Protocol of the Session on March 20, 2019

(Abg. Ulli Hockenberger CDU: Sehr richtig!)

Mich erinnert diese Diskussion an manche Diskussionen, die wir zur Inklusion schon geführt haben. Jochen Haußmann und ich kennen die Anstalt in Stetten natürlich gut. Anstalten wie die in Stetten haben zwischendurch ganz schlecht abgeschnit ten. Sie bekamen den Ruf von besseren Gefängnissen, weil man über den Zustand der Behinderten, um die es geht, zum Teil illusionäre Annahmen hatte. Sie brauchen nur in eine sol che Anstalt zu gehen, dann wissen Sie, wie schön es für man che ist,

(Zuruf der Abg. Petra Krebs GRÜNE)

die diesen Raum brauchen. Dann wissen Sie auch: Bei den Menschen, an die ich jetzt denke, ist es unter Umständen ei ne ziemliche Illusion, sie zu irgendeiner Wahl zu schicken.

Dann beginnt man den differenzierteren Ansatz des Bundes verfassungsgerichts zu verstehen. Ganz leicht ist dieser natür lich nicht umzusetzen. Aber man sollte es zumindest versu chen.

Da steht der Begriff der Assistenzsysteme im Raum. Die As sistenzsysteme, lieber Kollege Hockenberger, habe ich als Ers tes kennengelernt, als ich gesehen habe, dass die CDU Fahr dienste zu den Altenheimen anbietet.

(Abg. Anton Baron AfD: Ja, genau! – Abg. Ulli Ho ckenberger CDU: Wahrnehmungsverschiebung! – Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU: Auf dem Motorrad kann man halt nur einen mitnehmen!)

Stichwort Assistenzsysteme: Man muss versuchen, den Stand punkt des Bundesverfassungsgerichts sinnvoll umzusetzen, wobei ich auch eher für den weiten Maßstab bin – das haben

Sie auch zu Recht angesprochen –: Lieber lassen wir einen wählen, bei dem man eigentlich zweifeln muss, ob er in der Lage ist, eine Wahl zu treffen,

(Abg. Ulli Hockenberger CDU: Richtig!)

als dass wir einen anderen abhalten, der vielleicht hätte wäh len können.

Darum ist es auch gut, dass man sich jetzt erst einmal darauf verständigt: An der Kommunalwahl dürfen alle teilnehmen. Aber der Ansatz, der Plan, auch die Bundesebene im Blick zu behalten und am Schluss zu einem Konstrukt zu kommen, das etwas differenzierter ist als die bloße Streichung, das die As sistenzsysteme einbezieht, von denen das Bundesverfassungs gericht redet, und das dann vor allem halbwegs einheitlich in Bund und Ländern umgesetzt werden kann, ist schon sinnvoll.

Insofern muss ich gestehen: Nach anfänglicher Sympathie für Ihren Vorschlag werden wir eher dem Vorschlag der Regie rungskoalition zuneigen, weil er in unseren Augen das Prob lem differenzierter löst.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Nun darf ich der Regie rung das Wort erteilen. – Herr Innenminister Strobl, bitte.

Sehr verehrte Frau Präsidentin, liebe Kollegin nen und Kollegen! Wir beraten heute darüber, wie für die Kommunalwahlen sozusagen als Sofortmaßnahme rechtlich ein Zustand hergestellt werden soll, der durch eine Entschei dung des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Januar dieses Jahres veranlasst worden ist. In dieser Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Regelung in § 13 Nummer 2 des Bundeswahlgesetzes, wonach ein Wahl rechtsausschluss für in allen ihren Angelegenheiten Betreute besteht, mit dem Grundgesetz unvereinbar ist. Dies betrifft zwar nicht unmittelbar die Vorschriften für die Kommunal wahlen in Baden-Württemberg, allerdings bestehen wortglei che Regelungen bei uns auf Landesebene für Kommunal- und Landtagswahlen sowie auf Bundesebene für die Europawahl.

Es ist – so das Bundesverfassungsgericht – Sache des Gesetz gebers, darüber zu entscheiden, wie er die verfassungsgericht lich festgestellte Ungleichbehandlung gleichermaßen betreu ungsbedürftiger Personen im Wahlrecht beseitigen wird. Da bei müssen nach der Vorgabe des Gerichts der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl und die Sicherung des Charakters der Wahl als Integrationsvorgang bei der politischen Willensbil dung des Volkes zum Ausgleich gebracht werden. Diese ge forderte differenzierte Lösung anhand der Maßgaben des Bun desverfassungsgerichts zu finden ist aus mehreren Gründen derzeit nicht möglich.

Zum einen ist der zeitliche Vorlauf zu den Kommunalwahlen sehr knapp. Die Regelungen müssen spätestens bei der Auf stellung der Wählerverzeichnisse in Kraft getreten sein. Stich tag für das gemeinsame Wählerverzeichnis der Europa- und der Kommunalwahlen ist schon der 14. April. Zum anderen benötigt man bei dieser Thematik auch den Bundesgesetzge ber.

Ein Gleichklang der wahlrechtlichen Vorschriften des Bundes und des Landes ist zur Vereinfachung der Durchführung der Wahlen vernünftig. Außerdem ist mit dem Betreuungsrecht eine Materie betroffen, für die die Gesetzgebungskompetenz nicht beim Land, sondern beim Bund liegt.

Aus diesem Grund stellt nun der von der Fraktion GRÜNE und der Fraktion der CDU vorgelegte Gesetzentwurf eine sachgerechte Lösung dar, um für die anstehenden Wahlen einstweilen eine rechtssichere Lösung zu treffen. Ich möchte mich bei den Koalitionsfraktionen herzlich bedanken, dass sie in der Kürze der Zeit seit der Entscheidung des Bundesver fassungsgerichts eine sachgerechte Lösung gut erarbeitet und sich darauf verständigt haben. Und dass wir seitens des Innen ministeriums daran mitwirken durften, ist auch sehr schön. Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen, für diese Arbeit.

Dass eine differenzierte und ausgewogene Regelung der The matik etwas Zeit in Anspruch nimmt, sieht man auch daran, dass der Bund beim Europawahlrecht den Wahlrechtsaus schluss erst einmal komplett weiter beibehält und erst nach der Europawahl überhaupt gesetzgeberisch tätig werden will. Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, an der Bun desregierung sind Sie meines Wissens beteiligt, jedenfalls noch beteiligt.

(Abg. Rainer Stickelberger SPD: Sie nicht? – Weite re Zurufe von der SPD)

Sie müssen schon dort handeln, wo Sie an der Regierung sind – nicht nur als Opposition große Reden schwingen,

(Zurufe von der SPD, u. a. Abg. Andreas Stoch: Sie kriegen nicht viel mit aus Berlin!)

sondern dort handeln, wo man in der Regierungsverantwor tung ist.

Gerade die derzeitige Beschlusslage auf Bundesebene zeigt, dass es der richtige Weg ist, nicht in einem Schnellschuss die Ausschlüsse gänzlich aufzuheben. Auch hier will man die vom Bundesverfassungsgericht geforderte differenzierte Lösung schaffen und sich nicht allein auf eine pauschale Streichung zurückziehen, die verfassungsrechtlich eben auch nicht völ lig unproblematisch ist, weil dann auch Menschen an der Wahl teilnehmen können, die dazu zweifelsohne nicht in der Lage sind. Genauso sehen es im Übrigen auch die kommunalen Landesverbände in ihren Stellungnahmen zum Gesetzentwurf der SPD-Fraktion, die sehr, sehr eindeutig sind. Wenn Sie es nicht glauben, lese ich Ihnen gern insbesondere die Stellung nahme des Landkreistags vor.

(Abg. Sabine Wölfle SPD: Lesen Sie doch z. B. mal die Stellungnahme der Behindertenverbände!)

Ich lese Ihnen gern vor, was die kommunalen Landesver bände dazu sagen.

(Zuruf des Abg. Sascha Binder SPD)

In dem von der SPD vorgelegten Entwurf fehlen zudem we sentliche Vorschriften, namentlich die Änderung des Land tagswahlgesetzes, die nicht nur bei der Landtagswahl, son dern auch bei den plebiszitären Elementen, die unsere Lan

desverfassung vorsieht, eine Rolle spielt. So sind z. B. bei Volksabstimmungen für das Abstimmungsrecht die Regelun gen des Landtagswahlrechts anzuwenden. Auch dies berück sichtigt der Gesetzentwurf der Fraktion GRÜNE und der Frak tion der CDU.

Deshalb bitte ich Sie, den Gesetzentwurf der Fraktion GRÜ NE und der Fraktion der CDU zu unterstützen, um ein recht zeitiges Inkrafttreten vor den Wahlen am 26. Mai zu ermög lichen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der CDU)

Es gibt noch Redezeit, und es gibt noch den Wunsch von Herrn Minister Lucha, zu spre chen.

(Abg. Sabine Wölfle SPD: Erst der Minister! – Wei tere Zurufe von der SPD)

Dann spricht jetzt Herr Minister Lucha. Die Parlamentarier möchten gern nach der Regierung noch einmal zu Wort kom men.

Lie be Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich ganz herzlich dem Dank des Innenministers an schließen. Ich danke erst einmal ihm und dem Ministerium, aber vor allem der Fraktion GRÜNE und der Fraktion der CDU. Wir arbeiten schon sehr lange und sehr intensiv an die sem Thema. Das wurde in den profunden Beiträgen deutlich.

Wir haben eben in der Quadratur des Kreises natürlich Wahl rechtsausschlüsse, und es besteht die Aufgabe, das Inklusive in der Gesellschaft weiter umzusetzen und Beteiligungsrech te zu stärken. Aber gleichzeitig bestehen auch hohe Anforde rungen an die Gesetzeskonformität.

Liebe Kollegin Wölfle, Sie waren in der letzten Legislaturpe riode im AK Soziales: Aus dem damals SPD-geführten Mi nisterium wurden in der Ressortarbeit Stellungnahmen for muliert, die immer sehr, sehr kritisch in Bezug auf die Kom plettaufhebung der Wahlrechtsausschlüsse waren, weil es ei ne recht komplexe Materie ist.

Ich möchte doch sagen – da geht es mir wie dem Kollegen Strobl –: Natürlich hätten wir uns gewünscht, dass die Bun des-CDU und die Bundes-SPD zusammengekommen wären. Aber die CDU und die Grünen hier im Land sowie die zwei Ressorts sind zusammengekommen.

(Beifall bei den Grünen und der CDU – Abg. Karl- Wilhelm Röhm CDU: Jawohl! Beispielgebend!)

Schon an dem Morgen nach dem Zugang des Bundesverfas sungsgerichtsurteils hatten wir eine schnelle Hotline. Ich glau be, die erste SMS kam um 6:35 Uhr.

(Zuruf des Abg. Winfried Mack CDU)

Wir sind am selben Tag zusammengekommen und haben die sen Entwurf gemeinsam ausgearbeitet, meine Damen und Her ren.

Es ist keine Kunst, Kollegin Wölfle, sehr, sehr dicke Backen zu machen, wenn man keine Verantwortung übernehmen muss,

(Zuruf von der SPD)

wenn das die anderen für einen machen. Ich hätte mir Ihre Re de stellvertretend bei Ihren Kolleginnen und Kollegen im Bun destag gewünscht, hätte mir gewünscht, dass die SPD dort dasselbe erreicht, was wir im Land erreicht haben. Der Aus schluss bei der Europawahl ist doch der Nachweis.

(Beifall bei den Grünen und der CDU)

Meine Damen und Herren, es passt symbolisch sehr gut: Mor gen, am 21. März, ist der Welt-Down-Syndrom-Tag – am 21. März deshalb, weil bei Menschen mit Downsyndrom das 21. Chromosom dreimal vorhanden ist –, ein Tag, an dem wir auch gerade der Vielfalt der Teilhabe von Menschen mit Ein schränkungen in besonderer Weise gedenken.