Protocol of the Session on May 6, 2020

Es war wichtig, eine konjunkturflexible Regelung zu wählen. Unser Land hat durch Industrie und Export zwei Treiber mit hoher Volatilität, bezogen auf die Haushalte. Auch wenn sich das bei den Einnahmen und Ausgaben im föderalen System glätten muss, ist es doch gut, dass wir das Bedürfnis nach eige nen Spielräumen haben, wie wir hier in Baden-Württemberg reagieren können, wie wir mit der Schuldenbremse in bestimm ten konjunkturellen Situationen selbst umgehen können.

Es war nicht zuletzt auch richtig, dass wir uns öffentlich über die neu zu treffende Regelung unterhalten haben, dass wir teil weise parlamentarisch gestritten haben, aber auch mit den Gruppen außerhalb des Landtags in einem Dialog waren.

Ich sage ganz offen: Der Deutsche Gewerkschaftsbund vertritt eine Auffassung, die von dem abweicht, was hier auf dem Weg des Beschlusses ist. Trotzdem ist uns diese Debatte wichtig ge wesen. Ich glaube, es ist auch wichtig, dass wir dazu stehen – ich habe das vorhin angesprochen –, und zwar unter der Prä misse, dass wir einen aktiven, aber auch einen solide wirtschaf tenden Staat haben. Beides zusammen geht – natürlich immer dann, wenn richtig regiert wird. Und am besten wird richtig re giert, wenn wir dabei sind, meine Damen und Herren.

(Beifall – Zuruf: Ich habe den Scherz verstanden!)

Ja, aber mit Blick auf die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland war es kein Scherz, sondern die Realität, Herr Kollege.

(Heiterkeit und Beifall)

Unsere Ziele haben wir erreicht. Es gibt ein Kontrollkonto, das geräumt wird. Für die Feststellung, dass eine Notsituati on vorliegt, ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich, und wir haben symmetrische Maßnahmen, wenn es darum geht, dass wir konjunkturell Einfluss nehmen wollen.

Wir freuen uns, dass die Wissenschaft uns, die SPD, darin be stärkt hat und dass unsere Forderungen auch aufgenommen werden. Das hat die Anhörung ergeben. Darüber freuen wir uns, und wir können sagen, dass wir in der aktuellen Situati on schon mit dem, was über die Landeshaushaltsordnung im Vorgriff beschlossen worden ist, auch handlungsfähig sein werden; Kollegin Walker hat darauf hingewiesen.

Ich denke also, dass wir sagen können: Es ist ein Gesamtwerk, zu dem wir stehen können, das einen guten Kompromiss dar stellt. Wir haben damit – auch wenn wir die Regelungen für eine Ausnahmesituation jetzt aus einem sehr traurigen Anlass zum ersten Mal anwenden – bewiesen, dass wir für das Land Baden-Württemberg eine angemessene Gesetzgebung zuwe ge gebracht haben.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Als Nächster hat Herr Abg. Dr. Podeswa für die AfD das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsiden tin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die grünrote Regierung Kretschmann I und die andere grün-rote Re gierung Kretschmann II

(Vereinzelt Heiterkeit)

haben die Schulden des Landes Baden-Württemberg selbst bei den höchsten Steuereinnahmen aller Zeiten ausgeweitet. Vergleichen Sie dazu bei Interesse einfach auf der Seite des Finanzministeriums die Entwicklung der Kreditmarktschul den von Baden-Württemberg über die Jahre.

Die Vorgängerregierungen haben – Sie werden es vermutlich ahnen – auch in normalen Zeiten die Schulden des Landes Ba den-Württemberg ausgeweitet. Und heute sind wir uns in ei ner Krisensituation alle einig, den Schuldenstand des Landes auszuweiten. Beste Zeiten, normale Zeiten, Krisenzeiten: Grün de fürs Schuldenmachen gibt es offensichtlich immer.

Die AfD erklärt die Einhaltung der Schuldenbremse zu einem ihrer obersten Gebote.

(Beifall)

Konsumausgaben dürfen nicht mehr durch zusätzliche Schulden getätigt werden. Ersparte Zinsen und zusätzli che Steuereinnahmen sind für die Tilgung von Altschul den einzusetzen.

Das ist ein wörtliches Zitat aus dem Landtagswahlprogramm der AfD Baden-Württemberg im Jahr 2016.

Wir bedanken uns vor diesem Hintergrund für den Gesetzent wurf der Schuldenparteien. Er entspricht vollumfänglich dem AfD-Programm.

Die AfD-Fraktion steht leider nicht auf dem Titel dieses Ge setzentwurfs – nicht, weil sie nicht hinter dem Gesetzentwurf stehen würde. Nein, die AfD-Fraktion hat für diesen Gesetz entwurf gekämpft, hat konstruktiv mitgearbeitet. Leider ist Konstruktivität in diesem Haus nicht erwünscht, wenn sie von der einzigen Oppositionspartei im Parlament kommt.

(Beifall)

Der Bürger weiß, was er davon zu halten hat. Der Bürger weiß auch, dass wir hier unermüdlich für seine Interessen kämpfen.

(Zuruf: So ist es!)

Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen. Dafür muss es auch Ausnahmen geben. Die Coronakrise ist eine die ser Ausnahmen. Naturkatastrophen sind eine Situation, in wel cher der Staat handeln muss, handlungsfähig sein muss.

Die Schuldenbremse in der vorliegenden Fassung hat ihre Be währungsprobe bestanden. Die AfD-Fraktion hat dies auch bewiesen, indem wir als erste Fraktion im Landtag von Ba den-Württemberg einen Antrag auf Errichtung eines Schutz schirms für die Wirtschaft, für Kleinunternehmen und für So loselbstständige eingebracht haben,

(Beifall)

genau am 17. März dieses Jahres.

(Zuruf des Abg. Anton Baron AfD)

Staatsschulden sind eine Belastung für den Bürger und nur im absoluten Notfall staatspolitisch sinnvoll. Die Schuldenbremse und diesbezügliche Diskussionen sind Kinder der Eurokrise und der Überschuldung der Südländer, welche sich zwischen

zeitlich auch auf weitere Länder ausgeweitet hat, insbesonde re westlich von uns.

Passend dazu haben wir zwei Entwicklungen. Das Bundes verfassungsgericht hat den enormen Anleihenkauf der Euro päischen Zentralbank in Höhe von bisher 2,6 Billionen € – wir sprechen hier nicht von Milliarden, wir sprechen vom Tau sendfachen von Milliarden – zumindest in Teilen für verfas sungswidrig erklärt.

(Beifall – Zuruf der Abg. Dr. Christina Baum AfD)

Die rund 1 Billion € Schulden – bei diesen Summen kommt es auf ein Milliardchen mehr oder weniger ja nicht an –, wel che Deutschland als größtem EZB-Anteilseigner im wahrsten Sinn des Wortes um den Hals gehängt wurden, wird diese Ent scheidung des Bundesverfassungsgerichts aber nicht tilgen. Für die Tilgung dieser Schulden, die am Bundestag vorbei ge macht wurden, für die Ramschkäufe, die am Bundestag vor bei und ohne Prüfung rechtswidrig erfolgten, wird schluss endlich der deutsche Steuerzahler, auch der deutsche Rentner aufkommen müssen.

Im Rahmen der Coronakrise wollen die Südstaaten der EU dieses Problem nun durch Eurobonds, Coronabonds oder „Re covery Bonds“ umgehen. Wir, die AfD-Fraktion, wehren uns gegen alle drei Alternativen. Wir wollen keine Schuldenex zesse. Wir wollen keine illegalen Anleihenkäufe. Wir wollen vor allem keine Eurobonds, unter welchem Namen auch im mer.

(Beifall)

Wir wollen Finanzdisziplin und Transparenz. Deshalb stim men wir diesem Gesetzentwurf zu.

(Beifall)

Herr Abg. Brauer für die FDP/DVP.

Sehr geehrte Frau Präsi dentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast alle Abgeord neten werden voraussichtlich für die Schuldenbremse stim men und somit dieser zukunftweisenden Änderung unserer Landesverfassung durch eine breite Mehrheit Geltung ver schaffen.

Die Ausnahmeregelungen, welche unsere finanzpolitische Fle xibilität erhalten sollen, wurden bereits ausreichend themati siert. Dass uns die erste Ausnahme in Form von Corona be reits vor dem Inkrafttreten der Verfassungsänderung über rascht hat, ist schlimm. Dass entsprechende Ausnahmen vom Verbot der Neuverschuldung existieren, spricht aber auch für den Weitblick der den Entwurf einbringenden Fraktionen.

Obwohl die Schuldenbremse dringend erforderlich ist, möch te ich einige kritische Anmerkungen machen, die sich auf die konkrete Umsetzung der Regeln beziehen und die auch als Leitfaden für die jeweils Regierenden verstanden werden kön nen. Dabei beziehe ich mich auf die Stellungnahme des Münch ner ifo Instituts, die im Rahmen der Anhörung zum Gesetz entwurf erfolgt ist.

Ohne die Schuldenbremse infrage stellen zu wollen, muss man konstatieren, dass der Teufel wie so häufig im Detail steckt.

Würde man dies außer Acht lassen, dann würde die eigentli che Intention ausgehöhlt und von dieser sinnvollen Regelung nur eine wohlklingende Hülle übrig bleiben.

Laut den Absätzen 2 und 5 des Artikels 84 soll ein im Auf- und Abschwung symmetrisches Konjunkturbereinigungsver fahren eingerichtet werden. Dies meint im Grunde nichts an deres als eine Lightversion des von Keynes propagierten De ficit-Spending. Im Grunde handelt es sich auch bei der Schul denbremse um antizyklische Fiskalpolitik. Allerdings setzt sie lediglich auf der Einnahmeseite an und beinhaltet keine sys tematische Ausgabensteigerung in der Rezession.

Grundlage für die Berechnung soll das sogenannte Produkti onslückenverfahren sein. Hierbei wird die Abweichung des realen Bruttoinlandsprodukts vom Produktionspotenzial er mittelt. Diese Ermittlung erfolgt allerdings durch Schätzun gen. Diese sind naturgemäß fehleranfällig und erlauben er heblichen Spielraum, zu viel Spielraum. Deshalb empfiehlt der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten 2019/2020, sich mit dem neuesten Schätzverfahren auseinanderzusetzen und verschiedene Modelle bei der Konjunkturbereinigung an zuwenden.

Eine weitere wichtige Regelung, um der Aushöhlung der Schuldenbremse entgegenzuwirken, ist das sogenannte Kon trollkonto. Liegt die tatsächliche Nettokreditaufnahme in ei nem Jahr über der definierten Obergrenze zur zulässigen Neu verschuldung, bewirkt das Kontrollkonto, dass dies zu einer niedrigeren Kreditgrenze im Folgejahr führt. Man führt sozu sagen seine finanzpolitischen Sünden mit. Allerdings nützt hier die Beichte im Gegensatz zur katholischen Kirche rein gar nichts. Die Sünden bekommt man nur los, indem man sich durch einen geringeren Verschuldungsspielraum in der Zu kunft freikauft. Dies ist der finanzpolitische Ablasshandel der Schuldenbremse, wenn man so will.

Entscheidend dafür, ob man das Kontrollkonto belastet, ist na türlich die Festlegung dieser Obergrenze für die Neuverschul dung. Auch hier steckt der Teufel im Detail, und nur durch ei ne verantwortungsvolle, also nicht zu hohe Festlegung dieser Obergrenze kann das Kontrollkonto seine Wirksamkeit auch entfalten.

Wenn man fragt, ob eine Schuldenbremse wirkt, lohnt ein Blick in die Empirie. Acht deutsche Bundesländer haben die Schuldenbremse eingeführt, in sieben davon ist die Staats schuldenquote gesunken. Der Ministerpräsident sprach hier davon, dass es immer Riesendiskussionen gibt, wenn andere Länder etwas anders machen. Es ist aber auch entscheidend, etwas besser zu machen als die anderen Länder, und es ist gut, dass wir hier nachziehen.

Blickt man über den Großen Teich und betrachtet die Bundes staaten der USA, kann dort, wo Fiskalregeln eingeführt wur den, eine sinkende Staatsschuldenquote beobachtet werden. Ausnahmen bestätigen die Regel. Ausgerechnet in Colorado, dem Bundesstaat mit den strengsten Fiskalauflagen, der soge nannten Taxpayer Bill of Rights, zeigte die Schuldenbremse gar keine Auswirkung.