Protocol of the Session on July 3, 2008

(Beifall bei der SPD)

Die Klassenstärken haben doch Jahr für Jahr in Bayern immer mehr zugenommen. An den Realschulen sind die Klassenstärken von 24,9 auf aktuell 28,8 gestiegen. – Herr Waschler, Sie haben die verlorene Wette immer noch nicht eingelöst. – Die Klassengrößen steigen immer weiter. Die individuelle Förderung findet nicht mehr statt.

(Renate Dodell (CSU): So ein Quatsch!)

Der Wahlunterricht ist an den Realschulen um 50 % gekürzt worden, der Ergänzungsunterricht um 60 %, die Intensivierungsstunden um 80 %. Genauso ist es. An anderen Schularten sieht es nicht besser aus. Die Förderschulen klagen in besonderer Weise. Deswegen muss Bildung besser finanziert werden.

(Zuruf von der CSU – Gegenruf Susann Biede- feld (SPD): Wollen Sie behaupten, dass die Eltern lügen?)

Die Bildungsmilliarde für unser Schulsystem, die wir vorschlagen, ist die beste Geldanlage, die man sich überhaupt vorstellen kann; denn jeder Euro, den Sie nicht für die Schulen ausgeben, kostet Sie in der Zukunft wesentlich mehr.

Lassen Sie mich als Letztes zum Thema „Bildungsgerechtigkeit“ kommen. Dass Sie sogar für die himmelschreiende Ungerechtigkeit bei der Verteilung von Bildungschancen in unserem Land noch wohlwollende Formulierungen finden, hat mich – ehrlich gesagt – überrascht, aber auch enttäuscht. Ist es für Sie wirklich in Ordnung, dass Kinder aus Akademikerfamilien eine vier- oder fünffach höhere Chance haben, die allgemeine Hochschulreife zu erreichen, als Kinder aus Arbeiterfamilien? Ist das für Sie wirklich in Ordnung? Ist es für Sie wirklich in Ordnung, dass Bildungschancen sehr stark nach dem Wohnort vergeben werden, in dem die Kinder aufwachsen? Ist es für Sie ein

glaubt Ihnen die bayerische Bevölkerung kein Wort mehr und durchschaut Ihre Taschenspielertricks.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Lehrermangel, große Klassen, handstreichartige Einführung des achtjährigen Gymnasiums mit all seinen negativen Folgen, die Krise der Hauptschule, die Unterversorgung der Schulen mit Sozialpädagogen und Schulpsychologen, ein viel zu geringes Angebot an Ganztagsschulen, der Zusammenhang von Bildungserfolg und Einkommen der Eltern, zunehmende Privatisierung der Bildungskosten – auch das Büchergeld gehört hier dazu –, das Märchen von der Durchlässigkeit des bayerischen Schulsystems sind nur einige wenige Schlagworte. Auch eine Redezeit von 23 Minuten, Herr Präsident, ist wahrscheinlich viel zu kurz, um alles aufzuzählen.

Ich halte es aber für angebracht, eine „Schneiderbilanz“ zu ziehen. Da können wir gleich mit dem Lehrermangel beginnen. Blicken wir einmal zurück auf den Juli 2004. Schon damals hat sich die CSU in einer Sitzung mit dem Lehrermangel beschäftigt. In der „Süddeutschen Zeitung“ stand damals – seinerzeit waren Sie noch Ausschussvorsitzender –: Der CSU-Bildungsexperte Schneider sagte, es würden bayernweit Lehrer fehlen; dennoch sollten vorerst keine weiteren Planstellen geschaffen werden. Dort war weiter zu lesen, die CSU garantiere die Stundentafel, und die Zahl der Lehrer sei ausreichend. Das hat die CSU-Fraktion 2004 gemeint.

Im Winter des gleichen Jahres, Herr Schneider, haben Sie einen Brandbrief geschrieben, an den wir uns alle noch erinnern können. Im April 2005 wurden Sie dann Kultusminister. Der damalige Fraktionsvorsitzende Joachim Herrmann zeigte sich optimistisch, dass die Turbulenzen in der Schulpolitik bald der Vergangenheit angehören würden, und sagte, mit dem neuen Minister werde auch die Zustimmung zur CSU-Bildungspolitik wieder steigen. Dann beginnen die stets wiederkehrenden Rituale von Pressekonferenzen, in denen sich das Kultusministerium verbal der Sicherstellung der Unterrichtsversorgung widmet und in regelmäßigen Abständen auf die großen Anstrengungen verweist und auf die große Bedeutung der Beschlüsse des Kabinetts, wie Sie es heute auch getan haben.

Was dabei herausgekommen ist, wissen wir alle. Wir hatten fast wöchentliche Debatten über den Lehrermangel in Bayern. Es gibt Unterrichtsausfall; Eltern unterrichten; in Unterfranken haben Sie gar eine Zeitarbeitsfirma eingeschaltet. An einer Schule gab es einen Ein-Euro-Jobber, und wir haben übergroße Klassen. Jetzt wollen Sie konsequent bessere Rahmenbedingungen schaffen. Warum sollen wir Ihnen nach all dem, was Sie uns in den letzten Jahren erzählt haben, Beifall klatschen? Warum soll Ihnen ein Mensch in Bayern dazu gratulieren, dass Sie keine Klasse über 33 Schüler und Schülerinnen am Gymnasium und der Realschule wollen? – Sie reagieren viel zu spät. Die Kinder müssen jetzt in viel zu großen Klassen lernen, und das trifft vor allen Dingen die Kinder im G 8 hart. Da haben wir 610 Klassen mit mehr als 33 Kindern; das sind 6,72 %. In 35 % aller Klassen sitzen mehr als 30 Kinder.

Herr Kollege Maget, Sie sind inzwischen gut über die Redezeit.

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Drei Minuten überzogen!)

Das Bildungssystem muss die Menschen aber auch jenseits der Qualifikation soziale Fähigkeiten erwerben lassen, es muss den Kindern Zeit für Bildung geben, muss auch vom Leistungsdruck schon in den ersten Grundschulklassen weggehen und muss eigenständige Persönlichkeiten herausbilden. Auch das geschieht in unserem Bildungssystem nur unzureichend. Wir müssen es deshalb grundlegend ändern und verbessern. – Vielen Dank für Ihre Geduld.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD)

Nächste Rednerin: Frau Kollegin Tolle. Wegen der Gleichbehandlung, nachdem ich es jetzt habe laufen lassen – ich denke, das war sachgerecht – steht damit allen Fraktionen eine Redezeit von 23 Minuten 38 Sekunden zur Verfügung.

(Zurufe von der CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben vom Minister jetzt zwei Worte häufiger gehört. Das eine war „Konsequenz“ und das andere „Entschiedenheit“. Konsequenz und Entschiedenheit der bayerischen Bildungspolitik erkennt man am Zeitpunkt der ersten Regierungserklärung des Kultusministers. Sie sind drei Jahre im Amt. In 15 Tagen sitzen wir hier zum letzten Mal zusammen, und der Minister ist endlich in der Lage, seine Politik der Öffentlichkeit zu erklären.

Hierfür gibt es zwei Erklärungen, die beide nur negative Schlussfolgerungen zulassen. Erstens. Es ist Wahlkampf. Zweitens. Sie haben so lange gebraucht. Ihr Bild vom Rudern gefällt mir dabei gut; denn es könnte ja sein, Herr Minister Schneider, dass Ihnen eines klar geworden ist: Sie rudern auf einen Wasserfall zu. Es könnte der Absturz kommen, und Sie versuchen nun alles, um dem noch zu entgehen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Diverse Äußerungen aus Ihrem Ministerium erinnern mich immer wieder an zwei Märchen, in denen Namensvettern von Ihnen vorkommen. Das erste Märchen ist „Das tapfere Schneiderlein“. Das muss Vorbild für die Regierungserklärung gewesen sein: mit dem Gürtel sieben auf einen Streich. Genauso machen Sie es nämlich, wenn Sie hier behaupten, in Bayern sei alles in Ordnung. Das zweite Märchen heißt: „Des Kaisers neue Kleider“. Darin versuchen gleich zwei Schneider, den Leuten weiszumachen, dass sie wunderschöne neue Gewänder gewebt hätten. Ihnen wird aber niemand mehr glauben, weil die Probleme an den bayerischen Schulen offen zutage treten. Jeder und jede kann sie sehen. Anders als im Märchen

am Ort – da können Sie jeden Bürgermeister fragen – ist mittlerweile zu einem wichtigen Standortfaktor geworden. Sie haben damit den ländlichen Raum ausgeblutet. Die einzügigen Hauptschulen stehen auf der Kippe. Ihren Beteuerungen, sie wären gesichert, glaube ich nicht. Sie haben auch vor der letzten Wahl gesagt, dass am neunjährigen Gymnasium nicht gerüttelt werde.

Eine andere Wahrheit wollen Sie weiterhin nicht wissen: Die Hauptschule ist eine von der Bevölkerung nicht mehr akzeptierte Schulform.

(Zurufe von der CSU)

Alle versuchen, die Hauptschule zu meiden. Auch hier versuchen Sie durch schönreden, durch Kongresse und durch Veranstaltungen der Wahrheit zu entfliehen. Mit allen Versuchen, die Hauptschule verbal aufzuwerten, lügen Sie nach meiner Meinung den Beteiligten in die Tasche. Ich teile auch nicht Ihre Ansicht, dass wir auf drei Säulen gut dastehen. Die Hauptschule bröckelt. Die Menschen werden mit den Füßen abstimmen. Darüber hinaus haben wir ein demografisches Problem, das ich im Landtag ansprechen wollte und zu dem ich zwei Anträge gestellt hatte. Herr Kollege Nöth meinte damals aber: Wir stehen gut da und können keine Unruhe gebrauchen.

Jedem vernünftigen Betrachter jedoch wird es einleuchten, dass wir mit unseren Schülerzahlen ein vielgliedriges Schulsystem wie das bayerische nicht aufrechterhalten können. Auch bei den Ganztagsschulen sind Sie Schlusslicht. Da Sie jetzt Ihre Ganztagsangebote so feiern, darf ich Sie daran erinnern, dass der größte Teil davon nach der Kommunalwahl genehmigt wurde, weil Sie anscheinend die Rückmeldung der Wählerinnen und Wähler verstanden haben.

Ich fasse meine Bilanz zusammen: Herr Minister, Sie haben das Klassenziel nicht geschafft, und Sie müssen im September in die besondere Prüfung.

(Georg Schmid (CSU): Er wird sie bestehen!)

Vor allen Dingen ist es die Summe der Fehlleistungen, die in der Rückschau diese drei Jahre negativ erscheinen lassen. Gepaart sind die Fehlleistungen mit Ihrem Schneiderschen Grundproblem: mangelnde Konzepte und Ideen, mangelnde Durchsetzungsfähigkeit und verkrustete Strukturen in der CSU-Fraktion.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Diese Aspekte bilden jene schlechte Basis, die für die bildungspolitischen Fehlleistungen der CSU in den vergangenen Jahren verantwortlich ist. Sie werden aber leider auf dem Rücken der Schulkinder, der Familien, der Lehrerinnen und Lehrer und somit auf Kosten der bayerischen Gesellschaft und auf Kosten unserer Zukunft ausgetragen.

Nach der „Schneider-Bilanz“ bin ich aber noch nicht fertig; denn wir müssen noch über Gerechtigkeit spre

Auf diese Situation sind Sie mit Siebenmeilenstiefeln zugesteuert. Sie hätten schon 2004 – Ihr Brandbrief war nämlich richtig – umsteuern müssen. Auch an den Realschulen lernen 9,63 % der Schüler und Schülerinnen in Klassen mit mehr als 33 Kindern. Fast die Hälfte, 45 %, sitzen mit 30 anderen im Klassenzimmer. Auch an den Realschulen ist die Situation schon seit Langem bekannt. Sie haben diese Zustände erst herbeigeführt. Sie werden dafür, dass Sie diese Situation im Schneckentempo verbessern wollen, von mir keine positive Rückmeldung bekommen.

Ein weiteres Beispiel für fachliche Fehlgriffe, unstrukturiertes Verhalten und aktionistisches Handeln ist das achtjährige Gymnasium. Die handstreichartige Einführung des achtjährigen Gymnasiums ist ein Feldversuch an einer ganzen Schülergeneration. Sie haben damit großes Chaos angerichtet. Die Leidtragenden sind aber nicht Sie, sondern Schüler und Schülerinnen, Lehrer und Lehrerinnen und die Eltern. Bei den seit Jahren immer wieder angeführten Schwierigkeiten handelt es sich um grundlegende konzeptionelle Probleme, vor denen alle gewarnt haben.

Lange Schultage, schriftliche Hausaufgaben nach einem langen Tag und weite Schulwege belasten die Schülerinnen und Schüler über Gebühr, und eine glückliche Kindheit bleibt so auf der Strecke.

Die Gymnasien wurden auf einen faktischen Ganztagsbetrieb nur unzulänglich vorbereitet. Bis heute gibt es nur zwölf Modellversuche zum ganztägig gebundenen achtjährigen Gymnasium, die Sie bis heute zumindest nicht öffentlich ausgewertet haben. Im Jahr der Einführung wurden die Personalausgaben im Nachtragshaushalt um mehr als 6 Millionen Euro gekürzt. Sie haben das G 8 mit den Ganztagsmitteln des Bundes finanziert, und nun machen Sie das Ganze wieder zunichte, weil Sie faktisch den Nachmittagsunterricht wieder abschaffen und so die Chance vertun, das Gymnasium zu einem Modellprojekt für echte gebundene Ganztagsschulen zu machen.

Die Krise der Hauptschule schwelt seit Jahren. Lange Jahre hat sich die CSU überhaupt nicht um die Hauptschule gekümmert. Deshalb nenne ich die Hauptschule die Schule der vergessenen Kinder.

(Zuruf von der CSU)

Schon im Oktober 2006 haben Sie einmal verkündet, Herr Minister: Wir werden die Hauptschule zu einer stark berufsvorbereitenden Schule weiterentwickeln; ich will das qualitativ hochwertige und vielseitige Angebot der Hauptschule auch im ländlichen Raum bestmöglich sichern. Was dabei herausgekommen ist, hat Ihnen der Personalchef von Audi neulich in der Zeitung gesagt, nämlich dass noch sehr großer Verbesserungsbedarf besteht, damit er auch diese Schülerinnen und Schüler einstellen kann.

Trotz Ihrer Bekundungen haben Sie 500 Hauptschulen dichtgemacht, und 22 000 Schülerinnen und Schüler fahren nun in der Gegend herum. Auch wenn es sich überwiegend um Teilhauptschulen handelte: Eine Schule

in dem es um oben oder unten geht. Ich will auch keine Einheitsschule, wie wir sie jetzt haben, in der die gleichen Schüler im gleichen Raum mit den gleichen Aufgaben im gleichen Tempo mit dem gleichen Lehrer zum gleichen Ergebnis kommen müssen. Ich frage Sie: Haben unsere Kinder so wirklich die gleichen Lernchancen, und werden wir so der Unterschiedlichkeit gerecht? Entdecken wir auf diesem Weg wirklich alle Begabungen und Talente? Kann sich jedes Kind so wirklich bestmöglich einbringen? – Ich meine: Nein.

Um wieder auf das Boot zurückzukommen: Ich glaube, es ist gut, wenn alle gemeinsam in einem Boot rudern. Lernen muss auch nicht gegen den Strom stattfinden. Lernen kann Freude und Spaß machen. Dann ist die Anstrengung vielleicht nicht mehr ganz so groß. Ich bin fest davon überzeugt: Wenn alle in einem Boot rudern, kommen alle besser vorwärts.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Alle in einem Boot, das heißt: eine Schule für alle. Unsere Schule ist die gemeinsame Schule aller Kinder und Jugendlichen für die Dauer der gesetzlichen Schulpflicht und vereinigt in sich die bisherigen Bildungsgänge der Grundschule, der Hauptschule, der Realschule und der Mittelstufe des Gymnasiums. Im Inneren versteht sie sich als Gemeinschaftsschule und konsequent als integrative Schule. Sie kennt keine äußere Differenzierung, wie das zum Beispiel in der Gesamtschule gemacht worden ist. Diese Schule ist der individuellen Förderung jedes Kindes verpflichtet und sie lässt kein Kind zurück. Sie beschämt nicht durch konkurrenzorientierte Vergleiche oder Sitzenbleiben und empfindet individuelle Vielfalt als Gewinn.

Das ist das Ziel der GRÜNEN und es zeichnet uns GRÜNE aus, dass wir Visionen aufzeigen können sowie Schritte definieren und definiert haben, wie wir unser Ziel erreichen können. Ein bisschen Visionen oder zumindest etwas, das über das bisher von Ihnen in Presseerklärungen Verlautbarte hinausgeht, wäre der ersten Regierungserklärung des Kultusministers würdig gewesen. Ich bin aber nicht enttäuscht, weil ich nichts anderes erwartet habe. Ich denke, die bayerischen Wählerinnen und Wähler werden das genauso sehen. In Ihrer besonderen Prüfung werden Sie die Antwort bekommen und die Zielmarke von 50 % nicht mehr erreichen. Das wäre ein großer Gewinn für die bayerischen Schulkinder, die Lehrerinnen und Lehrer sowie die Eltern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das Wort hat der Abgeordnete Professor Waschler.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich stelle als kleines Resümee zum Einstieg fest: Wir haben eine kraftvolle und zukunftsweisende Regierungserklärung gehört.

(Beifall bei der CSU)