Protocol of the Session on April 10, 2013

Der hohe Aufwand für die Betriebe und die Mehrkosten für die öffentliche Hand sind das, was die Industrie- und Handels kammern bei diesem Gesetz eindeutig abschreckt. Dasselbe gilt für die Landesarbeitgebervereinigung. Sie spricht von ei nem schwerwiegenden Eingriff in die Tarifautonomie.

Der Mittelstand sieht bei den Eingriffs- und Kontrollrechten des öffentlichen Auftraggebers, wie sie in Ihrer Gesetzesvor lage vorgesehen sind, einen Verstoß gegen geltendes Daten schutzrecht. Das Ganze schafft im Übrigen ein Informations monopol für den öffentlichen Auftraggeber. Das kann nicht im Sinne des baden-württembergischen Mittelstands sein.

Auch die kommunalen Landesverbände halten nichts von dem, was Sie hier vorgelegt haben. Der Städtetag stellt fest, dass VOB, VOL und VOF genau die Vorgaben enthalten, die die Unternehmen schon seit Jahren hinreichend schützen – die Unternehmen, die ordentliche Löhne zahlen.

Heute hat sich auch der Gemeindetag geäußert. Der Gemein detag stellt fest – ich zitiere –:

Wir fragen uns, wie wir überprüfen sollen, dass die Re geln eingehalten werden.

Weiter heißt es, die Kommunen würden nicht von sich aus die schriftlichen Verpflichtungen der Unternehmen zur Tariftreue überprüfen. Wenn sich aber ein Mitbewerber bei einer Aus schreibung darüber beschwere, dass die Konkurrenz gegen das Gesetz verstoße, seien weder die Kontrolle noch die Kos tenübernahme dafür geregelt. Das ist nämlich ein Problem für

die Kommunen. Eventuell müsste auch Personal dafür ge schult oder das Projekt für die Zeit der Überprüfung gestoppt werden.

Ich zitiere:

Da entsteht eine Kaskade von Papier, die wir kaum noch nachkontrollieren können.

Das muss man wiederholen und sich einprägen. Der Gemein detag sagt:

Da entsteht eine Kaskade von Papier, die wir kaum noch nachkontrollieren können.

So viel zum Thema „Bürokratisches Monster“.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Hört, hört, hört!)

Sogar Befürworter wie der Hauptgeschäftsführer des Hand werkstags stellen fest: „Gut gemeint, aber schlecht gemacht.“ Das muss man letztlich, auf den Punkt gebracht, als Konse quenz aus dieser Gesetzesinitiative ziehen: Es gibt keinen ein zigen positiven Effekt und nur unnötige bürokratische Belas tungen. Das Scheitern dieses Gesetzes, meine Damen und Herren, ist programmiert. Bundesländer, die Sie sich da zum Vorbild genommen haben, haben einen solchen Unsinn ziem lich schnell wieder abgeschafft.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Für die Regierung spricht der Herr Minister für Finanzen und Wirtschaft Dr. Nils Schmid.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag für Ba den-Württemberg, denn dieses Gesetz ist ein wichtiger Mei lenstein auf dem Weg zum Musterland für gute Arbeit.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Selbstverständlich reicht dieses Gesetz nicht aus. Deshalb setzt sich die Landesregierung für einen gesetzlich veranker ten flächendeckenden Mindestlohn auf Bundesebene ein.

Herr Rülke, ich will es nicht beschreien, aber vielleicht gibt es doch noch vor der Bundestagswahl einen Mindestlohn, wie es den Anschein hat, wenn ich mir manche Äußerungen von Vertretern der CDU anschaue.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Viel Spaß!)

Wir jedenfalls werden im Bundesrat der Einführung eines sol chen Mindestlohns zustimmen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Staatssekretär Ingo Rust: Sehr gut! – Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Viel Erfolg!)

Hinter uns liegt ein umfangreiches Beteiligungs- und Anhö rungsverfahren. Intensive Beratungen in der Regierung, im Parlament, mit den Verbänden haben stattgefunden. Alle zum

Tariftreue- und Mindestlohngesetz eingegangenen Stellung nahmen wurden sorgfältig bewertet, geprüft und abgewogen. Kammern, Gewerkschaften, Verbände und Innungen haben sich mit 23 Eingaben am Gesetzgebungsverfahren rege betei ligt. Für und Wider wurden abgewogen, Standpunkte wurden verglichen und Argumente ausgetauscht. Wertvolle Erkennt nisse aus dem intensiven Austausch haben Niederschlag im Gesetz gefunden.

Ich bin überzeugt, diese Weisheit der vielen hat dieses Gesetz besser gemacht. Dabei haben wir unsere Ziele nie aus den Au gen verloren. Wir sagen Ja zum Mittelstand und Nein zu Lohndumping.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Wer gute Arbeit leistet, soll auch anständig verdienen. Wer seine Leute anständig bezahlt, soll nicht von Ausbeutern aus dem Markt gedrängt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU)

Deshalb ist dieses Gesetz zugleich auch ein klares Bekennt nis: Wir stehen voll und ganz zum Mittelstand hier in BadenWürttemberg, denn wir sorgen mit dieser Regelung für einen fairen Wettbewerb bei öffentlichen Aufträgen. Wir mindern die Belastungen für die sozialen Sicherungssysteme durch un zulängliche Bezahlung, und wir tun das auf einem möglichst unbürokratischen Weg. Deshalb werden wir ein einheitliches Formular bereitstellen.

Dass die Kommunen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bestimmte rechtliche Kriterien wie Zuverlässigkeit, Rechts treue und Ähnliches abprüfen müssen, ist schon jetzt der Fall. Jetzt kommt ein zusätzliches Kriterium hinzu. Aber davon zu reden, das sei ein bürokratisches Monster, halte ich doch für völlig überzogen. Denn für uns, die Landesregierung, ist ei nes entscheidend: Wirtschaftliche Vernunft und soziale Ge rechtigkeit sind zwei Seiten einer Medaille.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Im Übrigen sind Tariftreueregelungen nichts, was jetzt plötz lich vom Himmel gefallen wäre. Es ist nicht nur so, dass es schon in elf anderen Bundesländern entsprechende Regelun gen gibt. Nein, meine Damen und Herren, die ersten Tarif treueregelungen gehen bis in die zweite Hälfte des 19. Jahr hunderts zurück, nicht ganz zufällig übrigens in die Zeit einer jungen, erstarkenden Sozialdemokratie. Ihr Auftreten forcier te erste zarte sozialpolitische Ansätze, die zugleich auch die Qualität von Arbeit sichern sollten. Schon damals wurde der Vergabe öffentlicher Aufträge eine wichtige Rolle zugeschrie ben, nämlich gesetzliche Mindestlöhne festzulegen und das Tarifvertragssystem zu stützen. So musste im Königreich Württemberg in Verträgen festgehalten werden – ich zitiere –:

Der Unternehmer ist an die von ihm angegebenen Ar beitslöhne und Arbeitszeiten oder, soweit Tarifgemein schaften oder ähnliche Vereinbarungen zwischen den Ver bänden der Arbeitgeber und Arbeiter bestehen, an die von diesen festgestellten Arbeitsbedingungen gebunden.

Dieses Zitat stammt aus den Bestimmungen über die Verge bung von Arbeiten und Lieferungen aus dem Jahr 1903.

Wer den vorliegenden Gesetzentwurf hier und heute ablehnt, sollte sich fragen lassen, ob er wirklich schon in diesem Jahr tausend angekommen ist, meine sehr verehrten Damen und Herren – 110 Jahre nach dem Gesetz aus dem Königreich Württemberg.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Aber wir müssen gar nicht so weit zurückblicken. Die Erste Beratung des vorliegenden Gesetzentwurfs im Landtag war am 19. Dezember 2012. Das Plenum hat den Gesetzentwurf dann zur weiteren Beratung an den zuständigen Ausschuss für Finanzen und Wirtschaft überwiesen. Am 21. Februar dieses Jahres wurde in diesem Ausschuss eine öffentliche Anhörung von Verbänden, Organisationen und Gewerkschaften durch geführt. Diese Organisationen waren schon zuvor im Rahmen der Anhörungen nach dem Ministerratsbeschluss gefragt wor den.

Bei dieser Anhörung wurde angemerkt, dass der von BadenWürttemberg gewählte Ansatz zur Definition des Mindest lohns bislang im Bundesgebiet einzigartig sei.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Das haben wir auch gemerkt!)

Der Begriff des Mindestentgelts sei im Gesetzentwurf zu weit gefasst worden. Ich hatte daraufhin zugesagt, diesen Aspekt im Lichte der öffentlichen Anhörung des Ausschusses noch mals prüfen zu lassen – mit dem Ergebnis, dass jetzt in den Gesetzentwurf eingeflossen ist, dass die Definition des Min destentgelts im Sinne eines Änderungsantrags der Regierungs fraktionen angepasst wird. Das bedeutet, dass das reine Brut toentgelt pro Stunde ohne Zulagen oder Zuschläge zu berück sichtigen ist. Damit haben wir einen deutlich unbürokratische ren

(Abg. Dr. Reinhard Löffler CDU: Aber teurer!)

und für die öffentlichen Auftraggeber besser zu kontrollieren den Begriff gefunden.

Deshalb – das ist auch das Entscheidende für uns – entspricht der Mindestlohnbegriff in diesem Gesetz der Systematik an derer Tariftreuegesetze. Er entspricht dem auf Bundesebene diskutierten Begriff des Mindestlohns. Dieser Begriff, den wir jetzt gewählt haben, trägt auch der EuGH-Rechtsprechung zum Mindestlohnbegriff Rechnung.

Damit haben wir auch dank der wertvollen Anregungen aus den Anhörungen ein ausgewogenes, zielführendes und vor al lem ökonomisch und sozial vernünftiges Gesetz auf den Weg gebracht. Darauf können wir gemeinsam stolz sein. Ich will mich bei allen ganz herzlich bedanken, die zu der Verbesse rung des ursprüngliches Gesetzentwurfs beigetragen haben. Gemeinsam kommen wir damit unserem Ziel ein großes Stück näher, Baden-Württemberg zum Musterland guter Arbeit zu machen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Meine Damen und Herren, in der All gemeinen Aussprache liegen keine Wortmeldungen mehr vor.

Wir kommen daher in der Zweiten Beratung zur A b s t i m m u n g über den Gesetzentwurf Drucksache 15/2742.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Abstimmungsgrundlage ist die Beschlussempfehlung des Aus schusses für Finanzen und Wirtschaft, Drucksache 15/3221. Der Ausschuss empfiehlt Ihnen in Abschnitt I der Beschluss empfehlung, dem Gesetzentwurf mit einer Änderung durch eine Einfügung nach § 4 Absatz 1 Satz 1 zuzustimmen.