Protocol of the Session on May 20, 2020

(Abg. Dr. Rainer Balzer AfD: Hoffentlich treffen Sie nicht!)

Mit Politik kann man keine Kultur machen, aber vielleicht kann man mit Kultur Politik machen.

(Beifall – Abg. Dr. Rainer Balzer AfD: Vielleicht!)

Aber zur Sache. Vieles weiß man erst dann zu schätzen, wenn es nicht mehr im gewohnten Umfang verfügbar ist. Das gilt erst recht für Kultur und dies wiederum erst recht in der Zeit der Pandemie. In der Not wurde gestreamt, digitalisiert, visu alisiert und virtualisiert. Und doch: Ich weiß nicht, wie es Ih

nen ging, bei mir jedenfalls ist der Funke nicht übergesprun gen. Oder, wie eine Bloggerin schrieb: „Der belebende Bass zwischen unseren Körpern fehlt.“

In der Tat gehören die Kulturbetriebe – gleich, ob Theater, un sere vielfältige Orchesterlandschaft, die soziokulturellen Zen tren, die Freischaffenden oder die kulturtragenden Vereine in unserem Land – zu den großen Leidtragenden des Shutdowns, können doch diese bis heute praktisch keinerlei Umsätze ge nerieren.

Mit der Öffnung von Bibliotheken und Museen haben wir ei nen ersten Schritt in Richtung kulturelle Normalität unternom men. Das ist richtig und gut. Ich kann Ihnen nur ans Herz le gen: Wer in Museen badet, erfrischt den Geist.

Die Perspektive zur Wiedereröffnung bleibt für viele andere Kultureinrichtungen weiterhin unklar, solange die Grenze von 100 Personen vielerorts nicht praktikabel ist oder nicht wirt schaftlich einzuhalten ist und die konkreten Voraussetzungen des Infektionsschutzes weiterhin unklar sind.

Klar ist indes, dass die Haushalte der Kultureinrichtungen oft ohne Rücklagen auf Kante genäht sind und in der aktuellen Krise zu kollabieren drohen. Deshalb kommt maßgeschnei derten Liquiditätshilfen für die Branchen, die neben die So forthilfen treten, die für den Kulturbereich oft keine Passung finden, nun eine Schlüsselrolle zu. Denn so vielfältig unsere Kulturlandschaft im Land ist, so vielgestaltig stellen sich auch die individuellen Nöte dar. Allein aufgrund des geringeren Or ganisationsgrads im Kulturbereich – anders als beispielswei se in der Wirtschaft, wo man auf die Kammern zurückgreifen kann – sollte gerade in diesem Bereich von einem ständigen Nachbessern, wie wir es eben in anderen Bereichen erleben mussten, oder von einem dicken Antragsformular Abstand ge nommen werden.

Das Corona-Notprogramm findet unsere Unterstützung, auch wenn der „Masterplan Kultur“ neben einem einzigen konkre ten Öffnungsdatum, nämlich dem vorgenannten 1. Juni für Veranstaltungen bis 100 Personen, viele Fragen nur anreißt oder Antworten gänzlich schuldig bleibt. Wie gelingt es bei spielsweise, auf ausreichend verfügbare Räumlichkeiten für den von Vereinen und Musikschulen getragenen Musikunter richt zurückzugreifen, da dieser nicht selten in den Räumlich keiten der Schulen stattfindet, die aber gleichzeitig nach der Wiederöffnung infolge des Abstandsgebots sowieso Mangel ware sind?

Auch die Maßgaben zum Infektionsschutz weisen spezifische Fragen auf, die der Masterplan nicht beantworten kann und vielleicht auch nicht beantworten soll. Was ist z. B., wenn man bei Tanzschulen das Abstandsgebot nicht einhalten kann? Wie sollen Bläser und Chöre proben, deren Kunst mit dem Tragen einer Maske unvereinbar ist? Hier brauchen wir dringend Ant worten. Denn viele Vereine – es ist angesprochen worden – treibt die von Tag zu Tag größer werdende Sorge um, dass ih re Mitglieder eben nicht wiederkommen, wenn die „Entwöh nung“ zu lange anhält.

(Beifall)

Hier brauchen wir schnelle und tragfähige Lösungen.

Neben den finanziellen Hilfen erscheint uns der Dialog und der intensive Austausch mit den Betroffenen sehr wichtig. Denn die Kultur befand sich bereits vor Corona im Umbruch, befand sich in einer Phase der Neudefinition. In der Tat muss ten sich viele Einrichtungen neu erfinden. Kinos spüren die Konkurrenz durch Streamingdienste, Bibliotheken werden mit verändertem Nutzerverhalten konfrontiert, und digitale Rund gänge durch Museen sind schon längst keine exotische Aus nahme mehr. All das war schon vor der Krise als Thema im Rahmen des Dialogs „Kulturpolitik für die Zukunft“ gesetzt.

Kunst unterliegt, wie unsere Gesellschaft insgesamt, einem Wandel. Das ist durchaus normal und auch gut; denn Kunst und Kultur waren seit jeher Spiegel ihrer Zeit. Digitale Wel ten, neue gesellschaftliche Bündnisse für Kunst und Kultur, Strategien der Transformation von Kulturinstitutionen oder Kunst und Kultur im ländlichen Raum wurden bereits als zen trale Zukunftsthemen identifiziert. Jetzt kommen noch die massiven Herausforderungen durch die Coronapandemie hin zu.

Vereine müssen auf Umsatz bringende Feste verzichten, die musikalischen, die sportlichen oder auch die schauspieleri schen Übungseinheiten und Proben werden erst nach und nach wieder möglich, und viele Bühnen müssen womöglich Wirt schaftlichkeitserwägungen vor ihre kulturelle Schaffenskraft stellen, weil sie vor einem Bruchteil der Zuschauer spielen dürfen.

(Zurufe)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht um viel; es geht um nicht weniger als den Kitt, der unsere Gesellschaft im Inners ten zusammenhält.

(Unruhe)

Frau Ministerin Dr. Hoffmeis ter-Kraut, ich darf auch Sie daran erinnern, dass von der Re gierungsbank aus bitte keine Dialoge geführt werden oder Zwischenrufe erfolgen. Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall – Zurufe, u. a. Abg. Reinhold Gall SPD: Herr Rülke hat es provoziert! – Heiterkeit)

Eine Provokation, die im Grunde genommen alle zusammenschweißen sollte; denn in Bezug auf die Kultur sollten wir, denke ich, fraktionsübergrei fend sprechen.

(Zuruf des Abg. Gerhard Kleinböck SPD – Verein zelt Lachen)

Offensichtlich sieht es der eine mit mehr Humor und der an dere mit mehr Ernsthaftigkeit. Aber sei’s drum.

Es geht um viel; es geht um nicht weniger als den Kitt, der unsere Gesellschaft im Innersten zusammenhält, nämlich die Kultur – auf die wir auch nach dieser Zeit, nach Corona, nicht verzichten wollen. Ich sage es – –

(Zuruf des Abg. Rainer Stickelberger SPD)

Kollege Stickelberger, ich habe die Zwischenfrage nicht ver standen.

(Heiterkeit – Zurufe)

In Ordnung.

Aber ich sage es deutlich: Ohne eine gesellschaftliche Unter stützung und ohne ein klares öffentliches Bekenntnis zur Kul tur als zentralem Bindeglied für alle Generationen und als Ba sis für ein solidarisches Miteinander werden es die Kultur schaffenden in unserem Land eben nicht schaffen. Hier sind wir alle gefordert, nicht nur Frau Ministerin Bauer und Frau Staatssekretärin Olschowski, nein, hier sind wir alle gefordert, diesen „Masterplan Kultur“ so mit Leben zu erfüllen, dass er diesen Namen auch verdient. Für uns, die FDP/DVP-Frakti on, darf ich dies gern zusagen; wir sagen unsere konstruktive Unterstützung zu.

Vielen Dank.

(Beifall – Unruhe)

Vielen Dank. – Für die Lan desregierung erteile ich Frau Staatssekretärin Olschowski das Wort.

Sehr geehrte Frau Prä sidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte da an fangen, wo Alexander Salomon aufgehört hat, nämlich mit ei ner guten Nachricht. Bevor es nun aber wieder heißt, wir wür den in Eigenlob versinken, will ich gleich dazusagen, dass die se Nachricht kein Lob an uns selbst ist, sondern ein Lob an diesen Landtag – und tatsächlich auch ein Lob an die Landes regierung. Die RHEINPFALZ schrieb vor ein paar Wochen:

Wer derzeit freischaffender Künstler ist, wünscht sich wohl, in Baden-Württemberg zu leben.

Das ist ein schönes Zitat, muss man sagen,

(Beifall)

nicht nur weil es die Zeitung gedruckt hat – das kommt im mer mal wieder vor; man würde wahrscheinlich auch für das Gegenteil das richtige Zitat finden –, sondern weil es die Re aktion ist, die wir von vielen Kolleginnen und Kollegen aus den Ministerien anderer Länder, aber auch von Künstlerinnen und Künstlern, Kreativen aus den unterschiedlichsten Spar ten bekommen.

Keine Frage: Wir haben hier in Baden-Württemberg in den Wochen nach dem 13. März, als alle Kultureinrichtungen mit dem Ziel der Eindämmung der Covid-19-Pandemie geschlos sen und alle Veranstaltungen, Aufführungen, Ausstellungen, Festivals, Konzerte und Messen bis auf Weiteres abgesagt wurden, sehr schnell und umfassend reagiert – schneller und umfassender als andere.

Wir tun das weiterhin, vor allem durch die jetzt schon mehr fach genannte Corona-Soforthilfe. Lieber Herr Balzer, Sie ha ben vorhin viel über Nichtwissen gesprochen: Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass diese Corona-Soforthilfe deswegen so gut ist – ich begrüße die Wirtschaftsministerin und danke ihr herzlich –, weil sie nicht nur für Künstlerinnen und Künstler vorgesehen ist, sondern für alle Soloselbstständigen, Kleinst unternehmen usw. in diesem Land. Genau das, glaube ich, macht den Wert aus. Aber so profitieren Kultureinrichtungen

und Vereine eben auch – ebenso wie Künstlerinnen und Künst ler –, insbesondere durch die Anrechnung von Lebenshal tungskosten oder die Anrechnung der Personalkosten von Mi nijobbern.

Wir tun das aber auch durch unsere Verlässlichkeit bei der För derung – bei unseren eigenen Einrichtungen, unseren Zu schussempfängern, unseren Stipendienprogrammen und an deren mehr –, durch schnelle Sonderhilfen wie bei den Kinos oder den Chorleitern und Dirigenten der Vereine in unserem Land; durch aktualisierte Programmlinien wie beispielsweise beim Innovationsfonds, der tatsächlich umgewandelt und im Herbst in der alten Form wieder ausgeschrieben wird – weil die vorliegenden Anträge zum allergrößten Teil die Terminla ge nicht hätten einhalten können, kommen wir den Kulturein richtungen entgegen, machen ein Sonderprogramm für die Schnellen –, damit die Einrichtungen, die für Ende 2021 pla nen, sich nochmals bewerben können, sowie durch unsere Umsicht bei den Öffnungsszenarien für die Bibliotheken, Ar chive, Museen, Ausstellungshäuser, Gedenkstätten in unse rem Land und durch eine enge Begleitung der Prozesse.

Dafür danke ich Ihnen allen, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, da Sie es in einem ersten Schritt durch den Nachtragshaushalt und die Möglichkeit der Soforthilfe sowie der weiteren Maßnahmen, die jetzt noch kommen, möglich gemacht haben. Ich danke natürlich auch dem Ministerpräsi denten, der Finanzministerin und ganz besonders auch der Wirtschaftsministerin für das gute Miteinander bei der Coro na-Soforthilfe.

(Beifall)

Aber kommen wir zum schwierigeren Teil des Ganzen. Das alles kann nur ein Anfang gewesen sein; denn die Krise – wir haben es ja vorhin umfassend besprochen –, die wir gerade international erleben, ist keine Chance – auch wenn das im mer mal wieder herbeigeschrieben wird – und wird unser ge sellschaftliches Miteinander nicht von allein solidarischer, besser oder empathischer machen. Vielmehr ist dieses Virus in erster Linie eine Erschütterung, eine zerstörerische Kraft, die unser Zusammenleben auf eine schwere Probe stellt.

Über viele Monate hinweg wird Covid-19 beeinträchtigen, was wir über Jahrhunderte hinweg aufgebaut haben und was wir als existenziell für unsere Gesellschaft verstehen: unser reiches kulturelles Leben, die innere wie äußere Berührung von Menschen über das gemeinsame Erlebnis von Kunst; kurz: die Begegnung in dieser vielfältigen, in Breite und Dich te einzigartigen kulturellen Landschaft in Baden-Württem berg. Gerade diese Begegnung ist nun schwierig geworden, und wir wissen nicht, für wie lange.

Wären wir auf einer Bühne und unser Leben ein Theaterstück, dann würde man dies ein „dramatisches Moment“ nennen, das alle Beteiligten zum Handeln zwingt, zum Bekenntnis für die Vielfalt, den Reichtum, die Qualität unserer Kulturszene im Profi- wie im Amateurbereich. Das gilt in diesem Fall auch für das reale Leben.

Wir haben in der letzten Woche den „Masterplan Kultur BW – Kunst trotz Abstand“ vorgelegt, der hier schon in verschie denen Aspekten dargestellt worden ist. Er nimmt das kom mende Jahr in den Blick und umfasst Aspekte der Öffnung

von Kultureinrichtungen, der Existenzsicherung von Kultur einrichtungen und Vereinen sowie des Möglichmachens von künstlerischen Projekten, die organisatorisch und finanziell ineinandergreifen. Wir sind dabei von folgenden Leitgedan ken ausgegangen:

Erstens: „Es gibt in der Coronakrise keinen Feind außer der Krankheit.“ So nüchtern sagte es die 92-jährige Psychoanaly tikerin Erika Freeman dieser Tage in einem Interview des ZEIT-Magazins mit Blick auf die Kriegs- und Holocaust erfahrung ihrer Familie. Dieser klare Blick auf die Situation bedeutet: Der Gesundheitsschutz muss bei allem, was wir tun, höchste Priorität haben. Das Ziel, die Zahl der Infektionen so gering wie möglich zu halten, steht über allem. Dadurch ha ben wir es selbst in der Hand, diesen Feind zu besiegen und sichere Zukunftsperspektiven für alle Teile des gesellschaft lichen Lebens zu eröffnen.

Zweitens: Wir stehen vor einer ganz außergewöhnlichen He rausforderung, deren Verlauf wir noch nicht kennen. Für die Politik heißt das – das war das Spannungsfeld, das heute Mor gen beschrieben wurde –, wir müssen einerseits verlässlich sein, aber zugleich flexibel und offen reagieren, auch mit den Förderinstrumenten, die wir jetzt wählen und auflegen.