Protocol of the Session on September 30, 2004

Es war in den Zeiten von Kohl und Waigel, als die Hochgeschwindigkeitsstrecke Frankfurt-Köln beschlossen wurde, die jetzt, genauso wie München-Ingolstadt-Nürnberg, aus dem Ruder gelaufen ist. Der Lehrter Stadtbahnhof führte zum dritten Milliardenloch, das jetzt gestopft werden muss. Doch das Ende der Kosten ist nicht in Sicht, weder mit der Strecke München-Ingolstadt-Nürnberg noch mit dem Transrapid. Wenn wir uns die Strecke Nürnberg-Erfurt ansehen, die durch den Gottesgarten und den Thüringer Wald führt, dann sind wir irgendwann bei 8 Milliarden Euro. Sie brauchen sich doch nicht wundern, wenn die Bahn AG Not leidet. Auch hier haben Sie die Misere originär mitzuverantworten.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Wir sagen deshalb: Ihre beiden Redebeiträge waren heuchlerisch.

Noch ein letzter Gedanke, denn es wurde noch eine weitere Gedankenverknüpfung hergestellt. Alle Redner haben gesagt: Wir dürfen den Börsengang nicht instrumentalisieren beziehungsweise die Bahn darf das nicht tun, damit Strecken nicht verlottern oder Tarife hochgefahren werden. Das ist durchaus richtig, Herr Kollege Rotter, hier appelliere ich an Sie und damit an die CSU-Fraktion, denn bei diesem Getue hat Ihr famoser Ministerpräsident doch mitgemacht. Wir haben einen einstimmigen Beschluss des Landtags zur Trennung von Netz und Betrieb. Dieser Beschluss war einstimmig, kein einziger hat dagegen gestimmt. Aber kurze Zeit später, da war Herr Stoiber Kanzlerkandidat, erklärte er, er sehe das nicht mehr so stringent. Wahrscheinlich wollte auch er es sich mit Herrn Mehdorn nicht verderben. Vielleicht wollte er ein genauso gutes Verhältnis zu ihm wie der Kanzler oder der Wirtschaftsminister.

(Zuruf der Abgeordneten Margarete Bause (GRÜ- NE))

Wir würden uns freuen, wenn Sie Herrn Stoiber wieder auf eine andere Linie bringen würden. Wir sollten der Bahn klar sagen, wo es lang geht, sowohl im Nah- als auch im Fernverkehr.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Dafür werden die Anträge wieder getrennt.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 15/1693 – das ist der Antrag der CSU-Fraktion – seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die CSU-Fraktion und die Fraktion der GRÜNEN. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? –Bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion ist der Dringlichkeitsantrag beschlossen.

Wer dem Dringlichkeitsantrag auf Drucksache 15/1702 – das ist der Antrag der SPD-Fraktion – seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die SPD-Fraktion und die des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Wer ist dagegen? – Das ist die CSU-Fraktion. Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich rufe zur gemeinsamen Beratung auf:

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Margarete Bause, Dr. Sepp Dürr, Ulrike Gote und anderer und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Finanzierung der Insolvenzberatung für 2004 sichern (Drucksache 15/1694)

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Franz Maget, Joachim Wahnschaffe, Christa Steiger und anderer und Fraktion (SPD) Insolvenzberatung in Bayern funktionsfähig erhalten. Nachfinanzierung des unabweisbaren Bedarfs (Drucksache 15/1703)

Ich eröffne die gemeinsame Aussprache. Zunächst darf ich dazu Frau Kollegin Ackermann das Wort erteilen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Insolvenzberatung steht vor dem Aus. Am 15. Juli musste auch das Sozialministerium einräumen, dass die Mittel mehr als aufgebraucht sind. Das ist nicht besonders verwunderlich, denn die Mittel wurden erst auf dringende Intervention nachträglich in den Nachtragshaushalt eingestellt, nachdem sie vorher gestrichen worden waren. Es handelt sich dabei lediglich um 800 000 Euro. Dieser Betrag konnte nicht ausreichen, das haben damals nicht nur wir gesagt, sondern das haben alle Fachleute übereinstimmend festgestellt. Jetzt ist die Situation eingetreten, dass die Beratungsstellen kein Geld mehr haben, um zu beraten, während die Ratsuchenden vor der Türe stehen. Es ist sogar noch schlimmer. Die Zahl der Menschen, die Hilfe suchen, explodiert geradezu. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres waren es 2134 Verbraucherinsolvenzen. Nach den Angaben des Statistischen Landesamtes sind das 37 % mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Es wird erwartet, dass bis zum Ende dieses Jahres im Freistaat voraussichtlich über 4000 Verbraucherinsolvenzen anfallen. Die Tendenz: weiter steigend.

Politisch wird aber offensichtlich nicht gewollt, dass diese Menschen von Beratungsstellen beraten und begleitet werden. Offensichtlich will man die Beratungsstellen am ausgestreckten Arm verhungern lassen. Dabei gibt es einen Rechtsanspruch auf Insolvenzberatung. Das Verwaltungsgericht München hat 2001 geurteilt, der Freistaat sei verpflichtet, geeignete Insolvenzberatungsstellen vorzu

halten. Das Wort „geeignet“ kann ganz bestimmt nicht bedeuten, dass man die Insolvenzberatung nun den Rechtsanwälten übergibt, wie das offensichtlich geplant ist. Rechtsanwälte sind dafür nicht geeignet. Sie haben dafür nicht die notwendige Zeit. Sie können die Begleitung der Beratungssuchenden überhaupt nicht übernehmen. Außerdem wollen sie es auch nicht. Die Anwälte haben bereits verlauten lassen, dass sie nicht gewillt sind, die Insolvenzberatung zu übernehmen. Im Übrigen würde es sich dabei nur um ein Verschieben in den Justizhaushalt bedeuten, dabei soll dieser Haushalt nach meinem Wissen ebenfalls enorme Einsparungen leisten. Ich glaube nicht, dass Frau Justizministerin Merk von dieser neuen Aufgabe begeistert ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Folge wird eine steigende Zahl von Hilfesuchenden sein, von Menschen, die allein gelassen werden. Folge wird sein: Die Chance, dass diese Menschen im Leben wieder Fuß fassen und damit nicht dem Staat zur Last fallen, wird vertan. Damit haben wir wieder einmal ein Beispiel dafür, dass gespart wird mit der Folge, dass die Folgekosten die Einsparungen bei Weitem übersteigen werden. Wo da der Spareffekt bleibt, ist mir völlig schleierhaft. Vom menschlichen Desaster, das hier hervorgerufen wird, einmal ganz abgesehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich bitte Sie deshalb: Helfen Sie mit, die Beratungsstellen zu erhalten und ihre Weiterarbeit zu ermöglichen. Werden Sie Ihrem eigenen Gesetz gerecht. Das Gesetz wurde von Altkanzler Kohl auf den Weg gebracht. Werden Sie diesem Gesetz gerecht und betreuen Sie die betroffenen Menschen adäquat. Stellen Sie dafür die notwendigen Mittel zur Verfügung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Als Nächstem darf ich Herrn Kollegen Peter Winter das Wort erteilen.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu den Dringlichkeitsanträgen der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Fraktion der SPD ist festzustellen: Eine Garantie, die Zuschüsse an die anerkannten Insolvenzberatungsstellen für das gesamte Jahr 2004 nach den derzeit gültigen Fallpauschalen in voller Höhe sicherzustellen, kann – angesichts des begrenzten Volumens der für 2004 zur Verfügung stehenden Mittel – nicht abgegeben werden.

Die von den GRÜNEN und der SPD geforderte Bereitstellung der bis Ende 2004 erforderlichen Mittel im Entwurf des Doppelhaushalts 2005/2006 ist schon aus haushaltsrechtlichen Gründen nicht möglich. Die für 2004 zur Verfügung stehenden Mittel werden im Nachtragshaushalt 2004 festgelegt, das heißt, eine Änderung für das Jahr 2004 ist überhaupt nicht mehr möglich. Schon deshalb können und werden wir Ihren Anträgen nicht zustimmen.

Der in der Begründung der Dringlichkeitsanträge aufgeführte Sachverhalt ist nicht richtig dargestellt. Die dort

beschriebene Vorgehensweise war im Vorfeld mit der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege abgesprochen. Richtigerweise stellen sich die Tatsachen, insbesondere zu den Fördermodalitäten, im Einzelnen wie folgt dar: Ursprünglich sollten die Mittel für die Insolvenzberatung für das Jahr 2004 im Rahmen der Verhandlungen zum Nachtragshaushalt 2004 gänzlich gestrichen werden. Nach Intervention des Bayerischen Landtags und auf intensives Betreiben der CSU-Fraktion – ich nenne im Besonderen den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses Manfred Ach – konnten für die Förderung der Insolvenzberatung im Haushaltsjahr 2004 8000 Euro zur Verfügung gestellt werden.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Mehr! 800 000!)

Die Gesamtsituation wurde vom Sozialministerium mit den Vertretern der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege am 18. März 2004 erörtert. Der zuständige Fachausschuss der Landesarbeitsgemeinschaft für öffentliche und freie Wohlfahrtspflege sprach sich im Hinblick auf die zur Verfügung stehende Fördersumme von 800 000 Euro dafür aus, das bestehende System der Förderung nach Fallpauschalen vorläufig beizubehalten.

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Ackermann?

Nein, ich möchte meine Ausführungen zu Ende bringen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Weiter vorlesen!)

Der Fachausschuss wurde durch das Sozialministerium darauf hingewiesen, dass der Mittelrahmen für 2004 möglicherweise nicht ausreichen könnte, um die Fallpauschale in der bisherigen Höhe aufrechtzuerhalten. Der Fachausschuss äußerte hierzu, dies müsse in dieser Situation hingenommen werden.

Herr Kollege, Herr Dr. Runge fragt ebenso an, ob er eine Zwischenfrage stellen darf.

Nein, ich möchte meine Ausführungen zu Ende bringen.

Für die Bewilligung der Fallpauschalen vom 1. August 2004 bis 31. Dezember 2004 wird anhand der Fälle für die ersten sieben Monate hochgerechnet, welche Fallpauschalen den Beratungsstellen für die restlichen fünf Monate bei gleichzeitiger Beratungstätigkeit zustehen. Soweit die Haushaltsmittel, die nach Bewilligung der Fallpauschalen für die Zeit bis 31. Juli 2004 noch zur Verfügung stehen, nicht für die Fallpauschalen in voller Höhe auch für die letzten fünf Monate ausreichen, werden die Fallpauschalen entsprechend gekürzt. Die LAG wurde vom Sozialministerium mit Schreiben vom 15. September 2004 benachrichtigt, dass die staatlichen Zuschüsse für die letzten fünf Monate des Jahres um 6,1 % gekürzt werden müssen, da die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel 800 961 Euro nicht ausreichen. Dies war verhandelt

und auch mit der Landesarbeitsgemeinschaft so besprochen worden.

Die „Main-Post“ schreibt am 23.09.2004 zur Insolvenzberatung:

Angesichts der desolaten wirtschaftlichen Lage explodiert die Zahl der Menschen, die Beratung suchen.

Das ist das Hauptproblem und die Ursache liegt in dem Versagen von Rot/Grün, im Besonderen bei der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik. Dort sollten Sie ansetzen. Sie sollten Ihren großspurigen Versprechen endlich Taten folgen lassen. Das wird den Menschen weiterhelfen.

Wenn ich heute in der Zeitung vom neuen Schulden-GAU des blanken Hanses lese, dann wird mir erneut klar, dass Sie dazu nicht fähig sind.

(Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Wahnschaffe.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Winter, was Sie eben zur Rechtfertigung einer Maßnahme vorgebracht haben, die im Grunde genommen nicht zu rechtfertigen ist, ist für dieses Haus gelinde gesagt beschämend.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Ich will Ihren Sozialsprecher zitieren, wie er sich in der „Süddeutschen Zeitung“ angesichts der Haushaltskürzungen geäußert hat – leider ist er mit seiner mahnenden Stimme in Ihrer Fraktion nicht durchgedrungen. Er hat damals gesagt – das ist nachzulesen -: „Wir dürfen nicht bei den Schwächsten das Fallbeil ansetzen.“

Genau das haben Sie getan. Sie haben die Insolvenzberatung, die weitgehend von den Trägern der öffentlichen Wohlfahrtspflege übernommen worden ist – allein dafür müssten wir ihnen dankbar sein – unverantwortlicherweise auf eine finanzielle Achterbahn geschickt. Wir behandeln das Thema schon seit Jahren. Die Gegebenheiten sind keine Folge der jüngsten wirtschaftlichen Entwicklung, wie Sie, Herr Kollege Winter, heute dem Haus weismachen wollen, sondern es handelt sich um ein Phänomen, das uns leider schon längere Zeit begleitet. Deswegen hat der Bundestag Anfang der Neunzigerjahre eine wegweisende neue Insolvenzberatung geschaffen, die 1999 in Kraft getreten ist, gerade dem Rechtsfrieden dienen und den Menschen, die auf der untersten sozialen Stufe stehen, eine Chance eröffnen sollte, in der Gesellschaft wieder Fuß zu fassen und – wie es auch sonst immer von Ihnen im Munde geführt wird – eigenverantwortlich tätig sein zu können. All dies verschütten Sie, indem Sie die Insolvenzberatung strangulieren. Schon im Jahre 2003 haben die Mittel von 2,5 Millionen Euro nicht ausgereicht. Wir hatten zu diesem Thema in der letzten Legislaturperiode eine Anhörung und werden in drei Wochen

wieder eine Anhörung haben. Die Fachleute werden Ihnen sagen, dass die Summen, die Sie bisher bereit waren auszugeben, nicht einmal das Schwarze unter dem Fingernagel sind, sondern letztendlich nur die Tatsache kaschieren sollen, dass Sie für die Insolvenzberatung nichts übrig haben.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Frau Kollegin Ackermann hat bereits darauf hingewiesen: Es gibt einen Rechtsanspruch und Sie verweigern als Mehrheitsfraktion, der offensichtlich der Dünkel der Zweidrittelmehrheit zu Kopf gestiegen ist, den betroffenen Menschen die Durchsetzung ihres Rechtsanspruchs. Das würden Sie in anderen Fällen, bei denen es um wirtschaftlich oder politisch wichtige Gruppen geht, nicht machen. Wir haben heute erlebt, dass der Protest von Menschen dazu führt, dass die CSU innerhalb eines Tages ihre Meinung ändert. Bei der Insolvenzberatung glauben Sie, Sie könnten Ihren Haushalt auf Kosten der Ärmsten und sozial Schwächsten zurechtstutzen. Sie wissen aber genau, dass Sie damit einen Flurschaden anrichten, der weit über das hinausreicht, was die Summe von 800 000 Euro beinhaltet.

Noch im September 2003 waren die Einsichtsfähigen im Sozialministerium, Frau Ministerin Stewens, bereit, mit der freien Wohlfahrtspflege Eckpunkte zu vereinbaren, die ein Mindestmaß einer Struktur der Insolvenzberatung gerade noch hätte aufrechterhalten sollen. Das war alles Makulatur, nachdem die Wahlen vorüber waren und der Ministerpräsident ein neues Konzept verkündet hat, dem sich alles und jedes unterordnen musste.