Es gilt aber auch im heutigen Leben – das ist schon angeklun gen –, Vorurteile, die es leider noch gibt, weiter abzubauen. Leider ist es immer noch so, dass Sinti und Roma als Nach barn, als Mieter, als Beschäftigte Vorurteilen begegnen. Das führt dazu, dass sich nicht alle Sinti und Roma dazu beken nen, dass sie dieser Minderheit angehören. Auch das, meine Damen und Herren, muss ein Ende haben. Dazu soll dieser Staatsvertrag seinen Beitrag leisten.
Ich möchte, dass wir hier in Baden-Württemberg eine ganz besondere Verantwortung übernehmen. Dazu ist dieser Ver trag ein wichtiger Meilenstein. Er kann zu einer Win-win-Si tuation für das Land, für alle Baden-Württembergerinnen und Baden-Württemberger inklusive der Sinti und Roma, die selbstverständlich Teil unserer Gesellschaft sind, führen. Wir, die Fraktion GRÜNE, werden diesem Vertrag deshalb mit Freude und uneingeschränkt im Landtag zustimmen.
Lassen Sie mich noch kurz auf ein paar Kernpunkte eingehen, die in diesem Vertrag fixiert werden. Es wird ein verbrieftes Recht auf Schutz, Bewahrung, Förderung der Sprache, Kul tur und Tradition der Sinti und Roma sowie auf die Pflege der Erinnerung und des Gedenkens geben. Wir wollen die Bil
dungspläne entsprechend überarbeiten und dafür sorgen, dass an den Schulen, aber auch an anderen Bildungseinrichtungen die Geschichte der Sinti und Roma, aber auch die aktuellen Probleme Eingang finden. Das ist wichtig, damit wir in Zu kunft mehr Toleranz schaffen und für ein gutes Miteinander aller Menschen, die in Baden-Württemberg leben, sorgen kön nen.
Wir wollen in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für po litische Bildung diesen kulturellen Bildungsansatz weiter för dern. Dabei geht es auch um die Gedenkstätten, die einen wichtigen Beitrag leisten und erhalten werden sollen. Schließ lich freuen wir uns, dass es mit einem paritätisch besetzten Rat für die Angelegenheiten der deutschen Sinti und Roma jetzt ein Gremium gibt, in dem sich Sinti und Roma einerseits und Vertreter des Landes andererseits auf Augenhöhe begeg nen und austauschen können und an dieser Zukunftsaufgabe, die wir uns gemeinsam vorgenommen haben, arbeiten kön nen und diesen Staatsvertrag mit Leben füllen.
Frau Präsidentin, meine sehr ver ehrten Kolleginnen und Kollegen! Wie schon gesagt: Am 28. November haben der Ministerpräsident und der Vorsitzen de des Landesverbands Deutscher Sinti und Roma, Daniel Strauß, einen Staatsvertrag unterzeichnet, welcher die Bezie hungen des Landes zu der hier lebenden Minderheit der Sin ti und Roma auf eine rechtlich verpflichtende Grundlage stellt. Dieser Staatsvertrag bedeutet nicht lediglich eine Verpflich tung, er drückt vor allem auch den Willen aus, unser gesell schaftliches Zusammenleben zukünftig aktiver, freundschaft licher und verbindlicher zu gestalten.
Dieser Vertrag ist ein Bekenntnis – ein Bekenntnis, dass die Sinti und Roma in diesem Land, in ihrem eigenen Heimatland willkommen sind, dass sie unsere Mitbürger sind und dieses Land kulturell bereichern und dass dieses Land das Seinige tun wird, um ihre Identität zu wahren und ihre Rechte als Min derheit zu schützen.
Dieser Vertrag ist ebenso sehr ein Bekenntnis zur Anerken nung einer furchtbaren und traurigen Vergangenheit. Die Sin ti und Roma gehören seit mehr als 600 Jahren zur Gesellschaft des heutigen Landes Baden-Württemberg. Sie sind somit seit langer Zeit Bestandteil der hiesigen Kultur und Geschichte. Für den größten Teil dieser Zeit waren sie jedoch ausgegrenzt, benachteiligt, verfolgt und oftmals mit dem Tode bedroht. Der Tiefpunkt jener Vergangenheit war der nationalsozialistische Völkermord, dem auch hier in Baden-Württemberg viele Sin ti und Roma zum Opfer fielen.
Leider müssen wir auch heute noch miterleben, dass gegen Sinti und Roma gehetzt wird, dass ihre Rechte beschnitten werden und ihnen Gewalt entgegenschlägt. Denken wir an die Zustände in Ungarn, wo Repression und Revisionismus zu nehmen. Auch aus Frankreich muss man in den letzten Jah ren erschreckende Nachrichten vernehmen. Dass in beiden
Ländern die Regierungen teilweise mitverantwortlich für die Geschehnisse sind, ist umso bestürzender.
Doch der Blick nach außen soll uns nicht von der Aufmerk samkeit in unserem eigenen Land ablenken. Es ist eine be schämende Tatsache, dass Antiziganismus auch Jahrzehnte nach dem Ende des nationalsozialistischen Unrechtsregimes nach wie vor in Teilen unserer Gesellschaft Bestand hat. Ge rade auch in Zeiten wie diesen, in denen wir von Armutsmi gration aus Osteuropa sprechen und teilweise an manchen Stammtischen, aber auch in öffentlichen Äußerungen von „Sinti- und Roma-Schwemme“ gesprochen wird, müssen wir aufpassen, welche Worte wir wählen und welche Ressenti ments wir damit wiedererwecken.
Auch und gerade deshalb soll der Staatsvertrag ein Zeichen sein, eine klare, eindeutige Positionierung gegen jeglichen Rassismus und jede Diskriminierung, ein Zeichen der vorbe haltlosen Anerkennung der ungeheuren historischen Schuld und des Willens, die unwürdige Vergangenheit gemeinsam zu überwinden, ohne sie zu vergessen.
Wie der Vertrag inhaltlich gestaltet ist, wurde von meinen Vor rednern schon dargelegt. Es ist wichtig, dass wir die Geschich te der Sinti und Roma in unseren Bildungsplänen verankern und somit die Grundlage für die nächsten Generationen schaf fen, sich zu diesem Erbe zu bekennen. Denn eines muss man auch sehen: Die Sinti und Roma sind heute noch strukturell benachteiligt. Deswegen müssen wir gerade die Benachteili gung im Alltagsleben vor Ort, ob in der Kommune, auf dem Wohnungsmarkt oder bei den Bildungschancen, nach und nach gemeinsam abbauen. Auch dazu dient der Vertrag. Er ist nicht der Abschluss eines Prozesses, sondern er ist Auftrag und Anfang eines gesellschaftlichen Wandels, den wir hiermit einleiten.
Deswegen ist auch das gemeinsame Gremium, das paritätisch besetzt wird, ganz wichtig. Wir müssen dies kritisch beglei ten und uns immer wieder hinterfragen. Einerseits ist die Be teiligung der Sinti und Roma, andererseits ist die breite Ein bindung der Landesregierung, des Parlaments, aber auch der Kommunen wichtig. Wir können stolz sein, dass wir den Schritt gewagt haben. Baden-Württemberg nimmt hier eine positive Vorreiterrolle ein. Wichtig ist jetzt, was wir in den nächsten Jahren aus dem Vertrag machen.
Frau Präsidentin, liebe Kol leginnen und Kollegen! Der Staatsvertrag ist in der Tat ein starkes und gutes Signal. Staatsverträge schließt man norma lerweise, wie der Name schon sagt, zwischen Staaten oder tra ditionell mit den Kirchen ab, ansonsten ist es der absolute Ausnahmefall. Es ist nicht einfach nur ein Vertrag, sondern dieser Vertrag bekommt durch ein Transformationsgesetz noch
Es ist ein Signal an die Sinti und Roma, die in den vergange nen Jahrhunderten – das wissen wir alle – auch und gerade auf deutschem Boden selten etwas Gutes erlebt haben, son dern viel Schlechtes bis hin zu Fürchterlichem wie der Ver folgung im Nationalsozialismus, von der die Rede war. Wenn jetzt ein solches Signal der Anerkennung und Wertschätzung kommt, dann kann man das im Landtag nur gemeinsam be schließen und unterstützen.
Zu den Inhalten darf ich mich jetzt etwas kürzer fassen, weil die Vorredner schon Etliches dazu gesagt haben.
Es ist richtig, die Geschichte und Gegenwart von Sinti und Roma stärker in den Bildungsplänen zu verankern. Es ist rich tig, die Zusammenarbeit zur Aufklärung über minderheiten feindliche Vorurteile zu intensivieren. Es ist richtig, die Zu sammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung auszubauen. Es ist ein guter Gedanke, die Grabstätten der Op fer des Nationalsozialismus zu erhalten. Auch die institutio nelle Förderung, die beschlossen wird, ist absolut unterstüt zenswert.
Es wird ein Gremium geben, und zwar den Rat für die Ange legenheiten der deutschen Sinti und Roma in Baden-Württem berg. Auch das ist eine gute Idee, wobei Sie mir vielleicht ei ne Anmerkung zu den Regelungen zum Rat gestatten – da ha ben wir ein paar Kleinigkeiten gefunden, die man spätestens bei der Neuauflage des Vertrags in fünf Jahren berücksichti gen könnte –: Der Rat soll aus jeweils sechs Vertretern der Sinti und Roma und sechs staatlichen Vertreterinnen und Ver tretern bestehen. Es findet sich eine Regel im Vertrag, wonach die sechs Mitglieder der Sinti und Roma einschließlich der Ersatzmitglieder vom Verband vorgeschlagen und vom Land tag bestätigt werden. Auf staatlicher Seite findet sich weder eine Regel zu den Ersatzmitgliedern noch beispielsweise da zu, wie lange sie im Amt sind. Im ersten Fall werden die Mit glieder für drei Jahre berufen. Wie lange die staatlichen Ver treter im Amt sind, ist formal betrachtet – Stand heute – noch unklar, genauso, wie der kommunale Vertreter ins Gremium kommt, ob er auch vom Landtag bestätigt werden muss, was sich anbieten würde. Das sind eher formale Fragen, die beim Durchlesen auffallen, die man bei passender Gelegenheit klä ren und möglicherweise im nächsten Vertrag ändern sollte.
Einverstanden sind wir mit der institutionellen Förderung von 500 000 €. Es ist richtig, dass sich bei den Regeln zur Finan zierung widerspiegelt, dass der Vertrag sehr viele Rechte für den Verband der Sinti und Roma enthält, aber auch einige Pflichten. In der Tat wurde die Unterstützung bei der Integra tion nicht deutscher oder bleibeberechtigter Sinti und Roma genannt. Dass wir da Hilfe vom Verband bekommen, ist sehr schön. Dass von den 500 000 € auch 50 000 € dafür verwen det werden, ist richtig.
Ich schlage vor, den Gesetzentwurf Drucksache 15/4401 zur weiteren Beratung an den Ständigen Ausschuss zu überwei sen. – Es erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist es so be schlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, erlauben Sie mir einen Nach trag. Bevor wir die Sitzung schließen, weise ich Sie noch auf
Folgendes hin, was Sie wahrscheinlich alle sehen werden, wenn Sie hinausgehen. Ich darf Sie einladen, sich gleich im Anschluss an die Sitzung beim Weihnachtsbaum in der Lob by einzufinden. Herr Kollege Blenke sowie Vertreterinnen und Vertreter aus den Gemeinden Höfen, Bad Wildbad und Enz klösterle werden uns allen den Weihnachtsbaum übergeben. Bereits zum 13. Mal wird der Weihnachtsbaum aus dem Staats wald dieser Gemeinden gespendet. Die Übergabe wird zum ersten Mal von unserem neuen Landtagschor begleitet. Zu die sem Auftakt in die Weihnachtszeit möchte ich Sie ganz herz lich einladen.