Protocol of the Session on February 14, 2008

Eigentlich ist im Koalitionsvertrag vereinbart worden, dass die Entwicklung des Existenzminimums beobachtet wird – der Bericht dazu wird im Herbst gegeben – und dass dann darüber entschieden wird, welche Hilfen den Familien gewährt werden sollen.

(Beifall bei der SPD – Joachim Wahnschaffe (SPD): Genauso ist es! Völlig richtig!)

Natürlich verstehe ich, warum Sie diesen Antrag jetzt stellen. Die Wahlen in Hamburg verlangen populistische Versprechen. So schaut es aus. Jetzt müssen Sie sich etwas einfallen lassen, um besser dazustehen, wenn Sie für die Familien etwas tun. Diesen Eindruck habe ich. Herr Unterländer, dann müssten Sie aber auch das Kleingedruckte in den Äußerungen von Angela Merkel lesen. Sie will Verbesserungen für die Familien noch nicht einmal nach dem Bericht über das Existenzminimum, sondern erst nach der Steuerschätzung. So viel ist von den Versprechungen Ihres Koalitionspartners in der Großen Koalition zu halten.

(Joachim Unterländer (CSU): Welchen meinen Sie?)

Ich meine den größeren bei Ihnen.

Ich muss hier klarstellen, dass sich die SPD nicht verweigert, nachdem Sie es so dargestellt haben, als würden wir uns verweigern. Natürlich sehen wir bei den Familien Probleme. Das haben wir in vielen Debattenbeiträgen schon deutlich gemacht. Wir wollen aber zielgenau helfen, damit das Geld auch bei den Familien ankommt. Herr von Rotenhan hat es wunderbar beschrieben. Das Geld kommt nicht zielgenau an. Das Kindergeld wird mit der Gießkanne verteilt. Natürlich gibt es ein Gerichtsurteil – darüber haben wir uns auch ausgetauscht –, wonach beim Kindergeld jedes Kind gleich behandelt werden muss und wonach jeder dieselbe Summe bekommen muss. Dann müssen wir uns aber ehrlich fragen, was wir mit einer Erhöhung des Kindergeldes erreichen. Auch Millionäre profitieren davon. Herr von Rotenhan, ich weiß nicht, ob Sie genau in die Kategorie hineinfallen, vielleicht aber in die Richtung. Auf jeden Fall bekommen sehr gut Situierte dasselbe wie die, bei denen es auf die zwei Euro für die Mittagsverpflegung ankommt.

Vor allem muss man sich einmal die Summe anschauen, wenn man zehn Euro mehr an Kindergeld im Monat gewährt. Das würde in der Summe zwei Milliarden Euro ausmachen. Was kann ich mit zwei Milliarden Euro erreichen? Natürlich darf man nichts gegeneinander ausspielen. Darin bin ich absolut Ihrer Meinung, Herr Unterländer. Das wollen wir auch nicht. Wir müssen uns wirklich fragen, was wir mit der Summe tun können. Wenn ich wirklich denjenigen helfen will, die finanziell und materiell die größten Schwierigkeiten haben, ihre Lebenshaltungskosten zu bestreiten, müssen wir uns auch über den Freibetrag unterhalten. Das ist an Ihrem Antrag falsch.

(Beifall bei der SPD)

Der Freibetrag bewirkt genau das Gegenteil dessen, was Sie wollen; denn ich unterstelle Ihnen auch, dass Sie denjenigen helfen wollen, die weniger Geld haben. Die steuerliche Erleichterung greift eben erst ab einem Einkommen von 62 800 Euro. Deshalb bin ich der Meinung, dass wir echte Hilfeleistungen wie zum Beispiel die Mittagsspeisung oder Betreuungsplätze anbieten sollen, damit die Hilfe zielgenau bei den Kindern ankommt. Das ist unser Vorschlag.

Mir gefällt es nicht – das hat Herr von Rotenhan auch deutlich gesagt –, dass der, der viel verdient, auch viel bekommt. Der Verdienst soll nicht der ausschlaggebende Maßstab sein. Diese Auffassung können vielleicht Sie bei der CSU haben. Unsere Auffassung ist es aber nicht. Es geht auch gerechter. Deshalb muss man andere Ansätze wählen, wenn man will, dass die Förderung beim Kind ankommt. Dann muss man ganz eindeutig auf Sachleistungen und Kinderbetreuungsplätze setzen. Herr Unterländer, ich will niemandem etwas unterstellen. Ich weiß aber, wovon ich rede.

Ich habe in Regensburg eine große Kindertagesstätte geleitet und weiß, was es bedeutet, in einem sozialen Brennpunkt Kinder zu betreuen, die keine Brotzeit dabeihaben, für die es aber ganz wichtig ist, dass sie den ganzen Tag in der Einrichtung bleiben, weil sie dort gut aufgehoben sind. Darum muss man auch über die Kinderbetreuungsplätze nachdenken und darf nicht nur ganz populär sagen, wenn alle ein bisschen mehr Kindergeld bekommen, ist der entscheidende Schlag gegen Kinderarmut getan. Ich bezweifle sehr, dass man das mit der Erhöhung des Kindergelds erreichen kann. Es kann doch nicht soviel sein. Mehr als fünf oder zehn Euro können es nicht sein. Damit kann man keinen riesigen Schlag gegen die Kinderarmut erreichen. Das glaube ich nicht.

Sie haben die Verrechnungsbeispiele angeführt. Ein guter Finanzminister schaut auf sein Geld. Darüber brauchen wir nicht zu reden. Ich will aber auch klarstellen, dass wir mit ihm nicht immer einer Meinung sind. Niemand will den Familien etwas wegnehmen. Das muss man auch klar sagen.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen das Geld gerechter verteilen. Nicht die, die ohnehin schon etwas haben, sollen noch einmal etwas bekommen, sondern die, die wenig oder nichts haben.

Da sind wir auch bei dem wichtigen Thema Kinderbetreuung. Das muss man in dem Zusammenhang auch ansprechen, Herr Unterländer. Mit dem Angebot für die Null- bis Dreijährigen haben wir uns in Bayern bisher kein Ruhmesblatt verdient. Hier muss Bayern auch einmal seine Hausaufgaben machen. Ich bin überzeugt davon, dass mir Frau Stewens sofort erklären wird, wie sie ihre Hausaufgaben gemacht hat. Ich weiß aber auch, dass die Hausaufgaben über viele Jahre hinweg nicht gemacht wurden und dass jetzt große Anstrengungen unternommen werden. Die müssen jetzt unternommen werden, weil vorher gar nichts gemacht worden ist. So schaut es aus.

(Beifall bei der SPD)

Darum ist es auch löblich, wenn jetzt etwas getan wird. In dem Zusammenhang muss ich aber sagen, dass das Lob für mich schon an einen Witz grenzt. Für den Kinderkrippenausbau, der den Bund überhaupt nichts angeht, gibt der Bund 340 Millionen Euro nach Bayern. Dafür sind wir sehr dankbar, das nehmen wir auch. Dafür, dass der Freistaat Bayern, der für diese Aufgabe eigentlich zuständig ist, nur 100 Millionen dazugibt, muss man ihn nicht groß loben. Wenn er gelobt werden will, muss er noch einmal dieselbe Summe drauflegen. Frau Stewens, wenn Sie bzw. der Finanzminister noch einmal 340 Millionen Euro drauflegen, loben wir Sie, vorher aber nicht. Es wäre das Mindeste, dass Sie dieselbe Summe drauflegen.

Jetzt muss ich auch noch etwas zu den Kommunen sagen. Sie wurden mit der Aufgabe der Kinderbetreuung während vieler Jahre allein gelassen. Gerade die Großstädte München, Augsburg und Nürnberg haben eigene Leistungen auf dem Gebiet der Kinderbetreuung erbracht und keinen Euro Förderung dafür bekommen.

(Joachim Unterländer (CSU): Das ist jetzt mit dem BayKiBiG geändert!)

Dafür muss ich auch noch dankbar sein – so weit käme es noch, Herr Unterländer. Sie werden nicht erleben, dass ich Ihnen dafür dankbar bin. Es müsste sich schon Vieles ändern, wenn ich dafür großen Dank aussprechen sollte. Ich weiß, dass das Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz – BayKiBiG – der Auslöser war, aber es war mehr als notwendig, dass die Investitionen in die Kinderkrippen gefördert werden.

Zusammenfassend möchte ich sagen, dass Kinder und Familien sowohl finanzielle Unterstützung als auch ein Angebot an Kinderbetreuung brauchen. Dabei muss ich mich auch gegen den Vorwurf verwahren, dass wir die Kinder oder die Eltern zu irgendeinem Modell oder irgendeiner Lebensform zwingen würden. Niemand wird zu irgendetwas gezwungen. Wir wollen die Kinder nicht morgens mit der Staatspolizei aus der Familie holen, um sie in die Kinderkrippen zu bringen.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Umgekehrt wird ein Schuh daraus!)

Umgekehrt wird eher ein Schuh daraus, wenn Sie für das Betreuungsgeld so vehement eintreten. Niemand will die Kinder oder Familien zu irgendetwas zwingen. Wir möchten, dass die Wahlfreiheit ernst genommen wird. Dazu muss ich aber erst einmal eine Wahlmöglichkeit haben, Herr Unterländer. Ich muss auswählen können.

(Beifall bei der SPD)

Hier ist die CSU noch ein bisschen von der Familienwirklichkeit entfernt. Wir sind der Meinung, dass die, die es wollen und brauchen, einen ordentlichen und qualitativ hochwertigen Kinderbetreuungsplatz bekommen sollen. Da ist aber leider noch viel zu wenig passiert.

Wir wollen für die Familien ein kostenfreies Angebot; denn das ist ein Ansatz, mit dem man wirklich helfen kann.

Ich möchte noch ein Letztes sagen. Wir von der SPD – und hier muss ich auch die GRÜNEN mit ins Boot holen – brauchen uns von Ihnen wirklich nicht belehren zu lassen, was wir für Kinder und Familien tun sollen. Ich sage nur: Die Wohngelderhöhung ist von uns ins Gespräch gebracht worden. Der Ausbau des Kinderzuschlags ist von uns ins Gespräch gebracht worden. In der Regierungszeit RotGrün ist das Kindergeld viermal erhöht worden. Damit können wir uns wirklich sehen lassen. Wir brauchen uns nicht von Ihnen eines Besseren belehren zu lassen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin. Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Ackermann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Unterländer, zunächst zu der von Ihnen immer wieder geforderten Wahlfreiheit. Wir stimmen Ihnen zu. Sie müssen dann aber endlich auch Wahlfreiheit dadurch gewährleisten, dass Familien, die sich für eine Kinderkrippe entscheiden, diese auch finden. Im Moment gibt es die Kinderkrippen nämlich nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Somit ist auch keine freie Wahl möglich. Die CSU lässt wahrlich nichts unversucht, um den Ausbau von Kinderkrippen zu blockieren.

(Zurufe von der CSU: Was, was?)

Zunächst kam der Vorschlag, das Betreuungsgeld einzuführen. Das ist ein völlig falsches Signal, und Sie wissen das. Das Geld kommt in diesem Fall nämlich nicht bei den Kindern an.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Das ist nicht nur meine Meinung, sondern das ist auch die ursprüngliche Meinung von Frau von der Leyen.

(Zuruf der Abgeordneten Maria Scharfenberg (GRÜNE))

Sie hat gesagt: Das Betreuungsgeld ist eine bildungspolitische Katastrophe. Sie hat auch gesagt, sie möchte nicht dazu beitragen, Flachbildschirme in den Familien anzuschaffen.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Genau! – Beifall bei den GRÜNEN)

Leider hat Frau von der Leyen dann, aus Loyalität zur CSU, ihre Meinung vorübergehend geändert. Sie ist jetzt allerdings wieder dabei zurückzurudern und bezeichnet ihre Meinung zum Betreuungsgeld als „Stoffsammlung“. Das lässt uns hoffen. Eines haben Sie aber bereits erreicht: Der Kinderkrippenausbau in Deutschland wurde blockiert, und dies aus einer völlig rückwärts gewandten familienpolitischen Haltung heraus.

(Joachim Unterländer (CSU): Das müssen Sie erklären!)

Das kann ich Ihnen erklären. Dadurch, dass Sie diesen Vorschlag eingebracht haben, geht im Moment gar nichts mehr.

(Joachim Unterländer (CSU): Aber die Kommunen bauen doch aus!)

Wir brauchen in Potsdam eine Konferenz der Familienpolitiker, die sich nur damit auseinandersetzt, was Sie meinen, weil Sie in Bayern keine Kinderkrippen wollen. So ist das.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nun zu Ihrem Antrag. Er ist ein erneuter Versuch, den beschleunigten und verstärkten Ausbau von Kinderkrippen zu verhindern. Es ist, als liefe die CSU blind und taub durch die Welt. Nehmen Sie doch endlich zur Kenntnis, dass alle Fachleute sagen, Sachleistungen kommen bei Familien wesentlich effektiver als Geldleistungen an. Bauen Sie doch endlich Bildungs- und Betreuungsplätze aus! Helfen Sie zu fördern, helfen Sie, die Chancengerechtigkeit herzustellen! Warum streuen Sie den Menschen Sand in die Augen, indem Sie vorgeben, Geldzuweisungen für frühkindliche Bildung einsetzen zu wollen? – Das wird nichts werden. Diese Geldzuweisungen werden versickern. Die Antwort darauf ist ganz einfach: Ihre veraltete und überkommene Familienideologie lässt es nicht zu, den längst überfälligen Krippenausbau anzuerkennen. Deshalb blockieren Sie und versuchen mit aller Macht zu verhindern, dass Kinder und Familien wirkungsvoll gefördert werden.

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Unterländer?

Frau Kollegin Ackermann, gehe ich nach Ihren Ausführungen recht in der Annahme, dass Sie finanzielle Leistungen für Familien nicht weiter erhöhen, sondern zurückschrauben wollen?

Dieser Einwurf kommt ganz wunderbar; denn zu diesem Thema wäre ich jetzt gekommen. Wir wollen durchaus eine finanzielle Unterstützung für Familien, allerdings in einer anderen Form. Wir wollen die Kindergrundsicherung einführen. Das ist ein monatlich einmalig ausbezahlter fester Betrag in Höhe von circa 430 Euro. Dieser Betrag macht ein Ende mit der Zersplitterung von Geldzuweisungen, die völlig uneffektiv sind: hier Kindergeld, dort Freibetrag, hier Steuererleichterung, dort noch etwas. Das kommt nicht an und ist unsozial, weil es besser verdienende Familien begünstigt.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)