Protocol of the Session on November 8, 2012

In den vergangenen Jahren ist eine Möglichkeit hinzugekom men, sich zu wehren. Diese Möglichkeit gibt es zwar schon

länger, aber nun ist sie ins Bewusstsein getreten, und sie wird auch genutzt. Ich meine die Möglichkeit, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg anzurufen. Das ist eine weitere Möglichkeit, die in den vergangenen Jahren hinzugekommen ist.

Wenn man dann noch feststellt, dass der Katalog der Landes rechte fast deckungsgleich mit dem Katalog der Grundrechte ist, die schon auf eine sehr gute Weise durch das Bundesver fassungsgericht gehütet werden, kann man sich schon die Fra ge stellen, ob man so etwas wirklich braucht. Das ist bereits angesprochen worden.

Jetzt könnte man natürlich fragen: Warum nicht? Man kann ja nicht nur fragen: „Warum?“, sondern kann auch fragen: „Warum nicht?“ Man kann ja sagen: Es schadet nicht; es ist eine freundliche Geste, sozusagen ein Gruß an die Bürger. So ist es vielleicht auch gemeint. Aber es gibt eben mindestens zwei Einwände, über die man reden muss.

Der erste Einwand ist folgender: Es kostet Geld. Da beißt die Maus keinen Faden ab.

(Abg. Günther-Martin Pauli CDU: Das wir nicht ha ben!)

Geld, das wir nicht haben, Geld, das übrigens an anderer Stelle in der Justiz auch durchaus gebraucht wird. Deswegen bin ich natürlich auch nicht begeistert von dem Weg, bereits vorhandene Ressourcen in der Justiz – die dort auch gebraucht werden – zu nutzen. Aber es werden auch Kosten hinzukom men. Man darf schon skeptisch sein, ob man mit dem jetzt veranschlagten Aufwand auskommt.

Jetzt kann man sagen: Es handelt sich um eine überschauba re Summe. Aber, meine Damen und Herren, wir sind eigent lich gerade in einer Situation, in der wir sehen, dass man ei nen Haushalt durch viele kleinere Dinge, die man sich leistet, ins Schleudern bringen kann. Das ist doch die Erklärung da für, dass der Haushalt dieser Landesregierung im Moment ein bisschen aus dem Ruder läuft: Es kommt sozusagen an jeder Ecke etwas dazu, was man sich wünscht, was von der Sym bolik her schön ist, was aber Geld kostet. Wir sind uns jeden falls einig, dass es Geld kostet,

(Abg. Hans-Ulrich Sckerl GRÜNE: Wir sparen 1 Mil liarde €!)

und wir würden dieses Geld nicht ausgeben wollen. Wir wür den es sparen, weil das Instrument eigentlich nicht gebraucht wird.

Das zweite, vielleicht noch wichtigere Argument: Wir alle wissen, zwischen staatlichem Handeln und Kontrolle muss es eine bestimmte Balance geben. Wir wollen kein staatliches Handeln, das unkontrolliert oder mangelhaft kontrolliert ab läuft. Das ist ganz klar. Aber wir wollen auch keine Kontrol le, die letztlich das Handeln verunmöglicht. Das gibt es näm lich auch. Dann sind wir beim Stichwort „Rechtswegestaat“. Der Rechtswegestaat unterscheidet sich vom Rechtsstaat. Der Rechtswegestaat ist ein Staat, der auch Fakten schafft, näm lich indem er es möglich macht, dass man dadurch zu einem Ergebnis kommt, dass man so lange einen Rechtsweg be schreitet, bis sich die Maßnahme von selbst erledigt. Das gilt gerade für bestimmte Infrastrukturmaßnahmen.

Wir haben, meine Damen und Herren, in der Vergangenheit einmal die Verwaltungsgerichtsordnung geändert, damit der Verwaltungsaufbau in den neuen Bundesländern schnell ge nug vonstattengehen konnte. Denn man hatte den Eindruck, dass es einfach zu lange dauert, etwas auf die Bahn zu brin gen. Jetzt schaffen wir ein zusätzliches Instrument, welches es in Zukunft weiter erschweren wird, notwendige Infrastruk turmaßnahmen durchzuführen.

Wir sind der Meinung, dass die Balance zwischen staatlichen Handlungsmöglichkeiten und Planungsmöglichkeiten bei In frastrukturinvestitionen auf der einen Seite und Kontrolle auf der anderen Seite jetzt gerade ausgewogen ist. Daher halten wir ein neues Instrument für entbehrlich. Wenn es entbehrlich ist, sollte man es auch nicht einführen; denn es kostet Geld.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Justizminister Stickelberger das Wort.

Frau Präsidentin, lie be Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren! Wir stehen jetzt am Ende der Debatte zur Einführung einer Lan desverfassungsbeschwerde. Ich bedanke mich bei den Frak tionen für die konstruktiven Beratungen und für die breite Un terstützung seitens der Fraktion GRÜNE, seitens der Frakti on der SPD und seitens der Fraktion der CDU. Herzlichen Dank für diesen breiten Rückhalt.

Enttäuscht haben Sie mich etwas, Herr Dr. Goll, mit der von Ihnen vertretenen Auffassung der Fraktion der FDP/DVP. Ich hätte mir eigentlich nicht vorstellen können, dass gerade Ver treter der FDP, die früher einmal in einer großen rechtspoliti schen Tradition stand,

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Aber sie hat nie Unnützes beschlossen!)

mit großen Namen, die Haupteinwände gegen die Verfas sungsbeschwerde formulieren. Das ist für eine liberale Rechts staatspartei aus meiner Sicht doch etwas dürftig.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Meine Damen und Herren, unsere Verfassung feiert im nächs ten Jahr ihr 60-jähriges Bestehen.

(Zuruf des Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP)

Es ist Zeit, unsere Verfassung auch den Bürgerinnen und Bür gern näherzubringen. Dazu ist, glaube ich, die Verfassungs beschwerde das richtige Instrument. Zehn andere Bundeslän der haben es auch, und sie haben daran keinen Schaden ge nommen. Herr Dr. Goll, keineswegs werden damit Investiti onsvorhaben oder politische Projekte aufs Spiel gesetzt. Im Gegenteil: Ich glaube, für die Akzeptanz politischen Handelns ist die Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Kontrolle durch eine Verfassungsbeschwerde geradezu förderlich.

Möglicherweise haben Sie mit der Verfassung etwas andere Erfahrungen gemacht. Wir jedenfalls meinen, dass es ein gu tes Instrument ist, um die Identifikation der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land mit ihrer Verfassung herzustellen.

Die Verfassung ist für unsere Bürger da; das will ich an die ser Stelle ausdrücklich sagen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der SPD)

Dieser Bezug wird intensiviert; denn bisher hatten die Bürge rinnen und Bürger keine Möglichkeit, sich unmittelbar an das Verfassungsgericht zu wenden, um Rechte aus der Verfassung geltend zu machen.

Eines muss man auch sehen: Die Rechtsschutzmöglichkeit, die wir jetzt zusätzlich schaffen, ist ja nicht schrankenlos, im Gegenteil. Wir haben Sicherungen eingebaut. Die Zulässig keitshürden sind hoch. Die Rechtsschutzmöglichkeiten bezie hen sich nur auf die in den verfassungsrechtlichen Bestim mungen vorgegebenen Rechtspositionen. Die Möglichkeit der Popularklage ist ausgeschieden; sie wird hier nicht gegeben sein – im Gegensatz zu Bayern. Außerdem haben wir Gebüh ren vorgesehen, die einen Missbrauch dieses Instruments, das ja gerade dem Rechtsschutz dienen soll, verhindern sollen.

Das Bundesverfassungsgericht ist da übrigens in einer ande ren Situation. Sie haben sicher mitbekommen, dass der Bund noch keine Möglichkeit hat, Verfahren vor dem Bundesver fassungsgericht, die willkürlich, querulatorisch oder unsinnig sind, einzudämmen. Das ist nicht gelungen. Wir schaffen mit unserer Verfassungsbeschwerde eine entsprechende Möglich keit.

Was die Kosten angeht, haben wir, glaube ich, seriös gerech net. Das können Sie in der Begründung des Gesetzentwurfs nachlesen. Das ist mit dem Präsidenten des Staatsgerichtshofs, der uns da beraten hat, abgestimmt. Wir gehen davon aus, dass wir etwa 150 Verfahren pro Jahr haben werden. Das ist keine allzu große Zahl. Bayern hat wesentlich mehr Verfahren, weil dort die Popularklage möglich ist.

Insgesamt glaube ich, dass wir hier einen guten Schritt ma chen, um eine Rechtsweglücke zu schließen, aber auch – ich sage es noch einmal –, um den Bürgerinnen und Bürgern un seres Landes unsere Verfassung ein Stück weit näherzubrin gen. Das ist unser Ziel. Ich bedanke mich für die Unterstüt zung in den Fraktionen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Meine Damen und Her ren, in der Allgemeinen Aussprache liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wir kommen daher in der Zweiten Beratung zur A b s t i m m u n g über den Gesetzentwurf Drucksache 15/2153. Ab stimmungsgrundlage ist die Beschlussempfehlung des Stän digen Ausschusses, Drucksache 15/2570. Der Ständige Aus schuss empfiehlt Ihnen, dem Gesetzentwurf zuzustimmen.

Ich rufe auf

Artikel 1

Wer Artikel 1 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Da mit ist Artikel 1 mehrheitlich zugestimmt.

Ich rufe auf

Artikel 2

Wer Artikel 2 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist Artikel 2 mehrheitlich zugestimmt.

Die Einleitung

lautet: „Der Landtag hat am 8. November 2012 das folgende Gesetz beschlossen:“.

Die Überschrift

lautet: „Gesetz zur Einführung einer Landesverfassungsbe schwerde“. – Sie stimmen der Überschrift zu.

Wir kommen zur

S c h l u s s a b s t i m m u n g

Wer dem Gesetz im Ganzen zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Dem Gesetz wur de mehrheitlich zugestimmt.

Damit ist Punkt 4 der Tagesordnung erledigt.

Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:

Zweite Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz zur Aufhebung des Sammlungsgesetzes – Druck sache 15/2384