sätze sagen. Sie brauchen sich nicht aufzuregen.

Richtig ist, dass sich das erste Urteil des Bundesverfassungsgerichts aufgrund einer Bestimmung des Grundge

setzes, das aus den Vierzigerjahren stammt, sehr ausführlich nicht nur mit der steuerlichen Behandlung der Ehe, sondern auch mit dem Grundrecht auf Ehe und Familie nach Artikel 6 auseinandergesetzt hat. Dieses Urteil vom 17. Januar 1957 sollte man sich einmal genau anschauen. Frau Bause, bevor Sie in diesem Raum moderne Ideen verbreiten, sollten Sie sich auch einmal mit derartigen Dokumenten auseinandersetzen.

Ich zitiere einen der Grundsätze und ringe dabei um Ihre Aufmerksamkeit. In dem Urteil heißt es zu Artikel 6, der Ehe und Familie schützt:

Artikel 6 ist nicht nur ein klassisches Grundrecht zum Schutze der spezifi schen Privatsphäre von Ehe und Familie sowie Institutsgarantie, sondern darüber hinaus zugleich eine Grundsatznorm, das heißt, eine verbindliche Wertentscheidung für den gesamten Bereich des Ehe und Familie betreffenden privaten und öffentlichen Rechts.

Ich schiebe ein: Beim Lesen Ihres Antrags stelle ich fest, von dieser Grundnorm und Wertentscheidung wollen Sie sich verabschieden. Sie wollen sich vom Artikel 6 des Grundgesetzes verabschieden. In diesem Grundsatz von 1957 heißt es weiter:

Die Schlechterstellung der Ehegatten durch die Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer stellt einen störenden Eingriff dar.

Meine Damen und Herren, Sie können nun sagen, das sei die Interpretation der Fünfzigerjahre, und Frau Margarete Bause habe Recht, dass das eine verstaubte Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgericht der Fünfzigerjahre sei. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass das Bundesverfassungsgericht und alle Richter bisher diesen Grundnormen voll gefolgt sind. Es gibt ein neueres Urteil aus dem Jahre 1982 – also nicht tiefe Fünfzigerjahre –, das auf die Problematik der Besteuerung ausführlicher eingeht. Bevor wir schwammig in der Öffentlichkeit und diffus in dem Parlament darüber reden, bestehe ich darauf, dass wir diese Normen und die Sätze, die prägend für die Familie und ihre Besteuerung sind, noch einmal zur Kenntnis nehmen. Frau Präsidentin, entschuldigen Sie, dass ich ausnahmsweise – das tue ich sonst nicht – mehr zitiere. Ich bitte um Erlaubnis.

Herr Staatsminister, Sie dürfen zitieren soviel Sie wollen.

Ich bedanke mich, Frau Präsidentin.

In diesem Urteil heißt es:

Die Besteuerung der Ehepaare nach der Splittingtabelle erscheint für sich allein gerechtfertigt. Es ist auch nicht geboten, das Splitting auf Alleinstehende mit Kindern auszudehnen. … Das Splittingverfahren entspricht dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit.

Das hat Kollege Schieder sehr präzise gesagt.

Es geht davon aus, dass zusammenlebende Eheleute eine Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs bilden, in der ein Ehegatte an den Einkünften und Lasten des anderen wirtschaftlich jeweils zur Hälfte teilhat.

Anders gesagt: Wenn Sie das plötzlich aufheben, bedeutet das eine massive Steuererhöhung für diejenige Ehefrau, die nach der gemeinsamen Entscheidung zuhause geblieben ist. Das bedeutet eine massive Steuererhöhung für diejenigen, die geheiratet haben. Das wollen Sie mit der Begründung aufheben, dass dies eine Steuersubvention sei. Sie widersprechen eklatant unserem Grundgesetz und den Aussagen des Verfassungsgerichts über Jahrzehnte hinweg. Wenn Sie das wollen, stellen Sie sich außerhalb der Rechtsordnung, die wir mit der zentralen Norm des Artikels 6 des Grundgesetzes haben. Es heißt weiter:

Darüber hinaus bedeutet das Splittingverfahren nach seinem vom Gesetzgeber zugrunde gelegten Zweck unter anderem eine besondere Anerkennung der Aufgabe der Ehefrau als Hausfrau und Mutter.

Würde das nicht gemacht, wäre das eine massive Benachteiligung der Wirtschaftgemeinschaft Ehe, in der der Mann zum Verdienen geht, die Hausfrau zuhause bleibt und das Einkommen des Mannes mit einer hohen Progression versteuert wird. Das kann nicht sein. Deshalb gilt die sehr elegante Methode des Splittings, dass zusammengerechnet, dann halbiert und die Besteuerung auf der Ebene und der Größenordnung der Progression dieser Halbierung erfolgt und das Ergebnis noch einmal verdoppelt wird. Das ist eine elegante Methode, die, wie ich höre, in Großbritannien nachgemacht werden soll, weil sie vernünftig ist.

Darüber hinaus will ich unterstreichen, was Herr Schieder richtigerweise gesagt hat: Wenn wir vermeiden wollen, dass der normale Arbeitnehmer massiv benachteiligt wird, weil er, wenn wir es so machen würden, wie die GRÜNEN das wollen, anders als ein Selbstständiger Gestaltungsschwierigkeiten bei der Verteilung der Einkommen hat, muss man bei der Splittingtabelle bleiben. Ich glaube, das ist ein richtiger und notwendiger Ansatz.

Ich will noch einmal sagen: Das hat nichts mit modernen Zeiten zu tun, wie Sie das sagen. Das hat etwas mit den zentralen Grundnormen unseres Grundgesetzes zu tun und mit der Rechtsprechung, die wir seit 1957 ohne Unterbrechung haben. Ich kann Ihnen nur sagen, dass die CSU-Fraktion und die Bayerische Staatsregierung nicht von diesen Grundsätzen abrücken wollen. Wenn Sie das wollen, dann tun Sie es. Es ist nicht unsere Politik.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Sepp Dürr (GRÜNE))

Ach, Sie sind wieder da, rechtzeitig zum Brüllen. Herzlich willkommen, Herr Fraktionsvorsitzender. Man merkt, wenn Sie nicht da sind. Kaum sitzen Sie eine Minute auf