Protocol of the Session on October 17, 2019

Ihr Vorschlag geht davon aus, dass insbesondere in den Klas sen 6, 7 und 8 Schülerinnen und Schüler von den Realschu len auf die Haupt- und Werkrealschulen wechseln. Dieses kal kulierte Abschulen ist für mich pädagogisch untragbar. Es ist unverantwortlich gegenüber den Schülerinnen und Schülern sowie den dort unterrichtenden Kolleginnen und Kollegen,

(Abg. Stephen Brauer FDP/DVP: Und wie ist das mit der Realität?)

aber auch gegenüber den Haupt- und Werkrealschulen selbst, die die Rolle der Restschule übernehmen müssen – der Rest schule mit Auffangcharakter für schwache und schwierige Schülerinnen und Schüler – und die aufgrund der Zusammen setzung ihrer Schülerschaft die Bildungsstandards des grund legenden Niveaus nicht mehr gewährleisten können.

Die Leistungsvergleiche und Abschlussergebnisse im letzten Jahr haben gezeigt, dass die Leistungen an den Haupt- und Werkrealschulen nicht an die der anderen Schularten heran reichen. Das ist kein vielfältiges Schulangebot. Eine solche Hierarchisierung von Schulen, wie Sie das wollen,

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Im Gegenteil!)

lehnen wir ab.

(Beifall bei den Grünen)

Wir haben dafür mit den Gemeinschaftsschulen und den Re alschulen, die jetzt auch den Hauptschulabschluss anbieten, ein sehr gutes Angebot für mehr Bildungsgerechtigkeit im ländlichen Raum aufgebaut, und wir haben die Realschulen mit zehn zusätzlichen Poolstunden ausgestattet, damit sie der gestiegenen Heterogenität mit differenzierten Angeboten be gegnen können.

Eine dringende Korrektur wäre meiner Meinung nach noch in der Orientierungsstufe der Realschule notwendig. Die Real schulen müssten in den Klassen 5 und 6 auch auf dem grund legenden Niveau unterrichten und bewerten können und dür fen.

(Zuruf des Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD)

Das würde viel Leiden ersparen und wäre konsequent für ei ne Schulart, die sowohl zum Realschulabschluss als auch zum Hauptschulabschluss führt.

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Warum habt ihr das zugelassen?)

Wir brauchen Schule als handlungsfähige, starke Einheit in der Fläche. Ihr Gesetzentwurf hat genau den gegenteiligen Ef fekt. Er verringert die Qualität in der Bildung, verschärft den bestehenden Lehrkräftemangel und ist obendrein pädagogisch nicht verantwortbar. Deshalb lehnen wir ihn ab.

(Beifall bei den Grünen)

Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. Röhm.

Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Ich glaube, wir haben jetzt eine le bendige Debatte. Die Unterschiede in der Bildungspolitik wer den sichtbar. Das ist ja auch vernünftig und richtig.

Wir, die CDU-Fraktion, stehen für Schulvielfalt und befür worten ein differenziertes Bildungssystem in Baden-Württem berg.

(Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Aber?)

Kein Aber. Ein klares Bekenntnis, Herr Kern. – Ein geglie dertes Schulsystem eröffnet den jungen Menschen mit ihren individuellen Begabungen, unterschiedlichen Interessen und Entwicklungen passgenaue Bildungswege. Der VBE formu liert in seiner Stellungnahme – ich zitiere –:

Nur durch den Erhalt eines vielfältigen Bildungsangebots wird auch der Heterogenität in den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler in angemessener Weise Rech nung getragen.

Die Intention des Gesetzentwurfs, lieber Kollege Kern, zum Erhalt eines vielfältigen Schulangebots ist insofern zu begrü ßen, spiegelt er doch die Leitlinie der CDU: Nicht für alle das Gleiche, sondern für jeden das Richtige.

Allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen: Der Gesetzent wurf ist gut gedacht, aber nicht gut gemacht, weil nicht zu En de gedacht. Sie haben aber noch Redezeit und können nach

her vielleicht meine Frage beantworten, damit ich es dann ver stehe.

Richtig ist: Die Zugänge in die Klassenstufen 5 bis 9 der öf fentlichen Haupt- und Werkrealschulen liegen seit dem Schul jahr 2013/2014 bei rund 45,8 %. Von Ihnen sind 46 % genannt worden. Bisher gilt für alle auf der Grundschule aufbauenden Schulen eine Mindestschülerzahl von 16 in der Eingangsklas se. Ein Aufwuchs der Schülerzahl in den aufsteigenden Klas senstufen kann über diesen einmaligen Stichtag nicht erfasst werden. Folgerichtig soll sich die Mindestzahl von 16 Schü lern zukünftig – das ist auch Ihr Anliegen – auf den Durch schnitt der Schülerzahlen in den Klassenstufen 5 bis 9 bezie hen, um Wanderungssalden in den höheren Klassen ebenfalls abbilden zu können.

Für alle Schulen der Sekundarstufe I kann dadurch die Be darfslage besser abgebildet werden. Ich sage noch einmal: für alle Schulen. Das geänderte Schulwahlverhalten im späteren Bildungsverlauf, das sich seit der ersatzlosen Abschaffung der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung eingestellt hat, blieb bei der regionalen Schulentwicklung bislang außer Be tracht.

Die schulische Vielfalt spiegelt sich auch in der Vielfalt bega bungsgerechter Schulabschlüsse wie dem Werkrealschulab schluss – der wird von vielen gar nicht mehr erwähnt –, der nur an der Haupt- und Werkrealschule angeboten wird.

Aber zurück zum Gesetzentwurf der Fraktion der FDP/DVP, der im Gegensatz zur Kabinettsvorlage des Kultusministeri ums ein von der Landesregierung bereits erkanntes Problem – ich sage es einmal umgangssprachlich – verschlimmbessert. Ich zitiere aus Artikel 1 Absatz 1 Ihres Gesetzentwurfs. Dort schreiben Sie, liebe FDP/DVP-Kollegen:

Unterschreitet eine in Absatz 1 Nummer 1 und 2 genann te Schule die Mindestschülerzahl 16 im Durchschnitt der Klassen fünf bis neun und kann weder eine positive Per spektive hinsichtlich der Entwicklung der Schülerzahlen an der betreffenden Schule noch das Bestehen eines wei teren nach Bildungsgang und Schulabschluss entspre chenden Schulangebots einer öffentlichen Schule in der betreffenden Region oder in zumutbarer Erreichbarkeit festgestellt werden,

jetzt die Schlussfolgerung –

wird der Schulträger durch die Schulaufsichtsbehörde hierauf hingewiesen und aufgefordert, eine regionale Schul entwicklung nach § 30 a Absatz 2 Nummer 1 durchzufüh ren.

Lieber Kollege Dr. Kern, diese Gesetzesänderung mögen Sie mir bitte erklären. Ihnen steht ja noch Redezeit zur Verfügung. Sie bedeutet doch, vereinfacht gesagt: Eine Schule wird dann geschlossen, wenn sie keine Perspektive besitzt und die letz te Schule ihrer Art in der Region ist. Genau in diesem Fall dürfte sie aber doch im Sinne der Schularten- und Abschluss vielfalt erhaltenswert sein. Darum geht es doch.

(Beifall des Abg. Thomas Blenke CDU)

Konsequent inkonsequent wird es, wenn die FDP/DVP zwar Satz 1, wie dargelegt, ändert, aber vergisst, Satz 4 von § 30 b

zu streichen. Dieser besagt nämlich, die Aufhebung erfolge ausnahmsweise dann nicht, wenn ein entsprechender Bil dungsabschluss nicht in zumutbarer Erreichbarkeit von einer anderen öffentlichen Schule angeboten wird.

Was gilt nun, Herr Kollege Kern? Satz 1 oder der nachfolgen de, von mir eben verlesene Satz 4? Der Gesetzentwurf ist für mich in einer entscheidenden Frage nicht konsistent. Lieber Herr Kollege Kern, gehe ich recht in der Annahme, dass Sie möglicherweise in großer Eile waren, um in dieser Frage mit der Landesregierung Schritt halten zu können?

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Wir hatten gehofft, die Kultusministerin ist da!)

Der Arbeitskreis Bildung der CDU hat einer Kabinettsvorla ge des Kultusministeriums zu genau diesem Anliegen bereits zugestimmt. Wir lehnen daher den vorliegenden Gesetzent wurf, der – ich sage es gnädig – einen kleinen handwerklichen Fehler enthält, ab.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Für die AfD-Fraktion erteile ich Herrn Abg. Dr. Balzer das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Kollegen Abgeordnete! Der Titel des im Entwurf vorliegenden Gesetzes lautet „Gesetz zum Erhalt eines vielfältigen Schulangebots“. Wir sind ja hier inzwischen einiges an Neusprech, Schönsprech und schönen Formulierungen gewöhnt, aber warum nennen Sie, liebe FDP/ DVP, das Gesetz nicht einfach „Gesetz zum Erhalt der Haupt- und Werkrealschulen“? Dann wüssten wir, was gemeint ist.

Wir wollen das dreigliedrige Schulsystem erhalten und wei terentwickeln. – Eigentlich ist es ja mit den wichtigen beruf lichen Schulen viergliedrig. – Dazu gehört Ehrlichkeit, auch beim Benennen der Gefahr sogenannter Restschulen. Danke an die Vorredner. Wir können nahtlos an sie anknüpfen.

Den Hauptschulen hat man sinnvollerweise die Möglichkeit eröffnet, Realschulabschlüsse zu vergeben. Als Werkrealschu le haben sie eine wichtige Funktion in unserer Schulland schaft. Die meisten Bürger wissen sehr wohl, dass für die Schüler, die später nicht studieren wollen oder können, eine gute und solide Schule erforderlich ist. Wir brauchen diese Menschen in unserem Land. Die Hauptschule war einmal die Haupt-Schule und hat gute Arbeit geleistet und die Schüler auf eine solide Ausbildung hingeführt. Diese Aufgabe muss dieser Schultyp wieder ausüben können,

(Beifall der Abg. Bernd Gögel und Anton Baron AfD)

ohne als Restschule von sozial unverträglichen Individuen

(Abg. Andrea Bogner-Unden GRÜNE: Schülerinnen und Schüler!)

lahmgelegt zu werden.

Mancherorts zu häufig ist der Unterricht in einzelnen Schu len, in einzelnen Klassen aufgrund mangelnder Disziplin in effektiv, in Einzelfällen sogar unmöglich. Das darf nicht sein.

(Abg. Daniel Andreas Lede Abal GRÜNE: Es müs sen wieder Zucht und Ordnung herrschen!)

Sprechen wir hier nur von Einzelfällen? Mangelnde Deutsch kenntnisse, zu große Heterogenität, mangelnde Aufmerksam keit und Disziplinlosigkeit können so weit gehen – dies ist hier schon angeklungen –, dass „normale“ Leute ihre Kinder in eine solche Schule nicht mehr schicken wollen. Sie alle kennen derartige Fälle.

Mut zur Wahrheit: Woran liegt es? Mangelnde Aufmerksam keit und Disziplinlosigkeit sind keine guten Bausteine für ei ne Berufsausbildung. Also müssen diese gelernt werden. In den Schulen muss mehr Aufmerksamkeit und Disziplin herr schen. Wir brauchen dazu neue pädagogische Konzepte. Ein einfaches „Weiter so!“ ist nicht möglich.