Protocol of the Session on April 3, 2019

sodass er auch Regelungen für den Fall treffen muss, dass Menschen diese Einsichtsfähigkeit nicht haben, zumal das deutsche Wahlrecht ja zulässt, dass bei relativ knappen Stimmergebnissen Mehrheiten verändert bzw. verfälscht werden können.

Die Landes-Behindertenbeauftragte, Frau Aeffner, hat in der Anhörung des Innenausschusses zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass ein bestehendes dauerhaftes Betreuungsverhält nis in allen Angelegenheiten nicht unbedingt und zwingend gleichbedeutend ist mit einer grundlegenden Unfähigkeit zum Treffen komplexer Entscheidungen wie bei Wahlen. Das größ te Problem in Zukunft wird sein, die Kommunikationsfähig keit diskriminierungsfrei festzustellen, sodass Menschen künf tig nicht mehr von Wahlen ausgeschlossen sind.

Eine kurze Bemerkung zum Entschließungsantrag der SPDFraktion – Frau Kollegin Dr. Leidig hat es gesagt –: Wir ver stehen nicht, dass hier ein Stück weit Misstrauen oder Sorge propagiert wird. Die Anhörung im Innenausschuss hat eindeu tig ergeben, dass die Verbände und die kommunalen Landes verbände kein Problem mit unserem Vorschlag haben. Daher glauben wir, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

(Zuruf der Abg. Sabine Wölfle SPD)

In der Begründung ihres Antrags weist die SPD darauf hin – ich zitiere –:

Im Anschluss daran würden die offensichtlich verfas sungswidrigen Regelungen wieder gelten. Das ist kein gu tes Zeichen für die Demokratie in Baden-Württemberg.

Diese Sorge können wir Ihnen nehmen: Der Bund muss bis 2021 eine verfassungsfeste Regelung treffen. Wir werden selbstverständlich an diese Bundesregelung anknüpfen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Ich fasse zusammen: Die Punkte, die Frau Dr. Leidig genannt hat, sind uns wichtig: Harmonisierung des Wahlrechts, Zu gang zu Wahlen. Da möchte ich in der Tat unterstreichen: Wir haben im Unterschied zum Bund schnell und zügig reagiert. Ich glaube, sagen zu können, dass das ein gutes Beispiel für gelebte und praktizierte Demokratie ist, sodass wir den Men schen für die Zukunft eine verfassungsfeste Regelung an die Hand geben.

Im Übrigen hat der Bund zum Thema „Assistenzen und Wahl betrugs-, Manipulationsmöglichkeiten“ ja auch noch eine Än derung von § 107 a des Strafgesetzbuchs in Aussicht gestellt, sodass wir auch da keine zusätzlichen Sorgen haben müssen.

Zitat: „Oft büßt das Gute ein, wer Besseres sucht.“ Sie erin nern sich: Mit diesen Worten hat mein Kollege Josef Frey in

der letzten Plenarsitzung bei der Beratung des Brexit-Über gangsgesetzes William Shakespeare zitiert. So gesehen, be schließen wir heute ein gutes Gesetz für die davon betroffe nen Menschen; ein besseres gibt es unter den obwaltenden Umständen nicht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und den Grünen)

Für die AfD spricht Herr Abg. Rottmann.

Sehr geehrte Frau Landtagsprä sidentin, sehr geehrter Herr Minister Strobl, sehr geehrte Kol legen Abgeordnete! Das Wahlrecht ist eines der wertvollsten Güter in der Demokratie. Ein Ausschluss vom Wahlrecht ist nur als Ausnahme und unter ganz bestimmten Umständen zu lässig. Hiervon waren bisher Menschen erfasst, bei denen auf eine Betreuung in allen Angelegenheiten entschieden worden war – eine vollumfängliche Betreuung, wenn das zuständige Gericht eine Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet hat.

Das Bundesverfassungsgericht hat vor Kurzem – ganz grob verkürzt – geurteilt: Der Wahlrechtsausschluss von Menschen, die unter voller rechtlicher Betreuung stehen, verstoße sowohl gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl gemäß Ar tikel 38 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes als auch gegen das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung gemäß Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 des Grundgesetzes. Der Bundesge setzgeber ist aufgefordert, insoweit Reformen in seinem Rechtskreis vorzunehmen, und zwar noch vor der nächsten Bundestagswahl.

Dies heruntergebrochen auf das Land bringt uns hinsichtlich der Rechtsfolgen in Zugzwang. Zu erwarten ist nicht, dass der Bundesgesetzgeber die beanstandeten Regelungen ersatzlos entfallen lässt; denn das höchste Gericht hat Wahlrechtsaus schlüsse durchaus zugelassen, wenn eine Teilnahme an Kom munikationsprozessen zwischen Volk und Staatsorgan nicht möglich ist – nur eben nicht in dieser pauschalen Form wie bisher.

Wir begrüßen diese Klarstellungen. Gerade ich als Vorsitzen der des Wahlprüfungsausschusses begrüße diese Klarstellung. Aber wir lehnen es ab, dass das Kind mit dem Bade ausge schüttet wird, wie es unserer Meinung nach beim Antrag der SPD der Fall ist, welcher die betreffenden Regelungen der Ge meindeordnung, der Landkreisordnung und der Regionalver bandswahl einfach aufheben will.

(Beifall bei der AfD)

Damit wir nicht missverstanden werden: Jeder, der sein Wahl recht ausüben kann, sollte das auch tun können. Aber sowohl die bisherige Regelung als auch der Vorschlag der SPD sind an dieser Stelle problematisch.

Die Betreuung in allen Angelegenheiten gehört zu den schärfs ten Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte eines Menschen. Dies stand bislang in Verbindung damit, dass Menschen, bei denen dies der Fall ist, keine qualifizierte inhaltliche Wahlent scheidung treffen könnten. So war jedenfalls die Annahme. Die Entscheidungsunfähigkeit kann sogar dahin gehend inter

pretiert werden, dass die betroffenen Menschen nicht einmal äußern können, ob sie überhaupt wählen wollen oder nicht – also beispielsweise Menschen im Koma, mit schweren kog nitiven Einschränkungen von Geburt an, nach Unfällen oder im Fall fortgeschrittener Demenz.

An dieser Stelle führen wir an: Hier handelt es sich nicht um Menschen, die körperlich eingeschränkt sind und die, wie z. B. Blinde, ein Recht auf Assistenz beim Wählen haben. Bei dem Begriff „Assistenz“ müssen Sie hier aufpassen; denn As sistenz meint eben nicht, dass die Wahlentscheidung, die ein persönliches, ein unveräußerliches Recht ist, an andere Men schen delegiert oder von Dritten übernommen werden kann. One man, one vote. Die Entscheidungen, ob jemand wählen und was jemand wählen will, sind nicht übertragbar.

(Beifall bei der AfD)

Da ziehen wir eben beim Vorschlag der SPD nicht mit, wo nach jeder Mensch wählen könnte, sollte und darf.

(Zuruf)

In der richtigen Reihenfolge natürlich: kann, darf und soll.

Darüber, wie der Gesetzesbeschluss praktisch durchgeführt werden kann, verliert die SPD unserer Meinung nach keine Silbe. Es ist davon auszugehen, dass die Mehrheit der betrof fenen Menschen eher gar nicht in der Lage ist, zu wählen, als im Vergleich dazu ihre Rechte beim Bundesverfassungsge richt durchzusetzen, um mal zwei Extrempositionen darzu stellen. Leider gibt es hier bisher keine umfassenden Unter suchungen und keine entsprechenden Daten.

Misstrauisch stimmt uns tatsächlich – das wurde in der letz ten Sitzung, meine ich, vom Vertreter der FDP/DVP angespro chen – die Nähe verschiedener Betreuungseinrichtungen zu einigen politischen Parteien. Die Wahlausschlüsse boten bis her eben auch die Gewähr dafür, dass Betreuungspersonen nicht in Versuchung kamen, anstelle der Betreuten wählen zu können. Gerade bei der Briefwahl sehen wir diese Gefahr und möchten einen möglichen Missbrauch so gut wie möglich aus schließen.

Unser Vorschlag lautet, dass im Rahmen der Feststellung der Betreuungsverfahren auch eine Befähigung zur Wahl in ge sonderter Weise geprüft wird und dass für die Betroffenen ein erleichterter Widerspruch gegen eine entsprechende Regelung möglich ist.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD – Abg. Sabine Wölfle SPD meldet sich.)

Ich habe nicht genügend Redezeit, um Zwischenfragen zu zulassen.

Die Entscheidung der Regierung hingegen ist mutlos. Wich tige, aber knifflige Entscheidungen schiebt man gern von sich weg, in diesem Fall wieder zurück an den Bund, und wartet ab, bis von da eine Entscheidung kommt.

Andererseits wäre auch ein Vorpreschen nicht unbedingt sinn voll gewesen, um rechtsverbindliche Regelungen zu schaffen. Wenn Landtagswahlrecht und Bundestagswahlrecht vielleicht wieder extrem voneinander abweichen, ist auch das ist nicht unbedingt eine Lösung.

Es wird notwendig sein, sich noch einmal weiter und intensi ver mit der Sache auseinanderzusetzen. Es ist ja richtig, dass die bisherige Regelung geändert wird. Aber der SPD-Vor schlag geht zu weit und öffnet möglicherweise auch die Tür für Missbrauch. Der Ansatz der Landesregierung spielt auf Zeit, indem eine gemeinsame Regelung mit dem Bund gewollt wird. Das ist halbherzig, aber durchaus vertretbar.

Bei der Abstimmung werden wir es als Fraktion so handha ben wie sonst auch, dass nämlich jeder nach seinem Gewis sen entscheidet.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der AfD)

Für die SPD hat Frau Kol legin Wölfle das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen und Kollegen! Zunächst einmal: Herr Rottmann, ich hät te von Ihnen ganz gern eine Antwort, was Sie mit der „Nähe von Betreuungseinrichtungen zu politischen Parteien“ gemeint haben. Das würde ich ganz gern einmal konkretisiert haben.

(Zurufe von der AfD – Unruhe bei der AfD)

Denn das ist ein Vorwurf, den Sie hier machen, der den Ein druck vermittelt, als würde da irgendeine Wahlmanipulation geplant sein. Das ist ein schwerer Vorwurf, und darauf hätte ich gern noch einmal eine Antwort.

(Abg. Udo Stein AfD: Getroffene Hunde bellen! – Weitere Zurufe von der AfD, u. a.: Da hat er Sie gar nicht erwähnt! – Total unglaubwürdig!)

Es geht darum, dass hier ein Vorwurf im Raum steht. Ich will mit Ihnen gar nicht diskutieren.

Wir führen hier keine Di aloge. Frau Abg. Wölfle hat das Wort.

Die Antwort möchte ich gern noch haben – aber nicht jetzt.

Ich möchte zu Beginn meiner Rede die Beratung aus der ers ten Lesung zu beiden Gesetzentwürfen sowie die Anhörung zum Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen – aus dem Hau se Strobl – noch einmal kurz zusammenfassen. Grüne, CDU, SPD und FDP/DVP sowie auch die Landes-Behindertenbe auftragte Aeffner, die Kommunen und die Behindertenverbän de haben sich dafür ausgesprochen, dass alle Menschen mit Behinderungen an den kommenden Wahlen teilnehmen dür fen. Grüne, CDU, SPD und FDP/DVP sowie die kommuna len Landesverbände haben betont, dass es nötig ist, eine mög lichst große Übereinstimmung beim Wahlrecht für den Bun destag, den Landtag und die Kommunalparlamente zu behal ten. So weit, so gut.

Aber jetzt hört der Konsens mit uns auf. Denn die Regierungs fraktionen und die FDP/DVP sowie die kommunalen Landes verbände haben sich im Gegensatz zu uns dafür ausgespro chen, die offensichtlich verfassungswidrigen Regelungen in unseren Wahlgesetzen zu belassen und nur durch eine Über gangsregelung außer Kraft zu setzen, und betont, dass man

weiter nach verfassungsrechtlich zulässigen Wahlrechtsaus schlüssen für Menschen mit Behinderungen suchen könne. Das steht auch in Ihrem Gesetzentwurf klar drin.

Jetzt könnte man vielleicht denken: Da steht die SPD aber auf verlorenem Posten; die sollten ihren Gesetzentwurf wieder zurückziehen. Meine Damen und Herren, das ist alles eine Frage der Perspektive. Denn – ich habe es schon beim letzten Mal betont – Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Nord rhein-Westfalen und Schleswig-Holstein haben die diskrimi nierenden Wahlrechtsausschlüsse – Herr Hockenberger, Sie haben gesagt, Sie hätten zügig reagiert – bereits vor der Ent scheidung des Bundesverfassungsgerichts ersatzlos gestri chen,