Protocol of the Session on November 10, 2005

verehrten Damen und Herren, dieser Antrag bedarf selbstverständlich einiger Anmerkungen. Lassen Sie mich deswegen drei Vorbemerkungen machen.

(Abgeordneter Thomas Mütze (GRÜNE) betritt den Plenarsaal)

Lieber Kollege Mütze, ich rede zu deinem Antrag. – Erstens. Das Ergebnis der jüngsten Bundestagswahlen ließ eine erfolgreiche Fortführung rot-grüner Politik nicht zu.

(Lachen bei der CSU)

Ebenso blieb aufgrund der Tatsache, dass sich FDP und GRÜNE vom Acker machten, und zwar noch schneller als der noch amtierende CSU-Vorsitzende, zur Vermeidung völlig unvermittelbarer Neuwahlen nur noch eine Option offen: die ungeliebte große Koalition. Die SPD stellt sich dieser Verantwortung.

Zweitens. Koalitionsverträge sind keine Wunschzettel ans Christkind, sondern der Versuch, notwendige und hart errungene Kompromisse in eine tragfähige Form zu bringen. Dabei ist doch ganz klar: Eine etwaige Erhöhung der Umsatzsteuer kam oder kommt nicht auf Initiative der SPD in diesen Koalitionsvertrag. Die CDU/CSU will diese Erhöhung. Wir wollen zwar Anderes, können aber nicht alles verhindern. Dieses Verfahren, Kollege Mütze, dürfte uns beiden auch vom Thema „Ökosteuer“ her geläufi g sein. Vielleicht hätten wir mehr von unseren vernünftigen Positionen in einer anderen Konstellation.

(Unruhe)

Wenn sich das Präsidium beruhigen könnte, wäre ich sehr froh. – Vielleicht hätten wir mehr von unseren vernünftigen Positionen in einer anderen Konstellation, in einer anderen Koalition verankern können, aber: siehe oben.

Ich halte es auch eher für lustig, dass Sie den Sachverständigenrat als Kronzeugen für Ihren Antrag anrufen, nicht so sehr deswegen, weil dieses Gremium mit seiner mehrheitlich neoliberalen Ausrichtung und den daraus folgenden zweifelhaften Ratschlägen überhaupt nicht in der Lage wäre, die deutsche Wirtschaft voranzubringen, nein, vielmehr wegen des rutschigen Pfl asters, auf dem Sie sich bewegen; denn wenn Sie das Gutachten zur Blaupause Ihrer Politik machen möchten, wird es sehr spannend sein zu erfahren, wie Sie uns die Einführung der Kopfpauschale in der Gesundheitspolitik, die Abschaffung der Steuerfreiheit bei Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschlägen oder die freie Hand für Hedgefonds an den Finanzmärkten erklären wollen.

Drittens. Mit dem Ende der Bundestagswahlen war meinerseits die Hoffnung auf das Ende der völlig überfl üssigen und manchmal schon lächerlichen Surrogatsdiskussionen hier im Landtag verbunden, die Hoffnung auf das Ende des verzweifelt bemühten Verlangens der CSU, mit uns im Landtag über Bundespolitik zu streiten. Völlig zu Recht haben Rot und Grün dies im Landtag immer wieder kritisiert. Noch heute Vormittag waren wir uns in der Forderung einig, dass sich der noch amtierende Ministerprä

sident wieder um das kümmern soll, für das er bezahlt wird, nämlich um bayerische Landespolitik.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Jetzt, am Nachmittag, sollen wir wegen eines zweifelhaften Showeffekts ernsthaft die Bundespolitik kommentieren oder sie gar zum Gegenstand parlamentarischer Arbeit machen.

(Zuruf der Abgeordneten Simone Tolle (GRÜNE))

Die zweifelhaften und sinnlosen Bemühungen der CSU auf diesem Gebiet haben jedoch bewiesen, dass landespolitische Defi zite nicht mit Hinweisen auf die Bundespolitik kompensiert werden können. Ich hoffe, dass mit der Flucht des noch amtierenden Ministerpräsidenten aus Berlin jetzt endlich Zeit ist, gemeinsam sachorientierte Landespolitik zu machen.

Lieber Kollege Mütze, so erklärt sich auch unsere Einstellung zu Ihrem Antrag. Die ernsthafte Betrachtung bayerischer Probleme ergibt eine eher dürftige Bilanz der letzten beiden Jahre: Sozialpolitischer Kahlschlag mit all seinen Härten und all seinen Eingriffen in die Gesellschaft – als Beispiel nenne ich das Blindengeld und die Förderung des Baus von Behinderten- und Altenwohnheimen –; bildungspolitische Schiefl age mit den bekannten Defi ziten bei der Lehrerversorgung, beim Erhalt von Schulstandorten mit der haushaltspolitisch motivierten Verkürzung der Schulzeit oder bei der überbürokratischen Abzockerei von Eltern; völlig gerechtfertigte Klagen der bayerischen Kommunen über die unzureichende Finanzausstattung.

Schon 2004 wurden 550 Millionen Euro an Investitionszuschüssen gekappt. Nach 2005 wird das Niveau von 2002 hart unterschritten. Nur mehr 16 % des Haushalts fl ießen in den Finanzausgleich. Am deutlichsten wird das am Beispiel der Investitionsquote. Selbstverständlich war es früher leichter zu investieren. Natürlich war es in den Jahrzehnten, in denen Bayern von anderen Bundesländern gesponsert wurde, leichter zu investieren. Jetzt haben sich die Verhältnisse geändert, und jetzt darf die Antwort nicht eine Investitionsquote von 12,9 % sein.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Wir haben viele offene Baustellen. Wir haben einen großen Bedarf an staatlichen und kommunalen Investitionen. Der refl exartige Verweis auf schwarze Nullen oder die Entlastung der nachfolgenden Generation trägt nicht. Keine Generation – und schon gar nicht die nach uns – kann von kaputter Infrastruktur, verwahrlosten sozialen Netzen oder von Bildungspolitik nach Haushaltslage profi tieren. Wir sind der tiefsten Überzeugung, dass jetzt gehandelt werden muss und dass wir mit dem Nachtragshaushalt 2006 Akzente setzen müssen.

Deswegen werden wir beantragen und eindringlich fordern, dass – egal welche Mittelzufl üsse in den bayerischen Staatshaushalt hier in diesen politischen Schwerpunkten zur Ausgabe kommen – die Investitionsquote wieder angehoben wird, dass die Bildungs-, Sozial- und Kommunalpolitik nicht weiterhin Opfer bayerischer Landespolitik sind.

Lieber Kollege Mütze, deswegen ist dieser Antrag zwar erklärbar, aber nicht tragfähig. Weil seine Motivation einfach zu durchsichtig ist, werden wir von der SPD-Fraktion uns bei der Abstimmung enthalten, was als freundliches Angebot für eine weiterhin gute Zusammenarbeit zu werten ist.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Dr. Bernhard. Anschließend spricht Herr Kollege Mütze.

(Zurufe von der SPD und von den GRÜNEN, u. a.: Schlafmützen kommen am Schluss!)

Das hat damit überhaupt nichts zu tun. In der Reihenfolge soll eine gewisse Mischung sein, da auch noch die Staatsregierung spricht. Für einen verzögerten Start kann ich nichts.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Kollege Dupper hat das schon angesprochen: Es gehört schon einiges an grüner Chuzpe dazu,

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Neidisch, ha?)

hier einen solchen Antrag einzubringen, nachdem Sie doch sieben Jahre Zeit hatten, das, was Sie hier fordern, in Berlin zu realisieren. Sie hätten viele Möglichkeiten gehabt, hier zu kürzen. Sie hatten ein weites Feld, um das zu tun, was Sie jetzt hier verlangen. Herr Kollege Dupper, da muss ich Sie leider in Mithaftung nehmen.

Was ist das Problem? – Das Problem ist, dass Sie in Berlin eine wirklich katastrophale Haushaltssituation hinterlassen. In unserer schlimmsten Wahlpropaganda haben wir das nicht zu behaupten gewagt, was jetzt in Berlin Wirklichkeit ist. Katastrophal ist das! 35 Milliarden Euro fehlen. Gleichzeitig droht die EU, und ich nehme diese Drohung ernst, dass wir, wenn wir 2007 nicht den Stabilitäts- und Wachstumspakt erfüllen, mit einer Strafe von 10 bis 12 Milliarden Euro belegt werden. In dieser Situation sind wir in Berlin.

Jetzt sagen Sie, auch Kollege Dupper hat das wiederholt, wir bräuchten gar keine Mehrwertsteuererhöhung. In unserem Wahlprogramm haben wir immer gesagt, und das tun wir auch jetzt: Wir wollen mit einer Mehrsteuererhöhung eine Strukturreform gestalten, sprich: den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung senken.

(Simone Tolle (GRÜNE): Aber Sie stopfen damit doch Haushaltslöcher!)

Sie ziehen in Ihrem Antrag den Sachverständigenrat völlig zu Unrecht heran. Der Sachverständigenrat sagt: Keine Mehrwertsteuer zur Füllung von Haushaltslöchern, aber eine Mehrwertsteuererhöhung zur Strukturierung ist in Ordnung. Genau das wollen wir.

(Thomas Mütze (GRÜNE): Dann machen Sie es doch!)

Ich hoffe, dass noch eine Regelung zustande kommt, nach der der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung wenigstens noch um 1 % oder 1,5 % gesenkt werden kann. Auf der anderen Seite stehen wir unter diesem Druck des Haushalts. Wir müssen den Haushalt sanieren. Deshalb wird es wohl nicht vermeidbar sein, sage ich hier einmal, das Aufkommen aus der Mehrwertsteuererhöhung auch für die Sanierung des Haushalts zu verwenden.

Die Behauptung, wir nähmen keine Einsparungen vor, ist nicht richtig. Sie ist im Gegenteil völlig falsch. Sie lesen doch auch täglich die Zeitungen, in denen steht, worum es geht: um die Wohnungsbauprämie, die Pendlerpauschale, den Sparerfreibetrag usw. Das alles ist doch nicht einfach. Es handelt sich um Subventionen, deren Streichung Sie im Wahlkampf noch massiv in Abrede gestellt haben. Sie haben gesagt, das ist des Teufels. Jetzt sieht man hingegen, bei der SPD jedenfalls ist das so, dass man anders überhaupt nicht über die Runden kommt, obwohl auch massiv gespart wird.

Wir stehen in einem europaweiten Steuerwettbewerb. Deshalb gab es auch die jahrelange Diskussion über eine Senkung der Ertragssteuer, auch die Bemühung beim Jobgipfel, die Körperschaftssteuer noch ein Stück weit abzusenken. Sie wissen, welch günstige Körperschaftssteuern es um uns herum in Europa gibt. Das ist eine Wettbewerbsfrage. Wir sind hier unter Druck. Wir müssen in diese Richtung gehen, ob wir wollen oder nicht. Wir können aber nicht gleichzeitig in diesem Ertragswettbewerb stehen und die niedrigste Mehrwertsteuer in Europa haben. Die Ökonomen raten uns fast ausnahmslos dazu, von den Ertragssteuern auf die indirekten Steuern umzusteuern. Wenn wir also für das Gemeinwesen – sei das nun im Bund oder auf Landesebene; Bayern profi tiert letzten Endes auch von einer Mehrwertsteuererhöhung – genügend Einnahmen auf Dauer haben wollen, bleibt kein anderer Weg, als die Mehrwertsteuer zu erhöhen und bei den Ertragssteuern nachzugeben.

(Margarete Bause (GRÜNE): Das sollte doch ursprünglich in die Senkung der Lohnnebenkosten gehen!)

Ja, das wollen wir auch. Das habe ich doch zum Ausdruck gebracht: Ich hoffe, dass ein Teil der Mehrwertsteuererhöhung dafür verwendet werden kann.

(Margarete Bause (GRÜNE): Dann kriegen Sie aber doch nichts mehr für Bayern, das reicht doch dann nicht!)

Ich habe Ihnen doch gesagt, dass wir den Mist vorgefunden haben, den Sie uns hinterlassen haben. Dieser fi nanzpolitische Misthaufen ist viel, viel größer, als wir uns vorgestellt haben.

(Margarete Bause (GRÜNE): Das war aber anders versprochen! Meinen Sie, Sie können das als Argument für einen Wortbruch bringen?)

Wir müssen also darauf sehen, dass sich ein Gemeinwesen fi nanzieren kann, so wie das alle anderen um uns

herum auch machen. Wir müssen das fi nanzieren, was wir für notwendig halten.

(Margarete Bause (GRÜNE): Dann hätten Sie es aber doch vorher sagen müssen!)

Kollege Dupper sagt, wir müssen die Investitionsquote stabilisieren oder nach oben bringen, auch in Bayern. Darin sind wir uns einig. Wenn wir in Bildung investieren wollen, geht das nur, wenn der Staat auch entsprechende Einnahmen zur Verfügung hat.

(Margarete Bause (GRÜNE): Warum haben Sie das vorher nicht gesagt?)

Das ist einfach so; darüber brauchen Sie sich doch nicht so aufzuregen.

Der Umsatzsteuerbetrug ist heute Morgen auch schon angesprochen worden. Ob die Umsatzsteuer 2 % höher ist oder nicht, beeindruckt diese Ganoven nicht. Die betrügen, egal, ob der Satz bei 16 % oder 18 % liegt. Wir alle wissen, und da sind sich die SPD- und die CDU-/ CSU-Finanzminister einig, dass wir das Problem nur über eine Systemänderung in den Griff bekommen. Das wird erst aufhören, wenn diese Betrügereien qua System nicht mehr möglich sind. So ist die Lage.

Die katastrophale Haushaltslage wird es nicht zulassen, dass wir nicht auch einen Teil des Aufkommens aus der Mehrwertsteuererhöhung für den Haushalt verwenden. Wir werden versuchen, und das haben wir bisher schon getan, einen Teil in die Strukturänderung fl ießen zu lassen, um damit dem Petitum des Sachverständigenrates wenigstens teilweise zu folgen. Es ist völlig unverständlich – da muss ich dem Kollegen Dupper Recht geben –, dass Sie jetzt mit einem solchen Schaufensterantrag kommen, der zeigt, dass Sie in Ihrer Regierungszeit nichts getan haben, was notwendig gewesen wäre. Diesen Antrag zu stellen, hätten Sie besser unterlassen.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Mütze. Bitte.