Protocol of the Session on June 25, 2008

(Zurufe von den GRÜNEN)

Was sind das für Botschaften? Wenn Sie auf der einen Seite Armutsbekämpfung verlangen und auf der anderen Seite so gegen die Familien handeln, dann betreiben Sie ein scheinheiliges Spiel.

(Beifall bei der CSU – Zuruf von den GRÜNEN)

Wir müssen gemeinsam mit Arbeitgebern, Gewerkschaften und den gesellschaftlichen Gruppen wesentliche Entwicklungen zur Vermeidung der Altersarmut vorantreiben, die ihre Grundlage vernünftigerweise auch schon im Konzept zur Seniorenpolitik der Bayerischen Staatsregierung haben, aber vor allen Dingen auch in den Ansätzen, ältere Arbeitnehmer für den Arbeitsmarkt fi t zu machen, ihnen in ihrer Situation zu helfen, darüber hinaus aber auch die sozialen Sicherungssysteme langfristig so sattelfest zu machen, dass sie von politischen Entscheidungen weitgehend unabhängig sind.

Dies sind einige Aspekte, die uns in der weiteren Bearbeitung des Ergebnisses des Landessozialberichts beschäftigen werden. Der Landessozialbericht kommt rechtzeitig. Er wird fundiert sein und gesellschaftliche Akzeptanz fi nden. Deshalb ist das, was Sie hier aufbauen, ein überfl üssiger Popanz.

(Beifall bei der CSU – Maria Scharfenberg (GRÜNE): Das glaubt nicht einmal Ihre eigene Fraktion!)

Bevor ich das Wort weitergebe, will ich aus gegebenem Anlass darauf hinweisen, dass im Plenarsaal das Telefonieren mit dem Handy nicht zulässig ist.

Nächster Redner: Herr Kollege Wahnschaffe.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist schon eine merkwürdige Situation, in der wir uns im Augenblick befi nden. Wir alle kennen wohl den Terminkalender des Bayerischen Landtags recht genau und wissen, dass nach dieser heutigen Plenarsitzung nur noch eine Sitzungswoche in der alten Legislaturperiode stattfi ndet, in der der Bayerische Landtag verhandelt.

Nun sagt der Kollege Unterländer vollmundig: Der Sozialbericht kommt noch rechtzeitig in dieser Legislaturpe

riode. Herr Kollege Unterländer, für wie dumm halten Sie eigentlich Ihre Kollegen?

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abgeordneten Joachim Unterländer (CSU))

Ich muss sagen, es ist schon dreist, darzustellen, wie wichtig ein solcher Bericht ist, wie viele Menschen an der Untersuchung teilnehmen, wie viel Hirnschmalz man darauf verwenden muss, was man alles tun muss, um ihn mit Qualität zu erfüllen, und dann dem Bayerischen Landtag zumuten zu wollen – wenn es denn überhaupt zuträfe –, in der letzten Sitzungswoche dieses Parlaments einen solchen Bericht entgegenzunehmen und zu diskutieren. Das ist eine Zumutung, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN – Zurufe von der CSU)

Wir erleben in diesen Tagen Erstaunliches, zugleich aber auch Empörendes. Die Bayerische Staatsregierung schüttet das Füllhorn ihrer Wohltaten über der bayerischen Bevölkerung aus, wobei die bayerische Bevölkerung noch in Erinnerung haben sollte, dass dies auch im Jahr 2003 vor der letzten Landtagswahl der Fall war und dass man hinterher all diese Wohltaten wieder einkassiert hat. Man sollte also die Versprechungen der Staatsregierung, die dieser Tage in den Zeitungen zu lesen sind, besonders kritisch würdigen.

Da wird uns von der CSU angeboten – die Frage ist: Warum haben Sie es nicht längst getan? –, dass sich in den Kindertagesstätten einiges ändern soll. Die Personalquote soll verbessert werden, der Basiswert soll erhöht werden.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Respekt!)

Meine Damen und Herren, wissen Sie denn nicht, dass der Nachtragshaushalt 2008 längst verabschiedet ist? Woher soll das Geld kommen, das Sie versprechen?

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abgeordneten Joachim Unterländer (CSU))

Ob Sie dazu Gelegenheit haben werden, wird der Wähler entscheiden und nicht Sie.

Sie versprechen mehr Ganztagsschulen, und zwar nicht nur für die Hauptschulen; jetzt sollen plötzlich alle daran Anteil haben. Heute ist in der Zeitung zu lesen, dass der Finanzminister die bayerischen Beamten verwöhnen will, indem er ihnen mehr Wegegeld zubilligt.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Respekt!)

Auch den Hochschulen soll es besser gehen.

Ich hätte eigentlich von Ihnen, Frau Staatsministerin, erwartet, dass Sie sich energisch zu Wort melden und sagen: Es gibt noch ein bayerisches Sozialministerium, und das vertritt nicht nur die genannten Gruppen; auch die Menschen, die ganz unten sind, haben einen Anspruch auf Teilhabe an dem, was im Augenblick an Steuermehreinnahmen erzielt wird.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Nicht nur jene, von denen Sie hoffen, dass sie Sie am 28. September wählen werden, sondern alle Menschen in diesem Land haben Anspruch auf Teilhabe.

(Beifall bei der SPD)

Genau diese Menschen, die ganz unten sind, lassen Sie links liegen. Sie lassen sie, um es drastisch zu formulieren, am ausgestreckten Arm verhungern.

(Joachim Unterländer (CSU): Durch weitere 14 Tage ohne Sozialbericht?)

Warten Sie es nur ab, Herr Kollege Unterländer.

Der Bayerische Sozialbericht ist eine unendliche Geschichte. Mit der aktuellen Stunde, die die GRÜNEN heute beantragt haben, fi ndet das seine Fortsetzung, was wir vor 14 Tagen behandelt haben. Seinerzeit habe ich Sie, Frau Staatsministerin, von dieser Stelle aus gefragt: Wo bleibt der Sozialbericht? Antwort: null. Wir bekommen nicht einmal eine Antwort. Wenn Sie nicht einmal eine Antwort auf gestellte Fragen geben, so ist das eine Desavouierung des Parlaments.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Und heute stellen die GRÜNEN wieder die Frage – und wir stellen sie auch –, wann der Sozialbericht kommt, wie er hier dem Parlament zur Kenntnis gebracht wird und vor allen Dingen wie das Parlament Gelegenheit erhält, seine eigenen Gedanken dazu einzubringen. Darauf haben wir einen Anspruch. Denn 1998 – es ist also gut zehn Jahre her – ist diesem Haus der letzte Sozialbericht vorgelegt worden. Ich habe ihn mir heute nochmals angeschaut. Der letzte Sozialbericht ist inzwischen etwas vergilbt, aber die Zahlen, die dort genannt wurden, vor allem die Schlussfolgerungen, die sowohl die Staatsregierung als auch die Experten gezogen haben, sind nach wie vor hochaktuell.

Man hätte eigentlich erwarten können, dass die Staatsregierung mit dem großen Mitarbeiterstab, über den sie verfügt, einmal eine Zwischenbilanz hätte ziehen können, indem sie gesagt hätte, wir haben dieses oder

jenes aus dem letzten Sozialbericht abgearbeitet oder wir sehen diese oder jene veränderten Probleme. Stattdessen haben Sie immer nur eine Verhinderungs- und Vertuschungspolitik betrieben.

(Zuruf von der CSU: Das stimmt nicht!)

Das haben Sie schon. Ich darf aus einer Rede der Sozialministerin zitieren, die sie vor diesem Hohen Hause am 21.07.2005 gehalten hat, und zwar auf die Interpellation der GRÜNEN hin. Damals hat Frau Staatsministerin Stewens gesagt:

Wesentlich wichtiger als die nicht weiterführende Diskussion über den Umfang der Antworten auf die Interpellation sind mir – und sicher auch den Bürgerinnen und Bürgern – die mit dieser Interpellation belegten Aussagen.

Und jetzt kommt es:

In Bayern leben Menschen in einem Land mit breit gestreutem Wohlstand und einem hohen Niveau an sozialer Sicherheit. Wir setzen in Bayern die richtigen Akzente durch unsere aktivierende und nachhaltige Sozialpolitik. In Bayern gibt es keinen ziellosen Schlingerkurs wie bei der Bundesregierung;

damals noch rot-grün.

Gleichzeitig muss man sagen, dass wir nicht mehr alles Wünschenswerte fi nanzieren können. Wir müssen uns zusammenfi nden, um das Notwendige herauszufi nden. Wir müssen alles Notwendige fi nanzieren.

Meine Damen und Herren, was ist denn das Notwendige? Frau Staatsministerin, leider sind Sie uns die Antwort darauf schuldig geblieben. Das Einzige, was ich in diesem Zusammenhang gefunden habe, war – damals haben Sie sich noch nachdrücklich gegen eine Erneuerung bzw. Fortschreibung des Sozialberichtes ausgesprochen –: Sie haben immer nur gesagt: Das kostet eine Million. Diese Million haben wir nicht. Im Übrigen ist die Datenlage so unübersichtlich, dass wir das überhaupt nicht machen können.

Woher dann der spätere Sinneswandel? – Der spätere Sinneswandel kam nicht ganz freiwillig. Nach den Kürzungsorgien des Jahres 2003/2004 sind die Freien Wohlfahrtsverbände auf die Barrikaden gegangen. Um sie ruhigzustellen, haben Sie ihnen ein „Forum Soziales Bayern“ versprochen, an dem aber diese Organisationen nur dann mitwirken wollten, wenn sie die Aussicht haben, dass dabei etwas Konkretes herauskommt, unter anderem der Sozialbericht. Und siehe da, kaum war das „Forum Soziales Bayern“ geboren, wurde gesagt – erst etwas verschämt, dann immer etwas deutlicher –, ja,

wir haben uns geeinigt. Nachdem die neue Bundesregierung einen Reichtums-/Armutsbericht abgibt, werden wir uns anhängen und dazu einen eigenen Teil liefern. Dieser Reichtums-/Armutsbericht liegt längst vor. Die Bundesregierung hat ihn vorgelegt, der Bundestag hat ihn diskutiert. Es gibt dazu auch eine Menge Vorschläge, auch außerhalb des Deutschen Bundestages, wie man mit diesen Fakten umgehen soll. Nur: Auf das, worauf wir alle warten, warten wir immer noch. Das ist Warten auf Godot. Ich weiß nicht, ob die Frau Staatsministerin heute in der Lage ist, uns überhaupt eine Antwort zu geben; ich hoffe, doch.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Aber lassen Sie mich zu dem Sozialbericht als solchem etwas sagen.

(Zuruf der Abgeordneten Christine Stahl (GRÜNE))

Das ist nicht l’art pour l’art. Wir wollen ja keinen Bericht, um damit nach Hause zu gehen und zu sagen, jetzt haben wir unsere Arbeit getan, sondern das ist – so verstehen wir es – eine Handlungsanleitung für die Staatsregierung. Und im Unterschied zu der Schönfärberei, die ich gerade aus Ihrer Rede zitiert habe, können Sie die harten Fakten auch in Bayern nicht leugnen. Es gibt auch in Bayern Armut, und zwar nicht nur verschämte Armut. Es gibt harte Armut, und es gibt Armut, die sich an der Grenze bewegt. Diese Armut hat auf die Menschen, die davon betroffen sind, enorme Auswirkungen.

Herr Kollege, Sie sind über der Redezeit.

Ich dachte, ich habe gerade erst angefangen.