Danke, Frau Kollegin Gote. – Jetzt darf ich Herrn Kollegen Wahnschaffe das Wort erteilen. Bitte schön, Herr Kollege.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Leider scheint das Interesse an diesem Thema, jedenfalls was die rechte Seite des Hauses angeht, deutlich nachgelassen zu haben.
(Beifall bei der SPD – Thomas Kreuzer (CSU): Vielleicht gibt es auch wenig Neues in den Wortbeiträgen, Herr Kollege Wahnschaffe! Seit Stunden immer das Gleiche!)
Das ist eine ganze Menge, jedenfalls wenn man die Zahl in Verhältnis zu der der CSU-Abgeordneten setzt. Das ist zumindest ganz ordentlich.
Ich glaube, wir sollten uns wirklich die Zeit nehmen, über dieses Thema, das nicht nur uns hier im Bayerischen Landtag so intensiv beschäftigt, sondern das auch viele Menschen draußen bewegt, in aller Ausführlichkeit zu reden und es ernst zu nehmen. Es gibt nicht weit von hier Menschen, die seit längerer Zeit eine Mahnwache abhalten. Sie erinnern Tag und Nacht daran, was in ihren Augen hier und heute im Bayerischen Landtag geschehen soll, nämlich der Abbau von Freiheitsrechten. Wenn man das für falsch hält, dann hätte man sich zumindest die Zeit nehmen sollen, das Ganze grundlegend zu diskutieren.
Herr Kollege Schindler hat heute in einer sehr eindrucksvollen Rede die wechselvolle Geschichte des Versammlungsrechts im Nachkriegsdeutschland und teilweise auch im Vorkriegsdeutschland, in der Weimarer Republik, dargestellt.
Wenn man – jeder auf seine Weise – Revue passieren lässt, für was und gegen was in dieser relativ jungen Bundesrepublik Deutschland schon alles demonstriert worden ist, dann muss man eines sagen: Obwohl dieses Gesetz in den Augen der CSU-Staatsregierung bisher unvollkommen war, hat diese Demokratie all das ausgehalten. Das war nicht wenig. Wir haben ja viele Demonstrationen gehabt.
Jedes Mal, wenn die Apfelfront nach Gräfenberg kommt, muss man der Polizei immer wieder aufs Neue erklären, dass diese schicken, schwarz gekleideten Mitglieder der Apfelfront, die eine rote Armbinde mit einem Apfel tragen, einem deutschen Apfel,
zu einer Gruppe gehören, die mit viel Witz und Ironie die Nazis entlarvt. Jedes Mal muss man den Polizisten sagen, dass diese Gruppe zu uns gehört und nicht zu den anderen. Das sind Behinderungen, die aktive Gegnerinnen und Gegner der Nazis erfahren, wenn sie auf die Straße gehen und Mut, Gesicht und Zivilcourage zeigen. Häufig muss in Gräfenberg sehr kurzfristig reagiert werden. Manchmal muss man von einem Tag auf den anderen eine solche Aktion auf die Beine stellen. Glauben Sie, dass die neuen Regelungen, die Sie hier beschließen wollen, im Kampf gegen Rechts hilfreich sind? Sie behindern doch nur die aufrechten Bürgerinnen und Bürger.
Es ist mitunter auch ziviler Ungehorsam gefordert, Herr Minister. Das wird Ihnen jetzt nicht gefallen, aber ich sage Ihnen, dass das nötig ist. Ich habe allergrößten Respekt vor jedem Bürger und jeder Bürgerin, die sich trauen, gegen rechte Aufmärsche auch einmal eine Straße zu blockieren oder den Marktplatz nicht freizugeben.
Ich selbst habe das gemeinsam mit einem CSU-Bürgermeister schon getan. Was wir wirklich dringender als dieses Gesetz brauchen, ist Prävention, Erziehung zur Demokratie, gelebte Demokratie und die Unterstützung der Arbeit gegen Rechts. Da müssen Sie sich fragen lassen, was Sie wirklich dafür tun. Wieviel Geld geben Sie diesen Organisationen? Welche Projekte unterstützen Sie konkret? Es ist keineswegs so, wie Sie immer behaupten, dass in diesem Zusammenhang viel geschehen würde. Keineswegs. Viele Dinge können nicht durchgeführt werden. Viele Organisationen wissen nicht, ob sie im nächsten Jahr ihr Projekt noch weiterführen können und ob sie noch Fördermittel bekommen. Da sollten Sie investieren, und da ist Ihre ganze Kreativität gefragt.
Diese Formen des Widerstands und dieses Engagement gegen Rechts sind mühsam und anstrengend. Da muss man nämlich manchmal kurzfristig Termine absagen und dorthin fahren, manchmal ist es kalt, es regnet, oder es ist unbequem; aber das ist für die Gräfenbergerinnen und Gräfenberger fast jeden Monat so. Alle, die auf die Straße gehen, wissen, dass das nicht der einfachste Weg ist, um die Demokratie zu verteidigen. Das wissen wir. Ich weiß nicht, ob Sie es wissen; denn Sie sind nicht oft in Gräfenberg. Einmal war Herr Kollege Nöth da und hat gesagt, er gehe doch nicht gemeinsam mit linken Chaoten demonstrieren. Das war seine Reaktion. Wenn Sie öfter dort wären, dann hätten Sie vielleicht ein anderes Verhältnis zur Versammlungsfreiheit gewonnen.
Darum müssen wir sagen: Dieses Gesetz ist ein Verstoß gegen – so hat es einmal Klaus Hahnzog gesagt – die Pressefreiheit des kleinen Mannes, der das Versammlungsrecht nämlich auf Straßen und Plätzen wahrnehmen kann, ohne fürchten zu müssen, dabei mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen. Denn nichts ist dem Bürger heiliger, als dass nach Recht und Ordnung verfahren wird.
Die Gewissheit, das Versammlungsrecht ungestört, unangemeldet und ungenehmigt wahrnehmen zu können, wird von Ihnen psychologisch zerstört, indem Sie eine Angstkulisse aufbauen.
Die Angstkulisse wirkt schon jetzt, im Vorfeld dieses Gesetzes. Wie ist es sonst zu erklären, dass eine so merkwürdige Koalition – merkwürdig wegen der Heterogenität – zwischen Gewerkschaften einerseits, Jugendverbänden, Kirchen und Rechtsorganisationen andererseits entstehen konnte, die alle ihre Bedenken angemeldet haben, deren Bedenken Sie aber in den Wind geschlagen haben, und die Sie nicht ernst genommen haben, die Sie schlicht ignorieren, und zwar nicht nur mit Ihrem Gesetzentwurf, sondern auch indem Sie den Dialog letztlich verweigert haben?
Sie haben gesagt, Sie hätten mit Herrn Schösser geredet. Aber haben Sie auch einmal mit den Petenten geredet, die sich massiv an den Bayerischen Landtag gewandt haben? Ich glaube, das ist nicht geschehen.
Heute ist es so weit, dass ein Gesetzentwurf verabschiedet werden soll, über den nicht einmal Sie froh werden. Denn er wird einer verfassungsrechtlichen Nachprüfung wohl kaum standhalten. Es sind ja nicht die großen Dinge, die da verändert werden, sondern es sind die vielen kleinen Stellschrauben, die einen Eingriff in das Recht der Versammlungsfreiheit darstellen und das Versammlungsrecht Stück für Stück einengen.
Ob die Verfassungsrichter dies gutheißen werden, steht zwar in den Sternen, aber ich bin gewiss: Es wird nicht standhalten. Deswegen werden wir uns mit diesem Thema noch einmal auseinandersetzen müssen. Allerdings ist dann sehr viel Porzellan zerschlagen.
Sie wären klug beraten, das Gesetz heute nicht durchzupeitschen, sondern auf die zu hören, die zur Mäßigung und dazu geraten haben, die wahren Traditionen Bayerns, nämlich die Grundsätze des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats in dem Gesetz zu verankern. All diese Warnungen haben Sie in den Wind geschlagen. Deswegen sind Sie für das verantwortlich, was Sie ernten werden. Dies wird nichts Gutes sein.
Ich erinnere mich noch dunkel an Demonstrationen anlässlich der Notstandsgesetze. Ich erinnere mich an andere Dinge, wo es um den Vietnamkrieg ging. Es ging auch um andere Kriege, die die USA damals begonnen hatten. Damals haben sich bei uns viele Menschen eingemischt und das Recht aktiv wahrgenommen.
Wenn man jetzt durch die Verfassungsreform die Möglichkeit erhält, das Versammlungsrecht auf Landesebene neu zu regeln, dann könnte man das als eine Chance begreifen. Dasselbe gilt auch für andere Dinge, zum Beispiel – ich sage das einmal als Sozialpolitiker – für das sogenannte Heimgesetz. Auch da hätte man eine Chance nutzen können. Man hat sie leider nicht genutzt. Darüber haben wir letzte Woche gesprochen.
Aber auch beim Versammlungsrecht hätte die Möglichkeit bestanden, das Verfassungsrecht sowohl Bayerns als auch des Bundes, eingebettet in das Richterrecht, mit einem materiellen Mantel zu umhüllen und zu sagen: Das ist nicht nur gelebte Verfassungswirklichkeit, sondern das schreiben wir auch in das Gesetz hinein. Wir wollen die Rechte der Bürger grundsätzlich stärken. Nur da, wo Verfassungsfeinde dieses Recht missbrauchen, muss man dagegen vorgehen. Dafür müssen entsprechende Bestimmungen vorhanden sein.
Herr Kollege Schindler hat schon darauf hingewiesen, dass die Kulisse unseres materiellen Rechts so breit gespannt ist, dass wir uns heute dagegen auch ohne ein neues Versammlungsrecht wirkungsvoll zur Wehr setzen können.
Was ist also die wahre Intention dieses Gesetzentwurfs? Ist es wirklich das, was im Vorspann steht, dass man die Rechte des Bürgers schützen will? Ist es nicht vielmehr so, dass es genau umgekehrt läuft?
Herr Innenminister Herrmann, Sie haben bei der Diskussion am 10. Juni in diesem Haus auf eine Frage gesagt: Ich räume ein, wir bewegen uns hier im Grenzbereich. Damit haben Sie eingeräumt, dass der Spagat zwischen der Wahrung von Freiheitsrechten einerseits und der Bekämpfung von Missbräuchen andererseits eine Gratwanderung ist. Das bestreitet niemand. Nur haben Sie nach allem, was wir heute hier gehört haben und was auch im Gesetzentwurf steht und die CSU verändert hat, die Grenze verschoben, und zwar weg vom Schutz der Freiheitsrechte hin zur Formulierung eines praktikablen Polizeigesetzes. Es löst vielleicht die Freude von Kreisverwaltungsbehörden aus und scheint für die Polizei in dem einen oder anderen Fall praktikabler zu sein. Allerdings habe ich da große Zweifel. Denn das Gesetz ist von unbestimmten Rechtsbegriffen durchzogen. Dazu haben wir heute vielfach etwas gehört.
Es wird also immer die Aufgabe des Verantwortlichen sein, sei es dessen, der die Versammlung genehmigt, sei es dessen, der sie rechtsaufsichtlich begleitet, die Abwägung zu treffen, ob er sich innerhalb oder außerhalb des Gesetzes bewegt. Sie verlagern damit eine Verantwortung, die Sie selbst nicht wahrnehmen wollen. Sie verlagern die Verantwortung dadurch, dass Sie das Gesetz
gegen dieses Gesetz einnehmen, und es erklärt, warum der DGB Bayern in seiner Petition eine angemessen parlamentarische Behandlung des Gesetzes einfordert. Wörtlich heißt es in der Petition:
Der DGB Bayern fordert den Landtag zu einer umfassenden Anhörung auf und ist bereit, seine Bedenken bei den Beratungen in den Landtagsausschüssen einzubringen. Er fordert Staatsregierung und Landtag auf, das Gesetz nicht im Schnellverfahren zu behandeln, nur um es noch in dieser Legislaturperiode abschließend beschließen zu können.
Das ist eine demokratische Selbstverständlichkeit, der sich die CSU ohne Not verschlossen hat, denn auch das stellte der DGB mit Recht fest – ich zitiere wieder –:
besteht keine Notwendigkeit. Denn auch wenn das Versammlungsrecht mit der Föderalismusreform I auf die Länder übergegangen ist, bleibt das Bundesgesetz bis zu einer Neuregelung gültig.
Über die inhaltlich und verfassungsrechtlich schwersten Bedenken gegen den Gesetzentwurf haben wir heute bereits an anderer Stelle geredet und werden möglicherweise gleich noch aus berufenerem Munde zentrale Kritikpunkte hören. Deshalb will ich mich jetzt mit dem Hinweis begnügen, dass es auch die Arbeitnehmervertretungen in ihren Petitionen als völlig inakzeptabel ansehen, wie die Staatsregierung in ihrem vom obrigkeitsstaatlichen Geist vordemokratischer Zeiten geprägten Gesetz mit dem Versammlungsrecht, einem der elementarsten Freiheitsrechte in unserer heutigen demokratischen Verfassung, umgeht. Dazu noch ein Zitat aus der DGB-Petition:
Die Staatsregierung nimmt hingegen Einschränkung und Abbau von Bürger- und Grundrechten billigend in Kauf.
Klarer formulieren es noch die Ver.di-Senioren. Ihre wohl aus der Vergangenheit gespeisten Befürchtungen lauten wörtlich:
Viele Seniorinnen und Senioren erinnern sich noch an eine Zeit, als es Versammlungsverbote gab. Jetzt leben wir in einer Demokratie, und eines unserer wichtigsten Grundrechte ist die Versammlungsfreiheit.
Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Der DGB, ver.di und Beschäftigte verschiedener Münchener Unternehmen halten eine Woche lang, vom vergangenen Freitag bis morgen, eine Mahnwache für den Erhalt der Versammlungsfreiheit in Bayern, und zwar vis-a-vis vom Landtag am Maxmonument auf der anderen Isarseite. Die Mahnwoche ist ein eindrucksvolles Zeichen des Protestes, den eine breite Bewegung von Gewerkschaften, Verbänden, Initiativen und unzähligen Bürgerinnen und Bürgern gegen das bayerische Versammlungsverhinderungsgesetz zum Ausdruck bringt.