Protocol of the Session on June 21, 2006

Ach, Sie sind wieder da, rechtzeitig zum Brüllen. Herzlich willkommen, Herr Fraktionsvorsitzender. Man merkt, wenn Sie nicht da sind. Kaum sitzen Sie eine Minute auf

Ihrem Platz, fangen Sie sofort das Schreien an. Das ist der parlamentarische Beitrag dieses Fraktionsvorsitzenden. – Das fällt nicht nur mir auf. Ich würde mich schämen, so herumzubrüllen. Sie haben viele Möglichkeiten, sich parlamentarisch einzubringen.

(Beifall bei der CSU)

Sie haben erkannt, dass Ihr Vorschlag rechtlich nicht ganz einfach ist. Deshalb lehnen Sie das Familiensplitting ab, Frau Bause, und wollen, wie Sie in der Begründung Ihres Antrags sagen, eine Individualbesteuerung für Ehegatten und eingetragene Partnerschaften vorschlagen. Vom Artikel 6 des Grundgesetzes weicht ab, dass nicht nur Ehe geschützt sondern auch Partnerschaften einbezogen werden sollen. Damit erkennen Sie an, dass mit einer Änderung ein rechtliches Problem vorhanden ist. Wir haben Ihr Konzept genau angesehen. Es bringt nicht die Einsparung von 4 bis 5 Milliarden Euro, wie Sie gesagt haben, sondern bestenfalls 1 Milliarde Euro. Ich will mich nicht weiter in diese ohnehin verfassungswidrige Komponente verstricken, sondern etwas Grundsätzliches sagen, was wir für Ehe, Familie und die Kinder in der Gesellschaft tun können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihnen wird vielleicht aufgefallen sein, dass im Wirtschaftsteil der „FAZ“ ein großer Artikel erschien, in dem dargelegt wird, was für die Familie insgesamt geleistet wird. Es gibt eine Schätzung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, wonach 240 Milliarden Euro pro Jahr ausgegeben werden für Kinder und Familien. Der Bund hat eine andere Schätzung. Er kommt insgesamt auf 101 Milliarden Euro. Diese Liste halte ich zunächst für nachvollziehbar. Ich habe aber den Eindruck, dass diese Gesellschaft für die Familien nicht zu wenig fi nanziellen Aufwand leistet. Es stellt sich aber die Frage, ob wir – zugespitzt ausgedrückt – „Richtiges“ zahlen. Die steuerlichen Leistungen und die gewährten Ausgaben müssen dahingehend überlegt werden, ob wir zielgerichtet arbeiten. Das ist die eigentliche Aufgabenstellung. Die steuerlichen Ausgaben betragen 41 Milliarden Euro; das Kindergeld allein macht circa 35 Milliarden Euro aus. Diese Größenordnungen sind, gemessen an einem Bundeshaushalt von 260 Milliarden Euro, gigantisch.

Meine Damen und Herren, das am letzten Freitag beschlossene Elterngeld kostet 4 Milliarden Euro. Das bedeutet, der Staat in der Bundesrepublik Deutschland macht für die Kinder und die Familien viel. Wir müssen es uns zur Aufgabe machen, dies neu zu orientieren. Die Bayerische Staatsregierung hat für Bayern schon die Neuorientierung eingeleitet. Wir haben zwischen 2002 und 2006 300 Millionen Euro für die Zielsetzung, 30 000 neue Kinderbetreuungsplätze in Krippen, Horten und Tagespfl ege zu schaffen, ausgegeben.

Die Steigerung für die Förderung der Kinderbetreuung insgesamt in der Zeit zwischen 2000 und 2006 beträgt immerhin 42 %. Es hat sich gezeigt, dass wir sehr viel tun können. Vielleicht können wir mit den entsprechenden Haushaltsmöglichkeiten künftig noch mehr tun. Sie sehen, dass im Freistaat Bayern die Akzente gesetzt werden, obwohl die Gesamtsumme der Förderung für Familien und Kindern in diesem Staat schon außergewöhnlich

hoch sind. Wie hoch sie im steuerlichen Bereich tatsächlich sind, will ich an einem Beispiel darstellen. Mir erscheint, dass das zu wenig bekannt ist.

Meine Damen und Herren, ich habe präzise errechnen lassen, was heute die steuerliche Belastung des alleine verdienenden Vaters – mit der Splittingtabelle gerechnet –, verheiratet, drei Kinder, ausmacht. Er kann unter Einberechnung des Kinderfreibetrages 37 840 Euro jährlich verdienen und muss keinen Euro Steuer zahlen.

Das ist aber noch nicht das Ende. Er hat noch Anspruch auf Kindergeld. Da haben wir ein etwas kompliziertes System bei der „Günstigerprüfung“ steuerlicher Art und beim Kindergeld obendrauf. In diesem Fall müssen sie 1760 Euro draufrechnen, den Anteil der Sozialleistungen, der über die Grundnorm des Kinderexistenzminimums hinausgeht. Wenn Sie das zusammenrechnen, kommen Sie insgesamt für diesen Familienvater mit drei Kindern zu einem Betrag von 39 600 Euro, also fast 40 000 Euro, der steuerfrei ist. Ich schaue in Europa herum, ich habe mich um die Zahlen bemüht, habe aber kein Land gefunden, bis jetzt zumindest, vielleicht werde ich aufgeklärt von Ihnen, das für die Familien und Kinder mehr steuerlichen Vorteil zur Verfügung stellt. Das heißt, die Bundesrepublik Deutschland ist in der Spitzengruppe, wenn ich alles zusammenrechne.

Wichtig ist jedoch für uns, dass wir beides beachten, sowohl die Grundnorm des Artikels 6 mit dem zwingenden Ausfl uss des Ehegattensplittings, wie der Kollege es vorhin sehr vital dargelegt hat, als auch die Gesamtsumme dessen beachten, was wir für Ehe und Familie tun. Vielleicht sollten wir uns gemeinsam die Aufgabe stellen, diese großen Summen noch zielgerichteter an den Kindern auszurichten, dass wir mehr Kinder bekommen, dass die Kinder besser in unserer Gesellschaft leben und aufgezogen werden. Dann sind wir auf dem richtigen Weg.

Der Kollege Schieder möchte noch eine Zwischenfrage stellen.

Aber heute besonders gerne.

Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Staatsminister, weil Sie diesen Umstand der hohen, familiengünstigen Beträge so lobend erwähnen: Würden Sie bitte dann auch, wenn man diese Zahlen zum Beispiel mit den Jahren 1997 und 1998 vergleicht, das als eine besondere Leistung der rot-grünen Bundesregierung würdigen und anerkennen?

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Herr Staatsminister.

Herr Kollege, ich muss mich jetzt selbst rügen,

dass ich Sie so gelobt habe, weil ich feststelle, dass Sie wieder in alte Beschuldigungsrituale zurückfallen.

Ich glaube, die familienpolitischen Leistungen, wie ich sie aufsummiert habe – und ich empfehle noch einmal die FAZ vom heutigen Tag, wo das in einer Tabelle dargelegt ist –, sind eine Leistung der Nachkriegsregierungen, die sich ihrerseits der Grundnorm des Artikels 6 in besonderer Weise verpfl ichtet gefühlt haben. Das sind möglicherweise alle Regierungen gewesen. Offenbar ist aber ein Teil der letzten Regierung, nämlich die GRÜNEN, mit all diesem Tun nicht einverstanden.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank, Herr Staatsminister. Frau Kollegin Bause hat sich noch einmal gemeldet, zwei Minuten und vier Sekunden.

Des pack i leicht.

Herr Faltlhauser, ich will nur auf einen Aspekt eingehen. Sie haben die ganze Zeit die Verfassung wie eine Monstranz vor sich hergetragen und haben gesagt, was wir vorschlagen, sei verfassungswidrig. – Das ist es mitnichten. Mittlerweile ist es Konsens unter den Verfassungsrechtlern, dass die jetzige Form des Ehegattensplittings nicht die einzig mögliche und die einzig rechtliche zulässige Form der Unterstützung der Ehe ist. Es geht im Kern um die Anerkennung der Unterhaltsverpfl ichtung. Dem haben wir mit unserem Modell der Übertragbarkeit eines bestimmten Freibetrags von einem Partner auf den anderen Rechnung getragen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deswegen ist dieses Modell die adäquatere und sinnvollere sowie zeitgemäßere Form der Unterstützung.

Im Übrigen, was Sie von Großbritannien gesagt haben: Die überlegen gerade, unser grünes Modell in Großbritannien einzuführen. Die Konservativen dort überlegen, das Modell der Übertragbarkeit von Steuerfreibeträgen von einem Partner auf den anderen in Großbritannien einzuführen. Dort gibt es im Moment ausschließlich die Individualbesteuerung und keine zusätzliche Ehe- oder Partnerschaftskomponente. Die Konservativen in Großbritannien lernen also von uns Grünen. Sie sollten das auch tun.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Hohlmeier, ich habe an Ihrem Redebeitrag gemerkt, Zuhören war noch nie Ihre Stärke.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Daran hat sich offenbar nichts geändert durch Ihre neue Situation. Möglicherweise haben Sie auch das falsche Dossier eingesteckt, ich weiß es nicht. Aber ich habe nicht gesagt, dass die Ehe kinder- und familienfeindlich ist, son

dern das Ehegattensplitting, wie es heute bei uns praktiziert wird. Das ist ein ganz zentraler Unterschied.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich habe auch nicht gesagt, die Ehe sei eine anachronistische Ideologie, sondern das Ehegattensplitting, das auf dem Modell der Alleinverdienerehe fußt, ist eine überkommene Ideologie. Da bitte ich wirklich genau hinzuhören.

In einem Punkt wollte ich noch etwas zu Ihren Äußerungen sagen. Als Politikerinnen und Politiker sollten wir niemandem vorschreiben, wie er oder sie das Privatleben organisiert. Das ist jedem seine Privatsache, da sollten wir uns tunlichst raushalten. Und wir tun das auch. Sie als CSU allerdings privilegieren ein bestimmtes Modell, die Alleinverdienerehe, in einer ungerechtfertigten Art und Weise. Damit benachteiligen Sie andere Modelle.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dadurch schreiben Sie indirekt den Menschen vor, wie sie zusammenleben sollen.

Frau Kollegin, Sie sind wirklich schon lange über der Zeit.

Danke schön, dass Sie mich haben ausreden lassen. Jetzt hätte ich so gerne noch zu Herrn Schieder etwas gesagt.

Jetzt habe ich noch eine Wortmeldung von Frau Kollegin Hohlmeier, 1 Minute und 32 Sekunden.

Liebe Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Bause, ich kann ziemlich gut zuhören. Dass das Ehegattensplitting familienfeindlich sein soll, ist völlig anachronistisch. Ihre Argumentation ist schlicht und einfach falsch.

Noch einmal: Es werden die meisten Kinder nun einmal in Ehen geboren und erzogen. Ob es Ihnen gefällt oder nicht, ist mir relativ gleich. Dass diejenigen, die über das Ehegattensplitting gleichzeitig eine Förderung fi nanzieller Art, wenn auch nicht in hohem Maße, erfahren, bedeutet in der Konsequenz, dass damit auch die Familie gefördert wird. Es ist einfach völliger Blödsinn, was Sie erzählen.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Warum sollen die gefördert werden, die keine Kinder haben?)

Augenblick, Frau Kollegin. Jetzt möchte ich doch einmal fragen, liebe Kolleginnen und Kollegen – ich schaue zur Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –: Ist Ihnen eigentlich schon aufgefallen, dass man Ihnen sehr viel mehr zuhört, als Sie es tun, wenn andere Rednerinnen und Redner am Pult sind?

(Beifall bei der CSU und bei der SPD)

Das sollten Sie wirklich überdenken.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Sepp Dürr (GRÜNE))

Herr Kollege, ich glaube, zu Ihren Zwischenrufen muss ich mich heute nicht mehr äußern.

(Christine Stahl (GRÜNE): Das ist ein Fall für den Ältestenrat! – Gegenruf des Abgeordneten Prof. Dr. Kurt Faltlhauser (CSU): Wer kann am lautesten schreien? Das sind die größten Brüller im Saal!)

Sie haben das Wort, Frau Kollegin Hohlmeier.

Des Weiteren, Frau Bause, wollte ich Ihnen sagen: Sie haben vorhin so leise-unterschwellig gesagt, dem Ministerpräsidenten fehle so ein bisschen die Sachkunde. Bei den 43 %, die angeblich keine Kinder haben, fehlt Ihnen anscheinend ein Stück weit die Sachkunde. Denn Sie gelten ab dem Zeitpunkt als kinderlos, in dem ihre Kinder nicht mehr auf der Steuerkarte stehen. Da kann jemand vier Kinder großgezogen haben. Wenn die Kinder groß sind, gilt er als kinderlos. Also ist die Statistik, die Sie verwenden, schlicht und einfach falsch. Auch das ist nicht sachdienlich.