Die Wirtschaftsleistung in Baden-Württemberg ist im ersten Halbjahr nicht, wie bundesweit für das ganze Jahr prognosti ziert, um 5,8 %, sondern – preisbereinigt, nach neuesten Zah len – um 7,7 % zurückgegangen. Nur Bremen und das Saar land verzeichnen einen noch stärkeren Rückgang. Das heißt, 13 Länder haben beim BIP im ersten Halbjahr einen geringe ren Rückgang als Baden-Württemberg. Wir sind also gerade im Bundesvergleich von diesem Coronaknick sehr stark be troffen.
Deshalb ist das, was wir machen, richtig: Oberstes Ziel in die ser Ausnahmelage, in dieser Krise muss es sein, dass wir hand lungsfähig bleiben. Wir müssen alle Kräfte mobilisieren, um dieser Herausforderung zu trotzen, um die Menschen weiter optimal zu schützen, um unser Land auch stark zu halten. Das ist die Aufgabe, der wir uns mit diesem Nachtragshaushalt stellen, verehrte Kolleginnen und Kollegen.
Ich möchte mich deshalb dem Dank sowohl an die Finanzmi nisterin als auch an die Haushaltsstrukturkommission an schließen. Wir haben viele Abende lang beraten und uns vie le Gedanken gemacht, wie wir aus dieser Krise stärker her auskommen.
Wahr ist: Im Kampf gegen die Krise muss und wird das Land in erheblichem Umfang neue Kredite aufnehmen. Die Finanz ministerin hat die Zahlen dargelegt. Die Entscheidung über eine neue Kreditaufnahme in dieser Höhe trifft man auch nicht leichten Herzens. Auch wir tun das natürlich nicht. Aber die se Entscheidung ist unausweichlich, um einer beispiellosen Notsituation weiter wirksam zu begegnen und um das tun zu können, was jetzt für das Land nötig ist.
Darum geht es. Wir folgen damit in der Tat auch dem Rat al ler führenden Ökonomen. Der ifo-Chef hat dieser Tage gesagt – Zitat –:
Das sagt Clemens Fuest, der Chef des ifo-Instituts. Er ist bei Gott keiner, der für haushaltspolitisches Laisser-faire steht.
Wenn es je Zeit für ein sogenanntes Deficit-Spending ist, dann ist diese Zeit jetzt. Deshalb müssen wir alles tun, dass wir ge stärkt aus der Krise kommen. In der Tat, der Bundesfinanzmi nister hat nicht nur heute, sondern auch in den vergangenen Wochen mehrfach gesagt: Nicht zu handeln wäre teurer.
Dennoch, auch in dieser Krise tragen wir Verantwortung für morgen und auch für übermorgen. Deshalb legen wir jetzt ge setzlich fest: Die neuen Schulden müssen wir zügig zurück zahlen, und zwar innerhalb dieser Generation. Deshalb haben wir nicht 60 Jahre oder 50 Jahre gesagt – einen solchen Zeit raum hat übrigens Nordrhein-Westfalen beschlossen –, son dern haben gesagt: In einer Generation, in 25 Jahren, müssen die neuen Schulden wieder zurückgeführt werden. Das ist fair, auch vertretbar – auch gegenüber unseren Kindern und En keln. Wir sind damit deutlich ambitionierter als andere. Wie gesagt – Kollege Schwarz hat es angesprochen –, einige Öko nomen haben erheblich längere Laufzeiten empfohlen.
Wir setzen die Schuldenbremse auch nicht außer Kraft, wie es immer wieder heißt oder wie man lesen kann. Nein, wir nutzen jetzt genau diese klugen Mechanismen, die die Schul denbremse bereithält, um bei großen Krisen gegenzuhalten. Das ist das, was die Schuldenbremse ausdrücklich vorsieht, und deshalb ist dieser Nachtrag richtig. Er ist in meinen Au gen auch maßvoll und vertretbar.
NRW 25 Milliarden €. Insoweit liegt der Umfang unserer In vestitionen sogar weit unter dem in diesen Ländern.
Kredite sind aus vier Gründen nötig. Die Finanzministerin hat es angesprochen. Ich komme jetzt kurz zu diesen vier Grün den.
Erstens: Wir müssen Steuermindereinnahmen in Höhe von 4,4 Milliarden € abbilden. Das ist bekannt und unabdingbar. Ich denke, wir sind uns alle einig: Diese Ausfälle über Kürzun
gen aus dem Haushalt herauszuschwitzen ist derzeit keine Op tion. Denn es wäre schädlich und würde die Lage noch ver schärfen, wenn wir jetzt gegen die Krise ansparen würden.
(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen – Abg. Peter Hofelich SPD: Der Vergleich wird Ih nen noch leidtun! – Abg. Rainer Stickelberger SPD: Das war aber ein Satz! – Gegenruf des Abg. Andre as Stoch SPD: Für die Ewigkeit!)
Zweitens: Der Bund hat ein historisches Milliardenpaket für Deutschland geschnürt. Das Konjunkturpaket ist gut für un ser Land. Es hilft den Familien, es hilft den Kommunen, es hilft dem Mittelstand, es schafft Zukunft. Aber an vielen Stel len verlangt der Bund auch eine Kofinanzierung des Landes. Wir stellen deshalb die Mittel bereit, um den Landesanteil auf zubringen, um damit auch die Bundesgelder für Baden-Würt temberg abrufen zu können. Ich habe gesagt: Wir wollen, dass der „Wumms“ von Berlin auch im Land ankommt und hier voll wirkt.
Drittens: Corona trifft als Erstes auch die Kommunen; das wurde zu Recht angesprochen. Wir wollen aber, dass die Kom munen ihre Aufgaben für die Bürgerinnen und Bürger gerade auch in dieser Krise gut und vor allem verlässlich erfüllen können. Insoweit stärken wir die Gesundheitsstrukturen.
Aber wir haben auch einen starken Pakt mit den Kommunen geschlossen. Mit den erwähnten fast 3 Milliarden € steht das Land für die kommunalen Krisenlasten ein. Wir ersetzen mit 2 Milliarden € ihre Ausfälle bei der Gewerbesteuer, und im FAG-Verbund stellen wir sie so, als wäre Corona im Jahr 2020 nicht gewesen, indem wir den Oktober 2019 als Basis neh men.
Wir leisten ferner Unterstützung für den Busverkehr, die Kran kenhäuser, die Kindergärten, die Musikschulen, die Volks hochschulen, die Vereine. Wir halten damit einen starken Schild über die gesamte Daseinsvorsorge. – Die Präsidentin des Musikschulverbands lächelt an dieser Stelle.
Ich will Ihnen sagen, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Das ist in der Landesgeschichte einmalig. Wir stehen für unsere Kommunen ein, weil wir Partner unserer Kommunen sind – auch in dieser schwierigen Zeit.
Und – vor allem – viertens: Wir wollen, dass Baden-Württem berg nach der Krise neu durchstartet. Corona verändert die Welt. Unser Ziel heißt: Wir wollen, dass unser Land danach besser, schneller, digitaler, nachhaltiger, wettbewerbsfähiger, innovativer ist als zuvor.
Deshalb bringen wir, die Koalition, gemeinsam das Programm „Zukunftsland BW“ auf den Weg. Damit investieren wir ganz gezielt in die strategischen Zukunftsfelder für unser Land,
nämlich Digitalisierung für alle, Bildung und Weiterbildung, neue Technologien, Innovationskraft im Mittelstand, moder ne Infrastruktur, neue, auch nachhaltige Mobilität, Klima schutz und Gesundheit. Wir stellen 1,2 Milliarden € bereit für noch schnelleren Breitbandausbau, für die digitale Schule, für das größte Innovationsförderprogramm in der Landesgeschich te überhaupt, für Schlüsseltechnologien wie künstliche Intel ligenz, Quantentechnik, Wasserstofftechnologie, für den Ge sundheitsstandort Baden-Württemberg, auch für die Transfor mation in der Automobilwirtschaft – synthetische Kraftstof fe, Technologieoffenheit bis zu „reFuels“ und E-Mobilität. Wir stellen auch 800 Millionen € für die Vorsorge bereit, weil in der Tat niemand weiß, wie es im Winter mit der Pandemie weitergeht.
All das sind essenzielle Themen. Ein mittelständischer Ma schinenbauer, der den Sprung ins KI-Zeitalter verpasst, der wird vom Markt verschwinden. Ein Hightechstandort, der die großen Trendthemen nicht aufnimmt, der jetzt nicht vom Hightech- zum Supertechstandort wird, kann bald nicht mehr oben mitspielen. Baden-Württemberg – ich habe es ja immer betont – muss wieder die Innovationsregion Nummer 1 in Eu ropa werden. Diesen Spitzenplatz wollen wir zurückholen. Deshalb müssen wir jetzt in der Krise ganz bewusst und ent schieden nach vorn denken, auf neue Ideen setzen, vor allem auch auf Stärke durch Erneuerung.
„Vergeude nie eine gute Krise“, hat Churchill einmal gesagt. Wir sorgen dafür, dass unser Land diese Krise nutzt, um den Wandel zu schaffen. Dieses Investment in die Zukunft ist ei ne standortpolitische Kapitalerhöhung, und zwar für unser Land. Es ist der richtige und damit auch der logische nächste Schritt der Krisenbekämpfung. Er wird uns auf einen neuen, auf einen besseren Wachstumspfad, auf einen Pfad des höhe ren Wachstums, führen. Wir brauchen dieses Wachstum.
Wir haben hier nicht strukturelle Etatisierungen vorgenom men, sondern wir wollen damit innovativ, nachhaltig, digital in die Zukunft – bis in die Klassenzimmer – kommen. Wir machen mit dem „Zukunftsland BW“ stark, was unser Land stark macht, auch bei der Gesundheit und beim Gesundheits standort, bei der Medizintechnik, bei den Unikliniken, bei For schung und Entwicklung, bei der Weiterbildung. Wir haben in guten Zeiten vorgesorgt – die Finanzministerin hat es an gesprochen –, im Bund und auch im Land.
Deshalb können wir jetzt Zukunftsvorsorge möglich machen. Ich finde, darauf muss es ankommen. Es bringt auch nichts, jetzt zu bremsen. Wir müssen jetzt Gas geben – da kann man nicht gleichzeitig bremsen –, wir müssen jetzt investieren, sti mulieren und im Grunde genommen ab 2023 – schon ab 2022 – wieder die Schuldenbremse einsetzen, dann auch wieder konsolidieren. Das muss der Dreiklang sein.
Wichtig ist, dass wir die Programme jetzt nicht ins Schaufens ter stellen. Sie müssen auf die Straße kommen.
Heute beraten wir auch die Änderung des FAG-Gesetzes. Wir etatisieren und fixieren damit übrigens jetzt gesetzlich den Faktor Einwohnerdichte für die Flächengemeinden. Auch das war uns wichtig. Hier haben wir Wort gehalten, genauso wie in dieser Woche mit der Landarztquote.
Herr Ministerpräsident, ich möchte ausdrücklich sagen, auch einmal unterstreichen: Diese Koalition handelt, ist handlungs
Ja, ich komme zum Schluss. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben hier am 19. März den Weg der Krisenbewältigung in einem denk würdigen, fraktionsübergreifenden Konsens gemeinsam be schritten. Wir haben auch das Pandemiegesetz fraktionsüber greifend erarbeitet, den Landtag damit gestärkt und Parlamen tarismusgeschichte geschrieben. Ich lade Sie alle ein, diesen Weg der Gemeinsamkeit jetzt mit uns weiterzugehen und uns beim Nachtrag zu unterstützen. Es geht um die Zukunft unse res Landes, es geht um unsere kommenden Chancen, um Ar beitsplätze, Wachstum und Wohlstand, es geht um die Hoff nungen von Millionen Menschen in Baden-Württemberg.
(Heiterkeit – Beifall der Abg. Arnulf Freiherr von Eyb CDU und Andreas Schwarz GRÜNE – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Victor Hugo wäre uns lieber! – Abg. Andreas Stoch SPD: Victor Hugo! – Unruhe)
... dass wir selbst dann, wenn die Zeiten am dunkelsten sind, das Recht haben, auf etwas Erhellung zu hoffen...
Dieses Recht und dieses Versprechen werden wir heute mit diesem Nachtragshaushalt im Grunde einlösen.