Protocol of the Session on March 7, 2018

latsunterricht als Grundsystem, bezogen auf die 14 Länder, ändern sollten.

Was sich allerdings grundsätzlich verändert hat – auch dies kann man der Antwort zur Anfrage entnehmen, auf die Sie sich beziehen –, ist, dass der Zuspruch zum muttersprachli chen Unterricht in den letzten sieben Jahren um über 30 % ge sunken ist. Wir haben heute rund 50 % weniger griechische Kinder im muttersprachlichen Unterricht als im Schuljahr 2010/2011; wir haben 45 % weniger italienische Kinder im gleichen Zeitraum, und wir haben übrigens auch gut 30 % we niger türkische Kinder, die am muttersprachlichen Unterricht teilnehmen.

Die Frage, ob der muttersprachliche Unterricht also als Grund prinzip, als Angebot in dieser Form – ob staatlich oder als Konsulatsdienst – überhaupt noch zukunftsfähig ist, liefert Stoff für eine Diskussion, die man tatsächlich in aller Ruhe führen müsste. Die Stärkung der muttersprachlichen Kompe tenz, die Verantwortung hierfür und der Umgang mit Mutter sprache sind wichtig; diese Möglichkeit muss man den Kin dern geben. Aber inwieweit hierzu noch der Rahmen eines muttersprachlichen Unterrichts nötig ist, ist angesichts des Schülerrückgangs von über 30 % insgesamt tatsächlich eine Frage.

Eine andere Frage ist die, ob nicht die Muttersprache vielfach im häuslichen Umfeld gepflegt wird und ob nicht in vielen Fa milien tatsächlich eher die jeweilige Muttersprache gespro chen wird als Deutsch. Damit verbunden ist die Frage, ob nicht die Stärkung der deutschsprachigen Kompetenz über ei ne entsprechende Sprachförderung bei den Kindern wieder stärker in den Mittelpunkt rücken muss.

Ich will ausdrücklich einmal die italienischen Kinder als Bei spiel nehmen, bei denen sich in den letzten sieben Jahren ein Rückgang um 45 % gezeigt hat. Wir wissen, dass vielfach ge rade italienische Kinder Probleme mit der deutschen Sprache haben. Das kommt als Rückmeldung aus vielen Schulen; das wissen wir also. Die Frage ist also, ob nicht die deutsche Sprachförderung viel stärker wieder in den Mittelpunkt rü cken muss. Denn seit 1977, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der „Wanderarbeiter“-Richtlinie, haben sich die gesellschaft lichen Rahmenbedingungen geändert, und in den kommen den Jahren werden wir möglicherweise vor ganz anderen Fra gen stehen, die wir dann auch ganz anders beantworten müss ten.

Deshalb bekennen wir uns zum Konsulatsunterricht in dieser Form. Wir beobachten und begleiten dies kritisch; wir sehen bei diesem Thema aber insgesamt Diskussionsbedarf.

Vielen Dank. – Ich habe eine weitere Wortmeldung, und zwar von Herrn Abg. Lede Abal.

Frau Eisenmann, Ihnen ist ja sicher aus vergangenen Jahren bekannt, dass es immer wieder konkrete Probleme beim muttersprachlichen Unterricht gab, sei es, dass es wegen ungeeigneten Lehrper sonals zu Klagen kam, oder – das stand auch im Fokus – durch Lehrmaterialien, genauer gesagt, durch Inhalte dieser Lehr materialien. Es war natürlich über viele Jahre hinweg gerade aufgrund dieser Erfahrungen Usus, insbesondere vonseiten des Kultusministeriums, ein Auge darauf zu haben, welche In halte dort verbreitet werden.

Deshalb meine konkrete Nachfrage, ob dem Kultusministeri um momentan irgendwelche beanstandenswerten Lehrinhal te, Lehrmaterialien im Rahmen des muttersprachlichen Un terrichts – unabhängig vom Herkunftsland – bekannt sind.

Bitte, Frau Ministerin.

Herr Lede Abal, natürlich ist klar, wir haben die Verantwortung. Das ist ja Teil des Konsulatsunterrichts – in der Verantwortung der Konsulate – ja, aber selbstverständlich schauen wir uns die Lehrinhalte an. Wenn wir ehrlich mitei nander sprechen, geht es vor allem um den Bereich der türki schen Kinder, in dem sich all diese Fragen stellen. Das kann man ja offen sagen.

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Bei mir nicht, aber bei anderen durchaus!)

Bei vielen anderen. – Die Frage ist, inwieweit eine Einfluss nahme im Sinne von Politik, von Religion zu befürchten ist. Natürlich haben wir uns die Lehrinhalte angeschaut. Wir sind auch in ständigem Kontakt mit dem türkischen Generalkon sul – das ist gar keine Frage –, und wir begleiten das hoch kri tisch. Wir haben unseren Staatlichen Schulämtern, den Regie rungspräsidien deshalb angekündigt, konkret Anlaufstellen zu benennen, damit diese mit den Schulen in Kontakt sind, weil wir da eine starke Sensibilität haben. Dazu bekenne ich mich.

Aber wir haben – um Ihre Frage zu beantworten – wenige Ein zelfälle gehabt – ich habe das gerade schon auf Ihre Frage hin ausgeführt –, und denen sind wir nachgegangen. Es waren aber keine konkreten Anlässe, sondern eher das Gefühl, dass indoktriniert werden könnte. Ich habe das konkret auf die Zeit vor dem Verfassungsreferendum in der Türkei bezogen. Da war eine hohe Sensibilität. Aber konkrete Anlässe, bei denen wir hätten konkret eingreifen müssen, waren in dieser Form nicht erkennbar. Nichtsdestotrotz – Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste – haben wir einen kritischen Blick darauf.

Aber, wie gesagt, die Frage „Konsulat oder staatliche Auf sicht?“ und die Frage, ob muttersprachlicher Unterricht in die ser Form generell überhaupt noch zukunftsfähig ist, bieten Stoff für eine Diskussion, die wir tatsächlich führen sollten.

Die nächste Frage kommt von Herrn Abg. Dr. Fulst-Blei.

Frau Ministerin, ich habe eine Nachfrage. Ich weiß nicht, ob ich Sie gerade falsch ver standen habe. Ich habe Ihre ersten Ausführungen so verstan den: Wir haben den muttersprachlichen Unterricht, und man kann einmal darüber nachdenken, ob man ihn zurückfährt – auch in Anbetracht der sinkenden Nachfrage –, um den Be reich Deutsch mehr zu intensivieren.

Wenn ich das so richtig verstanden habe, würde mich das in sofern wundern, als wir diverse Studien kennen, sei es der Ci to-Sprachtest in Nordrhein-Westfalen, sei es die Längsschnitt studie in Schleswig-Holstein. – Sie nicken, sie sind Ihnen be kannt. Dann ist Ihnen auch die LMU-Studie aus München be kannt. – Diese Studien kommen zu einem zentralen Ergebnis: Wenn wir Kinder in ihrer Muttersprache, also in der Haupt sprache des Elternhauses, fördern, bauen wir ein Sprachver ständnis auf. All diese Studien haben belegt, dass die Kinder dann auch in Deutsch besser sind.

Daher würde es doch durchaus Sinn machen, einerseits diese Sprachkompetenz als einen Sprachschatz zu sehen und die sen zu heben. Von meiner Ausbildung her bin ich ja Kauf mann; ich sehe also, das hat auch wirtschaftliche Vorteile, wenn man später in der Sprache beispielsweise in den Han del treten kann.

Aber für uns im Grundschulbereich ist doch das zentrale Er gebnis: Kann der Junge gut Türkisch? Kann das Mädchen gut Italienisch? Wenn Kinder ihre Muttersprache gut beherrschen, haben sie auch eine viel größere Chance, gut Deutsch zu ler nen, und können viel besser integriert werden.

Sie nicken. Kann ich also davon ausgehen, dass Sie da keinen Gegensatz sehen, und müssten wir nicht umgekehrt den dop pelten Weg gehen und sagen: „Wir fördern die Sprachkompe tenz auch in der Muttersprache, weil wir wissen, dass darüber auch die Integration in die deutsche Sprache besser gelingen kann“?

Vielen Dank für Ihre Nachfrage, Herr Fulst-Blei. Es ist mir wichtig, dass ich da nicht missverstanden werde – ich habe es in einem Beisatz gesagt –: Die Bedeutung mutter sprachlicher Kompetenz ist völlig unbestritten. Die Studien, die Sie genannt haben, kenne ich; diese sind auch richtig und belegen dies.

Die eigene Muttersprache – egal, welche – zu können und auch einen Bezug zu dem Land zu haben, aus dem die Fami lie kommt, ist ganz wichtig. Deshalb ist es immer ein Ziel, dass die Muttersprache möglichst perfekt gesprochen wird. Das ist die eine Seite.

Tatsächlich muss ich feststellen, dass der muttersprachliche Unterricht schon etwas bringt. Man muss sich einmal verge genwärtigen: Die Basis, auf der wir arbeiten, ist von 1977. Es ist die „Wanderarbeiter“-Richtlinie; sie benennt also schon na mentlich im Titel, dass es genau um Kinder geht, deren Eltern über Monate quer durch unterschiedliche Länder ziehen. Die se Kinder sollen den Kontakt zur Muttersprache nicht verlie ren – niederschwellig – und sollen diese Sprache sprechen.

Nur: Ich glaube, dass wir heute, im Jahr 2018, eher ein ande res Problem haben. Die Muttersprache wird in den Familien gesprochen. Darauf habe ich mich bezogen. Das erkennen wir auch, wenn wir uns Vergleichsstudien anschauen, wenn wir uns beispielsweise Schuleingangsuntersuchungen anschauen, deren Ergebnisse erst kürzlich vom Sozialministerium veröf fentlicht wurden: Die Gesundheitsämter stellen fest, dass in Baden-Württemberg stabil ein Drittel der Kinder im Alter von vier Jahren einen massiven Sprachförderbedarf in der deut schen Sprache haben, dass Kinder mit Migrationshintergrund aber immer weniger einen Sprachförderbedarf im mutter sprachlichen Bereich haben.

Deshalb: Ich teile Ihre Einschätzung. Wenn die Mutterspra che heute in den Familien mit Migrationshintergrund anders gepflegt wird, vielleicht sogar intensiver gepflegt wird – wir hören auch häufig, dass in Elternhäusern nicht Deutsch ge sprochen wird –, dann stellt sich für mich die Frage, ob sich etwas verschoben hat. Wir müssen natürlich weiter darauf ach ten, dass die Muttersprache qualifiziert gesprochen wird.

Ich kann übrigens in den Schulen durchaus auch muttersprach lichen Unterricht machen. Es gibt ja auch Möglichkeiten, sich da prüfen zu lassen. Die Möglichkeiten sind ja insgesamt vor handen.

Die Frage, die wir politisch bewerten müssen, ist für mich: Müssen wir die Muttersprache noch so belegen, wie wir es heute tun, mit dem muttersprachlichen Unterricht? Wenn ja, in welchem Modell – Konsulat, staatlich? Oder ist es nicht vielmehr so, dass die Muttersprache heute eine ganz andere Wertschätzung in den Familien genießt, dort gut gelernt wird und wir eher vor dem Problem stehen, dass die Kinder in der deutschen Sprache zunehmend Defizite haben? Das ist für mich eine Diskussion, die ich offen anspreche, wobei ich jetzt nicht sage – – Aber ich glaube, dass dies ein Diskussionsan satz ist, mit dem wir uns tatsächlich befassen müssen.

Hinsichtlich der Wertschätzung und der Bedeutung der Mut tersprache sind wir jedoch völlig einer Meinung, Herr FulstBlei.

Vielen Dank. – Es gibt weite re Fragen, zum einen von Frau Abg. Reich-Gutjahr und da nach von Herrn Abg. Dr. Fulst-Blei.

Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen, Frau Eisenmann.

(Abg. Rainer Stickelberger SPD: Sie muss!)

Sie müssen sie zulassen. Danke, dass ich fragen darf. – Das ist egal. Belassen wir es dabei. Wir wollen anständig sein.

(Heiterkeit)

Zu meiner Frage: Sie hatten vorhin die Zahlen genannt. Die Zahl derer, die an diesem Unterricht teilnehmen, ist rückläu fig. Haben wir auch Erkenntnisse, warum das so ist? Liegt das daran, dass die Kinder jetzt in der x-ten Generation schon hier sind und deswegen ihr Selbstverständnis eben auch nicht mehr ist: „Ich bin Türke“, sondern: „Ich lebe in Deutschland und bin Deutscher“? Gibt es Erkenntnisse, woran das liegt?

Ich beziehe mich – nur, dass Sie die gleiche Grund lage haben – – Ihnen liegt das auch vor. Das ist die Antwort zu der Kleinen Anfrage Drucksache 16/3390.

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Eine sehr gute Drucksache! – Heiterkeit des Abg. Karl-Wilhelm Röhm CDU)

Ja, sie kommt von Frau Abg. Boser und Herrn Abg. Lede Abal. Auf Seite 2 der Drucksache ist aufgeführt, wie sich die Schülerzahlen entwickeln. Da können Sie sehen, dass insge samt ein Rückgang um gut 30 % erfolgt ist. Das ist ein be trächtlicher Umfang.

(Abg. Gabriele Reich-Gutjahr FDP/DVP: Warum?)

Die Frage nach dem Warum – – Das ist eigentlich genau die Antwort, die ich auf die Frage von Herrn Fulst-Blei zu geben versuchte. Ist es so, dass das Empfinden der Muttersprache deshalb nicht mehr so im Mittelpunkt steht, weil sie inzwi schen zu Hause stärker gepflegt wird? Wie sich dies genau be gründet, kann ich Ihnen nicht sagen.

Interessanterweise haben wir den größten Einbruch – nicht flächendeckend; das können Sie der Statistik entnehmen – bei den griechischen Kindern – ich sagte es vorhin: 50 % –; bei den italienischen Kindern gibt es einen Rückgang um 45 % und bei den türkischen Kindern um gut 30 %.

Bei den Kindern aus anderen Ländern wie Kroatien, Portugal, Serbien ist die Entwicklung stabil geblieben – aber natürlich auf sehr niedrigem Niveau. Im Vergleich: Die großen Grup pen sind die griechischen, die italienischen und die türkischen Kinder.

Wir tun uns schwer bei der Frage, warum dies so ist. Aber mir geht es eigentlich darum, dass wir uns in der politischen Dis kussion ein Stück weit darauf konzentrieren, um dann auch passgenaue Angebote zu machen, bevor wir darüber diskutie ren, in welcher Form – staatlich oder konsulatsmäßig – wir dies tun. Deshalb haben Sie recht. Aber ich kann Ihnen auch nicht im Detail begründen, inwieweit sich diese Verschiebung inhaltlich erklärt.

Herr Abg. Dr. Fulst-Blei, bit te.

Ich möchte ganz gern eine Lernfrage für mich stellen. Also, ich war jetzt gerade über rascht, dass Sie gesagt haben – – Bei den Eingangsuntersu chungen bei der Grundschule wissen wir: Das Thema Defizi te betrifft, sage ich einmal, auch die sogenannten „Biodeut schen“. – Ich finde diesen Ausdruck ja fürchterlich.

Ich auch.

Dort haben wir Defizite, und es war richtig, dass wir die Sprachförderung in Baden-Würt temberg seit 2003 zunehmend ausgeweitet haben, dass das konsequent durchgeführt wird.

Habe ich Sie richtig verstanden? Haben Sie wirklich gesagt, dass es Erhebungen gebe, was den Sprachstand im mutter sprachlichen Bereich angeht? Denn das würde mich wundern. Das hätte ich noch nie gehört.

Das haben Sie missverstanden. Da habe ich mich falsch ausgedrückt.

Ja, eben, deswegen. Ich sa ge mal: Ich glaube nicht, dass wir wirklich eine Einschätzung vornehmen können, auf welchem Niveau zu Hause gespro chen wird. Um meinen Freund Ali zu zitieren: Den Deutsch türken erkennst du am „Güle Güle, Beißzange“, also daran, dass sozusagen bestimmte Grundbegriffe der Heimatsprache vorhanden sind; sobald es jedoch in den Spezialisierungsbe reich geht oder um spezielle Ausdrucksformen – –

Was ich also wirklich immer daneben finde, sind die Diskus sionen, die immer wieder zu hören sind: „Na ja, die sprechen doch daheim türkisch; deshalb brauchen wir doch keinen Tür kischunterricht mehr.“ Das hieße ja: Unsere sprechen alle deutsch; brauche ich deshalb keinen Deutschunterricht mehr? Wir sind uns in diesem Haus, glaube ich, alle einig, dass der Deutschunterricht trotzdem notwendig ist.