Mittlerweile sind wir hinsichtlich der Zahlen deutlich voran gekommen. Der Minister wird sicherlich auch noch mal auf die einzelnen Werte eingehen. Es war aber hier im Landtag von Baden-Württemberg auch immer wichtig, in jeder Sitzung des Sozialausschusses dieses Thema auf die Agenda zu neh men.
Wir haben trotz der Impfungen Coronaausbrüche mit Todes fällen in Pflegeeinrichtungen wie in Mannheim oder in Rastatt gehabt. Es gab eine Sondersitzung am 17. Januar. In jeder Sit zung des Sozialausschusses wurde dieses Thema auch inten siv debattiert. Ich glaube, dadurch kommt auch zum Ausdruck, dass wir uns der Bedeutung bewusst sind. Ich erinnere mich noch gut an die Sondersitzung am 17. Januar, in der man noch einmal auf das Thema Boosterung hingewiesen hat. Insofern ist es, denke ich, wichtig, dass wir hier noch einmal klarstel len, dass dieses Thema auch im Fokus der Politik lag.
Es ist trotzdem wichtig – ich glaube, da spreche ich auch im Sinne der SPD, die die heutige Debatte beantragt hat –, dass wir in dieser Diskussion jetzt nicht mit dem Finger auf die Einrichtungen, auf die Träger von Pflegeeinrichtungen, auf die Beschäftigten zeigen, sondern an dieser Stelle auch ein mal unseren herzlichen Dank dafür zum Ausdruck bringen, was die Beschäftigten, was die Einrichtungen in Bezug auf Hygienemaßnahmen und Hygienekonzepte in den letzten zwei Jahren gemacht haben. Für dieses Engagement in den letzten zwei Jahren gilt unser Dank den Beschäftigten.
Man muss trotzdem aufpassen, jetzt automatisch Rückschlüs se aus den Impfquoten zu ziehen, die uns von den Landkrei sen vorliegen. Man kann daraus nicht ableiten, ob Einrichtun gen einer bestimmten Größe oder Trägerschaft – ob private, gemeinnützige oder kommunale Träger oder Träger der Wohl fahrtspflege – bei den Impfquoten besonders gut oder nicht besonders gut sind.
Da gibt es einrichtungsbezogene Gründe, es gibt ganz objek tive Gründe. Wenn es einen Coronaausbruch gab und man da durch nicht impfen kann, wird die Quote schlechter. Oder wenn in einer Einrichtung mit 30 Plätzen zehn Impfskeptiker sind, dann erreicht man ein Drittel nicht, während die Quote bei einer Einrichtung mit 100 Plätzen dann nur bei 10 % liegt. Deswegen: Man muss da, glaube ich, auch noch einmal sehr genau differenzieren. Deswegen ist es uns, der FDP/DVPFraktion, auch ganz wichtig, dass wir mit dieser Diskussion nicht auf die Träger und die Beschäftigten abzielen.
Deswegen brauchen wir einen Fokus – darauf komme ich nachher noch einmal zurück – auf niederschwellige Struktu ren, auf mobile Strukturen. Diese benötigen wir auch für die weiteren Impfungen.
In der nächsten Woche, Herr Minister, startet die einrichtungs bezogene Impfpflicht. Das Land geht aus unserer Sicht an die ses Thema so nach dem Motto: „Der Bund hat das Gesetz ge macht, wird schon irgendwie werden“ – ich erinnere mich auch noch an die Sitzung vom 17. Januar, als es hieß, man werde dazu eine Arbeitsgruppe einrichten –, also gemächlich,
heran, obwohl es die Einrichtungen sehr, sehr stark beschäf tigt und es hierzu auch eine sehr große Unsicherheit bei den Trägern gibt.
Die FDP/DVP hat dazu auch einen Antrag eingebracht. Zum Stand vor einigen Wochen waren noch 9 % der ca. 103 000 Beschäftigten nicht geimpft. Das sind über 9 000 Personen. Es ist, denke ich, sehr wichtig, dass man jetzt nicht in die Si tuation kommt, dass wir eine größere Zahl von Pflegeplätzen verlieren, weil wir das Personal für diese nicht mehr haben. Deswegen fordern wir, jetzt sehr behutsam mit den ermessens lenkenden Möglichkeiten, mit den Ermessensgrenzen umzu gehen; denn ansonsten droht uns ein extremer Pflegenotstand. Es kann nicht unser Ziel sein, dass wir die Betreuten nicht mehr versorgen können. Deswegen unsere Forderung, wirk lich behutsam mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht um zugehen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. An ton Baron AfD: Das hat doch Ihre Fraktion mitbe schlossen! Unglaublich! So ein Unsinn!)
Es wird immer gesagt, die einrichtungsbezogene Impfpflicht sei die Blaupause für die allgemeine Impfpflicht. Es ist die Blaupause, die uns zeigt, dass die allgemeine Impfpflicht so nicht funktionieren wird, wie man sie sich Ihrerseits, Herr Mi nister, immer erhofft.
Sie wissen sicherlich, dass Österreich mit der allgemeinen Impfpflicht gestartet ist. Heute ist auf dpa zu lesen: Österreich setzt die allgemeine Impfpflicht aus. Es wurde dort ein Exper tengremium eingesetzt und darauf verwiesen: „Im Hinblick auf die aktuelle Situation ist die allgemeine Impfpflicht in Ös terreich nicht verhältnismäßig.“ Das sollte auch Ihnen, Herr Minister Lucha, zu denken geben, wenn Sie immer mit Ihrer Forderung einer allgemeinen Impfpflicht hoffen, dass sich das Problem erledigt und jeder Impfskeptiker dann zum Arzt springt, um sich die Impfung geben zu lassen. Das ist einfach ein Trug schluss.
Wenn Sie sich die COSMO-Studie, die COSMO-Befragung ansehen, müssen Sie zum Schluss kommen, dass mit der all gemeinen Impfpflicht nicht das erreicht wird, was wir alle wollen: dass sich mehr Menschen impfen lassen. Demnach sind gerade einmal 6 % derjenigen, die nicht geimpft sind, be reit, sich impfen zu lassen. Deswegen ist das auch der falsche Schritt.
Wir brauchen niederschwellige Strukturen. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen von den Freiburger Refudocs, die sich auf gemacht haben, Geflüchtete in Unterkünften mit Impfberatun gen aufzusuchen. Es gibt Zahlen aus fünf Freiburger Flücht lingsunterkünften, die ihre Impfquote von 10 % auf 62 % stei gern konnten. Es sind genau diese Formen, die wir brauchen: niederschwellig, aufklärend.
Es ist wichtig, jetzt mit Blick auf den Herbst und den Winter auch die Pflegeheime in den Fokus zu nehmen. Aber wir müs sen, auch aus Sicht der FDP/DVP-Landtagsfraktion, einen Schritt weiter gehen: Es ist nicht sinnvoll, jeden sofort mit der vierten Impfung zu versehen. Wir müssen einen Weg finden, die Antikörperbestimmung durchzuführen und dann im Herbst die vierte Impfung bei den vulnerablen Gruppen zu verabrei chen, die diesen Antikörperstatus nicht mehr haben.
Das bringt den Menschen mehr, als jetzt eine vierte Impfung zu machen und im Herbst wieder reduziert Antikörper zu ha ben. Wir müssen jetzt vorausschauend vorangehen. Wie er warten auch von unserem Sozialminister, diese Impulse für Baden-Württemberg zu setzen. Deswegen: Finger weg von der allgemeinen Impfpflicht. Das Beispiel Österreich sollte uns zu denken geben.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Themen der von der SPD beantragten heutigen Aktuellen Debatte sind der Impf status und die Coronalage in baden-württembergischen Pfle geheimen.
Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der SPD-Frakti on: Was ist Ihre Absicht? Geht es Ihnen tatsächlich um das Wohlbefinden der vorwiegend alten Menschen? Wohl kaum. Denn dann hätten Sie hier von besserer finanzieller, materiel ler und personeller Ausstattung der Pflegeheime reden müs sen. Dann hätten Sie hier über die Dankbarkeit der Heimbe wohner über jetzt erleichterte Besuchsmöglichkeiten berich ten müssen. Dann hätten Sie von diesem Pult aus allen Pfle gekräften, egal, ob geimpft oder ungeimpft, für ihre aufop fernde Arbeit in der Pandemie danken müssen.
Sie hätten ihnen auch für die Balance zwischen Infektions schutz und seelischem Wohlbefinden ihrer Heimbewohner danken müssen.
Von Anfang an hat die AfD-Fraktion insbesondere für die Imp fung vulnerabler Gruppen plädiert. Daher hat für uns die frei willige Impfung der für Corona anfälligen Gruppen erste Pri orität. Aber: Es ist und es muss die freie Entscheidung von Pflegeheimbewohnern oder deren Angehörigen bleiben.
Werfen wir einen Blick auf die Fakten: In Ihren Anfragen an Minister Lucha zum Impfstatus von Heimbewohnern und Be schäftigten in diversen Landkreisen versuchen Sie eine Kau salität zwischen der Impfquote des Personals und der Impfquo te der Bewohner herbeizureden. Ich darf an dieser Stelle die
neuesten Auswertungen des Landesgesundheitsamts vom 3. März anführen: In den Pflegeheimen Baden-Württembergs sind 88,4 % der Beschäftigten und 93,2 % der Betreuten voll ständig geimpft. Und Sie jagen noch immer der Illusion einer 100-prozentigen Impfquote nach. Zu welchem gesellschaftli chen Preis, zu welchem Zweck?
Sie haben in Ihren Anfragen besonders die Quote der Auffri schungsimpfungen ins Visier genommen. Bei genauer Be trachtung der vorliegenden Zahlen lässt sich durchaus eine Korrelation herstellen: In Einrichtungen mit niedriger Auffri schungsquote des Personals ist auch die Quote bei den Be wohnern niedrig. Welche Schlussfolgerungen lassen sich da raus ziehen? Verunsichert das Personal etwa die Patienten? Streut es Verschwörungsmythen um die Schädlichkeit der Impfung? Oder fühlen sich die Ärzte, Pfleger und Verwal tungskräfte in besonderer Weise für das körperliche und see lische Wohlbefinden der Bewohner verantwortlich? Wenn Sie diese Frage wirklich seriös beantworten wollten, dann hätten Ihre Anfragen eine ganz andere Stoßrichtung haben müssen, dann hätten Sie nach dem Zusammenhang zwischen Impfquo te und Patienten, die an Corona verstorben sind, fragen müs sen. Aber eine klare Trennung zwischen an Corona und mit Corona Verstorbenen gibt es hier noch immer nicht.
Auf den überzeugenden statistischen Beweis, dass eine hohe Impfquote die Zahl der Coronatoten signifikant verringern würde, werden wir in diesem Hohen Haus wahrscheinlich noch lange warten müssen.
Was ist mit den vollmundigen Versprechen, die Impfung sei der Weg aus der Pandemie und den Coronarestriktionen? Wir erinnern uns an den 14. Dezember 2020. Da sagte Minister präsident Kretschmann hier an diesem Pult: Jetzt
Die Impfung schützt nicht vor Ansteckung. Selbst Gebooster te können erkranken und andere anstecken. Auch schwere Ver läufe sind nicht ausgeschlossen. Die Halbwertszeit der Imp fung hat ständig abgenommen. Und – Kollege Haußmann hat es gerade schon erwähnt – unsere Nachbarn in Österreich set zen die allgemeine Impfpflicht zunächst mal aus.
Erst sollte nach zwölf Monaten eine Auffrischung notwendig sein, dann nach neun Monaten, dann nach sechs Monaten, dann nach drei Monaten. Herr Drosten sprach vor Kurzem da rüber, dass nach der Impfung eine tatsächliche Erkrankung an Corona den besten Schutz bieten würde. Ja was denn nun?
Selbst Herr Ministerpräsident Kretschmann, dem ich von die ser Stelle aus selbstverständlich alles Gute wünsche, ist trotz Boosterung an Corona erkrankt. Der Herr Innenminister muss te sogar im Krankenhaus behandelt werden. Umso mehr freue ich mich natürlich, dass er heute wieder hier sein kann und sich hoffentlich bester Gesundheit erfreut. Wie ich heute an seinen Beiträgen schon bemerkt habe, hat er auch seinen Hu mor nicht verloren.
Wie können Sie, meine Damen und Herren der SPD, ange sichts so prominenter Coronabetroffener trotz Dreifachimp fung weiterhin einer Impfpflicht das Wort reden? Das war kei ne rhetorische Frage, denn ich gebe Ihnen die Antwort: Statt kerniger Oppositionsarbeit hier in Stuttgart leisten Sie sich das Schielen nach den SPD-Kollegen in Berlin.
Sie erhoffen sich von Ihrem völlig unglaubwürdigen Kotau vor der Impfpflicht so sehr, bald auch wieder hier auf dieser Regierungsbank Platz nehmen zu können. Glaubwürdige Op positionsarbeit sieht anders aus.
Aber eine glaubwürdige Oppositionsarbeit erwarte ich auch nicht wirklich von Ihnen. Sie beherrschen eben nicht den Spa gat zwischen Opposition im Land und Kniefall vor Ihren Kol legen in Berlin.